Rumänien – noch so ein Fall:
Wie kapitalistisch-demokratische Illusionen Land & Leute ruinieren

Den mittlerweile längst geradezu objektiv feststehenden nationalen Interessen und dem Quidproquo ihrer einzig kapitalistisch-rationalen Umsetzung zu entsprechen, und zwar besser zu entsprechen als die politische Konkurrenz, das haben sich die staatstragenden Figuren und Parteien auch in Rumänien vorgenommen. Es ist gar nicht so leicht festzustellen, wer nun opportunistischer sich dem Staatswohl solcherart verschrieben hat. Umso mehr mag es erstaunen, wenn die BRD sich ein Urteil darüber anmaßt, indem sie sich auf die Seite des Staatspräsidenten Băsescu stellt. Băsescu hält es seiner politischen Karriere für förderlich, auf jeden Schein einer Rücksichtnahme aufs gemeine Volk zu verzichten. Er hat dies aus den politischen Vorgaben der EU erschlossen. Während die Konkurrenz um seinen Gegenspieler Ponta ein wenig — und sei es noch so verlogen  an einer Einvernehmlichkeit rigoroser Kapitalisierung mit den Wünschen jener verarmten Bevölkerung strickt, hat Băsescu dies ob der Sinnlosigkeit solchen Vorhabens längst aufgegeben, seine diesbezügliche »Ehrlichkeit« als Trumpf in den Ring geworfen. Soviel »Realismus« wäre fast ein wenig zuviel gewesen und er wäre in einem Referendum vom Volk abgewählt worden.

Dabei kam ihm zugute, daß viele Rumänen gar nicht mehr auf politische Veränderungen hoffen oder gar setzen. Nicht wenige führen ihren einsamen Überlebenskampf als Erdbeerpflücker im ebenfalls romanisch sprachigen Spanien. In Rumänien lohnt sich die Landwirtschaft nicht mehr, weder eine kommerzielle, die aufgrund der unerschwinglichen Benzinpreise schon längst nicht mehr maschinell und damit konkurrenzfähig betrieben werden kann, noch kaum eine für die bloße eigene Subsistenz. Ein Europa der Großkonzerne, zumal hochsubventionierter in der Landwirtschaft, läßt den kapitalschwachen Bauern in Rumänien keine Wahl. Und nicht nur denen. Ganze Industriezweige sind dem Land seit der glorreichen prokapitalistischen Revolution verlorengegangen. Umso zynischer erhebt darob die orthodoxe Kirche wieder keck ihr von der Ceaşescu-Diktatur bekanntlich so dornenreich gekröntes Haupt. Verhinderte Băsescu als Oberbürgermeister von Bukarest seinerzeit noch den Abriß des kommunistischen Siegesdenkmals – an dessen Stelle wollte das orthodoxe Patriarchat seine zentrale Kathedrale errichten –, so ließ er nie Zweifel aufkommen, wohin die Reise geht. Populistisch waren seine Bestrebungen stets nur sehr bedingt:
"Băsescu gelang es, den Eindruck zu erwecken, er ließe ein funktionierendes Justizwesen entstehen. Er schwang die antikommunistische Flagge und legte die Netzwerke der Securitate offen. Daneben ging aber alles ganz normal weiter, die Tentakel wurden nicht gekappt. Leute aus allen Parteien profitieren von einem System, in dem die meisten staatlichen Agenturen von politisch nominierten Leuten geführt werden. Die Politiker machen Geschäfte mit dem Staat, sie erhalten für sich und ihr Umfeld alle möglichen Privilegien." (Raluca Voinea, Herausgeberin der rumänischen Kulturzeitschrift Idea, in: taz v. 25.07.12; aus diesem Interview auch alle folgenden Zitate)

Geschäfte mit dem Staat sind für einen demokratisch am Westen orientierten Betrachter natürlich etwas anderes als Staatsgeschäfte, Geschäfte, die unabhängig vom Privat- bzw. Parteiinteresse der Beteiligten zu verfolgen sind. Daß solche Staatsgeschäfte mit den Privatgeschäften in neu-kapitalistischen Staaten wie Rumänien gar nicht so ohne weiteres zu trennen sind, geht aus der Hilflosigkeit hervor, eine ursprüngliche Kapitalakkumulation ins Werk setzen zu wollen. Angesichts eines fertig bestehenden Weltmarktes und einer haushoch überlegenen Konkurrenz im westlichen Ausland ein schier unmögliches Unterfangen!
"Ich weiß nicht, ob es unter den gegenwärtigen ökonomischen Bedingungen andere Möglichkeiten gibt, vor allem angesichts des Drucks, den die EU und der IWF ausüben. Die Grundbedürfnisse der Menschen werden ignoriert. Im Gesundheitssystem, in der Bildung, in der Sozialpolitik werden wir langfristige Konsequenzen sehen, und sie werden schlimm sein. Der Präsident [Băsescu] läßt sich nun als Opfer eine Putsches zeichnen, aber das kann nicht von der Staatskrise ablenken, von der die Menschen betroffen sind."

Es ist kein Wunder, daß man auf westliche Rezepte verfällt, die freilich die Staatskrise nicht beheben, sondern vielmehr verschlimmern, sind sie doch rücksichtslosen auswärtigen Interessen an und in Rumänien geschuldet:

"Die Landwirtschaft ist zu einem großen Experiment geworden. Alle Parteien haben auch Verbindungen mit US-Lobbys, und so können Konzerne in Rumänien all das tun, was sie anderswo in Europa nicht dürfen: genetisch modifizierte Sorten anbauen zum Beispiel. Für Investoren wird nahezu alles erlaubt. Jetzt ist das Fracking die nächste große Sache, obwohl bekannt ist, daß diese Form der Erdgasgewinnung große Risiken birgt. In Rosia Montana wird versucht, Gold mit Hilfe von Cyanid abzubauen. Die Proteste dagegen sind die am längsten andauernden in Rumänien seit 1989."
Woran man sieht, daß dem Staat jedes Mittel recht und billig ist. Zum einen geht er über die für die Staatsräson einer kapitalistischen Entwicklung nötigen Leichen. Zum anderen orientiert er sich keineswegs alleine an dem deutsch-französischen Europaprojekt, sondern hält der us-amerikanischen Konkurrenz die Türe auf. Daran Kritik zu üben, ist den EU-Aufsehern (noch) nicht eingefallen. Schließlich haben sie ja nichts dagegen, wenn US-Kapital sich in EU-Europa engagiert. Zu etwas anderem als zu dessen Vorteil mag sich das niemand vorstellen. Ebensowenig wie die Aufseher für die rumänische Staatskrise selber verantwortlich sein wollen. So suchen sie – ihre staatstragende freie Presse bei Fuß – mehr oder weniger verkrampft nach einem innenpolitischen »Verbrecher« in Rumänien. Und so wird man fündig: wie könnte es anders sein, als daß der vermeintlich »linke« Ponta da unter Beschuß genommen wird und nicht der Präsident, der ihnen als Hoffnungsträger wie Erfüllungsgehilfe eigener Ansprüche erscheint.
Da und insofern kommen der EU die innenpolitischen (Schein-)Gefechte in Bukarest gerade recht. Und es ist kaum verwunderlich, daß sich die Politiker und Parteien nicht entblöden, es auf die ein oder andere Weise dem Ausland recht machen zu wollen. Insbesondere in dem Scheingefecht gegen einen immer noch vorhandenen »Kommunismus« setzt man auf auswärtiges Gehör. Dabei steht »Kommunismus« für Korruption, also im Grunde für die Staatsräson, nach der nolens volens Staats- und Privatgeschäfte verquickt sind. Daß es dafür politökonomische Notwendigkeiten – eben die, auf nationaler Ebene eine urspüngliche Kapitalakkumulation auf den Weg zu bringen – gibt, wird – so verlangt es die westliche Sichtweise – allenthalben geleugnet.

"Die Menschen haben das Gefühl, daß man sie bei den Entscheidungen der letzten Jahre vollständig ignoriert hat."
Darin besteht eben Demokratie: Den Schein aufrechtzuerhalten, im Interesse der »Menschen« eingerichtet zu sein. Daran hat es die Politik in Rumänien allen auswärtigen Expertisen zufolge – ebenso heuchlerisch wie selbstsicher vorgetragen – fehlen lassen. Und dabei stört auch nicht der inhärente Widerspruch ausgerechnet in dem mittlerweile ziemlich unbeliebt gewordenen Präsidenten einen Anwalt dieses Scheins zu sehen. Und es ist offenkundig, daß dieser Schein für die Sache selbst genommen zu werden beansprucht. So kulminiert der unverschämte Anspruch der EU-Aufsicht in einer lapprigen Personalfrage, der die Rumänen selber – dafür spricht die überwiegende Wahlenthaltung – nicht die auswärts beanspruchte Bedeutung zumessen. Eine Bedeutung, die sie – sachlich betrachtet – einzig und allein in der auswärtigen Parteinahme hat:
"So ist es in den vergangenen zwanzig Jahren immer gewesen. Leute wurden immer in die Situation gebracht, sich für ein geringeres Übel entscheiden zu müssen."
Das und nichts anderes heißt »Freiheit & Demokratie«: Grandios ventilierte Alternativlosigkeit für die menschliche Manövriermasse von Staat und – in diesem Falle: auswärtigen und irdischen – Göttern (pardon: Investoren!).

(17.08.12)