Trotzkis
Schrei im Ohr
Der
kubanische Autor Leonardo Padura erzählt die Geschichte des
gescheiterten Realsozialismus
In
seinem neuen Buch Der Mann, der Hunde liebte widmet sich der in
Havanna lebende Autor Leonardo Padura einem Thema, das in den
realsozialistischen Ländern jahrzehntelang als Tabu galt. Er erzählt
die Geschichte des von Stalin verstoßenen Leo Trotzki und seines
Mörders, dem Katalanen Ramón Mercader. Dabei verknüpft Padura
zentrale Ereignisse des 20. Jahrhunderts zu einem großen Roman, der
eng an den Fakten bleibt und dennoch stetig die Spannung steigert.
Ohrenbetäubend
erschallt der Schrei am 20. August 1940 durch den Innenhof.
Vergeblich wehrt sich der von Stalin zum Tode Verurteilte Lew
Dawidowitsch alias Leo Trotzki gegen sein vorgezeichnetes Schicksal.
Ein Schrei, ein Biss in jene Hand, die ihm soeben einen Eispickel in
den Schädel geschlagen hat, zu mehr reicht die Kraft nicht aus.
Trotzkis mühevoll vorgebrachte Worte an seine Wachleute, dass sein
Mörder »reden« müsse, retten diesem das Leben. Am folgenden Tag
stirbt Trotzki an den Folgen des Attentats, sein Mörder wird in
Mexiko zu 20 Jahren Haft verurteilt.
In
seinem neusten Roman »Der Mann, der Hunde liebte« erzählt der
kubanische Schriftsteller Leonardo Padura in drei Erzählsträngen
die Geschichte der Ermordung Trotzkis aus den Perspektiven von Mörder
und Ermordetem. Damit begibt sich Padura, hierzulande bisher vor
allem durch seine exzellenten gesellschaftskritischen Krimis um den
kubanischen Teniente und späteren Antiquar Mario Conde bekannt, auf
die Spuren eines im Realsozialismus links liegen gelassenen Mannes.
Schon Trotzkis Lebensgeschichte alleine böte genügend Stoff für
eine große Erzählung: erfolgreicher Revolutionär, Begründer der
roten Armee, aber auch Blockierer einer möglicherweise
demokratischen Entwicklung durch die Niederschlagung des Kronstädter
Matrosenaufstandes, schließlich der verlorene Machtkampf mit Stalin
und der erzwungene Gang ins Exil.
Im
ersten Strang erzählt Padura aus Trotzkis Leben vom Zeitpunkt seiner
Verbannung nach Alma-Ata bis zu seiner Ermordung in Mexiko. Nach
Zwischenstationen in der Türkei, Frankreich und Norwegen wird
Trotzki in Mexiko zunächst von den Maler_innen Frida Kahlo und Diego
Rivera im blauen Haus in Coyoacán aufgenommen. Immer wieder spürt
er den Atem Stalins im Nacken, der ihn aber noch als Verkörperung
der Konterrevolution braucht, um seine Macht zu festigen. Trotzki
selbst bleibt daher zunächst am Leben, viele seiner Genoss_innen
fallen in unterschiedlichen Ländern jedoch Attentaten zum Opfer.
Währenddessen laufen in Moskau Schauprozesse gegen vermeintliche
Trotzki-Anhänger_innen, die immer heftiger ausarten.
Weniger
bekannt, aber nicht minder spannend ist die Lebensgeschichte seines
Mörders Ramón Mercander, die im zweiten Strang erzählt wird. Als
Kommunist im spanischen Bürgerkrieg gerät Mercader in das Umfeld
des Stalin ergebenen sowjetischen Geheimdienstes. Die Ablehnung des »konterrevolutionären« Trotzkis und seiner Anhänger_innen wird
für ihn zur Obsession. Er verschreibt sich ganz dem Projekt Stalins
und wird in den inneren Zirkel der straff und sektenähnlich
organisierten sowjetischen Kommunist_innen aufgenommen. Kontakt hat
er fast ausschließlich mit seinem extrem wandlungsfähigen
Vorgesetzten Kotow, der ihn als Agent des sowjetischen Geheimdienstes
vom spanischen Bürgerkrieg über Frankreich bis nach Mexiko in den
Kampf schickt. Dieser erscheine, wie Ramón eingebläut wird, »manchmal erbarmungslos«, sei aber »immer gerecht«. Der
Katalane verinnerlicht das Credo, dass für den Sozialismus »jedes
Opfer, jede Tat historisch gerechtfertigt sei und nicht die geringste
Abweichung hingenommen werden« könne. Über die vorgetäuschte
Zuneigung zu der Trotzkistin Sylvia Agelof verschafft sich Ramón
unter falscher Identität schließlich direkten Zugang zu Trotzkis
Umfeld. Seine unvermeidliche Tat für den Sozialismus steht von
Anfang an fest.
Im
dritten Strang trifft der kubanische Schriftsteller Iván am Strand
von Havanna auf einen geheimnisvollen kranken Mann, der stets mit
zwei eleganten Windhunden spazieren geht. Dieser erzählt ihm die
unglaubliche Geschichte von Trotzkis Mörder mit einem Reichtum an
Details, über die letztlich nur eine einzige Person verfügen kann.
Iván beschafft sich Material über Trotzki, der im Kuba der 1970er
von offizieller Seite aus als »die personifizierte Eiszeit, die
potenzierte Ideologische Verruchtheit« galt. Als der Mann plötzlich
nicht mehr auftaucht, steht Iván vor der Entscheidung, was er mit
seinem Wissen anfangen soll. Jahrzehnte später erst erlangt er
Klarheit über die Frage.
Im
Gegensatz zu den anderen beiden Erzählsträngen, die trotz
literarischer Verarbeitung auf recherchierten Fakten beruhen und von
Personen der Zeitgeschichte handeln, ist Iván ein fiktiver
Charakter. Anhand seiner Lebensgeschichte thematisiert Padura
kritikwürdige Zustände auf Kuba wie den Konformismus an den
Universitäten und die Repression gegen Schwule in den 1970er Jahren,
sowie die schwierigen Lebensverhältnisse nach dem Zusammenbruch der
Sowjetunion. Gleichzeitig belichtet der Autor die bisher wenig
bekannte Tatsache, dass Ramón Mercader in den 1970er Jahren unter
offiziellem Schutz in Kuba gelebt hat.
Trotz
der Kritik am Sozialismus und den Verhältnissen auf Kuba konnte das
Buch auf der Insel erscheinen, wenn auch in vergleichsweise niedriger
Auflage. Zur Zeit des vom Autor geschilderten kulturpolitisch
repressiven grauen Jahrfünfts in den 1970er Jahren wäre dies
unmöglich gewesen.*
Anhand
der Biografien von Mörder und Ermordeten lässt Padura das 20.
Jahrhundert von Stalin und Hitler, über den Zweiten Weltkrieg, den
Prager Frühling bis hin zum noch immer sozialistischen Kuba an der
Schwelle zum neuen Jahrtausend Revue passieren. Mit seiner großartig
erzählten Geschichte, die trotz des weitgehend bekannten Endes im
Verlauf an Spannung zunimmt, zieht er eine bittere, realistische
Bilanz des Realsozialismus und der verhängnisvollen Lesart von Marx'
Ideen. Der Umgang mit Trotzki stellt für Padura dabei einen
entscheidenden Moment des Scheiterns dar. Selbst Ramón und sein
früherer Vorgesetzter Kotow können dem später kaum widersprechen.
Jahre nach Stalins Tod treffen sie sich als von der Geschichte
nunmehr zur Farce karikierte, gebrochene Persönlichkeiten in Moskau
wieder. Die Erinnerung an Trotzkis Schrei und eine Narbe an der Hand
von Ramón zeugen von einem Verbrechen, das sich auch für dessen
Protagonisten nicht gelohnt hat.
Leonardo
Padura • Der Mann, der Hunde liebte • Aus dem kubanischen Spanisch
von Hans-Joachim Hartstein • Unionsverlag • Zürich 2011 • 736
Seiten • 28,90 Euro
Rezension: Tobias
Lambert für die LATEINAMERIKA-NACHRICHTEN (8-9/2011)
KoKa dankt für die freundliche Genehmigung der online-Veröffentlichung.
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* Anm. KoKa:
Inwieweit die exponierte Lage Kubas und seine schwachbrüstige
ökonomische Basis der kubanischen Revolution zu solcherart
Zumutungen seitens der Sowjetunion keinerlei Alternative ließ,
diese Frage sei hier nur angedeutet. Erfreulich wäre es
allerdings, wenn die ML-ideologischen Ballaststoffe, die mit dem
strategischen Bündnis ins Land kamen, heute allmählich
aufgearbeitet und so außer Kraft gesetzt werden würden. Die
Aufgabe kann nur sein: Zurück zum revolutionären
Bewußtsein, zurück zur Kritik der politischen Ökonomie
und zur Kritik ihrer Ideologien.