Demokratische Gedenkstunde
80 Jahre NS-Machtergreifung

Zum Titel eines diesbezüglichen Vortrags — auf Einladung der Stadt Augsburg — wählte Dr. Markus Günther, Ex-Chefredakteur der AZ, den Titel »Hitler und Wir«. Er stellte sich die reichlich fiktive Aufgabe, zu ergründen, ob er damals die nationale Bewegung der NSDAP »mitgemacht«, also mehr oder weniger euforisch für sie Partei ergriffen hätte oder nicht.
Eine grandiose Selbstbespiegelung ausgerechnet an einem so brisanten Thema vorzunehmen, stieß ihm nicht auf. Dagegen fiel ihm — in leider überhaupt nicht begriffener Weise — das Gleichheitszeichen auf, das er zwischen »Wir« und »Ich« gesetzt hatte. Der damit verbundene moralische Imperativ war freilich berechnet: So wollte er sich Zustimmung erheischen.
Wer freilich so nonchalant ein Gleichheitszeichen zwischen Wir und Ich setzt, wem das nationale Wir dermaßen salopp über die Lippen geht, der hält nationale Gesinnung, Nationalismus für das Selbstverständlichste der Welt. Für den gibt es nur eine wesentliche Sorge, das Gelingen, den Erfolg »seiner« Nation. Daß dem Herrn Günther der Hitler, wie er wiederholt betonte, so außerordentlich abgrundtief verhaßt ist, liegt also daran, daß dessen Politik so wahnsinnig erfolglos war, daß Hitler, anstatt Deutschland voranzubringen, Deutschland ordentlich versaubeutelt hat.

Dr. Günther hat recht, wenn er meint, daß selbst Bildung — seine funktionelle Bildung, wie sie ein politökonomisches System allenthalben erfordert — ihn mitnichten davon abgehalten hätte, der NS-Bewegung auf den Leim zu gehen. Diesen Weg sind ja zweifellos genügend andere — Karrieristen und Opportunisten, die sie waren — gegangen und das weder zu knapp noch zu inkonsequent.
Er, Günther, liegt allerdings schwer daneben, wenn er meint, wenigstens sein (gutes) »Gewissen« hätte ihn davon abgehalten. Denn die Sache verhält sich ja so, daß die Größe der nationalen Aufgabe die Moral dazu gebiert, und nicht umgekehrt, aus einer vorliegenden Moral die Größe des politischen Projekts sich ergibt. Das läßt sich genauso gut am demokratischen Deutschland heutiger Tage unschwer sehen, welches aller (vorgeblichen) moralisch-historischen Läuterung zum Trotz über jede Menge Leichen und sonstige Opfer geht. Letzterer Befund scheint Günther durchaus bewußt zu sein. Doch er zieht keinen Schluß bezüglich des Zusammenhangs von Moral und politischer Gewalt. Er sieht nur immer sich in Distanz zum Geschehen, die Moral auf seiner Seite und die Verworfenheit auf der politischen. Dabei ist das Schöne an einem moralischen Individuum, daß es nicht explizit für die politischen Verhältnisse sein muß, es genügt völlig, sie zu tolerieren. So wie damals viele einfach weggesehen haben, als als unnütz und kontraproduktiv deklarierte Menschen in KZs und Arbeitslager abtransportiert wurden, sehen heute viele weg, wenn Staat und Wirtschaft ihr »Humankapital« (oder wie es auf neudeutsch heißt: ihre »human resources«) gewinnbringend kalkulieren und eiskalt vernutzen.

Noch etwas: Den Faschismus auf Hitler zu reduzieren, ist ein Kunstgriff, der es in sich hat. Es handelt sich um ein sehr zweckmäßiges, gleichwohl verräterisches Unterfangen. Man spart sich jede Kritik, ja gleich jeden bloßen Versuch einer Kritik am politischen Vorhaben der damals herrschenden Staatsräson und ihrer ideologischen Grundlage. Dies ist der Standpunkt konsequenter Moral, als deren Anwalt Günther auftritt. Dafür erhielt er denn auch gehörig Beifall. Sowohl von anwesenden Gewerkschaftsaprotagonisten, von denen man längst sowieso nichts anderes mehr erwartet als moralisches Herumgefuchtel, wie von anwesenden Antifas, die offenkundig mal wieder ein theoretisches Armutszeugnis auszustellen sich nicht schämten. Dabei wissen sie genau, daß Dr. Günther nun wirklich nicht in irgendeiner noch so vagen Hinsicht »links« zu verorten ist.


(25.02.13)