Informationsbüro Nicaragua
Von neuen Krisen, alten Problemen und einer Einladung zum Widerstand



„Als soziale Bewegungen in Nicaragua warnten wir die Regierungsautoritäten vor den negativen Wirkungen des CAFTA-Abkommens. CAFTA wirkt jetzt drei Jahre und es beweisen sich unsere Vorhersagen. Die Finanzkrise im Norden bewirkt, daß Nicaragua seine Krabbenquote nicht in die USA ausführen kann. Die Fischerei Nicaraguas ist solange betroffen, bis die USA ihre Finanzkrise überwunden haben. Dieser Sektor ist von Arbeitslosigkeit bedroht. Die USA profitieren vom CAFTA, sie haben eine Exportquote von 4000 Tonnen Schweinefleisch nach Nicaragua und damit ca. 300 kleine Schweinezuchtfarmen in den Ruin getrieben. Das gleiche wird mit dem Assoziierungsabkommen der EU passieren. Die Grenzen öffnen für freien Waren- und Dienstleistungsverkehr bringt unseren Regierungen keine Einkünfte, im Gegenteil: sie müssen Kredite bei den internationalen Finanzinstitutionen aufnehmen, das bedeutet Schulden, Armutsschulden, ökologische Schulden, denn wir haben nicht die Mittel, um die benötigte Bildung, Gesundheitsversorgung, die Infrastruktur, die Straßen, die Landwirtschaft aufzubauen, die der Wirtschaftsaustausch erfordert.“

William Rodriguez, Sprecher von Otro mundo es posible

Kaum ist das Freihandelsabkommen CAFTA zwischen den mittelamerikanischen Staaten und den USA in Kraft, drängt auch Europa mit seinem Assoziierungsabkommen auf unbegrenzten Zugang zu den mittelamerikanischen
Märkten. Doch die Kehrseite des Freihandelsprinzips und einer einseitigen Exportorientierung der Wirtschaft ist längst deutlich geworden: In Nicaragua war die Lage auf dem Land schon in Zeiten wirtschaftlichen Wachstums geprägt durch Hunger, Armut und Unterversorgung. Die Wirtschafts- und Finanzkrise kostete Tausenden ihre Existenzgrundlage und verstärkte die sozialen Probleme. Nun nimmt die Kritik an der unbegrenzten Gewalt der freien Märkte zu. Das soziale Basisgruppennetzwerk Otro mundo es posible kämpft für eine Beendigung des neoliberalen Imperativs, doch die Regierung Ortega indes wagt kein wirkliches politisches Umsteuern.

Seit zwei Jahren verhandelt die Europäische Union in einem zähen Verhandlungsprozeß mit den Ländern Mittelamerikas um ein Assoziierungsabkommen. Das Assoziierungsabkommen ist als Freihandelsabkommen konzipiert und darauf ausgerichtet europäischen Firmen bessere Niederlassungsrechte zu garantieren, unangenehme Hürden für den Zugang eigener Produkte aus dem Weg zu räumen und die Erschließung neuer Rohstoffquellen zu vereinfachen. Noch Anfang des Jahres 2009 hatte es so ausgesehen, als würde das Vertragswerk kurz vor seinem Abschluß stehen. Dann aber scherte Nicaragua aus: Ihre Verhandlungskommission hatte eine Art Strukturausgleichsfonds gefordert. Die Summe von knapp 80 Milliarden US Dollar hätte zu 90% von der EU und zu 10% von den mittelamerikanischen Ländern finanziert werden sollen, um die Ungleichheiten zwischen beiden Regionen auszugleichen. Als der Vorschlag abgelehnt wurde, erklärte Nicaragua, nicht weiter am Verhandlungsprozeß teilzunehmen. Nachdem bald darauf die Bereitschaft signalisiert wurde, doch an den Verhandlungstisch zurückzukehren, verunmöglichte der Putsch im Nachbarland Honduras weitere Gespräche. Nun bleibt abzuwarten wann die Verhandlungen wieder aufgenommen werden.

Welche Ergebnisse die immer weitergehende Liberalisierung des Staates und neoliberale Durchdringung der Lebensbereiche mit sich bringt, ist in Mittelamerika längst sichtbar geworden. Die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, der Energieversorgung, Telekommunikation, Gesundheit, Transportwesen und Wasserversorgung ist weit fortgeschritten und wird durch das Assoziierungsabkommen weiter forciert. Nicaragua ist geprägt von einer nicht existenten Grundversorgung der Bevölkerung, einer fehlenden Ernährungssouveränität und einer Ausplünderung natürlicher Ressourcen und Energiequellen. Abhängig gemacht durch einen Berg von Schulden unterwarf sich das kleine Land in den vergangenen 19 Jahren jeder Reform-Forderung von IWF und Weltbank, um neue Kredite zu erhalten. Auch der Machtwechsel im Jahr 2006 zum Präsidenten Daniel Ortega brachte trotz antiimperialistischer Fassade keine wirkliche Abkehr vom Neoliberalismus.

Nicaragua ist in den Weltmark voll integriert und auf eine immer weitere Steigerung der Exporte angewiesen. Damit das System funktioniert braucht Nicaragua stabile Wachstumsraten. Doch die Realität verweigerte dies. Die Wirtschafts- und Finanzkrise erwischte auch das kleine mittelamerikanische Land im letzten Quartal 2008 hart und führte das ganze Jahr 2009 über zu roten Zahlen in fast allen ökonomisch relevanten Bereichen. Der Beinahe-Zusammenbruch des Weltfinanzsystems und der freie Fall der Börsen, schwappte weltweit auf die Wirtschaft über und führte zu einem Strudel der einen krassen Nachfragerückgang und Absatzschwierigkeiten verursachte. Da Absatzmärkte in Europa und den USA mit einem Mal nicht mehr existierten konnte auch Nicaragua seine Billigprodukteder Textilbranche und zentrale Güter der Agrarindustrie nicht mehr mit Gewinn absetzen. Die Folge: Viele Betriebe der Textilindustrie zogen die Produktion ab oder machten dicht und auch die Nachfrage für Fisch, Meeresfrüchte, Nüsse und Kaffee ging zurück. Die Umsätze in diesen Bereichen brachen z.T. im zweistelligen Prozentbereich ein.
Besonders schwerwiegend ist, daß nicht nur der Exportsektor von der Krise betroffen ist, sondern auch die anderen beiden ökonomisch wichtigsten Bereiche einen Einbruch erlebten: Die Rücküberweisungen der nicaraguanischen MigrantInnen in den USA, Costa Rica und Spanien gingen stark zurück und Entwicklungshilfegelder blieben aus. Eine Million NicaraguanerInnen leben Schätzungen zufolge im Ausland, viele unterstützen ihre Familien zuhause mit regelmäßigen Geldüberweisungen, die 1/6 des Bruttoinlandsproduktes ausmachen. Doch die krisenbedingten Massenentlassungen in den USA und in Spanien betrafen an erster Stelle ArbeitsmigrantInnen, die oftmals in rechtlosen oder ungeschützten Arbeitsverhältnissen standen. Die Entwicklungshilfezahlungen wurden vor allem aufgrund der innenpolitischen Spannungen und Unregelmäßigkeiten bei den Kommunalwahlen in Nicaragua unterbrochen. Das Jahr 2008 war das schlechteste Jahr für Entwicklungshilfe seit langem, 30% weniger Gelder als 2007 kamen ins Land. Während die reichen Länder des Nordens den Kollaps verhinderten, indem sie viele hundert Milliarden Euro in die Wiederbelebung des kaputten Systems pumpten und so ihre Schlüsselindustrien und den Finanzsektor am Leben hielten, gibt es in den Ländern des globalen Südens hingegen keine Möglichkeiten das Desaster abzufedern. In Nicaragua wurden viele Tausende ArbeiterInnen v.a. der Maquila-Industrie entlassen und die Zahl der von Armut betroffenen nimmt noch einmal um 60.000 zu.

Grund genug am selbstvernichtenden Kurs der nicaraguanischen Jasager-Regierungen etwas zu ändern und umzusteuern, gab es schon vor der Krise. Mit Ortegas Wahl zum Präsidenten hofften viele, daß auch ein wirklicher Politikwechsel durchgesetzt würde. Doch seine Taten blieben hinter den Hoffnungen weit zurück. Er handelte widersprüchlich. Während er im Reigen mit Hugo Chavez gegen das Monster des Imperialismus wetterte, blieben Maßnahmen zur Kontrolle oder Verstaatlichung transnationaler Unternehmen bisher aus. Anstatt beispielsweise die Union Fenosa aus dem Land zu werfen, erwarb sich der Staat einen kleinen Anteil am Unternehmen, was dieses mit weiteren Preissteigerungen dankte. Zwar orientierte sich Nicaragua politisch am Schwesterland Venezuela und integrierte sich ins alternative lateinamerikanische Staatenbündnis ALBA. Gleichzeitig wurden jedoch auch die Freihandelsverträge umgesetzt und brav die Auflagen des IWF zur Kostenoptimierung öffentlicher Ausgaben befolgt, um die Freigabe von neuen Krediten zu erreichen.

Nicaragua ist nach wie vor eines der ärmsten Länder Lateinamerikas. Noch immer leben 80% der Bevölkerung in Armut, 45% gar in extremer Armut. Die Schere zwischen einer kleinen reichen Oberschicht und einer neureichen Parteielite einerseits, und einem Großteil der verarmten Bevölkerung andererseits ist weit geöffnet. Druck für Veränderung kommt indes von der Straße: Das linke Basisgruppennetzwerk Otro mundo es posible umfaßt 32 soziale Basisorganisationen. Das Netzwerk will angesichts der ökonomischen Globalisierung auch den Widerstand globalisieren. Es wehrt sich auf allen Ebenen gegen die neoliberale Politik und mobilisiert in diesem Zusammenhang international gegen das Freihandelsabkommen und aktuell auch gegen den anstehenden Vertrag zwischen der EU und Zentralamerika. Das Netzwerk warnte schon vor Inkrafttreten des CAFTA vor negativen Folgen. Im Assoziierungsabkommen sieht es eine neue Gefahr: Die Grenzen für freien Waren- und Dienstleistungsverkehr auch nach Europa zu öffnen, bringt keine Einkünfte, sondern im Gegenteil weitere ökonomische, soziale und ökologische Schäden mit sich. Die AktivistInnen sind vernetzt mit alternativen Bewegungen weltweit, die sich auf den Sozialforen, im Widerstand gegen die G8 und auf den Alternativgipfeln zusammenfinden. Ihren Kampf verstehen sie als Einladung an alle, ihren Weg mitzugehen, die das falsche Spiel des Neoliberalismus nicht mehr spielen möchten und gemeinsam nach Alternativen suchen. In diesem Zusammenhang mobilisieren sie auch zu einer Teilnahme am Alternativengipfel Enlazando Alternativas, der parallel zum Gipfeltreffen EU-Lateinamerika im Mai 2010 in Madrid stattfinden wird.

29.12.09

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