Die Linkspartei – für die Drecksarbeit in der kapitalistischen Nation sich zu schade? Niemals, ganz im Gegenteil!

Nach der letzten verlorenen Wahl im Westen, in Nordrhein-Westfalen, wußte es ein Kommunalabgeordneter der Linkspartei im Osten gleich ganz genau: Die Partei wäre zu wenig volksnah gewesen, habe sich nicht um die unmittelbaren Probleme der Leute gekümmert, wie es seine Partei vor Ort geradezu vorbildlich tue und die deshalb quasi automatisch auch Erfolg beim Wahlvolk habe.
Die Bartsch-Fraktion brachte den erpresserischen Charakter dieses unumstößlichen Standpunkts dann auch gleich auf den Punkt: "Es wird keine Spaltung geben, weil die enttäuschten Westlinken keine Alternativen haben." (taz, 19.05.12)

Diese Äußerungen sind sehr aufschlußreich über die politische Sicht, ihre politische Illusion über die existierenden Verhältnisse, sowohl im Osten wie im Westen der Republik. Denn es ist ja richtig, daß genau dies der springende Punkt der Partei ist: Den wissen gerade die Westlinken auch so zu schätzen: Es ist die Volknähe! Hoch lebe das so erhobene Volk!*


Es geht der Partei offensichtlich um das Zurechtkommen in und mit den kapitalistischen Verhältnissen, die einem der Staat einbrockt. Der Staat steht nicht für diese Verhältnisse, sondern habe seine Aufgabe darin, für das Volk da zu sein, den Bedrängten und Hilfesuchenden eine Stütze zu sein, auf daß sie die bleiben können, die sie sind, eine brave, angepaßte, ja gern verdummte Untertanenschaft, wenn, ja wenn sie bloß den Eindruck bekommen könnten, daß sich jemand um sie kümmert, ihre alltäglichen und allzutäglichen Sorgen politisch ernst nimmt und auch – wenn auch noch so bescheidene – Besserungsversuche ihrer Lage unternimmt. Da soll man ja dann auch die Bemühungen über deren Resultate stellen!

Diese Haltung läßt also auf einen affirmativen Standpunkt zum Staat als solchem schließen. Dabei war es noch nicht einmal in der DDR so, daß der Staat nicht unabhängig von seiner Untertanenschaft politische Entscheidungen gefällt hat. Nicht zuletzt daran, daß er das Volk immer wieder mit ins Boot zu holen versuchte, machte den Gegensatz zwischen Staatsinteresse und Untertanenschaft deutlich, einer Untertanenschaft, die für das Staatsinteresse in die Pflicht genommen werden sollte und auch wurde. Ein wirklich brauchbares Volk ist so herangezogen worden, brauchbar auch für das neue nachkommende Herrschaftsverhältnis, für das es mittlerweile sogar höchste Führerfiguren stellen kann und darf und soll.

Kommt von der Linkspartei eine Kritik an diesem irren Opportunismus? Wenigstens im Parteiprogramm, wenn schon nicht in der Tagespolitik?

Das Parteiprogramm aufgeschlagen, beginnt es gleich mit einem diesbezüglichen Dementi!
Und wie: »Woher wir kommen, wer wir sind«  
beginnt das erste Kapitel. Als wäre das nicht das Allernebensächlichste, wenn es um die Sache, um die politischen und ökonomischen Verhältnisse geht. Unter dem Wir ist schlicht & einfach der nationale Standpunkt subsumiert, der von guten, ja allzu guten Deutschen aus Ost und West. Schon diese nationale Unterscheidung von allen anderen, die keinen deutschen Paß in der Tasche haben, ist also offensichtlich das Wichtigste, was diese Partei bewegt.
Dabei ist es noch nicht einmal so, daß dieser Standpunkt unkritisch daherkommt. Bloß wie: "
Es ist deutlich geworden: Ein Sozialismusversuch, der nicht von der großen Mehrheit des Volkes demokratisch gestaltet, sondern von einer Staats- und Parteiführung autoritär gesteuert wird, muß früher oder später scheitern. Ohne Demokratie kein Sozialismus." (S.12)
Es wird also nichts anderes vermißt, als ein (genügend) opportunistischer Standpunkt in Bezug auf das Volk. Unterstellt dabei ist, daß des Volkes Meinung per se in Ordnung geht. Schließlich ist das Volk gut und alles was sich aus ihm speist geht in Ordnung, so geht eine Volksherrschaft (Demokratie) natürlich in Ordnung, wenn sie ihrer Berufung aufs Volk gerecht wird. Wenn dem nicht so ist – und ein Volksaufstand zeigt das allemal –, dann ist die Herrschaft eine unrechtmäßige, keine wirklich demokratische. Sie gehört deshalb verbessert oder ganz ersetzt. Umgekehrt sieht man am Erfolg der Demokratie der deutschen Westrepublik dessen Güte: "Der Bruch mit dem Stalinismus betrifft nicht nur den Osten, sondern hat auch für den Westen hohe Bedeutung. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung sind unverzichtbar." (S.12)
So einfach verbietet sich die Partei jede Frage, was es denn mit jenen Gütesiegeln wirklich auf sich hat. Was der Inhalt ist, der mit ihnen transportiert, durchgesetzt wird.

Das Gute wollen und das Schlechte mißbilligen, das ist die Richtschnur der Beurteilung, die eines »gesunden Menschenverstandes«** der politischen Verhältnisse in deutschen Landen und darüber hinaus. Da wird man fündig. Auch in der DDR war bekanntlich nicht alles schlecht und in der BRD ist seit Hartz IV längst nicht mehr alles gut. Einfach die herrschenden moralischen Maßstäbe mal auf ihre Gültigkeit zu hinterfragen, das ergibt die Sorte Kritik, mit der DIE LINKE vorstellig wird. Blöd dabei ist nur, daß sie
selber mit der mittlerweile einsetzenden Selbstzerfleischung ihren moralischen Ansprüchen einen sehr unglücklichen Eindruck beim so sehr verehrten Volk verpaßt.

Das nationale Programm einer kapitalistischen Gesellschaft widerspruchsfrei und moralisch haltbar zu machen, das ist das wahnwitzige Ansinnen dieser Partei, einer Partei, die an nichts mehr leidet als an Ein- und Widersprüchen gegen sie und ihren sich selbst auferlegten nationalen Anspruch. Die Charaktermasken dieser Partei, egal ob vom linken oder vom rechten Flügel, laufen ständig als (ob ihres politischen Mißerfolgs) seelisch schwer Verletzte herum und 
erheischen geradezu so Mitleid. Ein Schulterschluß mit den ganz anders malträtierten Volksteilen liegt vor, wenn diese ihr Leiden in das Leiden der Partei an sich und ihrer Nation, von der sie sich nicht zu trennen weiß, übersetzen.
Insofern, da hat die Linkspartei recht, ist sie prinzipiell die Psychopartei für alle deutschen Psychos. Zumal eben für die, die sich über die kapitalistischen Zustände aufregen, die so gar nicht zu ihrer idealisierten Nation, einem sozialen (Gesamt-)Deutschland passen wollen.

Es ist traurig genug zu sehen, daß selbst solche Leute auf die Parteimasche hereinfallen wie z.B. die von der Sozialistischen Alternative (SAV). So aber erniedrigen sich diese Trotzkisten – analog allen ML-Ideologen – selber zum moralischen Bekenntnisverein. Nein, der Vorwurf des Verrats am Vaterland trifft selbst diese »Kommunisten« nicht.

Wer es jetzt anläßlich des Verfalls der Linkspartei endlich wissen will, dem sei der Artikel zum Thema Volk in der  GegenStandpunkt-Ausgabe 1-2006 empfohlen, der noch über den Verlag erhältlich ist. Inhalt:
Das Volk –  eine furchtbare Abstraktion
Produkt und Basis von Herrschaft
Der Ruf nach guten Herren
Demokratie & Marktwirtschaft
– Exkurs zur »kommunistischen« »Volksdemokratie« und den linken »Volksbefreiungsbewegungen«
Anmerkung zur faschistischen Apotheose der Volksgemeinschaft
– Erinnerung an die Verfallsgeschichte einer seltsamen Protestparole: »Wir sind das Volk!«
Nationale Identität im Zeitalter der »Globalisierung«
• Volk heute: Eine furchterregende Abstraktion in Reinkultur

16.06.12

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 [Diesen Standpunkt hat übrigens auch KoKa-Augsburg zu spüren bekommen, das (im Gegensatz zu vielen anderen Organisationen, die keineswegs auf KoKa-Linie liegen) trotz wiederholter Anfragen gegenüber persönlich bekannten Mandatsträgern nicht in den örtlichen Presseverteiler der Partei aufgenommen worden ist: Der Bedienung eines opportunistischen Standpunkts, der darin gipfelt, nichts von dem, was vom Volk verlautet – moralisch betrachtet also nur gut sein kann –, kritisieren zu wollen, einer Bedienung solchen Standpunkts nicht nachzukommen, ist betreffenden Artikeln auf der KoKa-Website glücklicherweise entnommen worden. Wenn auch leider abschlägig beschieden. (Dahingegen wurden die Stalinisten von der MLPD und die etwas vom Stalinismus abgerückte DKP, allesamt Volkstreue, sogar auf der Augsburger Linken-Homepage verlinkt!)]
** Es versteht sich, daß dieser einer wissenschaftlichen Analyse wie sie Marx im Kapital vorgelegt hat, vollkommen abhold ist und abhold sein muß. Das ganze Programm ist ein einziger Affront gegen Marx' Kritik der politischen Ökonomie. Wer dazu Verständnisfragen hat, inwiefern: koka@koka-augsburg.com