DIE OFFENSIVE DES KAPITALS IN DER NAHRUNGSMITTELBRANCHE unter dem Vorwand der Hungerbekämpfung


"Lange Zeit wurde er von Geldgebern und Unternehmen schlichtweg ignoriert, doch nun steht der schwarze Kontinent immer mehr im Fokus. Nicht nur Rohstoffkonzerne, sondern auch internationale Agrarunternehmen wittern gute Geschäfte. Immerhin liegen 60 Prozent der weltweit noch nicht erschlossenen Ackerflächen in Afrika. Grund genug für den Schweizer Konzern Syngenta, kräftig zu investieren. 500 Millionen Dollar, umgerechnet 380 Millionen Euro, will der Chemie- und Saatguthersteller in den nächsten zehn Jahren für sein Engagement in Afrika ausgeben. Ziel sei es, den Umsatz in zehn Jahren auf eine Milliarde Dollar auszubauen, teilte die Firma am Freitag in Basel mit. Afrika sei eine »strategische Wachstumsregion« und könne nach Einschätzung des Unternehmens in Zukunft nicht nur seine eigene wachsende Bevölkerung ernähren, sondern auch ein bedeutender Exporteur von Nahrungsmitteln werden.
Syngenta verspricht Produktivitätssteigerungen von 50 Prozent, vor allem für die Länder südlich der Sahara. Dafür sollen unter anderem 700 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Vertriebsnetze, Logistik und Produktionsanlagen will der Konzern zusammen mit lokalen Produzenten und Großbetrieben aufbauen. Insgesamt fünf Millionen Kleinbauern sollen eingebunden werden. »Wir stellen Landwirten das Wissen, die Werkzeuge, die Technologien und Dienstleistungen bereit, welche sie unabhängig von Anbaufläche oder -system benötigen«, heißt es bei Syngenta.
Die Schweizer sind nicht die einzigen, die ihre Geschäfte in Afrika verstärken. Auch BASF und andere Unternehmen rüsten kräftig auf. Der deutsche Konzern mit Sitz in Ludwigshafen erzielte im vergangenen Jahr in Afrika bereits einen Umsatz von einer Milliarde Euro. Der soll sich nach den Vorstellungen des Vorstands bis 2020 sogar verdoppeln. Bis 2015 sollen mehrere Millionen Euro nach Ägypten, Algerien, Kenia, Libyen, Marokko, Sambia, Tunesien und Südafrika fließen. Hilfsorganisationen und Umweltschützer beobachten das Engagement der Großkonzerne allerdings mit Skepsis. Sie befürchten eine Industrialisierung der afrikanischen Landwirtschaft nach europäischem und amerikanischem Vorbild, in der es langfristig keinen Platz und kein Auskommen mehr gibt für Millionen von Kleinbauern in Afrika." (SZ, 19.05.12)

"Seit ein paar Jahren ist Land Grabbing ein viel diskutierter Begriff. Regierungen, Unternehmen und Investmentfonds pumpen massiv Kapital in die Jahrzehnte lang vernachlässigte Landwirtschaft des globalen Südens. Über die Folgen herrscht Uneinigkeit. Während die Einen von positiven Wachstumsimpulsen sprechen, verdammen die Anderen Land Grabbing als Neo-Kolonialismus.
Der italienische Journalist Stefano Liberti hat sich für sein nun auf Deutsch erschienenes Buch Landraub [1] auf die Reise gemacht, um weltweit Protagonist_innen und Betroffene zu interviewen. Er läßt verschiedene Seiten zu Wort kommen, bezieht aber klar Position gegen das Land Grabbing. Wobei es niemand der im Buch vorkommenden Profiteur_innen des Landraubs ausdrücklich gutheißt, wenn Menschen ihre Lebensgrundlage verlieren. Auffällig ist, daß die Befürworter_innen der Landgeschäfte stets eine Win-Win-Situation beschwören, die keine Verlierer_innen zuläßt, während an einzeln vorkommenden Verfehlungen immer die anderen Schuld zu sein scheinen. Eine derartige Retorik begegnet dem Autor etwa in Saudi Arabien. Die Vertreter_innen zahlreicher Staaten unterbieten sich auf einer internationalen Konferenz gegenseitig, um saudische Investitionen anzulocken, durch die das Königreich die Ernährungssicherheit der eigenen Bevölkerung sicherstellen will. Daß es bei der weltweiten Jagd nach Land mit dem kleinbäuerlichen Sektor aber sehr wohl einen eindeutigen Verlierer gibt, zeigt der Autor eindrücklich auf. Beispielsweise in Äthiopien, wo die Regierung Land zu symbolischen Preisen für Jahrzehnte an Exportunternehmen verpachtet. In Tansania trifft Liberti auf Dorfgemeinschaften, die dreist über den Tisch gezogen wurden, damit Unternehmen auf deren Land Energiepflanzen anbauen können. Auch in Brasilien sind die Perspektiven trotz der vergleichsweise starken Landlosenbewegung MST ernüchternd. Die Produktion von Soja und Zuckerrohr scheint schier unaufhaltsam Ackerland zu fressen. Will man dem brasilianischen Ex-Landwirtschaftsminister Roberto Rodrigues glauben schenken, ist dies erst der Anfang. Er sieht
die Zukunft des globalen Südens schlicht in der Produktion von Energiepflanzen. Denn der Süden sei »reich an Anbauflächen, Sonne und Arbeitskräften, aber ohne Eigenkapital«. Letzteres soll der Norden beisteuern. Bei einer derartigen Argumentation liegt es nahe von einem neuen Kolonialismus zu sprechen, den der deutsche Verlag im Untertitel des Buches ankündigt. Doch Liberti selbst sieht das differenzierter. Die heute unabhängigen Regierungen der betroffenen Länder, »die die Ressourcen für eine handvoll Dollar verhökern«, seien »die Hauptverantwortlichen für diesen ungezügelten Ausverkauf von Anbauflächen«. ..."
(Lateinamerika-Nachrichten, 05-2012, mit freundlicher Genehmigung für KoKa)

"Die Afram-Ebene im Osten Ghanas ist eine der ärmsten Regionen des Landes. Große Teile davon liegen seit dem Bau des Volta-Staudamms unter Wasser; der Rest der »Afram Plains« ist schlecht erschlossen und leidet unter einem Wechsel von Überschwemmungen und Dürre. Jetzt sind die »Afram Plains« Nutznießer eines neuen Programms zur Förderung der Ernährungssicherheit in Afrika, das auf dem G-8-Gipfeltreffen am Wochenende in den USA beschlossen wurde.
Drei Milliarden Dollar feste Investitionszusagen gebe es bereits für die »New Alliance for Food und Nutrition Security«, verkündete G-8-Gastgeber Barack Obama. Mindestens 600 Millionen davon sollen nach Ghana fließen, gab Agrarminister Kwesi Ahwoi jetzt bekannt. Vier Regionen würden etwas abbekommen, darunter die Afram Plains.

Das, so Ahwoi, sei ein wichtiger Schritt zur Finanzierung des ghanaischen landwirtschaftlichen Fünfjahresplans – ein auf 1,5 Milliarden Dollar angelegtes Programm, zu dem auch die Weltbank beiträgt. Es geht um strategische Investitionen in Agrarsektoren, die Arbeitsplätze schaffen und zur Grundversorgung der Bevölkerung beitragen. Ghana, neuerdings Ölförderland, ist eine der schnellstwachsenden Volkswirtschaften der Welt, aber seine einst blühende Landwirtschaft ist schwer vernachlässigt.

Die Besonderheit der »Neuen Allianz für Ernährungssicherheit« ist, daß sie für solche Programme afrikanisches Privatkapital mobilisiert, als Zusatz zur Entwicklungshilfe. Die Rechnung, immer wieder in UN-Statistiken vorgebracht, ist einfach: Rund eine Milliarde Menschen auf der Welt hungern, ein Drittel davon in Afrika, zugleich ein Drittel der afrikanischen Bevölkerung. Afrika hat doppelt so viel unbebautes Ackerland wie der Rest der Welt zusammen. Dessen Erschließung ist der Schlüssel zur globalen Hungerbekämpfung. 

»Grow Africa« lautet die Initiative am Ursprung der »Neuen Allianz«, zu der insgesamt 63 Privatunternehmen bereits Gelder zugesagt haben, 21 davon aus Afrika. Eines davon ist die nigerianische Dangote-Gruppe, deren Gründer und Haupteigentümer Aliko Dangote als der reichste Mann Afrikas gilt. Ursprünglich Zementfabrikant in Nigeria, ist Dangote jetzt in vielen Ländern Afrikas tätig. 
Auf einem großen »Grow Africa«-Investitionsforum in Äthiopien am 9. Mai erklärte Dangote, Afrika brauche »Führer, die Regierungen wie ein Unternehmen leiten, aber mit menschlichem Gesicht«. Zu diesem Anlaß wurde auch die Landwirtschaft als prioritärer Investitionssektor definiert. Hauptprojekt derzeit – mit 30 Millionen Dollar – ist der »Southern Agricultural Growth Corridor« in Tansania, bei dem Kleinbauern und Großunternehmer zusammenarbeiten sollen.
Zum Launch der »Neuen Allianz« in den USA kamen im Vorfeld des G-8-Gipfels die Präsidenten von Tansania, Äthiopien und Ghana nach Washington. Diese drei Länder gelten als Pilotländer. Ob die betroffenen Bauern mit am Tisch sitzen, ist allerdings nicht klar. Einer der Hauptinvestoren in Tansania ist der Agrarkonzern Monsanto, der wegen seiner Entwicklung genmanipulierten und patentierten Saatguts in der Kritik steht.
Die größten Investitionspläne, in Milliardenhöhe, haben Syngenta (Schweiz) und Yara (Norwegen) vorgelegt: es geht um verbessertes Saatgut und Dünger. Die US-Hilfswerk »Action Aid« merkt dazu an, daß Kleinbauern 90 Prozent der Lebensmittel in Afrika produzieren, aber bei Großinvestitionen oft außen vor bleiben, in finanzielle Abhängigkeit getrieben oder fysisch verdrängt werden.
Das könnte auch in Teilen der Afram Plains ein Problem werden, wo – wie vielerorts in Afrika – traditionelle Könige formell das Land besitzen und die Kleinbauern nichts zu sagen haben. Medienberichten zufolge haben rivalisierende traditionelle Führer der Region die gleichen fruchtbaren Ländereien schon an Firmen aus Nigeria und Südafrika verkauft."
(taz, 23.05.12)

Man mag darüber streiten, ob die Politik die Speerspitze für das Expansionsbedürfnis des Kapitals ist, bzw. die Expansion des Kapitals das politische Programm nach sich zieht, dessen es bedarf, um seine Investitionen abzusichern. Dazu gehört sowohl die Absicherung per Gewalt (inklusive der nötigen Verträge und Gesetze) wie die per ideologischer Agitation. Auf alle Fälle kann nicht davon die Rede sein, daß der Hunger bekämpft wird, weil den Hungernden das Geld fehlt, die Konzerne zu bereichern.
Was die Konzerne einstreichen, das sind die Geldmittel, die Staaten und Weltbank zwecks Hunger- und Armutsbekämpfung ausschütten.
In Sachen Zynismus ist der Kapitalismus und seine Protagonisten wirklich unschlagbar. 

Der G8-Gipfel 2012 in Camp David, Maryland, hat jedenfalls Pflöcke eingeschlagen. Die Afrikaner dürfen sich bei ihrem dort anwesenden Vertreter Boni Yayi aus Benin für den Ausverkauf ihres Kontinent ganz herzlich bedanken. Und die in Kenia ganz speziell bei Barack Obama, der ein so großes Herz für das Land seiner Vorväter zeigt. 

(25.05.12)

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[1] Stefano Liberti, Landraub, Reisen ins Reich des neuen Kolonialismus, dt. 2012 (ital. 2011), Rotbuch Verlag
Der Autor macht Station an folgenden Orten: in Äthiopien, in Saudi-Arabien, bei der Weltbank in Genf, an der »Hungerbörse« in Chicago, in Brasilien und in Tansania; auch über die landwirtschaftliche Entwicklung in den USA ist Informatives zu lesen, z.B. über die Entwicklung der Äthanol-Industrie im Weizen- und Maisgürtel, zu dem die Bundesstaaten Illionois, Iowa, Nebraska, South Dakota, Wyoming zählen...
Erdölerstzstoffe taugen übrigens besonders gut zur Hungerbekämpfung!