Rüstungskonzerne wollen
EU-Finanzierungsquellen anzapfen
IPS-Artikel von David Cronin
Rüstungskonzerne bemühen sich derzeit um EU-Zuschüsse
für die Erforschung neuer Waffen. EU-Beamte und Vertreter der
Waffenindustrie beraten Beobachtern zufolge hinter verschlossenen
Türen darüber, ob ein milliardenschweres wissenschaftliches
Rahmenprogramm auch militärische Projekte einschließen kann.
Seit den Terroranschlägen vom 11.
September 2001 bemühen sich hochrangige Mitglieder der
Europäischen Kommission darum, Rüstungsunternehmen
stärker in das Forschungsprogramm einzubeziehen. Da einige
EU-Staaten der Kommission kein größeres Mitspracherecht in
Militärfragen einräumen wollen, haben sich die Forschungen
über so genannte Sicherheitsfragen laut EU-Vertretern bislang auf
den Zivilsektor beschränkt.
Für den Bereich »Sicherheit«
des von 2007 bis 2013 geltenden Rahmenprogramms hat die EU etwa 1,4
Milliarden Euro bereitgestellt. Das Gesamtbudget beträgt 53
Milliarden Euro. Da die Planungen für die nächste
Programmfase von 2014 bis 2020 bereits im Gang sind, drängt die
Waffenindustrie nun darauf, daß auch Vorhaben mit einem explizit
militärischen Hintergrund gefördert werden.
Viele Lobbyisten der Rüstungsindustrie
sehen die Forschungen als wichtige Geldquelle, zumal die
Militärausgaben überall in der EU gekürzt werden. Obwohl
die NATO fordert, daß ihre Mitglieder mindestens zwei Prozent
ihres Bruttoinlandsprodukts in die Rüstung investieren sollten,
kamen bisher lediglich Frankreich, Griechenland und
Großbritannien dieser Vorgabe nach.
Die derzeitigen Geheimverhandlungen über die mögliche
Bezuschussung der militärischen Forschung werden von einem
Netzwerks namens Sandera (Security and Defenöe Policies in the
European Research Area) koordiniert.
Umstrittene Drohnen
Der deutsche Waffenlobbyist Burkhard Theile, der an den Gesprächen
teilnimmt, wünscht sich eine bessere EU-Förderung für
die Entwicklung neuer Drohnen. Diese unbemannten Luftfahrzeuge sind
allerdings umstritten, weil Israel sie 2008 und 2009 gezielt bei
Angriffen auf Zivilisten im Gazastreifen einsetzte. Die USA nutzen
Drohnen zudem für extralegale Hinrichtungen in Pakistan,
Afghanistan, Somalia und dem Jemen. Auch bei diesen Attacken wurden
bereits zahlreiche Zivilisten getötet.
"Drohnen werden sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich eingesetzt", sagte Theile IPS. "Daher sollten sie von der EU mitfinanziert werden."
Sie könnten beispielsweise bei Grenzpatrouillen oder Missionen wie
der in Afghanistan eingesetzt werden, erklärte der ehemalige
Vizepräsident des Konzerns Rheinmetall.
Der Sandera-Koordinator Andrew James, der an der Manchester Business
School unterrichtet, rechnet allerdings mit Widerstand aus den Reihen
der EU-Staaten, sollte die Europäische Kommission stärkere
Befugnisse in der wissenschaftlichen Forschung erhalten. "Einflußreiche
Interessensvertreter in Brüssel und an anderen Orten hätten
gern höhere Zuschüsse für den Verteidigungssektor, nicht
zuletzt deshalb, weil die Rüstungsausgaben in der EU
zurückgehen", sagte er. "Das ist allerdings politisch umstritten."
Die Arbeit von Sandera wird bisher nicht als Sicherheitsprojekt,
sondern im Rahmen der Forschungen über Sozial- und
Gesellschaftswissenschaften finanziert.
Wissenschaftler an der Freien Universität in Berlin haben bereits
Befürchtungen geäußert, daß das Programm sich
immer weniger auf soziale Fragen konzentrieren könnte. Tanja
Börzel, die den Lehrstuhl für Europäische Integration
innehat, beklagte in einem Bericht, daß EU- finanzierte
Forschungen in der Sozialwissenschaft oft von privaten Unternehmen
beeinflußt werden. Obwohl etwa die Hälfte aller
Wissenschaftler an den führenden europäischen Hochschulen im
Bereich der Sozialwissenschaften arbeite, stelle die EU dafür
bislang lediglich zwei Prozent ihrer Forschungsförderung bereit.
NGO befürchtet Interessenkonflikt
Ben Hayes von der Nichtregierungsorganisation Statewatch warnte vor
einem großen Interessenkonflikt, wenn die Rüstungslobby mehr
Mitsprache bei Forschungsprojekten bekäme. "Sie entwickeln ihre Güter mit Hilfe von Steuergeldern und verkaufen sie dann wieder an den Staat", kritisierte er.
Laut Mark English, dem EU-Sprecher für den Bereich Wissenschaft,
rechnet die Europäische Kommission mit einer Erhöhung der
Zuschüsse für soziale Forschungen von 84 Millionen Euro im
kommenden Jahr auf fast 111 Millionen Euro 2013. Zugleich bestritt er,
daß über den Einsatz von EU-Mitteln für die
Rüstungsforschung diskutiert werde.
Eine im Oktober vom Europaparlament veröffentlichte Studie belegt
jedoch, daß die Waffenindustrie bereits große Erfahrung
damit hat, sich Finanzmittel aus dem EU-Budget zu sichern.
Nutznießer sind demnach vor allem die großen
Rüstungskonzerne, die an der Definition der von Brüssel
unterstützten Sicherheitsforschungen mitgewirkt haben. Zu den
größten Geldempfängern gehören der Studie zufolge
das israelische Unternehmen Verint, daß Überwachungsanlagen
baut, die deutsche Fraunhofer-Gesellschaft und der französische
Rüstungskonzern Thales.
Aus IPS-Weltblick Nr. 51 v. 20.12.2010. Mit freundlicher Genehmigung von ips.
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