Am 23.04.1910 schrieb Rosa Luxemburg in der Bremer Bürger-Zeitung folgenden Mai-Aufruf [Hervorhebungen im Original]:

 

Rosa Luxemburg:

Am vorletzten Sonntag hat das klassenbewußte Proletariat Preußens seinen ersten großen Sieg im gegenwärtigen Wahlrechtskampfe gefeiert: Das Recht auf die Straße, das Recht der Massendemonstration ist errungen worden. Es ist nun das erste Gebot einer echten Kampftaktik, jede Errungenschaft sofort vollauf auszunutzen, jede dem Gegner abgetrotzte Position des Schlachtfeldes sofort bis auf den letzten Fußbreit zu besetzen, um so die Schlachtlinie im ganzen vorwärtszuschieben, den Gegner Schritt für Schritt zurückzudrängen.
Das Recht auf Straßendemonstration, das wir errungen haben, soll und muß vollauf ausgenutzt werden als vorzüglichstes Mittel, die Massen zu sammeln, sie aufzurütteln, sie aufzuklären, sie mit Kampfesmut zu erfüllen, als vorzüglichstes Mittel, die Macht der klassenbewußten Arbeiterschaft sichtbar zu entfalten und den Gegnern vor die Augen zu führen.
Im gegenwärtigen Augenblick ergibt sich von selbst der nächste Termin für eine abermalige gewaltige Massendemonstration des einheitlichen revolutionären Willens des Proletariats: Es ist dies der 1.Mai.
In diesem Jahre fällt zum Glück der leidige Streit um die Maifeier von selbst weg, jener Streit, der zweifellos dem Maigedanken in hohem Maße geschadet, die Tatkraft unserer Agitatoren gelähmt, die Begeisterung der Massen für die Maifeier abgekühlt hat. Der Streit um die Maifeier als Arbeitsruhe ist für dieses Jahr erledigt, weil die Maifeier auf einen Sonntag fällt. Alle überzeugten Freunde der Maifeier könnten diesen Umstand eigentlich bedauern. Denn die Zeichen, unter denen die Maifeier in diesem Jahre heranrückt, die allgemeine Erregung der Geister, die Kampfeslust der Massen, das alles würde zweifellos gerade die heurige Maifeier zu einer so machtvollen Demonstration auch in der Form der Arbeitsruhe gestalten, daß der bedauernswerte Streit um die Maifeier durch die Praxis die glücklichste Lösung gefunden hätte. Allein, wenn nicht als Arbeitsruhe, kann die Maifeier in diesem Jahre doch einen ganz ungeahnten Aufschwung nehmen und die größte Tragweite erhalten – durch die Form der allgemeinen, einheitlichen Straßendemonstrationen. Gerade als eine Fortsetzung des im Wahlrechtskampfe errungenen neuen Kampfmittels der Sozialdemokratie kann und muß die Maifeier aus der Stagnation der letzten Jahre wieder aufsteigen und ihre innere werbende und zündende Kraft entfalten. Wann waren in der Tat die leitenden Gedanken der Maifeier: Achtstundentag, Weltfrieden, Sozialismus, Arbeitsruhe als Machtmittel des Proletariats – lebendiger denn heute?
Wir stehen mitten in den schwersten wirtschaftlichen Kämpfen. Die Gärung im Kohlenrevier ist nur äußerlich für eine Weile zur Ruhe gekommen, lodert aber unter der Decke weiter. Im Baugewerbe hat der gewaltige offene Kampf begonnen [Am 15.04.1910 hatten etwa 160.000 Bauarbeiter den Kampf gegen eine Massenaussperrung im Baugewerbe begonnen, um ihre Forderungen nach Lohnerhöhung, Arbeitszeitverkürzung etc. durchzusetzen.] und wird seine Kreise immer weiter ziehen. Die Arbeitslosigkeit, teils als letzter Schatten der schweren Krise, die wir durchgemacht haben, teils als direkte Folge der famosen 'Finanzreform' [vom 10.07.1909], verbreitet in großen Schichten der Arbeiterschaft grauenhaftes Elend; es genügt zu erwähnen, daß wir im März annähernd 40.000 arbeitslose Tabakarbeiter hatten. Dazu werden jetzt immer neue Schichten hinzutreten, die durch den Kampf im Baugewerbe in Mitleidenschaft gezogen werden. Unter diesen Umständen bekommt unsere alte Losung, der Achtstundentag, neue lebendige Kraft. Als sicherstes, radikalstes Mittel zur Beseitigung wenigstens der ärgsten Mißstände der kapitalistischen Wirtschaft, als ein wahres Rettungsmittel für die Arbeiterschaft wenigstens aus dem tiefsten Elend der Überarbeitung wie der Arbeitslosigkeit, der Hungerlöhne wie der Unsicherheit der Existenz muß der Gedanke der achtstündigen Arbeit jetzt mit verdoppelter Macht in den Geistern der breitesten Masse einschlagen.
Die Idee des Achtstundentages hat sich bis jetzt von selbst mit elementarer Gewalt jeder großen Klassenregung des internationalen Proletariats zugesellt, ist wie ein leuchtendes Flammenzeichen aus jeder stürmischen Schlacht zwischen der Arbeit und dem kapitalistischen Staate aufgelodert. In Belgien war es am 1. Mai 1891, aus der Maifeier und der Demonstration um den Achtstundentag, daß der erste große Wahlrechtsmassenstreik seinen Anfang nahm. In Rußland stand auf der großen 'Charte des Proletariats', mit der am 22. Januar 1905 die hunderttausend Petersburger Arbeiter vor das Zarenschloß ausrückten, um die politische Freiheit zu fordern, obenan die Forderung des Achtstundentages, und diese Forderung windet sich wie ein roter Faden durch alle großen und kleinen Schlachten des russischen Revolutionskampfes.
Bei uns bietet die herannahende Maifeier die Möglichkeit, die Losung des Achtstundentages dem politischen Kampfe um das Wahlrecht zuzugesellen, sie innerlich zu verbinden. Als echter großer Klassenkampf des Proletariats muß der Wahlrechtskampf alles zusammenfassen und von allem getragen werden, was in die Lebensinteressen des arbeitenden Volkes eingreift, was in den Herzen der Volksmassen lebt, was ihre Sehnsucht ausdrückt.

Die Maifeier hat zuerst den Gedanken der Arbeitsruhe als eines neuen, modernen Kampfmittels des Proletariats in seinem Vordringen zum sozialistischen Endziel, als gemeinsame Parole des internationalen Proletariats ausgegeben. Die Macht der „verschränkten Arme", die im äußersten Notfall alle Räder für eine Weile zum Stillstand bringt, um den Widerstand des Klassenstaates gegen die gerechten Forderungen der Arbeiter zu brechen – dies der große neue Gedanke, der uns mit der Maifeier vor 20 Jahren verkündet wurde. [Am 13.04.1890 hatte die Reichstagsfraktion der Sozialdemokratie in Halle einen Aufruf „An die Arbeiter und Arbeiterinnen Deutschlands" zum 1. Mai beschlossen. Sie forderte die Arbeiter zu Arbeitsruhe und disziplinierten Massenversammlungen auf, um die Provokationspläne der Reaktion zu durchkreuzen. Anläßlich der ersten Maifeier der internationalen Arbeiterbewegung legten in Deutschland trotz des Sozialistengesetzes etwa 200000 Arbeiter die Arbeit nieder.] Dieser Gedanke, prinzipiell durch die deutsche Sozialdemokratie auf dem Jenaer Parteitage im Jahre 1905 aufgenommen, hat tatsächlich in den letzten Wochen und Monaten im Sturm und Drang des Wahlrechtskampfes in die Geister breiter Schichten des kämpfenden Proletariats Einzug gehalten, hat von dem Bewußtsein der arbeitenden Massen Besitz genommen. Die Maifeier bekommt dadurch selbst einen neuen, tieferen Sinn für das preußische und für das deutsche Proletariat. Mit mehr bewußter Begeisterung als je müssen in diesem Jahre die Arbeitermassen in Preußen und in Deutschland den befreienden Gedanken der Maifeier begrüßen, wenngleich er in diesem Jahre selbst nicht durch Arbeitsruhe gefeiert wird. Wird doch früher oder später der Augenblick kommen, wo wir auch in Preußen, in Deutschland, im Kampfe um unsere politischen Rechte den Gedanken der Maifeier wahr machen, die Macht des kämpfenden Proletariats durch eine große Arbeitsfeier in entscheidender Weise in die Waagschale werfen müssen.

Die Maifeier ist zugleich ein Ruf nach Weltfrieden und Völkerverbrüderung, ein Protest gegen die brutale Gewalt des Klassenstaates, den Militarismus. Der gegenwärtige Wahlrechtskampf hat den Massen des Proletariats in Preußen wieder die Bedeutung dieser brutalen Waffe des herrschenden Staates so recht zum Bewußtsein gebracht. Der blanke Polizeisäbel und die im Hinterhalt mit scharfer Munition geladene Kanone waren ja die erste Antwort der preußischen Reaktion auf die Forderungen der Arbeiterschaft. Und haben wir es auch durch die unerschütterliche Kampfposition unsererseits fertiggebracht, daß der rasselnde Polizeisäbel vorläufig in die Scheide zurückgesteckt worden ist, so schleppte sich doch noch selbst den vergangenen Demonstrationen ein Rattenschwanz von Prozessen gegen unsere Demonstranten und unsere Presse nach, als deren Folge die Kämpfer um das gleiche Wahlrecht im Gefängnis ihren freventlichen Widerstand gegen Polizeibrutalitäten noch nachträglich abbüßen müssen. Die Empörung und der Haß gegen die Säbelmacht des kapitalistischen Staates als Waffe der Unterdrückung fremder Völker und als Waffe der Versklavung gegen den „inneren Feind", die aufstrebende Arbeiterklasse, müssen in diesem Jahre bei der Maifeier einen lauteren, kräftigeren Ausdruck finden als je zuvor.
Der Same des Sozialismus, des Klassenkampfes, trägt tausendfältige Frucht, seine Körner werden durch alle Winde hinausgestreut, und auch auf dem härtesten, unbeackerten Boden keimt schon die erste grüne Saat. Die 'christlich-nationalen Arbeiter', die evangelischen Vereine haben die Idee der Maifeier in ihrer Weise übernommen: Sie schlagen vor, am 1.Mai eine internationale Kundgebung der Proletarier für den Weltfrieden in Gestalt von Straßenumzügen mit Gesang und gleichzeitigem Gottesdienst in verschiedenen Ländern, zunächst in Deutschland und in England, zu veranstalten. Mit Stolz und mit Freude begrüßen wir diese Zeichen der Zeit: Es ist unser Werk, es ist der Siegeszug unserer Ideen, was hier zunächst im schiefen Spiegel der „christlich-nationalen" Weltanschauung erscheint. Und sicher ist es auch ein Echo der allgemeinen Hebung der Kampfstimmung, des Idealismus in den Massen des Proletariats, die wir durch unseren Wahlrechtskampf, durch unsere Massendemonstrationen ausgelöst haben.
Um so freudiger, um so energischer muß in diesem Jahre unser Banner am 1. Mai erhoben werden, das Banner des Sozialismus, und unser 'Gottesdienst' für den Weltfrieden, die Demonstration des proletarischen Klassenbewußtseins.
Bis jetzt haben wir die durch Arbeiterbataillone errungene Demonstrationsfreiheit mit den bürgerlichen Demokraten geteilt. Am vorletzten Sonntag erschienen auch diese spärlichen Vertreter der bürgerlichen Wahlrechtsfreunde an unserer Seite. Bei der Maifeier wird der Wahlrechtskampf als proletarische Klassenaktion noch reiner zum Ausdruck kommen. Da werden wir ohne die bürgerlichen Demokraten demonstrieren. Aber da werden neben uns andere, mächtigere und natürlichere Bundesgenossen Schulter an Schulter demonstrieren: die Proletarier ganz Deutschlands und das internationale sozialistische Proletariat. So wird erst unser preußischer Wahlrechtskampf auch nach außen hin seinen richtigen Rahmen erhalten als ein Abschnitt und eine Etappe des großen internationalen Vormarsches der Arbeiterklasse zum sozialistischen Endziel.
Ein gewaltiges Stück Aufklärung kann also in diesem Jahre durch die Maifeier geleistet werden. Die Agitation für eine machtvolle Massendemonstration am 1.Mai muß unverzüglich einsetzen und mit Anspannung aller Kraft geführt werden.
Der parlamentarische Abschnitt in der Geschichte der Wahlreform ist zu Ende. Jetzt beginnt die Auseinandersetzung des Proletariats mit der Reaktion von Angesicht zu Angesicht. Die Maifeier ist unsere nächste Kundgebung im Wahlrechtskampfe.


 

Anmerkungen:

Damals glaubte man allen Ernstes, die Abgabe seiner Stimme bei Wahlen wäre ein Mittel des Proletariats, seine Interesssen zu befördern. Dieser fatale Irrtum kam vor allem dadurch zustande, daß die bessere Hälfte der Menschheit vom Wählen ausgeschlossen war. Mittlerweile kann auch die letzte einigermaßen klassenbewußte Frau kapiert haben, daß Wahlen Kokolores sind, Mittel des Staates seine Untertanen ruhig zu halten bzw. zu stellen, Mittel, seine Macht zu legitimieren.
Aus welchem Grund hat der Staat dieses Recht eingeräumt? Doch offenbar deshalb, weil er gemerkt hat, daß es besser ist, wenn kontrolliert Dampf abgelassen wird, als wenn sich zuviel anstaut.
Mittlerweile sind ja Demonstrationen zu einem reinen Aufmarsch der Staatsgewalt mutiert. So haben sie sich als die nächste Illusion klassenbewußten Proletariats erwiesen.


Zum Glück? Denkt Luxemburg etwa daran, daß man seine Interessen ohne das einzig wirksame Druckmittel, den Streik, besser durchsetzen könne? Nicht wirklich: Sie denkt an die Voraussetzung, die sie ansonsten immerzu als schon vorhanden unterstellt: Das de facto nicht vorhandene Klassenbewußtsein einer auch geistig verwahrlosten Arbeiterklasse.



Wie denn ohne dieses Klassenbewußtsein ausgerechnet am 1.Mai einen Aufschwung nehmen sollte, wo doch ein bißchen mehr gefragt ist, als ein - ziemlich ohnmächtiges - Gefühl der Empörung, darüber läßt Luxemburg ihre Leser ziemlich im unklaren.


Die damals schon konstatierte Stagnation dauert bis heute an. Wäre es nicht einmal Zeit, die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, daß die 1.Mai-Demonstranten und -Veranstalter Agitation mit ziemlich bis völlig falschen Argumenten betreiben???
Für einen 8-Stunden-Tag ließe sich auch heute wieder kämpfen, doch das Lohnsystem steht dadurch doch keineswegs zur Debatte ...
Also auch nach 100 Jahren hat sich an den "schwersten wirtschaftlichen Kämpfen" nichts geändert: Doch wäre es hier nicht angebracht zu unterscheiden zwischen den Kämpfen einer kapitalistischen Nation und denen des Proletariats, anstatt diesen Gegensatz in dieser Frase zu verschleiern, um ihn dann nur halbseiden aufzulösen, nämlich in eine angebliche inadäquate Politik des Klassenstaates selber? Was sollte denn ein solcher Staat sonst auch tun, als den Interessen seiner ökonomischen Subjekte, des Kapitals, wieder auf die Sprünge zu helfen?






Ja, es gab auch mal zwischendurch die Erkenntnis, daß es kein richtiges Leben im falschen gibt - allerdings war die offenkundig nicht eine Rosa Luxemburgs.
Was bei der "breitesten Masse" einschlägt, könnte einer Kommunistin zwar egal sein, aber offenbar möchte sie ihre Überlegungen an das fehlende Klassenbewußtsein anpassen: Ein fataler, ja gerade konterrevolutionärer Fehler: Als ob man so eine Revolution hinkriegen könnte!
Die angeführten Beispiele zeigen ja auch die Fehlschläge klassenkämpferischen Bemühens. Wäre es da nicht angebracht über deren Gründe nachzudenken, anstatt sich immerzu in die Tasche zu lügen, die Revolution wäre bereits schwer unterwegs und im Grunde nicht mehr aufzuhalten?





Es gab auch mal so zwischendurch die Parole: "Versuchen wir das Unmögliche!" Das wäre, wenn man schon mal methodisch denken möchte, ein geeigneter Ansatz den Übergang zu den politischen Inhalten zu machen. Umgekehrt, umgekehrt: Wenn man von den politischen Inhalten dahingehend abrückt und eruiert, inwieweit sie überhaupt möglich werden könnten, dann ist man dabei, die eigenen Interessen (schrittweise) zur Disposition zu stellen!

Der 1.Mai als Feiertag hat dem Kapitalismus nicht geschadet. Wie sollte er auch? Erst neulich wurde hier in Augsburg anläßlich unserer Diskussionsveranstaltung zum 'bedingungslosen Grundeinkommen' von einem Diskutanten der Gedanke aufgebracht, dies würde - ihm zumindest - mehr Freiraum schaffen für seine kommunistische Betätigung: Der Witz dabei ist, daß dieses 'Grundeinkommen' heute ebenso wie der 1.Mai damals - würde es eingeführt - gar nicht als solches Mittel gedacht ist, sondern genau gegenteilig: Zur Ruhigstellung des Proletariats von oben aus gedacht  und von Seiten des klassenunbewußten Proletariats selber aus gedacht zum Beweis dafür, daß Klassenkampf gar nicht nötig sei, weil man im Kapitalismus, wenn schon nicht gescheit leben, man zumindest überleben könne.
Hirnrisse halten sich-  in kaum abgewandelter Form - meist länger als wünschenswert...
Daß die Sozialdemokratie die Arbeiter von der Durchsetzung ihrer Interessen abhalten möchte, ist, wie man sieht, überhaupt nichts Neues. Sie spielte sich schon damals als tragende Säule des Klassenstaats auf und trachtete allein danach, das Proletariat als ihr Stimmvieh gebrauchen zu können: Würde man auch den Frauen das Wählen zugestehen, so ihr Gedanke, dann führe an einem Wahlsieg kein Weg mehr vorbei - deshalb der so intensive Kampf um das allgemeine Wahlrecht!

Kann es - was damals noch als Illusion nicht so leicht begreifbar schien - heute nach wie vor als Verarschung undurchschaut bleiben?




Die Oberhoheit über den 'Weltfrieden' muß das Prolatariat sich ebenso erst selber erkämpfen, sonst wird es nichts mit dem Verschwinden von Kriegen. Soweit wäre es erstmal eine Binsenweisheit. Die Erklärung imperialistischer Gewalt wird dann freilich auch nicht besser, wenn man darauf hinweist, daß dieselbe Gewalt sich auch gegen die Arbeiterschaft im eigenen Lande wendet.
Die Feststellung von Gewalt erheischt nämlich nicht die Verurteilung von einem alternativen und zugleich fiktiven Gewaltstandpunkt aus, sondern eine Erklärung darüber, welchen Zwecken sich diese Gewalt verdankt - anders ausgedrückt: Sie erheischt eine grundsätzliche Darlegung des bürgerlichen Staates und seiner imperialistischen Ambitionen.
Diese wird schlechterdings nicht geleistet, indem man sie als quasi überflüssig hinstellt, weil, wie man sehe, ja die Arbeiterschaft aufstrebend unterwegs sei und die Brechung der Gewalt quasi automatisch früher oder später auf der Tagesordnung der Geschichte stehe.
Das ist pfäffischer Un- und Irrsinn und Luxemburgs Übergang zum christlich-nationalen Arbeiter kommt an dieser Stelle nicht von ungefähr: Der hält nämlich einen Gegensatz zwischen sich einerseits und Staat & Kapital andererseits von vorneherein für gegenstandslos: Eine richtig verstandene Verbrüderung könne gar nicht umfassend genug ausfallen! Krieg sei auch nicht - und da hat er sogar recht - im Interesse des Kapitals! Ein Argument gegen eine grundsätzliche Neuberechnung staatlicher Kräfteverhältnisse seitens des Klassenstaats ist das freilich nicht, vielmehr ein Appell an ihn dahingehend, diese Neuberechnung nicht auf Kosten seiner Untertanen ausfallen zu lassen. Daß das mitunter aber gar nicht anders geht, hat der deutsche Staat mit der Einsicht seiner Untertanen nur 4 Jahre nach dieser Rede, die die Gegenkräfte im Aufschwung sah, ganz praktisch bewiesen.




Ja, der 1.Mai ist heutzutage ein wahrer Gottesdienst der Lohnarbeit, angeführt vom dicken Funktionärsverein DGB, der keine Götter neben sich kennt. Gott ist vereinigt in der heiligen Dreifaltigkeit: Staat, Kapital und Gewerkschaft. So buchstabiert sich zwar kein Klassenbewußtsein, doch daß dieses nationale Bewußtsein als eines des Proletariats durchgehen kann, mag niemand allzu ärgerlich erscheinen, zumal jenen nicht, die noch immer mit blutroten Fahnen an den Maikundgebungen, auch sogenannten 'revolutionären Maikundgebungen' teilnehmen und sich Perspektiven in die Tasche lügen, die sowas von haarsträubend sind, daß darüber selbst Rosa Luxemburg heutzutage den Kopf schütteln müßte.






Insofern bleibt zu hoffen, hiermit wenigstens etwas zur 'Aufklärung' beigetragen zu haben, einer Aufklärung, die übrigens wirklich nicht an einem speziellen 'Kampftag der Arbeiterklasse' hängt!

(24.04.2010)