1. Die unschuldige
Frage - "Kritik am Kapitalismus, Aufzählung seiner Schattenseiten:
Okay. Aber wie soll's denn anders gehen?"
- weist die scheinbar akzeptierte Kritik in vollem Umfang zurück.
Wer so fragt,
läßt die angegebenen Gründe für die
gesellschaftlichen Übel - und die sind nicht von Natur - nicht
gelten, meint von einer fundamentaleren Notwendigkeit der
kapitalistischen Ordnung zu wissen. So einer hält den Kapitalismus
für eine - immerhin funktionierende - Lösung des Problems
»eine Arbeitsteilung zu organisieren« und Eigeninteresse und Dienst am Allgemeinen zusammen zu spannen.
Kapitalismus ist eine Ausbeutungsgesellschaft, gegründet auf die
überlegene und unantastbare Gewalt des Staates, der die Macht des
Eigentums setzt und schützt. Im Kapitalismus arbeiten die meisten
nicht für sich und ihren Lebensunterhalt, sondern für den nie
befriedigten Reichtumszuwachs der Reichen. Wer das einsieht und davon
überzeugt ist, daß er ausgebeutet wird, fragt nicht, ob das
wohl naturnotwendig oder gar so vorteilhaft für ihn sei, daß
er es besser nicht gegen ein noch gar nicht erprobtes Modell
austauscht. Er weiß, daß er den Kapitalisten mit ihrem
Eigentum die Kommandomacht über die gesellschaftliche Reproduktion
wegnehmen muß, um sie für sich und Seinesgleichen zu nutzen.
Es liegt bei der Frage nach der Alternative ein Erziehungserfolg
bürgerlicher Ideologie vor, dem popularisierten Systemvergleich
der Volkswirtschaftslehre (VWL). In ihm wird gefragt nach dem
Begriff und Zweck der ökonomischen Institutionen des Kapitalismus
(Geld, Kapital, Markt) nicht gefragt, vielmehr werden sie definiert
über ihr Funktionieren für anderes, letztlich für
Güterproduktion und Versorgung. Damit hat man die falsche
Gemeinsamkeit mit dem Sozialismus: Auch die
Zentralverwaltungswirtschaft löst die grundlegenden Probleme
komplex arbeitsteiliger Gesellschaften - aber eben schlecht. Der
Vergleich tut dem Kommunismus, der die Herrschaft der Bourgeoisie
stürzt, die zweifelhafte Ehre an, auch ein Modell zur Lösung
des Problems arbeitsteiliger Gesellschaften zu sein; zieht ihn also auf
dieselbe Ebene wie den Kapitalismus: Wenn man die Zwecke beider
Gesellschaftsformationen wegläßt, sind sie Methoden
desselben.
Aufgabe wäre es, bei ökonomischen Kategorien und Konflikten
stets den Zweck herauszuarbeiten und bei allem Funktionieren des
Systems deutlich zu machen, daß da nichts anderes als ein
ausbeuterischer Zweck, ein herrschendes Interesse System geworden ist.
Das Buch Bedürfnisorientierte Versorgungswirtschaft
(BVW) tut das Gegenteil. Es führt den Systemvergleich der VWL mit
umgekehrten Vorteilen durch. Dadurch erscheint der Kapitalismus dann
tatsächlich nicht mehr als das System der Herrschaft des Kapitals
über die Gesellschaft, das die herrschende Klasse zu Recht als
ihre Sache und ihr Interesse vertritt und mit aller Gewalt verteidigt,
sondern als schlechtes ökonomisches Modell zur Versorgung der
Bevölkerung: Die BVW als das bessere Modell.
2. Der schöne Zukunftskommunismus gerät zur Vision
der Verwirklichung bürgerlichen Sozialideale und einer vollendet
gerechten Arbeitsgesellschaft.
Die Absicht, antikommunistische Einwände auszuräumen, indem
man ihre Forderungen als Maßstab der Zukunftsgesellschaft
akzeptiert, führt nicht nur zum etwas kindlichen Ausmalen, wie
schön der Kommunismus werden könnte; Bilder und
Vorstellungen, die niemand bräuchte, der unsere Kritik versteht
und teilt. Der Ton eines neuen Solon, der der Welt lauter gute Gesetze
gibt, Imperative vom Stapel läßt und festlegt, was als Wesen
der neuen Ordnung auch für die Beteiligen unverrückbar
vorgegeben sein wird und was »gesellschaftlicher Diskussion überlassen werden kann«, ist nicht nur lächerlich, er hat mit der Sache zu tun.
Das Bild der gerechten Zumessung von Leistung und Belohnung unterstellt
eine Obrigkeit, die diesen entscheidenden Akt nach den
Verfassungsgrundsätzen der BVW vornimmt. Totalkontrolle per
Chipkarte,
Zulassung zu bzw. Aussperren von Magazinen der Normal- und
Sonderversorgung, Vorkehrungen zur Verhinderung, daß besser
versorgte Bürger die guten Dinge abholen, um sie mit den davon
ausgeschlossenen Faulen zu tauschen, »Beurteiler«
statt Richter bis hin zum Gefängnis - all diese schönen Ideen
verraten nur eines: Man will vor dem bürgerlichen Urteil, das
seine schlechte Meinung von der Menschennatur hat, nicht als
Träumer dastehen und Antwort geben können auf die Frage, wie
man denn Produktion und Verteilung ohne Geld organisieren könnte,
ohne daß dabei der nötige Zwang zur Arbeit zu kurz kommt.
Die BVW gewährt, teilt zu, verlangt, bestraft - und bugsiert so
den mit dieser Ordnung gesegneten Bürger in die Rolle, die er zum
eigenen und zum Wohl aller zu spielen hat. Die Versicherung, die
diversen Komitees seien nicht mit staatlichen Behörden zu
vergleichen - interessierte Bürger dürften ja
Verbesserungsvorschläge einreichen, die auch ernst genommen werden
müßten -, ist lächerlich und verräterisch. Das
Definieren, was eine gute Ordnung dem Bürger schulde und was er
ihr schulde, geht noch viel zu sehr von Vorstellungen guter
demokratischer Herrschaft aus und mißt sich an ihnen. Da werden
formelle Verfassungsgrundsätze verkündet und
Entscheidungskompetenzen verteilt: Was dürfen, müssen die
Arbeitskomittes? Für wie lange werden die Positionen in ihnen an
was für Bewerber vergeben? Wann darf die Minderheit durch
Abstimmung untergebuttert werden? Ohne jede Distanz werden
demokratische Gewaltfragen quasi juristisch vorweg geregelt und sollen
dadurch, daß der Stoff, über den die staatsähnlichen
Entscheidungsinstanzen befinden, kein antagonistischer mehr ist, selbst
keine Herrschaft mehr ausüben.
Daß es dereinst die Sache der kommunistischen Genossen sein wird,
ihre Arbeit zu organisieren, herauszufinden und untereinander
auszustreiten, wie man das am besten macht, kommt nicht oder so gut wie
nicht vor. Wenn diese Zukunftskommunisten mit Zeitgenossen zu tun
bekommen, die nicht arbeiten wollen (oder nicht so viel, wie allgemein
nötig gefunden), dann werden sie prüfen, ob sie die Mithilfe
der Unwilligen überhaupt brauchen; und wenn ja, dann werden sie
mit diesen in einen Streit um die Ableistung ihres Beitrags eintreten.
Das ist weit entfernt von Belohnungs- und Strafsystemen; sogar wo das
Buch auf Konflikt und Mißbilligung zu sprechen kommt, denkt der
Autor nicht ans Ausräumen von Streitfragen, sondern an den -
gewaltfreien - Zwang, den gesellschaftliche Ächtung auszuüben
vermag (S.156). Auf der anderen Seite gerät eben deswegen auch das
Bekenntnis zur Gewalt sehr konstitutionell, d.h. staatsähnlich: "In Gewahrsam zu nehmen sind Leute, die ...".
Man braucht sich doch kein Problem daraus zu machen, daß
Kommunisten sich ihr Projekt nicht von Feinden sabotieren oder sich
wieder in alte Herrschaftsverhältnisse zurückbefördern
lassen. Solche Versuche lassen sie nicht zum Zuge kommen. Aber das
wirkt natürlich nicht werbend auf bürgerliche Freunde, die
zweifeln, ob Kommunismus ohne Gulag zu haben sein wird. Auf solche
Leute dürfe allerdings auch die an Idealen der Demokratie und des
maßvollen Gebrauchs verfassungsmäßiger Gewalt
orientierte Schilderung der BVW kaum einladend wirken. Sie wissen
sofort, daß Kritiker, die die bürgerlichen Verhältnisse
abschaffen wollen, Gewalttäter sein müssen; sie kennen ja
ihren Laden!
3. Die Gelegenheit, die antikommunistischen
Gewißheiten, mit denen jede Kritik zurückgewiesen wird,
immanent zu kritisieren, wird vertan.
In Kap. 6, »Die Gegner der BVW«,
werden die gängigen Einwände gegen die Möglichkeit einer
Alternative aufgegriffen - und nicht wirklich ihres Fehlers
überführt. Und zwar aus dem Grund, weil auch diese
Einwände immer nur als Stichwort genutzt werden, die Denkbarkeit
der gebrauchswertorientierten Alternative zu bekräftigen. Das
falsche Argument wird nicht angegriffen und zerlegt, vielmehr gibt sich
der Autor Mühe zu zeigen, daß diese Argumente die BVW nicht
treffen bzw. mit ihr kompatibel sind. Gegen jeden noch so blöden
antikommunistischen Einwand, der Probleme erfindet, die es nur im
Weltbild kapitalistischer Jasager gibt, kommt die Replik: In der BVW
stellt sich das Problem nicht oder nicht so sehr, oder: In der BVW
haben wir längst ein funktionelles Äquivalent für die
vermißten kapitalistischen Zwänge vorgesehen.
- Homo homini lupus: In dieser Gedankenfigur wird die
Gegensätzlichkeit der bürgerlichen Privatsubjekte
aufgegriffen, von der bürgerlichen Gesellschaft abgelöst und
in die übergesellschaftliche Natur des Menschen gelegt. Über
ein schlechtes Bild vom Menschen wird der Kapitalismus zur Natur bzw.
zur angemessenen gesellschaftlichen Antwort auf die Natur des Menschen
erklärt. Ein billiger Zirkel zum Erzeugen eines Scheins von
Notwendigkeit. Der wird nicht angegangen, auch wenn ein paar
Widersprüche dieses Menschenbilds angetippt werden; stattdessen
wird mit einem Deuten auf die Wirklichkeit ein anderes Menschenbild
propagiert: Menschen richten ihre Feindschaften an einsehbaren
Gründen aus. Und in der BVW werden viele der heute üblichen
Gründe dafür wegfallen.
- Arbeitsmoral: Man hätte klarzumachen,
daß zweckmäßige Arbeit keine Frage der Moral ist. Aber
die Bürger kennen Arbeit eben nur als Privatarbeit (für
andere etwas herstellen und dabei nur für sich selbst arbeiten)
oder als unbezahlten Dienst an der Gemeinschaft. Kommunismus erscheint
ihnen als vollendeter Altruismus, der natürlich wunderbar
wäre: Jeder arbeitet nur noch für die Gemeinschaft und gar
nicht mehr für sich. Aber das trauen sie dem Menschen, den sie
kennen, nicht zu. Man müßte diese Gedankenfigur angreifen
und nicht versichern, daß man an eine arbeitswillige
Menschenseele glaubt, die sich unter guten sozialen Umständen
äußern würde, bzw. daß man schon über genug
Zwangsmittel verfügt, sollte sich der gute Wille doch nicht von
selbst einstellen.
- Konkurrenz: Hierzu wäre zu erläutern,
daß Konkurrenz überhaupt keine Methode ist, und schon gleich
keine zur Erzwingung von Effizienz bei der Gütererzeugung, sondern
der Kampf der Kapitalisten um den Markt. In diesem Kampf beschert nicht
der beste Gebrauchswert oder die beste Dienstleistung Erfolg; vielmehr
entscheidet der Erfolg, der durch Herbeiführung von
Mißerfolg an anderer Stelle erzielt wird, darüber, was gut
und nützlich ist. Unter diesem Stichwort denkt der Autor
ausgerechnet an die Konkurrenz der Arbeiter und entdeckt an ihr,
daß sie gar nicht den vollen Einsatz der Fähigkeiten des
Arbeiters stimuliert; auch Mobbing verhindert die volle Leistung. Er
bespricht Konkurrenz; die gar keine Methode ist, als schlechte Methode
der Leistungsmotivierung. In der BVW soll das besser werden.
4. Kritik des Realen Sozialismus, damit er nicht mit der BVW
verwechselt werde und sein Scheitern nicht die Möglichkeit der BVW
beschädige.
Dazu das Nötige im GegenStandpunkt-Artikel 1/04:
Man möchte den blöden bürgerlichen Zweifler an der
Möglichkeit einer kommunistischen Wirtschaft nicht dadurch
für sich einnehmen, daß man sich mit ihm in der Ablehnung
der Sowjetunion und ihres Systems einig wird: Dieser Sozialismus war
freilich nichts, aber unserer funktioniert ja auch ganz anders und
besser! Tatsächlich - das bringt das Buch - ist der östliche
Sozialismus nicht gescheitert, auch nicht an dem, was wir seiner
Planwirtschaft an Fehlern und Absurditäten vorrechnen. Er ist
abgeschafft worden von den Partei- und Staatsführungen, und zwar
weil ihre Planwirtschaft ihnen im Vergleich zum Kapitalismus zu wenig
Reichtum für den Staat aus der menschlichen Basis herausholte. Die
Reformer haben das Richtige am östlichen System, daß es
keine Ausbeutung der Lohnarbeiter sein wollte, keine Drohung mit
Arbeitslosigkeit kannte, als die Effizienzbremse verworfen, die dem
weltpolitischen Erfolg ihrer Nation im Weg steht. Weder für die
Erklärung der weltpolitischen Wende 1989 noch für die
Korrektur bürgerlicher Zweifler an der Möglichkeit des
Sozialismus ist unsere Kritik an der östlichen Planung mit dem
Wertgesetz hilfreich. Diese Zweifler halten ja eher das Richtige am
Realen Sozialismus für den Abfall von der ökonomischen
Vernunft und für den Beweis, daß so etwas unmöglich
lange gut gehen kann.