
Was ist eigentlich mit den Kommunisten in Rußland los?
Der ML: Alter Mist neu aufbereitet
Dabei geht der russische Genosse Viktor Schapinov die Sache erst einmal vielversprechend an: Er zitiert Marx: "Die
Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne
der Lebenden. Und wenn sie eben damit beschäftigt scheinen, sich
und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen,
gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie
ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf,
entlehnen ihnen Namen, Schlachtparole, Kostüm, um in dieser
altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die
neuen Weltgeschichtsszene aufzuführen." (MEW 8, S. 115) und
meint wirklich nicht zu unrecht, dies wäre auch für
große Revolutionen zutreffend, einschließlich der
russischen Oktoberrevolution 1917.
Insofern seien Leute heute, die sich anhand seinerzeitiger
Parteiführer unterscheiden, Stalinisten, Trotzkisten usw. mit all
ihren Frasen und stereotypen Erklärungsmustern obsolet. Er bietet
eine Option an, die diese Sorte Spaltung überwinden könnte
und sollte: Die Unterscheidung in Revolutionäre und Reformisten.
Die einzige von allen zu teilende Grundüberzeugung sei, daß
die Gesellschaft in einen globalen Klassenkampf aufgespalten sei, wozu
auch der Kampf der kapitalistischen und sozialistischen
Lager gehört haben solle. Ein interessanter
Zusammenschluß: Denn die Berufung aufs Volk eint das eine mit dem anderen Lager. Die staatlichen
Kämpfe waren ja nun alles andere als ein Klassenkampf
aufgeklärter Arbeiter einerseits und (ziemlich verblödeter)
Völker des Imperialismus andererseits. Die
Systemauseinandersetzung Ost gegen West und umgekehrt hat ja jeden
Gedanken an Klassenkampf im Westen ebenso erschlagen wie den Gedanken
an eine Emanzipation der Arbeiterklasse in den realsozialistischen
Staaten selber.
Schapinow schreckt zurück davor, in der Geschichte nach Fehlern zu
suchen, aus denen man Schlüsse auch für heute ziehen kann,
weil er wie eine Maus die Katze eine Spaltung der Kommunisten
(oder solchen, die es sein bzw. werden wollen) angesichts des
globalisierten Kapitalismus fürchtet, als ob nicht gerade die
dringend nötig wäre, hält man nichts von eine
Vortäuschung einer Einheit, die keine ist.
Auf die bödsinnigen Ideologien und Parolen, welche die
verschiedenen ML-Fraktionen - oft genug auch gegeneinander - in
Anschlag bringen, kann man wirklich scheißen. Es geht leider
keiner dieser Fraktionen wesentlich um eine theoretische Klärung,
um die Klarstellung der Interessenlagen der gesellschaftlichen Subjekte
und deren Kritik. Und ihm, Schapinov, auch nicht, weil er jene
Lagen ähnlich jenen Fraktionen als gegeben - und offenbar weder
veränderbar noch veränderungswürdig - unterstellt. Und
an dem Punkt macht er nichts anderes als all die ML-Jünger vor und
neben ihm: Er beruft sich auf (s)eine überlegene Moral, der er das
Prädikat "revolutionär" gibt und sie ihm das Privileg, dieses
anderen abzustreiten. So möchte Schapinov an der "wirklichen
Bewegung" anknüpfen - auch eine altbekannte Übung, seinen eigenen Opportunismus zu rechtfertigen.
Blöd für ihn dabei, daß er nicht wie Stalin und
später Chrustschov, Mao und andere die Macht im Rücken hat,
um die Definitionshoheit, die er beansprucht, auch praktisch
durchsetzen zu können. Und warum sollten sich von der
Notwendigkeit einer kommunistischen Revolution überzeugte Leute
nicht zuerst über ihre "tiefen Meinungsverscheidenheiten" auseinandersetzen, bevor
sie eine Revolution machen - wie, so Schapinow, Lenin und Trotzki es
gerade nicht gemacht haben und - das sollte man hinzufügen - woran
nicht zuletzt die Sowjetunion fast ebenso zu leiden hatte - zumal dann
auch noch der Kommunistenfresser Stalin triumfierte - wie unter den
Anfeindungen des Imperialismus?
Mit der Attitüde, mit allen alten Kamellen aufzuräumen, kaut
Schapinov nur einmal mehr wieder, was sich als Hemmschuh jedweder
revolutionären Überlegung erwiesen hat: Das Herunterbringen
der Revolution auf eine Frase. Gleichzeitig das Aufwerten einer Frase
zur Revolution. Und die Ehrenrettung sauber gebliebener
Weltverbesserer, die schon eine Ahnung davon haben, warum sie sich so
vehement gegen den Vorwurf der Sektiererei verwahren, indem sie die
anderen vorwerfen. (20.04.07)
