Gegen das teure Leben
Lebensmittel, Treibstoff & Stromversorgung als politisches
Konfliktfeld
Seit Anfang 2008 rückten immer wieder Proteste, Streiks und
Revolten in Ländern des Südens das Problem von
Preissteigerungen und Lebensmittelkrisen in die weltweite
Medienöffentlichkeit. Regierungen der Industriestaaten sowie IWF
und Weltbank zeigten sich besorgt über wachsende
»Sicherheitsrisiken« durch »Hungerrevolten«
– unter anderem in Westafrika. Darin offenbart sich sowohl die
Angst der Machteliten als auch ihre Ignoranz gegenüber dringenden
Forderungen, die diese Kämpfe aufzeigen.
Zwischen Ende 2007 und Anfang 2008 waren viele Länder mit enormem
Preisanstieg für Grundnahrungsmittel, Treibstoff und andere
Güter des täglichen Lebens innerhalb weniger Monate
konfrontiert. In Burkina Faso, ähnlich wie anderswo in Westafrika,
stieg der Preis für Reis um 51%, für Teigwaren um 74%,
für Milch um 118% und für Speiseöl um 142%. Wo über
die Hälfte der Bevölkerung von weniger als einem Dollar pro
Tag lebt, hat so etwas drastische Folgen. Viele WestafrikanerInnen
mußten die Anzahl täglicher Mahlzeiten reduzieren und den
Speiseplan auf einfachste Zutaten umstellen. Einer der Gründe
für die dramatische Entwicklung ist der gestiegene Verbrauch
landwirtschaftlicher Flächen für Biokraftstoff.
Außerdem sind Nahrungsmittel infolge krisenhafter Entwicklung an
den Finanzmärkten zunehmend zum Spekulationsobjekt geworden. Die
Weltmarktabhängigkeit der Lebensmittelpreise in Westafrika
hängt wiederum damit zusammen, daß viele Grundnahrungsmittel
wie Reis oder Mais nicht vor Ort produziert, sondern importiert werden.
Historisch ist dies ein Erbe der Kolonialwirtschaft, in der einzelne
Kolonien auf einseitigen Anbau bestimmter Exportgüter ausgerichtet
wurden, außerdem hat die Handels- und Subventionspolitik der
EU-Staaten eine Verdrängung afrikanischer ProduzentInnen
verstärkt.
»La vie chere – das teure Leben« wurde seit den
Preisexplosionen 2008 zum Inbegriff für Unzufriedenheit und Wut
vieler WestafrikanerInnen über die zunehmende Prekarität der
eigenen Existenz. Bis heute gingen Tausende in Senegal, Cote
d‘Ivoire, Mali, Togo, Kamerun, Burkina Faso und anderswo auf die
Straße.
Senegal: Als erste reagieren Anfang 2008 die
VerbraucherInnenverbände auf die Erhöhung der
Lebenshaltungskosten. Der Milchpreis hat sich verdoppelt, der Preis
für einen Sack Reis ist um das Anderthalbfache gestiegen. Nach der
Verhaftung der beiden führenden Verbandsfunktionäre kommt es
zu heftigen Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften. Der
Protest gegen das »teure Leben« ist großes Thema der
gewerkschaftlichen 1. Mai-Demonstrationen. Die Regierung sieht sich
gezwungen, Grundnahrungsmittel und Güter des täglichen
Bedarfs weiter zu subventionieren und Spekulationsgeschäfte
stärker zu sanktionieren. 2010 gehen Tausende in vielen
Städten gegen willkürliche Stromabschaltungen durch die
Elektrizitätsgesellschaft Sénélec
auf die Straße, ein 29-jähriger Demonstrant wird von
Sicherheitskräften zu Tode geprügelt. Der Unmut richtet sich
gegen eine soziale Gesamtsituation, die von steigenden
Lebensmittelpreisen, schlechter medizinischer Grundversorgung sowie
erschwertem Zugang zu Wasser und Strom geprägt ist.
Burkina Faso: Ende Februar 2008 werden bei militanten
Protesten gegen drastische Lebensmittelpreissteigerungen
Geschäfte, Tankstellen, Autos und Regierungsgebäude in Brand
gesetzt. Am 8. und 9. April 2009 gibt es einen Generalstreik, zu dem
eine Koordination von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen aufgerufen
hat. Trotz Hunderter von Verhaftungen muß das Regime von Blaise
Compaoré Zugeständnisse machen: Preissenkungen und
Preisfestsetzungen werden verkündet, Importzölle für
Nahrungsmittel gesenkt
und ein Teil der strategischen Notvorräte in Umlauf gebracht. Die
Privatisierung des Wasserversorgers Onea und der
Elektrizitätsgesellschaft Sonabel wird gestoppt.
Togo: Am 2. Juli 2010 gibt es aus Anlaß der
Erhöhung von Treibstoffpreisen einen Generalstreik, der trotz des
Rückzugs der Gewerkschaftsführungen [wo ist von denen schon
was anderes zu erwarten!] massiv befolgt wird. Aufgerufen hat ein
Bündnis von Gewerkschaften und der VerbraucherInnen-Vereinigung
Togos (ATC). Vorangegangen waren militante Proteste von Taxifahrern und
anderen Transportarbeitern. Die Erhöhung von Transportkosten
führt automatisch zur Preiserhöhung für
Bedarfsgüter, außerdem existiert in Togo kein
öffentlicher Personentransport, so daß
Benzinpreiserhöhungen jedeN direkt treffen. Die Forderungen:
»Nein zum teuren Leben in Togo, Nein zur Prekarität, Nein
zur Armut und Nein zur sozialen Ungleichheit!«
Kamerun: Im Februar 2008 entwickelt sich aus einem
Streik von Taxifahrern und Motorradtaxifahrern gegen hohe Benzinpreise
ein landesweiter Aufruhr gegen das teure Leben und gegen das
autokratische Regime unter Präsident Paul Biya. Die Erhebung wird
durch das Militär blutig niedergeschlagen – ca. 200 Menschen
werden getötet, über 1500 werden verhaftet.
Bei aller Komplexität der Motive und AkteurInnen verbindet diese
Bewegungen der Kampf gegen weitere Einschränkungen ohnehin
prekärer Existenzbedingungen. Das hat wenig zu tun mit dem
hierzulande verbreiteten Klischee von »Hungerrevolten« als
bewußt- und
subjektloses Aufbegehren von Menschen, die von purer Verzweiflung
»getrieben« sind. Vielmehr bringt sich hier eine
politisierte Bevölkerung in Stellung, die ihre Bedürfnisse
nicht der Selbstbereicherung korrupter und autokratischer Machteliten
opfern will und sich auch nicht damit abfinden will, zu VerliererInnen
einer ebenso profitorientierten wie krisenhaften Weltmarktlogik gemacht
zu werden.
Lokalradios
contra Weltmarkt
Stichworte zur sozialen Situation in Mali
Im Januar 2006 beriet in sikasso 5 Tage lang eine Jury aus 45
Kleinbauern & -bäuerinnen über die
einführung gentechnologisch veränderten Saatsguts in Mali. 20
Lokalradios berichteten live. Das »nein« am Ende war
einstimmig
– ein wichtiges Signal im Kampf gegen Monsanto, Syngenta & Co.
Mali ist zweifelsohne eine der schillerndsten, ja
paradoxesten Gesellschaften innerhalb Westafrikas. Einerseits zeichnet
sich das Sahelland durch ein offenes politisches Klima mit zahlreichen
Basisorganisationen, lokalen Selbstverwaltungsstrukturen und
unabhängigen Medien aus
– stellvertretend erwähnt sei etwa die riesige Zahl von 150
lokalen Radiosendern, mehr als in jedem anderen afrikanischen Land.
Andererseits belegt Mali auf dem Human Development Index der Vereinten
Nationen den 178. und somit fünftletzten Platz.
33 Prozent der Kinder unter 5 Jahren sind unterernährt, gerade mal
50 Prozent der Menschen haben Zugang zu sauberem Trinkwasser, die
durchschnittliche Lebenserwartung beträgt 53 Jahre, 75 Prozent der
über 15-Jährigen können weder lesen noch schreiben. Die
Verhältnisse sind mit anderen Worten komplex, sicherlich auch
deshalb, weil interne und externe Faktoren eine für die
große Mehrheit der Bevölkerung fatale Gemengelage bilden.
Geburtsstunde des ‚neuen‘ Mali war das Jahr 1991: Nach 23
Jahren Diktatur wurde Präsident General Traoré in einem
klassischen, vor allem von SchülerInnen und StudentInnen
getragenen Volksaufstand gestürzt. Bereits seit 1989 war der Unmut
über mangelnde politische Beteiligungsmöglichkeiten,
über die klientelistische Plünderung der Staatskasse und
über die von IWF und Weltbank aufgenötigten
Strukturanpassungsprogramme (Kürzung der Sozialausgaben etc.)
rasant angewachsen. Die anschließende juristische und politische
Abrechnung mit der alten Garde war umfassend, seitdem gelten in Mali
politische Rechte als hohes Gut: Die Wahlen sind frei, es gibt keine
politischen Gefangenen, die Rede- und Versammlungsfreiheit ist –
von wenigen Ausnahmen abgesehen – gewährleistet.
»Guten Tag, ihr korrupten Politiker! Guten Tag, ihr Diebe der
öffentlichen Kassen! Guten Morgen, ihr Arbeitsscheuen!«
Derart markig begrüßt beispielsweise der populäre
Radiomoderator Amidu Diarra die politische Elite in seiner
allmorgendlichen Radiosendung. Womit bereits der Nagel auf den Kopf
getroffen wäre: Demokratie in Mali ist eine tönerne
Angelegenheit, die meisten MalierInnen fühlen sich wie Statisten:
Im Parlament wird französisch gesprochen, was gerade mal 40
Prozent der Bevölkerung wirklich verstehen – während
umgekehrt Bambara praktisch überall in Mali als Alltagsprache
fungiert. Noch gravierender ist die Korruption, hier unterscheidet sich
Mali nicht weiter von anderen Ländern Afrikas: Rund ein Drittel
der Entwicklungsgelder fließen in private Taschen, Staatsbetriebe
werden zu bizarr niedrigen Preisen privatisiert, Minenunternehmen im
hochgradig profitablen Goldsektor genießen großzügige
Steuererleichterungen – um nur drei Beispiele zu nennen.
Es kann also kaum verwundern, daß im Jahr 2003 das Parlament
nicht befragt wurde, als der Dakar-Niger-Expreß auf Betreiben der
Weltbank an das französisch-kanadische Konsortium Canac-Getma
verkauft wurde. Die Folgen der Privatisierung der 1.259 Kilometer
langen Schmalspurbahn zwischen Dakar und Bamako waren gleichwohl
dramatisch: Entgegen vertraglicher Absprachen wurde der Personenverkehr
zugunsten des Gütertransports massiv eingeschränkt. 632
gewerkschaftlich organisierte Eisenbahner verloren ihren Job, zudem
wurden 26 von 36 Bahnhöfen dicht gemacht und somit ganze
Dorf-Ökonomien entlang der Strecke dem Ruin preisgegeben. Bereits
früh haben EisenbahnerInnen aus Mali und Senegal zusammen mit
Bauern und Bäuerinnen, HändlerInnen und anderen Betroffenen
das Bündnis für die Rückgabe und Weiterentwicklung des
Schienennetzes Cocidirail gegründet. Durch zahlreiche
Protestaktionen konnte die Privatisierung zwar zu einem
innenpolitischen Topthema in Mali gemacht werden, handfeste Erfolge
stehen aber noch aus.
Nicht minder problematisch sind die Entwicklungen im Baumwollsektor:
Allein in Mali leben 3,4 Millionen Menschen von Einnahmen aus dem
Baumwollexport. Gleichzeitig ist die Ertragslage hochgradig
prekär. Denn die USA unterstützt ihre 25.000 Baumwollbetriebe
mit 4,8 Millarden US-Dollar jährlich, wodurch die Weltmarktpreise
um ca. 26 Prozent gedrückt werden. Konsequenz ist, daß die
malische Exportgesellschaft CMDT die Baumwolle aus Mali nicht mehr
gewinnbringend verkaufen kann und immer mehr Bauern und Bäuerinnen
auf Mais oder Hirse umsatteln müssen – ein Umstand, der
darüber hinaus auch bei der weiterverarbeitenden Industrie extrem
negativ zu Buche schlägt (insbesondere bei der Herstellung von
Pflanzenöl aus Baumwollsamen). Wir grotesk die globalen
Machtungleichgewichte sind, zeigt eine simple Rechnung: Jeder
US-Baumwollfarmer wird jährlich mit 100.000 Dollar subventioniert,
eine Summe, für die ein Baumwollbauer in Mali etwa 1000 Jahre
arbeiten müßte.
Ein jüngerer, ebenfalls im landwirtschaftlichen Sektor
angesiedelter Konflikt ist der Ausverkauf afrikanischer Böden an
global operierende Investoren – sei es für den Anbau von
Export-Getreide oder von so genannten, klimapolitisch kontraproduktiven
Agrotreibstoffen. Dick im Geschäft sind in Mali unter anderem
libysche Unternehmen, Kleinbauernorganisationen sprechen bereits jetzt
von massiven Landvertreibungen.
Spätestens vor dem Hintergrund solcher und vieler weiterer
Problemkomplexe dürfte auch die enorme Bedeutung von Migration in
Mali nachvollziehbar werden: Ein knappes Viertel der Bevölkerung
– also 4 Millionen Menschen – befindet sich in der
(Wander-)Migration, die meisten in westafrikanischen
Nachbarländern, manche auch in Europa [vgl. Interview S. 3 der
Printausgabe]. Die darin zum Ausdruck kommende Selbstermächtigung
ist für die Bamako-Dakar-Karawane genauso bedeutsam wie viele der
hier (allenfalls) andeutungsweise zur Sprache gekommenen Kämpfe
und Auseinandersetzungen.
(28.12.2010)
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von afrique-europe interact