Der Karikaturist Zlatkovsky, der nebenstehende Karikatur in der französischen Zeitung L'Essentiel veröffentlichte hat, wollte damit den Absturz der kapitalistischen Journaille aufgrund von Krise und Internet aufs Korn nehmen, besser ausgedrückt: aufgrund der krisenbedingten Kapitalkonzentration und einer Sfärenverschiebung in der Medienlandschaft. Die kapitalistische Presse besteht hierzulande (noch) aus 351 Tageszeitungen, die allesamt und unisono sehr große Stücke auf ihren »unabhängigen« Beitrag zu einer Ideologie namens Pluralismus - sie besteht darin, mittels schierer Quantität an Blättern über die substanzielle Konformität hinwegzutäuschen - halten: Von einer demokratisch-publizistischen Einheitsfront wollen sie deshalb nicht reden. Von ihrer »Verantwortung« umso mehr: Sie sorgen sich allein um eines, um die Nation, um Deutschland. So räumen sie jedem, der diese Sorge teilt, gerne Raum und Aufmerksamkeit ein, auch jedem »anständigen« Faschisten [im Gegensatz zu den »unanständigen«, welche den deutschen Sieg im WK II vergeigt und ebenso überflüssiger- wie unverständlicherweise die Juden massakriert haben], also solchen, die im demokratischen Mäntelchen einherschreiten. Über eine Kritik faschistischer Ideologie haben Demokraten ein moralisches Verdikt verhängt [ihre Pseudokritik besteht im wesentlichen in der moralischen Verurteilung von unerwünschten Leichen, die das System gefordert hat und ohne die sie an ihm schwerlich etwas auszusetzen finden]; die dafür nötige Barriere haben sie geschaffen, indem sie die Kenntnisnahme jener durch das Publikationsverbot von Hitlers Mein Kampf erschwert haben. Als ob dieses Buch quasi automatisch »verführen« [statt: führen!] würde! Doch läßt sich so nicht verhindern - und es mag durchaus berechnende Absicht dabei sein -, daß Bestandteile jener Ideologie immer wieder in die demokratische Diskussion geraten und, was gar nicht verwundert, durchwegs als demokratisch durchgehen, also auch höchst offizielle Anerkennung genießen. Daß sie in die Debatte geworfen werden, ist schon allein deshalb nicht zu vermeiden, weil die demokratische Staatsform selber bester Grund und Nährboden ist, aus welchem die häßliche, nationalsozialistische Fratze unverwüstlich ihr Haupt erhebt.
Exemplarisch hat diesen Zusammenhang Markus Günther, der neue Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen, in seinem Kommentar* vom 29.08.10, unter Beweis gestellt, indem er die Scholle unbehelligt lassen und nur das Unkraut jäten wollte. Konkret: Günther meint, die vorgegebene Problemstellung wäre richtig und wichtig: So richtig der moralische Appell »Deutschland erwache!«/»Deutschland solle sich nicht selber abschaffen!« auch sei, so wenig richtig seien die Verlängerungen, die daraus abgeleitet werden, weil - hier eine bezeichnend schöne Retourkutsche! - sie nicht konsequent wären, - wo ja gerade Faschisten so sehr auf eine Konsequenz dringen, derer die deutsche Politik angeblich entbehre -: Den Deutschen selber, so Günther, ist das drohende Malheur vorzuhalten, denn sie ließen es ja an einer volksgemeinschaftlichen Gesinnung fehlen! Das muß ausgerechnet ein Demokrat einem (sozialdemokratischen) Naziideologen vorhalten! [Im übrigen: Wo wäre denn ein Volksgenosse wie der besser aufgehoben als in einer Volkspartei, die wie die SPD keinen anderen & höheren Zweck kennt und verfolgt als Deutschland?]

Wäre es angesichts diesen Inhalts - bei dem die AZ wie gesagt nur ein Beispiel  ist - nicht begrüßenswert, wenn die Zeitungen wegen all diesem nationalistischem Quatsch abstürzten?

Wer an einer umfassenden Kritik faschistischer Ideologie interessiert ist, dem sei das Buch Der Faschismus und seine demokratische Bewältigung** sehr empfohlen!
(31.08.10)

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*"Sarrazin und seine Kritiker machen es sich zu leicht
Thilo Sarrazin hat recht. Aber unrecht hat er auch. Er vermischt Richtiges mit Falschem; in die kühle Analyse sind ihm unreflektierte Emotionen hineingerutscht; er greift wichtige Fragen auf und vergreift sich dann doch in der Wortwahl. Ein geistiger Brandstifter, wie es jetzt vielfach heißt, ist Sarrazin nicht und auch kein narzißtischer Provokateur. Er ist ein kluger, aber hitzköpfiger Aufklärer, der warnen und mahnen will, aber sich dabei zu einer seltsamen Mission verstiegen hat, um »den deutschen Charakter Deutschlands bewahren zu wollen«. Den deutschen Charakter? Was genau ist das? Schon da hat sich Sarrazin völlig verrannt. Das heißt aber nicht, daß man seine Thesen verteufeln sollte. Es lohnt sich, sich auf diese Debatte einzulassen. Deutschland – wenn schon vom typisch Deutschen die Rede sein soll – hat keine gute Debattenkultur [für die braucht es wohl einen gestandenen Faschisten, ja-ja!]; Meinungen außerhalb des breiten Stroms in der Mitte werden zu wenig toleriert. Schon so gesehen sind Sarrazins Streitschrift und die neue Debatte ein Gewinn.
Dabei werden aber die Probleme nicht klar genug voneinander getrennt. Wenn Sarrazin etwa beklagt, daß fast nur noch Migranten und die Unterschicht die Kinder bekommen, hat er zwar recht. Doch gibt es keinen Grund, Migranten oder anderen ihren Familiensinn und ihre Kinderliebe vorzuwerfen. Eher schon müßte einmal die gegenläufige Frage gestellt werden: Warum haben die gehobenen Schichten in Deutschland kein Interesse mehr oder keinen Mut, Kinder zu bekommen? Kein vernünftiger Mensch kann glauben, daß das an Kita-Plätzen und Kindergeld liegt; es liegt an einer seltsam resignierten psychischen Verfassung, an mangelndem Selbstvertrauen, tiefen Bindungsängsten und falsch verstandener Selbstverwirklichung.
Anders gesagt: Ja, es gibt eine dramatische demografische Veränderung (in allen großen Städten sind die Migrantenkinder schon in der Mehrzahl). Doch das den Migranten vorzuwerfen, ist falsch.
Auch beim Thema Integration muß man fragen, ob die einheimischen Deutschen für die desaströse Lage nicht mitverantwortlich sind. Haben die Deutschen ihr kulturelles Erbe zu wenig gepflegt? Ist die christliche Tradition Deutschlands nicht längst verkümmert? Wo erleben Migranten denn ein selbstbewußtes Deutschland mit Werten, die glaubhaft gelebt und leidenschaftlich verteidigt werden?
Doch es ist gut, daß Sarrazin ausspricht, was andere verschweigen oder beschönigen: Radikale Tendenzen in Teilen des Islam, Integrationsverweigerung, erhöhte Gewaltbereitschaft, familiäre Unterdrückung von Frauen und Mädchen. Darüber muß und kann gesprochen werden – wenn man dazusagt, daß es auch viele Beispiele gelungener Integration gibt.
Wird Deutschland abgeschafft? Abschaffen kann man nur, worüber man verfügt. Eine solche Verfügungsgewalt hat niemand. Sarrazin macht es sich zu leicht. Das hat er mit seinen Kritikern gemeinsam."


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Konrad Hecker
Der Faschismus und seine demokratische Bewältigung

Vorbemerkung: Zum richtigen Vergleichen

Der Begriff des Faschismus

Hitler - ein deutscher Politiker

Demokratische Faschismustheorie - oder: Wie konnte es dazu kommen?

Demokratische Vergangenheitsbewältigung

Die verkehrte Faschismustheorie der Kommunistischen Internationale

Wer sich trotz aller modischen Vergleicherei für die Unterscheidungen interessiert und für die Fortschritte des deutschen Nationalismus seit der Kanzler nicht mehr aus »Ostmark«, sondern aus der Ostzone kommt und weiblich ist; wer die patriotische Gewissenserforschung nicht mehr hören kann, ob brave Deutsche und gute Soldaten von einer verbrecherischen Führung mißbraucht wurden, oder ob sie sich nicht auch führen und gebrauchen ließen; wer sich nicht mit der Auskunft zufriedengeben will, der Faschismus sei eine Un-herrschaft und ein Un-geist gewesen — ganz im Gegensatz zu unseren neuen Führern; wer den Gelehrtenstreit, ob der Naziterror »singulär« oder als eine Fortentwicklung des »bolschewistischen Gulag« zu werten sei, für einen typischen Streit unter demokratischen Nationalisten hält und deshalb für das Gegenteil von Kritik; wem es nicht einleuchtet, daß die bundesrepublikanische Demokratie einfach unvergleichlich ist, weil die keine Juden vergast, nicht den totalen Krieg ausruft; wem überhaupt in dem ganzen nationalen Scham-, Schuld- und Ehrgetriebe der neudeutsche demokratische Herrschafts- und weltpolitische Großmachtanspruch aufgestoßen ist —

für den liefert dieses Buch Aufklärung über das faschistische Staatsprogramm, das den (»Notstands«-)Traum aller wehrhaften Demokraten wahrmacht:

— Faschisten mißtrauen der Auslese durch die freie Konkurrenz und korrigieren ihre Wirkungen durch die gerechteste, von jedem Zufall befreite Sortierung der Menschen in »gutes Volk« und »Volksfeinde«.

— Faschisten veranstalten das zielstrebigste Beschäftigungsprogramm, das je mit Arbeitslosen unternommen wurde: ihre Verwandlung in Soldaten — nicht nur — der Arbeit.

— Faschisten setzen den sozialen Frieden durch, den demokratische Gewerkschaftler mitverantworten wollen.

— Faschisten gehen den dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus, den alle christlichen Weltverbesserer suchen.

— Faschisten führen den nationalen Befreiungskrieg, den das wiedervereinte Deutschland als Vormacht Europas nicht nötig hat.

— Kurzum: Faschisten machen ernst mit dem Krisenfanatismus, dem Gerechtigskeitswahn und dem Patriotismus eines guten Staatsbürgers. Sie verwirklichen das konsequenteste »Wir« aller Deutschen.

Diese und andere verwerfliche Wahrheiten über die Form bürgerlicher Klassenherrschaft namens Faschismus finden sich in diesem Buch.

1996 • 354 Seiten • ISBN 3-929211-02-5 • 20,- €

erhältlich im Buchhandel oder über den GegenStandpunkt Verlag