Das Königreich Saudi-Arabien

Wenn von Afghanistan, dem Irak oder dem Iran die Rede ist, dann weil der freie Westen in seiner Gesamtheit und unter Führung der USA mit den dortigen Verhältnissen überhaupt nicht zufrieden ist und eine Ordnungsaufgabe auf der Tagesordnung steht, die entweder schon halbwegs beendet, mitten im Gange ist oder im wesentlichen erst noch bevorsteht.
Es gibt dabei zwei Ebenen zu unterscheiden: Die der Interessen, also warum das westliche Militärbündnis NATO einerseits und die einzelnen ihm angehörigen Staaten andrerseits so unzufrieden sind, und die ideologischen Begründungen, mit denen sie ihre Politik rechtfertigen, im Namen der allerhöchsten ideellen Güter, die sie kennen und derer sie zu ihrer Rechtfertigung nie entbehren wollen.
Diese beiden Ebenen sollte man nicht verwechseln, denn sonst wird der Blick auf den Imperialismus sehr schief: Freilich, ihm selber kann gar nichts Besseres passieren als eben diese Verwechselung: Mit ihr möchte er ja gerade die Zustimmung seiner Untertanen zu seinen Kriegs-Projekten einholen.

Blickt man einfach einmal woanders hin, dann wird der Zusammenhang von Interessen und ihren Rechtfertigungen nur allzu offenkundig: In Saudi-Arabien beispielsweise klagen weder die westliche Politik noch ihre Meinungsmacher in Funk und Fernsehen die herrschenden Zustände an. Zwar weiß man, daß dort keine Demokratie herrscht, aber das ist ihnen ja gerade deshalb scheißegal, weil das dortige Königreich "unser" Parteigänger ist, den "wir" mit Waffen und Geld ausstaffieren: Demokratie wäre "unserem" Interesse dort auf der arabischen Halbinsel geradezu schädlich.
Ja, man ahnt zwar, daß auch dort beispielsweise Frauen rücksichtslos unterjocht werden, aber ein Thema wird daraus allein im Iran und in Afghanistan. Im übrigen erkennt man daran die furchtbar kritischen "alternativen" Trittbrettfahrer des Imperialismus: Sie erinnern immerzu an Menschenrechte, Demokratie etc. just da, wo die USA, die BRD & Co. einen Staat - wie gesagt: aus ganz anderen Gründen - auf ihre Abschußliste gesetzt haben.
Da stört es auch wenig, wenn die Brutalität des saudischen Regimes einsame Spitzenklasse ist, was man ohne die Zustände anderswo verharmlosen zu wollen, behaupten kann:

Wenn denn schon der freie Westen nicht an einem objektives Bild jenes Staates interessiert ist, weil für ihn die Zustände dort zwar nicht vollkommen ideal, aber alternativlos sehr gut und vorbildlich tragfähig sind, dann wird ein solcher Staat auch nicht in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Warum auch?

Wie geht es zu im Reich des Königs Abdullah bin Abd al-Aziz Al Saud, dem unverbrüchlichen und engen Freund des us-amerikanischen und des deutschen Staates, der - neben den regelmäigen Treffen mit den politischen Spitzenfunktionären des Imperialismus - überdies auch vom deutschen Papst am 06.11.07 im Vatikan empfangen worden war?


Beginnen wir mit der Abteilung Freunde des Rechtsstaats:

"Um ihren Mann aus dem Gefängnis freizubekommen, wandte sich Sawsan Salim in Saudi-Arabien auf eigene Faust an einen Richter. Daß sie zu dem Termin ohne männliche Begleitung erschien, wurde der Frau zum Verhängnis. Das Gericht verurteilte sie zu 300 Peitschenhieben und 18 Monaten Haft."..."Die saudischen Behörden stellen sich auch dann nicht auf die Seite der Frauen, wenn die Schuld ihrer Peiniger offensichtlich ist. In einem Fall wurde ein Verfahren eingestellt, obwohl klare Beweise dafür vorlagen, daß ein Arbeitgeber seine Haushaltshilfe brutal verprügelt hatte. Die Frau war so schwer verletzt, daß ihr mehrere Finger und Zehen amputiert werden mußten." (ips-Weltblick, 05.04.2010)
Selten erlangen Fälle wie diese allerdings "Aufsehen" - und wenn, dann allein der Exotik halber:
"Für großes Aufsehen sorgte der Fall einer jungen Frau, die 2006 von mehreren Männern vergewaltigt worden war. Nachdem nicht nur die Täter verurteilt worden waren, sondern auch das Opfer, weil es sich mit einem Mann, mit dem es nicht verwandt oder verheiratet war, in einem Auto aufgehalten hatte, beantragte dessen Anwalt eine Revision. Das Berufungsgericht verschärfte am 22.11.2007 das erste Urteil von 90 auf 200 Peitschenhiebe, die Haftstrafe von sechs Monaten blieb unverändert. Die Strafverschärfung wurde damit begründet, die Frau habe versucht, die Justiz durch die Medien zu beeinflussen. Ihr Anwalt wurde von dem Revisionsverfahren ausgeschlossen, außerdem wurde ihm wegen »Respektlosigkeit gegenüber dem Gericht« die Lizenz entzogen." (Fischer-Weltalmanach 2009)

Doch wer gedacht hätte, der frei Westen sei in Sachen saudischer Justiz unkritisch, hat sich getäuscht: Und wie man sieht, ist er nicht auf taube Ohren gestoßen:
"Ein königliches Dekret leitete am 2.10.2007 eine umfangreiche Reform ein, mit der das Justizsystem des Landes an die Erfordernisse einer globalisierten Wirtschaft angepaßt werden soll. Ausländische Unternehmen hatten schon seit langem über undurchsichtige Verfahren, ungleiche Behandlung und Rechtsunsicherheit geklagt. Nun wurden für bestimmte Rechtsbereiche zuständige Gerichte eingeführt, u.a. für Handels- und Arbeitsrecht, wofür bisher die jeweiligen Ministerien zuständig waren." (ebenda)

Interessant, wofür man sich im freien Westen also interessiert und mit Nachdruck auf Änderung dringt, und wofür nicht, so daß dafür auch jeglicher Druck fehlt. Kampf für eine Gleichstellung der Frau, Gelächter! Den führen "wir" in Afghanistan!

Dann: Freunde der Demokratie:

"Die Thronfolge kann der Monarch aus den Reihen der Söhne und Enkel des 1953 verstorbenen Staatsgründers Abdelaziz al Saud bestimmen. Auch in der aktuellen Tagespolitik hält die Herrscherfamilie die Fäden fest in der Hand. So sind Schlüsselministerien wie Inneres, Äußeres und Verteidigung von Mitgliedern der Königsfamilie besetzt. Zur Schlichtung von Streitigkeiten innerhalb der Familie wurde vor drei Jahren mit dem 18-köpfigen Familienrat ein Gremium geschaffen, das unter Ausschluß der Öffentlichkeit tagt und die innere Stabilität des Herrscherhauses gewährleisten soll.
Ein gewähltes Parlament gibt es nicht. Seit 1993 existiert lediglich eine Art Konsultativrat ("Maifis al-Shura"), dessen Mitglieder - im Frühjahr 2005 wurde die Zahl der Sitze von 120 auf 150 erhöht - für vier Jahre vom König ernannt werden. Der Rat hat überwiegend beratende Funktion, darf seit 2003 aber auch selbst Gesetze initiieren."
(außenwirtschaft, 08-2009)

Das ist kein Skandal, sondern diesen Verhältnissen verdanken "wir" einen "Meilenstein der Emanzipation":
"Immerhin wurde 2005 erstmalig die Hälfte der Minister des Konsultativrates gewählt – jedoch war nur die männliche Bevölkerungab 21 Jahren wahlberechtigt. Für die ursprünglich für Oktober 2009 angesetzten Ministerwahlen sollten auch Frauen ab dem vollendeten 21. Lebensjahr den Gang zur Urne antreten dürfen. Allerdings wird die Wahl nun erst 2011 stattfinden, da in den nächsten beiden Jahren ein Großteil der Bevölkerung das vorgeschriebene Wahlalter erreichen wird. Die andere Hälfte der Minister wird vom König direkt bestimmt. Hier ist es als Meilenstein der Emanzipation zu werten, daß der König im Februar dieses Jahres erstmalig eine Frau – als stellvertretende Ministerin für Mädchenbildung – in die Regierung berufen hat. Die Minister bzw. der Ministerrat haben jedoch keine gestalterische Macht." (ebenda)

Warum das so moderat zu sehen ist und nicht anders - so wie im Iran etwa -:
"Weitere Schritte zur Partizipation der Bevölkerung an der politischen Willensbildung könnten einen Ansatz zur Lösung der größten innenpolitischen Herausforderung, der Bekämpfung von Fundamentalismus und Extremismus, bilden." (ebenda)

Dann: Freunde des Friedens:

"Die saudische Luftwaffe und Artillerie hat die Rebellenstellungen
[im Grenzgebiet zum Jemen und im Jemen selber] drei Tage in Folge unter Beschuß genommen, ließ der stellvertretende saudische Verteidigungsminister Prinz Chaled bin Sultan am Sonntag verlauten. Die saudischen Truppen, betonte er, seien aber nicht auf jemenitisches Gebiet vorgedrungen
[von Iraks seinerzeitigem Einmarsch in Kuwait wollte er sich somit explizit unterscheiden]. Inzwischen hat die amtliche saudische Nachrichtenagentur zugegeben, daß es drei saudische Gefallene und vier vermißte saudische Soldaten gibt, 15 Soldaten sollen verletzt worden sein. Angeblich sei die Gegend um Dschebel Duchan jetzt wieder vollkommen unter Kontrolle." (taz, 08.11.09)

Als regionale Ordnungsmacht ist Saudi-Arabien "uns" willkommen und wertvoll. Dafür "darf" es "uns" auch jede Menge Waffen abkaufen, "unsere" Öl-Gelder sind so bestens wieder dorthin zurückgeführt, wohin sie gehören:
"Deutschland und Saudi-Arabien haben sich besorgt über die jüngste Entwicklung in Jemen geäußert. 'Wir haben ein großes Interesse an einem stabilen Jemen, der kein Rückzugsgebiet für Terroristen wird', sagte Außenminister Guido Westerwelle am Samstag bei seinem Besuch in Riad.  ... Begleitet wird Westerwelle von deutschen Managern, die auf neue Geschäfte in der Golfregion hoffen. Das Königreich Saudi-Arabien gehört zu den erdölreichsten Staaten der Welt. Im Handel mit Deutschland liegt es nur knapp hinter den VAE. 2008 wurden aus Deutschland Handel und Dienstleistungen im Wert von annähernd 5,2 Milliarden Euro nach Saudi-Arabien exportiert. Dem standen Einfuhren von 1,4 Milliarden Euro gegenüber." (Stern, 09.01.10)

und Freunde in »unserem
« Kampf gegen den Terrorismus:

"Wurden vor dem 11. September 2001 Hunderte aus Sicherheitsgründen festgenommen, sind es inzwischen Tausende. Dazu gehören nicht nur mutmaßliche Attentäter, sondern auch Personen, die sich auf friedlichem Weg für Reformen einsetzen. Die meisten wurden in Saudi-Arabien festgenommen, einige aber, oft heimlich, in Ländern wie Irak, Pakistan oder dem Jemen und dann ins Königreich verschleppt. Monate- oder sogar jahrelang schmoren sie ohne Anklageerhebung und zum Teil in Einzelhaft im Gefängnis. Ihre Angehörigen wissen oft nichts über ihren Aufenthaltsort oder ihren Zustand, und sie haben keinerlei Möglichkeit, sich zu verteidigen oder ihre Rechte
[welche Rechte?] einzufordern. Folter und andere Formen der Mißhandlung wie Schlafentzug sind an der Tagesordnung. Zahlreiche Gefangene erwarten laut AI [amnesty international] 
»unfaire Geheimverhandlungen« und im schlimmsten Fall die Todesstrafe. ...
Die saudischen Behörden veröffentlichen nur wenig über ihren Antiterrorkampf. Auch das Recherchieren von Menschenrechtsproblemen ist eine »große Herausforderung
«
, wie die Autoren des Berichts schreiben. So wird AI die Einreise in das Königreich verwehrt. Der Bericht basiert daher auf den Fällen von ehemaligen Gefangenen, für die AI sich eingesetzt hat." (taz, 22.07.09)

Das finden "wir" überhaupt nicht schlimm, denn genau so konsequent stellt man sich in den Zentren des Imperialismus einen sachgerechten Umgang mit mutmaßlichen Terroristen vor. Okay, die Todesstrafe müßte nicht sein (so der deutsche Außenminister bei seinem Freundschaftsbesuch), doch "wir" müssen ja wohl in Rechnung stellen, daß andere Länder andere Wertesysteme haben....

des weiteren 
»unsere« Freunde im Kampf gegen die Armut - und damit verbunden eine »Ausländerfrage«, für die "wir" ganz viel Verständnis hegen! :

"Trotz einer verbesserten Rechtssicherheit – Saudi-Arabien belegt im Doing Business Index 2009 Rang 16 von 181 gelisteten Ländern – fehlt es an Arbeitsplätzen. In Verbindung mit dem hohen Bevölkerungswachstum ist die inoffizielle Arbeitslosenquote zuletzt auf etwa 30 % geklettert. Größtes Problem ist hierbei die immer größer werdende Zahl junger Menschen, die nach und nach auf den Arbeitsmarkt drängen. Um die daraus resultierenden sozialen Spannungen abzufedern und für eine Akzeptanz der politischen Macht innerhalb der Bevölkerung zu sorgen, verhält sich die Herrscherfamilie bei der Bereitstellung von Sozialleistungen traditionell sehr großzügig.
Etwa die Hälfte aller Beschäftigten sind Ausländer. Mit der Politik der »Saudisierung
« versucht die Regierung seit 2002, die Zahl der Gastarbeiter jährlich um rund 150000 zu reduzieren, um mehr Saudis in Beschäftigung zu bringen. In den vergangenen Jahren wurden bereits zahlreiche saudische Arbeitnehmer jedoch zu 85 Prozent in der öffentlichen Verwaltung und in Staatsbetrieben arbeiten und das geringere Lohnniveau in der Privatwirtschaft von der einheimischen Bevölkerung gemieden wird, stoßen die Maßnahmen bei den privaten Unternehmen auf eher geringe Resonanz. Hinzu kommt, daß viele Jobs nur von erfahrenen Spezialisten ausgeführt werden können bzw. für Saudis aus sozialen Gründen nicht infrage kommen.

Attraktiv für ausländische Investoren ist indessen das Steuersystem. Der Steuersatz für Investoren, die nicht aus den Golfkooperationsstaaten (GCC) stammen, beträgt lediglich 20 Prozent. Gewinne im Erdölsektor werden allerdings mit 85%, im Erdgassektor mit 30% besteuert. Saudis und Investoren aus GCC-Staaten müssen lediglich Zakat – eine islamische Abgabe in Höhe von 2,5% – zahlen. ...
Mithilfe der Petrodollars sollen über 400 größere Bauprojekte umgesetzt werden. Darunter befinden sich Flughafenneubauten bzw. Erweiterungen, Krankenhäuser, Hochschulen, Wohnanlagen und der Ausbau des Stromnetzes sowie mehrere Eisenbahnstrecken (u.a. zwischen den heiligen Städten Mekka und Medina).
Die Prestigeprojekte sind aber die sogenannten 
»Economic Cities«
. Verteilt über das ganze Land sollen sechs Städte mit unterschiedlichen wirtschaftlichen Schwerpunkten aufgebaut werden. 2005 startete der Bau der King Abdullah Economic City am Roten Meer. Das Projekt allein wird 27 Milliarden US-Dollar verschlingen und einen Hafen vergleichbar mit dem von Rotterdam, Leichtindustrie, Tourismus, Handel und Finanzen beherbergen.
Ähnlich hohe Investitionen sind in der Jizan Economic City geplant, in der vor allem die Schwerindustrie (Kupfer, Aluminium, Öl) angesiedelt werden soll. 2006 starteten zudem die Bauprojekte für die Wissenschaftsstadt in Medina und das Logistikzentrum in Hail. Im Norden Riads soll ein moderner Finanzdistrikt entstehen, was die dringend erforderliche Stärkung des Finanzsektors bewirken soll."
(außenwirtschaft, 08-2009)

Alles in allem: Saudi-Arabien ist ein prima Bundesgenosse, mit dem "wir" auf Augenhöhe reden können, mit dem "wir" "uns" bestens verstehen, weil er "uns" nicht zuletzt jede Menge Chancen bietet. Warum um alles in der Welt sollte man ausgerechnet einem solch fantastischen Staat* - einem Vorbild für die gesamte islamische Welt! - etwas vorwerfen? 


*(Saudi-Arabien mag zwar sachlich eine Diktatur brutalster Sorte sein, doch nach maßgeblich-imperialistischer Meinung gilt
es nicht als solche!)

(15.04.10)