Lilly Prem

Untertan sein dem kapitalistischen System, ödet sie schon früh an

Am 02.11.1897 wurde Lilly Prem als Elisabeth Krause in Augsburg geboren, Bertolt Brecht am 10.02.1898. Doch Lilly Prem, die, mit kaum 20 Jahren, einen Georg Prem (geb. 1892 in Amberg, dann ab 1904 Gymnasiast in Augsburg und Buchhändlerlehre) ehelichte, war ihrem heute berühmten Altersgenossen um einiges voraus. Aber nicht deshalb, weil sie etwa als Hausfrau ihr Dasein zu fristen gedachte, immerhin legte sie als einzige Frau im damaligen Deutschen Reich die Gesellenprüfung im Bürstenmacher-Handwerk ab. Georg Prem, wegen politischen Delikten mehrmals in U-Haft, fand seinen Gefallen an der selbstbewußten jungen Frau, die zudem als hübsch beschrieben wurde. Ob schon gegen Ende des Weltkriegs, auf alle Fälle kurz danach schlossen sie sich den Spartakisten an. Zusammen saßen sie schon bald im Arbeiter- und Soldatenrat Augsburgs und waren diesem wegweisend.
Schon am 04.01.19 leitete sie eine Versammlung, auf der der neue sozialistische Ministerpräsident Bayerns, Kurt Eisner, als Wahlredner der USPD auftrat. Im Fortgang der Revolution forderte eine »Entschließung Prem«, so berichtet die Schwäbische Volkszeitung am 04.04.1919, vom Zentralrat in München die Ausrufung der Räterepublik in Bayern: "Das Abstimmunsgergebnis löste stürmischen Beifall aus. ... Nach der Wahl der einzelnen Fabrikvertrauensmänner, die mit dem Arbeiter- und Soldatenrat über die Durchführung von Streiks zu verhandeln hatten, war die denkwürdige Veranstaltung gegen 12 Uhr zu Ende geführt mit einem begeisterten Hoch auf die Revolution und den Sozialismus." Und so kam es, die Münchner Genossen riefen zwei Tage darauf die Räterepublik aus. Und Lilly Prem war ebenso begeistert wie darob geradezu zu euforisch. Außerdem schlägt die staatsaffirmatorische Haltung der damaligen Sozialdemokratie in ihrer Rede durch. Nein, es reicht eben nicht, etwas zu proklamieren, was in den Köpfen erst durchgesetzt werden muß. Völlig kontrarevolutionär ist es, das Proletariat in dem Glauben an einen, wenn auch sympathischeren Staat zu belassen. In der Schwäbischen Volkszeitung vom 09.04.19 richtete sie einen flammenden Appell an die Frauen Augsburgs. Dazu gehörte zweifellos jede Menge Mut:

Frauen Augsburgs! Bürgerinnen der freien Räterepublik!

Die Würfel sind gefallen. Unser geliebtes Bayernland ist freie Räterepublik geworden und nach langer, dunkler Nacht erscheint die ersehnte Morgenröte einer neuen Zeit. Genossinnen, Schwestern! Reichen wir uns die Hände zu einem freudigen Zusammenarbeiten, verwandeln wir den alten Parteihader zu einem bewußten Klassenkampf. Noch glaubt die Bourgeoisie ihr Spiel nicht verloren, noch arbeitet die Reaktion im Verborgenen. Nörglern und Zweiflern gebt kein Gehör, glaubt nicht jenen, die da gegen die Räterepublik hetzen, es sind bezahlte Elemente des Kapitalismus.
Frauen des Proletariats! Wollen wir wieder unter die Geißel des Kapitalismus kommen, sollen unsere Kinder Sklaven desselben werden? Niemals! Deshalb habt Vertrauen zu den jetzigen Führern, die unser Bestes wollen, die bereit sind, ihr Leben für unser Wohl einzusetzen.
Schon haben wir Frauen im Arbeiterrat mit Sitz und Stimme, die unsere Interessen vertreten können. Gebt Anregungen für das Volkswohl und arbeitet fleißig mit an dem wirtschaftlichen Aufbau unserer Heimat.
Arzt und Apotheke sowie Bäder werden für Minderbemittelte frei sein. Bald wird mehr folgen! Habt Geduld und harrt noch eine kleine Weile aus, wie ihr viereinhalb Jahre ausgeharrt habt. Bedenkt, das Glück unserer Kinder steht auf dem Spiele! Wir wollen freie Menschen sein und bleiben. Also schließt die Reihen und laßt uns geschlossen an der Seite unserer Männer für die heilige Sache kämpfen. Seid einig und treu!
Im Namen der revolutionären Frauen Augsburgs:
Lilly Prem

Lilly Prem, wohnhaft in der Jakoberstraße, kannte Brecht schon länger, mindestens ab 1915, jedenfalls schrieb er ihr damals ein kurzes unverfänglich-unpolitisches Gedichtlein ins Poesiealbum: »Kalt oder heiß – Nur nit lau! – Schwarz oder weiß - nur nit grau!« Wie Brechtforscher Jürgen Hillesheim aufgrund eines Briefes ihrerseits an Brecht herausfinden konnte (siehe AZ vom 17.06.2011), gab es immer mal wieder einen Austausch zwischen ihr bzw. den Prems und Brecht und es liegt nicht fern, daß sie ihn von der politischen Notwendigkeit einer Parteiergreifung für die Sache des Proletariats zu überzeugen suchten. Dagegen bestand Brecht darauf, ein »unabhängiger Unabhängiger« zu sein. So unausgreift in seiner politischen Haltung wie er war, lag ihm dieser staatsbürgerliche Gemeinplatz allenthalben näher. Welcher national gesonnene Untertan besteht denn nicht zur Rechtfertigung und Verharmlosung seiner Parteilichkeit darauf, völlig unabhängig in seiner Meinung zu sein?

Nach Niederschlagung des Aufstands versuchte Brecht, Georg Prem in seiner Mansardenwohnung zu verstecken. Der wurde dann aber nichtsdestotrotz verhaftet. Nach seiner zweijährigen Haft wegen Hochverrats, folgte er Lilly, die in die Schweiz geflohen war. Laut Hillesheim: "Das Ehepaar trennte sich in den frühen 20er Jahren [genauer: Nov. 1923], Lilly fokussierte ihren Lebensmittelpunkt immer mehr nach Italien, wohin sie bald endgültig zog. In Rom machte sie ihr Abitur nach und nahm ein Studium der Sinologie auf, das sie 1936 mit Promotion abschloß. Sie starb 1965 und ist in Augsburg beigesetzt." (AZ, ebenda)

Brecht hat die einzigartige Souveränität Lilly Prems in der »Ballade von der Höllenlilli« verewigt:

1
Wenn ich in der Hölle brenne
Wer sich davon was verspricht —
Ob nun 'ne besoffne Henne
Mehr verbrannt wird oder nicht —
Kurz und schlicht:
Schließlich ist das doch erst morgen
Morgen, das sind keine Sorgen
Morgen interessiert mich nicht
(Und mit morgen könnt ihr mich!)
Ein Rat für morgen ist kein Rat
Jeder bereut morgen, was er heut tat
Jeder verreckt daran früh oder spat
Doch um wen ist's schon schad?
(Und mit morgen könnt ihr mich!)

2
Aber solltet ihr doch meinen
Daß ihr zuviel für mich tut
Ja, es könnte nur so scheinen
Und mir geht's gar nicht so gut —
Kurz und schlicht:
Macht euch da nur keine Sorgen
Glaubt mir: ihr besorgt mir's morgen
Nur: das interessiert mich nicht
(Denn mit morgen könnt ihr mich!)
Ein Rat für morgen ist kein Rat
Jeder bereut morgen, was er heut tat
Jeder verreckt daran früh oder spat
Doch um wen ist's schon schad?
(Und mit morgen könnt ihr mich!)

3
Wenn ich meine Spesen nenne
Vor dem ewigen Gericht
Fragt sich's, ob ich dann noch brenne
Vielleicht brenne ich auch nicht —
Kurz und schlicht:
Wie gesagt, das ist erst morgen
Morgen, das sind keine Sorgen
Morgen interessiert mich nicht
(Und mit morgen könnt ihr mich!)
Ein Rat für morgen ist kein Rat
Jeder bereut morgen, was er heut tat
Jeder verreckt daran früh oder spat
Doch um wen ist's schon schad?
(Und mit morgen könnt ihr mich!)



Es scheint fast so, als hätte sich die kurzlebige Räterepublik allein ihr und ihrem Wunsch zu verdanken, das heute zu machen, was man einfach nicht auf morgen verschieben kann! Da hat sie nun wirklich so eetwas von recht: Denn wie lange will man den untragbaren kapitalistischen Verhältnissen noch unwidersprochen zuschauen und sich verarschen lassen?

(08.03.2012)