Widerstand gegen Verarmung – für einen sozialeren und demokratischeren Kapitalismus?

Einwände gegen die Politik des Blockupy-Bündnisses

Europa spart – am Lebensunterhalt seiner Bürger. Die demokratischen europäischen Regierungen machen das Leben ihrer Völker dafür haftbar, daß ihre Wirtschaft zu wenig wächst und die Kreditwürdigkeit ihrer Nation dahin ist. Deswegen haben die verantwortlichen Staatsführer ihren Bürgern ein gewaltiges soziales Abbruchprogramm verordnet.

Betroffene melden sich zu Wort und protestieren. Daß sie das tun, ist überfällig. Nur wie!

1.
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Widerstand tut not: Die Troika aus EU, EZB und Internationalem Währungsfond nutzt überall in Europa die Staatsschulden als Hebel, um radikale Kürzungen zu verordnen. Diese sind undemokratisch und unsozial." (Pressemitteilung Blockupy-Bündnis Frankfurt)

Der Entschlossenheit, mit der alle Regierungen in Europa »gleich welchen politischen Lagers« (Demo-Aufruf) ihre Staatshaushalte von allen »unproduktiven« Kosten entlasten, also am Lebensunterhalt ihrer Völker sparen, läßt sich entnehmen, was die aktuellen Staatsnotwendigkeiten sind. Für diese Regierungen sind Spardiktate zur drastischen Verarmung ihrer Bevölkerung »alternativlos«. Das sollten die Protestierer einmal ernst nehmen. Für die Standortverwalter geht es ums Ganze: Die Rettung des Euro, die Sanierung des Staatshaushalts und die Gesundung der Marktwirtschaft, die den Insassen der Kapitalstandorte Europas als unabweisliches Lebensmittel vorgesetzt wird – das ist marktwirtschaftliche Staatsräson, und die ist nur durch eine durchgreifende Verschlechterung der Lebenslage der Bevölkerung zu haben. Und zwar nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft. Das beweisen die Kürzungsorgien bei Renten, Gesundheit und überhaupt allen Bereichen, die den Lebensstandard der Leute ausmachen.

Blockupy-Anhänger meinen, all dies müßte gar nicht sein, wenn es in Europa wirklich demokratisch und sozial zuginge. Woher nehmen sie bloß ihre Gewißheit, daß hierzulande ein Rechtsanspruch gegen Verarmung existiert? Von den real existierenden europäischen Demokratien können sie das unmöglich herhaben.

2.
Blockupy kennt noch ein weiteres Verbrechen, das die von der Troika verordneten »
radikalen Kürzungen« anrichten: »Sie verschärfen die Krise.« (Pressemitteilung) Sie seien »ökonomisch unsinnig« und würden »die Konjunktur abwürgen«; besser solle man »in Schuldenaudits die Rechtmäßigkeit der öffentlichen Schulden bewerten« (attac).

Soll man den Finanz- und Wirtschaftspolitikern wirklich schlechtes Management der Krise vorwerfen? Was wäre denn eines, das den Massen gut bekommt? Soll man sich im Ernst in die Logik der Verwalter von Kapitalstandorten hineindenken und mit den Staatsschuldenmanagern darum rechten, wie Staatshaushalte rechtlich einwandfrei zu sanieren und das Wachstum des Geldreichtums von Kapitalisten anzukurbeln wären? Wie Löhne so festzusetzen wären, daß sie den Geschäftemachern nicht bloß als stets zu senkender Kostenfaktor, sondern auch noch zur Versilberung ihrer Produkte dienen könnten? Soll man sich also den kapitalistischen Laden mit seinen unversöhnlichen Interessen – auf die spielen die Widerstandsparolen von Blockupy ja jedenfalls an! – als ein Gemeinschaftswerk von Krisenbewältigern einbilden und sich sein gutes Gelingen zum Anliegen machen?

3.
Bei Blockupy kennen sie eben noch ganz andere
Opfer der Troika als die geschädigten Leute. Mindestens so schlimm wie der »soziale Kahlschlag« soll am »Spardiktat« sein, daß es ein Diktat ist. Welch hohe Güter unter dem Label »undemokratisch« erst unter die Räder kommen! Da soll doch glatt »die Souveränität der nationalen Parlamente weiter eingeschränkt« werden (attac); manche im Blockupy-Spektrum sorgen sich auch um eine Aushöhlung des »Königsrechts des Parlaments«, die Gelder für den Staatshaushalt zu bewilligen. Das ist gut: Gestern noch, als die griechischen, spanischen etc. Parlamente ihre Spardiktate zu Lasten ihrer Bevölkerung beschlossen haben, hieß es aus dem Spektrum der »Empörten«: »Diese Politiker vertreten uns nicht!« Und jetzt, wo Merkel & Co die Parlamente der minderen Euro-Staaten auf die Linie der kapitalistischen Konkurrenztüchtigkeit bringen – da soll die »Souveränität der nationalen Parlamente« etwas Verteidigenswertes sein? Habt ihr denn vergessen, daß diese feinen Institutionen zuallererst mal souverän gegen ihr Volk sind, das den Beschlüssen der Gesetzesmacher unterworfen ist? Die Sache mit dem »Souveränitätsverlust« ist sogar noch ausbaufähig: »Ganze Völker werden unter das Kürzungsdiktat von EZB, IWF unf EU gestellt: Der sog. Fiskalpakt schränkt die demokratischen Selbstbestimmungsrechte der Staaten massiv ein.« (GEW). Schon stark, welche Gleichheitszeichen die Autoren da ganz unbefangen aufstellen: Geschädigte Interessen der Bevölkerung = Aushöhlung der Rechte der Herrscherfiguren aus dem Parlament über die Bevölkerung = Einschränkung der Rechte von Staatsgewalten gegenüber anderen Staatsgewalten!

4.
Laut Blockupy-Bündnis steht
»Demokratisierung« vor allem gegenüber der »Macht der Banken« an: Die EZB ist »undemokratisch, weil unabhängig, damit nicht demokratisch kontrolliert. Was wollen wir? Demokratisierung und Vergesellschaftung des Finanzsektors – Überwindung kapitalistischer Verhältnisse!« (Blockupy-Präsentation). Und was folgt daraus? Wahl des EZB-Leitzinses durch das Volk? Oder wenigstens Wahl der Finanzfachleute, die den EZB-Leitzins festlegen, durch eine Europa-weite Asamblea? Wie hoch wäre denn bitteschön ein Zinssatz, der dem Wohlergehen des Volkes und den Geschäftsbedürfnissen verschiedener Kapitalisten-Abteilungen gleichermaßen dienlich ist? Für Leute aus dem Blockupy-Bündnis ist es anscheinend kinderleicht, sich das Verleihen und Ausleihen von Geld gegen Zins, also den Gegensatz von Gläubigern und Schuldnern, als ein wirtschaftliches Gemeinschaftswerk vorzustellen.

Jedenfalls dann, wenn ein paar Eingriffe von oben vorgenommen würden:

»Die Profiteure der Krise müssen endlich angemessen an ihren Kosten beteiligt werden. Die staatlichen Einnahmen müssen erhöht und Reichtum muß massiv umverteilt werden. Dazu brauchen wir eine stärkere Besteuerung von hohen Einkommen und Vermögen sowie eine Finanztransaktionssteuer, deren Erträge für Armutsbekämpfung, Klimaschutz oder globale soziale Mindeststandards eingesetzt werden.« (attac)

Offenbar ist im Blockupy-Spektrum die soziale Fantasie entschieden unterentwickelt. Denn unter dem Markenzeichen »Überwindung kapitalistscher Verhältnisse!« marschieren dann sämtliche Instanzen und Charaktermasken eben dieser Verhältnisse wieder auf, die in der schlechten alten Gesellschaft das Sagen haben und die all die aufgezählten Übel von A wie Armut bis Z wie Zerstörung der Natur verursachen. Vermögende z.B., denen ihr Vermögenssteuern verpassen wollt; oder die »Profiteure der Krise«, die es ja auch weiterhin geben muß, wenn sie »an ihren Kosten beteiligt werden« sollen. Und auf der anderen Seite der Klassenscheidung verorten die Demonstranten dann ganz folgerichtig auch die Armut und die globalen Sozialfälle als bleibende Einrichtung, wenn sie per Besteuerung der Spekulanten (ja, auch die sollen ihren Beruf behalten) Mittel zur »Armutsbekämpfung und globale soziale Mindeststandards« locker machen wollen. Nicht zuletzt habt ihr auch für die Staatsgewalt eine bleibende Verwendung: Die soll das »Raubtier« im Kapitalismus, das ihr statt des Kapitalismus für Krise und Volksverarmung verantwortlich macht, ja schließlich an die Kette legen. Und spätestens mit den Kontrolletis von Blockupy im eingebildeten Aufsichtsrat der Staaten über den globalen Kapitalismus wäre dann aus den national sortierten konkurrierenden Kapitalstandorten eine schöne Gemeinschaftsveranstaltung geworden, die statt der schlimmen lauter gute Werke tut.

5.
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Wir widersetzen uns dem Versuch, mit nationalistischen Parolen die Beschäftigten, die Erwerbslosen, die Prekären in Deutschland und Griechenland, in Italien und Frankreich oder in anderen Ländern gegeneinander aufzuhetzen. Wir setzen dagegen ein Zeichen der Solidarität mit allen Menschen und Bewegungen, die sich seit Monaten schon in Europa gegen die Angriffe auf ihr Leben und ihre Zukunft wehren.« (Aufruf)

Das ist nobel gedacht, angesichts der nationalistischen Hetze, die die demokratische Öffentlichkeit als Begleitmusik zur Krise veranstaltet. Es ist aber auch ein bißchen zu kurz gedacht: Die Völker werden ja nicht erst jetzt gegeneinander aufgehetzt; und sie werden ja nicht nur ideologisch bearbeitet – sie werden längst praktisch gegeneinander aufgestellt, daheim und international. Die kapitalistischen Betriebe und die politischen Standortvorsteher lassen ihr Arbeitsvolk zu einer weltweit geführten Konkurrenz antreten. Die von deutschen Unternehmen benutzte billige Leistung der deutschen Arbeiterschaft ist es, die mit deutschen Exporterfolgen den anderen nationalen Arbeitsmannschaften in Europa Arbeitsplatz und Einkommen bestreitet. Gegen die Wirklichkeit dieses tobenden Konkurrenzkampfes der nationalen Volkswirtschaften und der dafür eingespannten Arbeiterklassen ein demonstratives »Zeichen der Solidarität« mit allen Betroffenen in Europa zu setzen: Ist das nicht ein bißchen zu billig?!

6.
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Von den Milliardenbeträgen der Eurorettung bekommen die Menschen in den betroffenen Ländern keinen Cent, der Hauptteil fließt direkt an die Banken zurück.« (Aufruf)

Ja, was denn sonst? Der Rettungsschirm heißt doch nicht »Rettungsschirm für den kleinen Mann«! Natürlich kriegen die gewöhnlichen Menschen nicht die Milliarden aus den Rettungsfonds für die Banken und überschuldeten Staatshaushalte. Die dienen der Rettung des Euro, des Allerheiligsten des kapitalistischen Europa-Blocks. Für die Regierungen, die bei jedem Cent für's Soziale knausern, sind die Milliardensummen zur Rettung des Finanzkapitals und zur Vermeidung des Bankrotts ganzer Mitgliedsstaaten zweckgemäß verausgabt. Der private Geldreichtum und seine Vermehrung, um den sich der ganze Laden dreht, genauso wie die Finanzmacht der Staaten, mit der sie ihren Standort bewirtschaften – das alles steht in Frage, wenn Banken crashen und ganze Nationen bankrott zu gehen drohen; und damit auch die Existenz jedes einzelnen Menschen, der mit Arbeitsplatz und Einkommen abhängig gemacht ist vom Geld- und Finanzwesen. Die Herrschaften vom Schlage der Troika lassen wirklich keinen Zweifel daran, welche Interessen in ihrem System »systemische« Qualität haben – und welche eben nicht!


(18.05.12)