Leserbriefe in der AZ
I: Sehr sachgerecht erinnert Markus Günther in seinem heutigen AZ-Kommentar
an die nationalsozialistische Selektion menschlichen Lebens in wertes
und unwertes. Sein Fehler besteht allerdings darin, nicht nach dem
staatlichen Zweck dieser Selektion zu fragen. Seine pur moralische
Kritik führt dazu, die Heucheleien der PID-Befürworter nicht
als solche zu erkennen. Sie zu würdigen, um sie dann von noch
höherer moralischer Warte aus zu verurteilen, das bringt das Thema
auf eine bloße Glaubensfrage herunter. (16.04.11)
II:
Von 4 einfältigen Männern, die allen Ernstes der Meinung sind, ihr
privates Interesse als angepaßt-brave Staatsbürger ginge in dem ihres
Staates auf, hat sich Günther herbe Vorwürfe eingefangen. In deren
Augen eröffnet der Staat lauter Chancen, die sie als »mündiger Bürger«
(so der eine) gerne nutzen wollen. Sie tun so, als wäre der Staat
nichts als ihre Freiheit, ihre Wahlfreiheit und nichts anderes. Deshalb
vermeinen sie zu wissen, daß Freiheit gar nicht in die Hände von
Individuen gehört, welches sie gar nicht richtig gebrauchen könnten.
Deshalb habe Abtreibung auch mit der PID gar nichts zu tun (so ein
anderer). Die gehöre selbstverständlich verboten. Aber daß der Staat
ihnen »verantwortungsvolle« Gestaltung ihrer Brut in der vorliegenden
Frage verweigern könnte, das erklären sie für nicht aushaltbar. Soviel
moralischer Staatsfanatismus muß sein, da will man sich nicht in die
NS-Ecke stellen lassen (zwei Schreiber explizit). Ein gesundes
»nationales Selbstverständnis« (so einer davon) läßt sich so einer
nicht nehmen, eher gehören andere (wieder) mundtot gemacht.
Kurz
& gut: Staatsinteressen und Untertaneninteressen gehen selbst dann
nicht zusammen, wenn der Staat den Seinen etwas nicht ver-, sondern (ge)bietet. Er macht es
aus einer ganz anderen Überlegung heraus, aus staatlicher Berechnung
bezüglich seines staatlichen Fortkommens. Das wird bei aller Heuchelei
gerade von seinen Parteigängern, Nationalisten also, keineswegs
mißverstanden: Je mehr sie ob der Kinder sich heuchelnd ins Zeug legen (Betroffenheit
müßte ein Kritiker schon vorweisen können, wenn er
moralisch in Ordnung gehen will!, wie einer meint),
desto mehr wird ihr Anliegen deutlich, den Gegensatz zwischen Staat und
Staatsbürgern aufheben zu wollen. Ein gestandener Faschist wie der
Aichacher Agitator macht freilich kein großes Aufhebens: Er
plädiert
gleich für rücksichtsloses Durchregieren und das
natürlich nicht bloß in dieser Frage, die unter dem strengen
nationalen Gesichtspunkt notwendiger Selektion keine Randfrage ist. Oder es entstünden eben »Wutbürger«. [Die Leserbriefe wurden in der
AZ v. 19.04. kommentarlos veröffentlicht. Hätte
Günther gedacht, in welch braunes Wespennest er sticht, hätte
er es unterlassen? Oder tröstet er sich mit dem Ehepaar, das ihm
recht gab?] (20.04.11)
III:
Nun beklagt eine Leserin (21.04.), der eine habe geschrieben,
Günther sei »von der eigenen Meinung befangen«, was
ein blöder Vorwurf sei, da das ja eine Selbstverständlichkeit
sei und nicht verwerflich. Dem ist nicht so. Das Individuum solle ja in
der Volksgemeinschaft aufgehen. Die Freiheit sei im Staat, durch ihn
und mit ihm. Wer auch nur den Anschein erwecke, sich zum Staat auf
Distanz zu begeben, der müsse der »eigenen
Befangenheit«, des Egoismus (den ebenfalls erwähnten hat sie
nicht aufgegriffen!) geziehen werden. Der habe »Freiheit«
glatt falsch verstanden. Die Ideologie der Freiheit teilen Demokraten
und Faschisten durchaus. Unterschiede bestehen in den Konsequenzen
daraus. Der faschistische Vorwurf an den demokratischen Staat besteht
immerzu darin, ihm Inkonsequenz in Sachen nationaler Verantwortung vorzuwerfen. (21.04.11)