Rosa Luxemburg:
Am vorletzten Sonntag hat das klassenbewußte Proletariat
Preußens seinen ersten großen Sieg im gegenwärtigen
Wahlrechtskampfe gefeiert: Das Recht auf die Straße, das Recht
der Massendemonstration ist errungen worden. Es ist nun das erste Gebot
einer echten Kampftaktik, jede Errungenschaft sofort vollauf
auszunutzen, jede dem Gegner abgetrotzte Position des Schlachtfeldes
sofort bis auf den letzten Fußbreit zu besetzen, um so die
Schlachtlinie im ganzen vorwärtszuschieben, den Gegner Schritt
für Schritt zurückzudrängen.
Das Recht auf Straßendemonstration, das wir errungen haben, soll
und muß vollauf ausgenutzt werden als vorzüglichstes Mittel,
die Massen zu sammeln, sie aufzurütteln, sie aufzuklären, sie
mit Kampfesmut zu erfüllen, als vorzüglichstes Mittel, die
Macht der klassenbewußten Arbeiterschaft sichtbar zu entfalten
und den Gegnern vor die Augen zu führen.
Im gegenwärtigen Augenblick ergibt sich von selbst der
nächste Termin für eine abermalige gewaltige
Massendemonstration des einheitlichen revolutionären Willens des
Proletariats: Es ist dies der 1.Mai.
In diesem Jahre fällt zum Glück der leidige Streit um die
Maifeier von selbst weg, jener Streit, der zweifellos dem Maigedanken
in hohem Maße geschadet, die Tatkraft unserer Agitatoren
gelähmt, die Begeisterung der Massen für die Maifeier
abgekühlt hat. Der Streit um die Maifeier als Arbeitsruhe ist
für dieses Jahr erledigt, weil die Maifeier auf einen Sonntag
fällt. Alle überzeugten Freunde der Maifeier könnten
diesen Umstand eigentlich bedauern. Denn die Zeichen, unter denen die
Maifeier in diesem Jahre heranrückt, die allgemeine Erregung der
Geister, die Kampfeslust der Massen, das alles würde zweifellos
gerade die heurige Maifeier zu einer so machtvollen Demonstration auch
in der Form der Arbeitsruhe gestalten, daß der bedauernswerte
Streit um die Maifeier durch die Praxis die glücklichste
Lösung gefunden hätte. Allein, wenn nicht als Arbeitsruhe,
kann die Maifeier in diesem Jahre doch einen ganz ungeahnten Aufschwung
nehmen und die größte Tragweite erhalten – durch die
Form der allgemeinen, einheitlichen Straßendemonstrationen.
Gerade als eine Fortsetzung des im Wahlrechtskampfe errungenen neuen
Kampfmittels der Sozialdemokratie kann und muß die Maifeier aus
der Stagnation der letzten Jahre wieder aufsteigen und ihre innere
werbende und zündende Kraft entfalten. Wann waren in der Tat die
leitenden Gedanken der Maifeier: Achtstundentag, Weltfrieden,
Sozialismus, Arbeitsruhe als Machtmittel des Proletariats –
lebendiger denn heute?
Wir stehen mitten in den schwersten wirtschaftlichen Kämpfen. Die
Gärung im Kohlenrevier ist nur äußerlich für eine
Weile zur Ruhe gekommen, lodert aber unter der Decke weiter. Im
Baugewerbe hat der gewaltige offene Kampf begonnen [Am 15.04.1910
hatten etwa 160.000 Bauarbeiter den Kampf gegen eine Massenaussperrung
im Baugewerbe begonnen, um ihre Forderungen nach Lohnerhöhung,
Arbeitszeitverkürzung etc. durchzusetzen.] und wird seine
Kreise immer weiter ziehen. Die Arbeitslosigkeit, teils als letzter
Schatten der schweren Krise, die wir durchgemacht haben, teils als
direkte Folge der famosen 'Finanzreform' [vom 10.07.1909], verbreitet
in großen
Schichten der Arbeiterschaft grauenhaftes Elend; es genügt zu
erwähnen, daß wir im März annähernd 40.000
arbeitslose Tabakarbeiter hatten. Dazu werden jetzt immer neue
Schichten hinzutreten, die durch den Kampf im Baugewerbe in
Mitleidenschaft gezogen werden. Unter diesen Umständen bekommt
unsere alte Losung, der Achtstundentag, neue lebendige Kraft. Als
sicherstes, radikalstes Mittel zur Beseitigung wenigstens der
ärgsten Mißstände der kapitalistischen Wirtschaft, als
ein wahres Rettungsmittel für die Arbeiterschaft wenigstens aus
dem tiefsten Elend der Überarbeitung wie der Arbeitslosigkeit, der
Hungerlöhne wie der Unsicherheit der Existenz muß der
Gedanke der achtstündigen Arbeit jetzt mit verdoppelter Macht in
den Geistern der breitesten Masse einschlagen.
Die Idee des Achtstundentages hat sich bis jetzt von selbst mit
elementarer Gewalt jeder großen Klassenregung des internationalen
Proletariats zugesellt, ist wie ein leuchtendes Flammenzeichen aus
jeder stürmischen Schlacht zwischen der Arbeit und dem
kapitalistischen Staate aufgelodert. In Belgien war es am 1. Mai 1891,
aus der Maifeier und der Demonstration um den Achtstundentag, daß
der erste große Wahlrechtsmassenstreik seinen Anfang nahm. In
Rußland stand auf der großen 'Charte des
Proletariats', mit der am 22. Januar 1905 die hunderttausend
Petersburger Arbeiter vor das Zarenschloß ausrückten, um die
politische Freiheit zu fordern, obenan die Forderung des
Achtstundentages, und diese Forderung windet sich wie ein roter Faden
durch alle großen und kleinen Schlachten des russischen
Revolutionskampfes.
Bei uns bietet die herannahende Maifeier die Möglichkeit, die
Losung des Achtstundentages dem politischen Kampfe um das Wahlrecht
zuzugesellen, sie innerlich zu verbinden. Als echter großer
Klassenkampf des Proletariats muß der Wahlrechtskampf alles
zusammenfassen und von allem getragen werden, was in die
Lebensinteressen des arbeitenden Volkes eingreift, was in den Herzen
der Volksmassen lebt, was ihre Sehnsucht ausdrückt.
Die
Maifeier hat zuerst den Gedanken der Arbeitsruhe als eines neuen,
modernen Kampfmittels des Proletariats in seinem Vordringen zum
sozialistischen Endziel, als gemeinsame Parole des internationalen
Proletariats ausgegeben. Die Macht der „verschränkten Arme",
die im äußersten Notfall alle Räder für eine Weile
zum Stillstand bringt, um den Widerstand des Klassenstaates gegen die
gerechten Forderungen der Arbeiter zu brechen – dies der
große neue Gedanke, der uns mit der Maifeier vor 20 Jahren
verkündet wurde. [Am 13.04.1890 hatte die Reichstagsfraktion der
Sozialdemokratie in Halle einen Aufruf „An die Arbeiter und
Arbeiterinnen Deutschlands" zum 1. Mai beschlossen. Sie forderte die
Arbeiter zu Arbeitsruhe und disziplinierten Massenversammlungen auf, um
die Provokationspläne der Reaktion zu durchkreuzen.
Anläßlich der ersten Maifeier der internationalen
Arbeiterbewegung legten in Deutschland trotz des Sozialistengesetzes
etwa 200000 Arbeiter die Arbeit nieder.] Dieser Gedanke, prinzipiell
durch die deutsche Sozialdemokratie auf dem Jenaer Parteitage im Jahre
1905 aufgenommen, hat tatsächlich in den letzten Wochen und
Monaten im Sturm und Drang des Wahlrechtskampfes in die Geister breiter
Schichten des kämpfenden Proletariats Einzug gehalten, hat von dem
Bewußtsein der arbeitenden Massen Besitz genommen. Die Maifeier
bekommt dadurch selbst einen neuen, tieferen Sinn für das
preußische und für das deutsche Proletariat. Mit mehr
bewußter Begeisterung als je müssen in diesem Jahre die
Arbeitermassen in Preußen und in Deutschland den befreienden
Gedanken der Maifeier begrüßen, wenngleich er in diesem
Jahre selbst nicht durch Arbeitsruhe gefeiert wird. Wird doch
früher oder später der Augenblick kommen, wo wir auch in
Preußen, in Deutschland, im Kampfe um unsere politischen Rechte
den Gedanken der Maifeier wahr machen, die Macht des kämpfenden
Proletariats durch eine große Arbeitsfeier in entscheidender
Weise in die Waagschale werfen müssen.
Die Maifeier ist zugleich ein Ruf nach Weltfrieden und
Völkerverbrüderung, ein Protest gegen die brutale Gewalt des
Klassenstaates, den Militarismus. Der gegenwärtige Wahlrechtskampf
hat den Massen des Proletariats in Preußen wieder die Bedeutung
dieser brutalen Waffe des herrschenden Staates so recht zum
Bewußtsein gebracht. Der blanke Polizeisäbel und die im
Hinterhalt mit scharfer Munition geladene Kanone waren ja die erste
Antwort der preußischen Reaktion auf die Forderungen der
Arbeiterschaft. Und haben wir es auch durch die unerschütterliche
Kampfposition unsererseits fertiggebracht, daß der rasselnde
Polizeisäbel vorläufig in die Scheide zurückgesteckt
worden ist, so schleppte sich doch noch selbst den vergangenen
Demonstrationen ein Rattenschwanz von Prozessen gegen unsere
Demonstranten und unsere Presse nach, als deren Folge die Kämpfer
um das gleiche Wahlrecht im Gefängnis ihren freventlichen
Widerstand gegen Polizeibrutalitäten noch nachträglich
abbüßen müssen. Die Empörung und der Haß
gegen die Säbelmacht des kapitalistischen Staates als Waffe der
Unterdrückung fremder Völker und als Waffe der Versklavung
gegen den „inneren Feind", die aufstrebende Arbeiterklasse,
müssen in diesem Jahre bei der Maifeier einen lauteren,
kräftigeren Ausdruck finden als je zuvor.
Der Same des Sozialismus, des Klassenkampfes, trägt
tausendfältige Frucht, seine Körner werden durch alle Winde
hinausgestreut, und auch auf dem härtesten, unbeackerten Boden
keimt schon die erste grüne Saat. Die 'christlich-nationalen
Arbeiter', die evangelischen Vereine haben die Idee der Maifeier in
ihrer Weise übernommen: Sie schlagen vor, am 1.Mai eine
internationale Kundgebung der Proletarier für den Weltfrieden in
Gestalt von Straßenumzügen mit Gesang und gleichzeitigem
Gottesdienst in verschiedenen Ländern, zunächst in
Deutschland und in England, zu veranstalten. Mit Stolz und mit Freude
begrüßen wir diese Zeichen der Zeit: Es ist unser Werk, es
ist der Siegeszug unserer Ideen, was hier zunächst im schiefen
Spiegel der „christlich-nationalen" Weltanschauung erscheint. Und
sicher ist es auch ein Echo der allgemeinen Hebung der Kampfstimmung,
des Idealismus in den Massen des Proletariats, die wir durch unseren
Wahlrechtskampf, durch unsere Massendemonstrationen ausgelöst
haben.
Um so freudiger, um so energischer muß in diesem Jahre unser
Banner am 1. Mai erhoben werden, das Banner des Sozialismus, und unser
'Gottesdienst' für den Weltfrieden, die Demonstration des
proletarischen Klassenbewußtseins.
Bis jetzt haben wir die durch Arbeiterbataillone errungene
Demonstrationsfreiheit mit den bürgerlichen Demokraten geteilt. Am
vorletzten Sonntag erschienen auch diese spärlichen Vertreter der
bürgerlichen Wahlrechtsfreunde an unserer Seite. Bei der Maifeier
wird der Wahlrechtskampf als proletarische Klassenaktion noch reiner
zum Ausdruck kommen. Da werden wir ohne die bürgerlichen
Demokraten demonstrieren. Aber da werden neben uns andere,
mächtigere und natürlichere Bundesgenossen Schulter an
Schulter demonstrieren: die Proletarier ganz Deutschlands und das
internationale sozialistische Proletariat. So wird erst unser
preußischer Wahlrechtskampf auch nach außen hin seinen
richtigen Rahmen erhalten als ein Abschnitt und eine Etappe des
großen internationalen Vormarsches der Arbeiterklasse zum
sozialistischen Endziel.
Ein gewaltiges Stück Aufklärung kann also in diesem Jahre
durch die Maifeier geleistet werden. Die Agitation für eine
machtvolle Massendemonstration am 1.Mai muß unverzüglich
einsetzen und mit Anspannung aller Kraft geführt werden.
Der parlamentarische Abschnitt in der Geschichte der Wahlreform ist zu
Ende. Jetzt beginnt die Auseinandersetzung des Proletariats mit der
Reaktion von Angesicht zu Angesicht. Die Maifeier ist unsere nächste Kundgebung im Wahlrechtskampfe.
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Anmerkungen:
Damals glaubte man allen Ernstes, die Abgabe seiner Stimme bei
Wahlen wäre ein Mittel des Proletariats, seine Interesssen zu
befördern. Dieser fatale Irrtum kam vor allem dadurch zustande,
daß die bessere Hälfte der Menschheit vom Wählen
ausgeschlossen war. Mittlerweile kann auch die letzte
einigermaßen klassenbewußte Frau kapiert haben, daß
Wahlen Kokolores sind, Mittel des Staates seine Untertanen ruhig zu
halten bzw. zu stellen, Mittel, seine Macht zu legitimieren.
Aus welchem Grund hat der Staat dieses Recht eingeräumt? Doch
offenbar deshalb, weil er gemerkt hat, daß es besser ist, wenn
kontrolliert Dampf abgelassen wird, als wenn sich zuviel anstaut.
Mittlerweile sind ja Demonstrationen zu einem reinen Aufmarsch der
Staatsgewalt mutiert. So haben sie sich als die nächste Illusion
klassenbewußten Proletariats erwiesen.
Zum Glück? Denkt Luxemburg etwa daran, daß man seine
Interessen ohne das einzig wirksame Druckmittel, den Streik, besser
durchsetzen könne? Nicht wirklich: Sie denkt an die Voraussetzung,
die sie ansonsten immerzu als schon vorhanden unterstellt: Das de facto
nicht vorhandene Klassenbewußtsein einer auch geistig
verwahrlosten Arbeiterklasse.
Wie denn ohne dieses Klassenbewußtsein ausgerechnet am 1.Mai
einen Aufschwung nehmen sollte, wo doch ein bißchen mehr gefragt
ist, als ein - ziemlich ohnmächtiges - Gefühl der
Empörung, darüber läßt Luxemburg ihre Leser ziemlich im
unklaren.
Die damals schon konstatierte Stagnation dauert bis heute an. Wäre
es nicht einmal Zeit, die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen,
daß die 1.Mai-Demonstranten und -Veranstalter Agitation mit
ziemlich bis völlig falschen Argumenten betreiben???
Für einen 8-Stunden-Tag ließe sich auch heute wieder
kämpfen, doch das Lohnsystem steht dadurch doch keineswegs zur
Debatte ...
Also auch nach 100 Jahren hat sich an den "schwersten wirtschaftlichen
Kämpfen" nichts geändert: Doch wäre es hier nicht
angebracht zu unterscheiden zwischen den Kämpfen einer
kapitalistischen Nation und denen des Proletariats, anstatt diesen
Gegensatz in dieser Frase zu verschleiern, um ihn dann nur halbseiden
aufzulösen, nämlich in eine angebliche inadäquate
Politik des Klassenstaates selber? Was sollte denn ein solcher Staat
sonst auch tun, als den Interessen seiner ökonomischen Subjekte,
des Kapitals, wieder auf die Sprünge zu helfen?
Ja, es gab auch mal zwischendurch die Erkenntnis, daß es kein
richtiges Leben im falschen gibt - allerdings war die offenkundig nicht
eine Rosa Luxemburgs.
Was bei der "breitesten Masse" einschlägt, könnte einer
Kommunistin zwar egal sein, aber offenbar möchte sie ihre
Überlegungen an das fehlende Klassenbewußtsein anpassen: Ein
fataler, ja gerade konterrevolutionärer Fehler: Als ob man so eine
Revolution hinkriegen könnte!
Die angeführten Beispiele zeigen ja auch die Fehlschläge
klassenkämpferischen Bemühens. Wäre es da nicht
angebracht über deren Gründe nachzudenken, anstatt sich
immerzu in die Tasche zu lügen, die Revolution wäre bereits
schwer unterwegs und im Grunde nicht mehr aufzuhalten?
Es gab auch mal so zwischendurch die Parole: "Versuchen wir das
Unmögliche!" Das wäre, wenn man schon mal methodisch denken
möchte, ein geeigneter Ansatz den Übergang zu den politischen
Inhalten zu machen. Umgekehrt, umgekehrt: Wenn man von den politischen
Inhalten dahingehend abrückt und eruiert, inwieweit sie
überhaupt möglich werden könnten, dann ist man dabei, die eigenen
Interessen (schrittweise) zur Disposition zu stellen!
Der 1.Mai als Feiertag hat dem Kapitalismus nicht geschadet. Wie
sollte er auch? Erst neulich wurde hier in Augsburg anläßlich
unserer Diskussionsveranstaltung zum 'bedingungslosen Grundeinkommen'
von einem Diskutanten der Gedanke aufgebracht, dies würde - ihm zumindest
- mehr Freiraum schaffen für seine kommunistische Betätigung:
Der Witz dabei ist, daß dieses 'Grundeinkommen' heute ebenso wie
der 1.Mai damals - würde es eingeführt - gar nicht als
solches Mittel gedacht ist, sondern genau gegenteilig: Zur
Ruhigstellung des Proletariats von oben aus gedacht und von
Seiten des klassenunbewußten Proletariats selber aus gedacht zum
Beweis dafür, daß Klassenkampf gar nicht nötig sei,
weil man im Kapitalismus, wenn schon nicht gescheit leben, man
zumindest überleben könne.
Hirnrisse halten sich- in kaum abgewandelter Form - meist länger als wünschenswert...
Daß die Sozialdemokratie die Arbeiter von der Durchsetzung ihrer
Interessen abhalten möchte, ist, wie man sieht, überhaupt
nichts Neues. Sie spielte sich schon damals als tragende Säule des
Klassenstaats auf und trachtete allein danach, das Proletariat als ihr
Stimmvieh gebrauchen zu können: Würde man auch den Frauen das
Wählen zugestehen, so ihr Gedanke, dann führe an einem
Wahlsieg kein Weg mehr vorbei - deshalb der so intensive Kampf um das
allgemeine Wahlrecht!
Kann es - was damals noch als Illusion nicht so leicht begreifbar
schien - heute nach wie vor als Verarschung undurchschaut bleiben?
Die Oberhoheit über den 'Weltfrieden' muß das Prolatariat sich
ebenso erst selber erkämpfen, sonst wird es nichts mit dem
Verschwinden von Kriegen. Soweit wäre es erstmal eine
Binsenweisheit. Die Erklärung imperialistischer Gewalt wird dann
freilich auch nicht besser, wenn man darauf hinweist, daß
dieselbe Gewalt sich auch gegen die Arbeiterschaft im eigenen Lande
wendet.
Die Feststellung von Gewalt erheischt nämlich nicht die
Verurteilung von einem alternativen und zugleich fiktiven
Gewaltstandpunkt aus, sondern eine Erklärung darüber, welchen
Zwecken sich diese Gewalt verdankt - anders ausgedrückt: Sie
erheischt eine grundsätzliche Darlegung des bürgerlichen
Staates und seiner imperialistischen Ambitionen.
Diese wird schlechterdings nicht geleistet, indem man sie als quasi
überflüssig hinstellt, weil, wie man sehe, ja die
Arbeiterschaft aufstrebend unterwegs sei und die Brechung der Gewalt
quasi automatisch früher oder später auf der Tagesordnung der
Geschichte stehe.
Das ist pfäffischer Un- und Irrsinn und Luxemburgs Übergang
zum christlich-nationalen Arbeiter kommt an dieser Stelle nicht von
ungefähr: Der hält nämlich einen Gegensatz zwischen sich
einerseits und Staat & Kapital andererseits von vorneherein
für gegenstandslos: Eine richtig verstandene Verbrüderung
könne gar nicht umfassend genug ausfallen! Krieg sei auch nicht -
und da hat er sogar recht - im Interesse des Kapitals! Ein Argument
gegen eine grundsätzliche Neuberechnung staatlicher
Kräfteverhältnisse seitens des Klassenstaats ist das freilich
nicht, vielmehr ein Appell an ihn dahingehend, diese Neuberechnung
nicht auf Kosten seiner Untertanen ausfallen zu lassen. Daß das
mitunter aber gar nicht anders geht, hat der deutsche Staat mit der
Einsicht seiner Untertanen nur 4 Jahre nach dieser Rede, die die
Gegenkräfte im Aufschwung sah, ganz praktisch bewiesen.
Ja, der 1.Mai ist heutzutage ein wahrer Gottesdienst der Lohnarbeit,
angeführt vom dicken Funktionärsverein DGB, der keine
Götter neben sich kennt. Gott ist vereinigt in der heiligen
Dreifaltigkeit: Staat, Kapital und Gewerkschaft. So buchstabiert sich
zwar kein Klassenbewußtsein, doch daß dieses nationale
Bewußtsein als eines des Proletariats durchgehen kann, mag
niemand allzu ärgerlich erscheinen, zumal jenen nicht,
die noch immer mit blutroten Fahnen an den Maikundgebungen, auch
sogenannten 'revolutionären Maikundgebungen' teilnehmen und sich
Perspektiven
in die Tasche lügen, die sowas von haarsträubend sind, daß
darüber selbst Rosa Luxemburg heutzutage den Kopf schütteln
müßte.
Insofern bleibt zu hoffen, hiermit wenigstens etwas zur 'Aufklärung' beigetragen zu haben, einer Aufklärung, die
übrigens wirklich nicht an einem speziellen 'Kampftag der Arbeiterklasse'
hängt!
(24.04.2010)
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