Die (Selbst-)Abtötung des Joseph Ratzinger
Bei
Glaubensgemeinschaften, religiösen wie politischen, geht es nicht
ohne Leichen und sonstige Opfer ab. Denn nur allzu Naive können
mit schönen, gleichwohl hohlen Worten dazu überzeugt werden,
zu glauben. "Im Anfang war der Logos." (sagte einer der
Glaubensbegründer christlicher Sekten). Aber eben nur am Anfang,
denn bald schon folgte dem »Wort« (der Sinnstiftung) die
Gewalt zur Durchsetzung dessen, was von nun geglaubt werden soll.
Sobald sich eine Sekte auf diese Weise etabliert hat, gilt sie nicht
länger als Sekte, sie ist zu einer veritablen Kirche mutiert.
Je weiter und breiter sich ein Glauben durchsetzen konnte, umso mehr
Opfer verbuchte er dabei. Ohne die Opfer anderer religiöser Sekten
verharmlosen zu wollen, kann festgehalten werden, daß an der
Spitze in Sachen Opfer zweifellos die römisch-katholische Kirche
steht. Der blutige Faden dieser Sekte/Kirche dauert jenseits aller
politischen Strukturänderungen zwischen monopolisierter Gewalt
(Staat) und Kirche bis in die Gegenwart an. Bekanntlich versteht sie
sich nicht bloß auf Geschäfte mit rein geistigem Opium, sie
kümmert sich in rührender Weise um einen delikaten
Zusammenschluß: Sie segnet die Waffen imperialistischer Staaten
und protegiert dessen Vasallen, vornehmlich Diktatoren in
Lateinamerika. Sie macht riesige Geldgeschäfte, ohne selbst sich
mit der Ausbeutung von Arbeitern in Fabriken und auf Plantagen die
Hände schmutzig zu machen. Sie verlangt ihren Funktionären
das Zölibat ab und zeichnet somit für die zahlreichen
Fälle von sexuellem Kindermißbrauch durch eben diese
Zölibatsgeschädigten verantwortlich. Wie alle anderen
große Sekten heutzutage ist sie streng patriarchalisch; Frauen
betrachtet sie als minderwertig. Ja, sie sollen ähnlich der Maria
Magdalena anerkennen, daß sie nicht würdig sind, den
Hochwürden die Schuhriemen zu lösen: Wenn sie ihnen also zu
Dienste sein dürfen, sollen sie das alles große Gnade Gottes begreifen.
Angesichts solcher Tatsachen mag der Wunsch — von sozial
denkenden Christen an der Basis der Kirche — nach einem
»Reformpapst« verständlich erscheinen. Doch gerade der
eben abgetretene Papst hat sein Haus bestellt: Wichtige
Funktionärsposten wurden mit Klerikalfaschisten besetzt; der Bund
»opus dei« hat die Kirche mittlerweile ziemlich gut im
Griff, so daß jede Reformtendenz von vorneherein ausgeschlossen
werden kann. Das opus dei hatte ja auch seinen Einfluß
geltend gemacht, daß Ratzinger Papst werden konnte. Im
übrigen ist es einerlei, ob sich im innerkirchlichen Machtkampf
diese Fraktion mit oder gegen die italienischen Mafiaprotegén
durchsetzt.
Deshalb an dieser Stelle ein Wort zum Subsystem opus dei. Ihr
Gründer, Josemaría Escrivá de Balaguer y
Alibás, hat den christlichen Glauben dermaßen
radikalisiert: "Wenn du dich nicht abtötest, wirst du nie ein
Mensch des Gebets. [172] Innere Abtötung. Ich glaube nicht an
deine innere Abtötung, wenn ich sehe, daß du die
Abtötung der Sinne verachtet und beiseite läßt. [181]"
Solches Zeug schreibt er in seinem Buch »Der Weg« in den
Sentenzen über »Abtötung«. Treffender kann man
den Antimaterialismus und die Menschenverachtung wohl kaum auf dem
Punkt bringen. Und im übrigen stellt er damit seine Kirche
keineswegs hinter muslimische Selbstmordattentäter, buddhistische
Selbstverbrenner oder jüdische Selbstankläger (an ihrer
berühmten Klagemauer) [man sieht an dieser Reihung, daß der
Übergang von der Ohnmacht des gläubigen Einzelnen zum
Eintreten für eine zuschlagende Staatsgewalt durchwegs in der
Natur konsequenter Religiosität liegt] zurück, er stellt sie
ihnen voran:
"Wir wollen in dem armen gegenwärtigen Leben den Leidenskelch bis
zum letzten Tropfen leeren. Was bedeuten zehn, zwanzig oder
fünfzig Jahre Leid, wenn dann die Herrlichkeit kommt, für
immer, für immer — immer?
Und vor allem, besser noch als der erwähnte Grund, »propter
retributionem«, des Lohnes wegen, — was macht es aus zu
leiden, wenn man leidet, um Gott, unseren Herrn, zu trösten, um
ihm zu gefallen, im Geist der Sühne, eins mit ihm am Kreuz, mit
einem Wort: wenn man aus Liebe leidet. [182]"
Es mag ein Rätsel erscheinen, wenn so einer von
»Leiden« redet, denn an materiellen Gütern fehlt es
einem wie ihm ja nun wirklich nicht, weder an seinen persönlichen
noch an den Utensilien, die die Gottesdienste gar nicht protzig genug
ausfallen lassen können.
Er versteht unter »Leiden«, den Mangel an
Selbstabtötung. Man sei, so der Gedanke, immer zu sehr der
schnöden Welt statt dem allmächtigen Gott verhaftet.
Opfergehabe wie dieses erheischt — darauf ist es in seiner
ominösen, selten erläuterter Form berechnet —
menschliches Mitleid.
Sachgerechterweise muß man all diejenigen scharf
zurückweisen, die in manch frommen Worten, in denen der Papst und
seine Gesinnungsgenossen die elenden Zustände in aller Welt
anprangern, eine fortschrittliche Haltung erblicken. Wenn der Papst gar
den Begriff »Kapitalismus« in den Mund nimmt, dann nicht
anders als dies radikale Nationalisten auch tun: An seine Abschaffung
denken sie nicht, sie beklagen und verurteilen die materielle Gesinnung,
die mit ihm einhergeht und die vom Glauben, von der Selbstabtötung
abhält. Einen Schritt dieser Abtötung hat der Papst Benedikt
XVI. mit seinem Rücktritt vorgenommen, ganz ohne sich einen
Sprengstoffgürtel umzuschnallen. Seine Anhänger haben diesen
Kunstgriff bejubelt: Er hat sich, so würde es Escrivá
ausdrücken, mit seinem Herrn am Kreuz vereinigt.
Nichts also, was einer naiven, verblödeten Laienbasis die Hoffnung
auf einen »Reformpapst« rechtfertigen würde.
Gleichwohl wird die noch mit jedem Stellvertreter Gottes ihren
Frieden machen so, wie sie ihn mit Ratzinger und Wojtyla gemacht hat.
Sie wird auf innerkirchliche »Reformen« zu hoffen sicher
nicht müde werden.
(10.03.13)
[tanjug-Foto: Papst Ratzinger bei einem kürzlichen Treffen, beide
amtierten zu diesem Zeitpunkt noch, Ex-CIA-Chef Leon Panetta als
US-Verteidigungsminister]