
aus: GegenStandpunkt 1-2000
Korruption in der Politik
I. Korruption als juristischer Tatbestand
1. "Vorteilsannahme und -gewährung",
"Bestechung und Bestechlichkeit" gelten in allen bürgerlichen
Staaten als "Straftaten im Amt" (hierzulande einschlägig: der 29.
Abschnitt im Besonderen Teil des StGB). Die entsprechenden gesetzlichen
Vorschriften halten "Amtsträger oder für den
Öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete" dazu an, bei ihrer
Amtsführung nach Recht und Gesetz zu verfahren und die
rechtsförmig niedergeschriebenen Sachnotwendigkeiten der Politik
zu beachten. Private Willkür des Amtsträgers soll
ausgeschlossen sein durch und zugunsten der Unterwerfung "hoheitlichen
Handelns" unter vorgegebene Regeln, die dem gehorsamspflichtigen
Bürger vorweg klar und berechenbar ankündigen, wie weit seine
Freiheit reicht, wo sie endet und welche Pflichten er hat. Dann
nämlich – dies der höhere Sinn dieser Maßregel
– gehorcht der Untertan nicht mehr einem fremden Willen, wenn er
regiert wird, sondern einem unzweifelhaft über allen bloß
persönlichen Zwecksetzungen und Willensäußerungen
angesiedelten Sollen.
Die Definition und Sanktionierung von
Tatbeständen der "Korruption" gehört somit als wesentliche
Durchführungsbestimmung zu dem Grundsatz, dem die bürgerliche
Staatsmacht sich verschrieben hat: der alleinigen Herrschaft des
Rechts. Das Recht, das da herrscht, dient – diesem schönen,
freilich nicht ganz widerspruchsfreien Grundsatz zufolge – der
richtig gebrauchten Freiheit und dem wohlverstandenen Eigeninteresse
der Untertanen, die deswegen und insofern eigentlich niemandem untertan
sind als eben der gewaltsamen gesetzlichen Anleitung zu ihrem eigenen
Wohl. Entkleidet man diese goldene Regel ihres ideologischen Beiwerks
und aller empfehlenden Etikettierungen, so bleibt eine bemerkenswerte
Wahrheit übrig: Offenbar sind die Freiheiten und Interessen, die
das Rechtssystem des bürgerlichen Staates so hilfreich normiert,
von solcher Art, dass sie ohne gleichmäßige Unterwerfung
unter die Setzungen einer hoheitlichen Gewalt gar nicht koexistieren,
geschweige denn kooperieren könnten, sondern einander
ausschließen und absehbarerweise zugrunde richten würden.
Jeder unvoreingenommene Blick auf die vom Recht beherrschte
bürgerliche Gesellschaft klärt im Übrigen darüber
auf, um welche im Wortsinn eigentümlichen, nämlich auf
doppelten und gegensätzlichen Eigentumserwerb durch Lohnarbeit
gerichteten Konkurrenzanliegen es sich da handelt. Die einander
widerstreitenden Geldinteressen, die die Gesellschaft beherrschen, weil
der rechtlich erzwungene Respekt vor dem Eigentum alle Bedürfnisse
vom Geld abhängig macht, sind ohne allgegenwärtige, nach
festen Regeln exekutierte und daher kalkulierbare Gewalt in der Tat
nicht zu haben, geschweige denn auf Dauer ordentlich zu verfolgen. Mit
eben dieser Gewalt bedient der Rechtsstaat seine Bürger. Die
Herrschaft des Rechts anerkennt, ermächtigt und beschränkt
zugleich den Willen zum Gelderwerb, der grundsätzlich den eigenen
Nutzen zu Lasten anderer sucht und betreibt; sie nötigt auf diese
Weise die mit ihren arg unterschiedlichen Mitteln konkurrierenden
Individuen und gesellschaftlichen Parteien zur Verträglichkeit, so
dass Eigentum und Arbeit auf die bekannte Weise zueinander finden; sie
betreut all die vielfältigen Interessengegensätze, die
unweigerlich aus dieser schönen Konstellation erwachsen. Kurz
gesagt: Sie garantiert jedem das Seine – die Sicherheit, unter
Einsatz gekaufter Arbeit kapitalistisches Eigentum zu vermehren, ebenso
gut wie die wacklige Chance, mit entlohnter Arbeit über die Runden
zu kommen. So bewirkt die Herrschaft des Rechts das Gemeinwohl der
bürgerlichen Klassengesellschaft.
2. Die Durchführung dieser segensreichen
Gewaltaffäre obliegt professionellen Staatsdienern: einer
Hierarchie von Machthabern, die die rechtlichen Vorgaben für das
Leben und Treiben der Gesellschaft fortlaufend weiterentwickeln, Recht
schaffen und abschaffen, im Allgemeinen und im Besonderen über die
bedingte Berechtigung konkurrierender Interessen befinden,
fortwährend auch zwischen gleichermaßen berechtigten
Interessen zum Vorteil des einen und Schaden des andern zu entscheiden
haben. Da die hoheitliche Gewalt, die über allen Interessen und
Interessengegensätzen ihrer Bürger thront, hier immerzu
Partei ergreift, der einen Seite Recht gibt und der anderen Nachteile
aufzwingt, verlangen die Grundsätze bürgerlicher Herrschaft
von den gewaltbefugten Entscheidungsträgern in erster Linie
Überparteilichkeit: Nicht-Einmischung in die materielle
Interessenlage der konkurrierenden Parteien, Entscheidungsfindung unter
strikter Unentschiedenheit in der zu entscheidenden Konkurrenzfrage. Ob
diese Frage selbst vernünftig und überhaupt vernünftig
zu entscheiden ist, bleibt außer Betracht: Die Herrschaft des
Rechts kennt keine andere Vernunft als die der unparteiischen
Schiedsrichterei. Dementsprechend negativ fällt die erste und
wichtigste Qualifikationsanforderung an Politiker, Richter oder
sonstige Amtsträger aus: Sie dürfen so ziemlich alles, nur
nicht selber in einem der Interessen befangen sein, über die sie
wie auch immer, aber auf jeden Fall neutral und nach Recht und
Gesetzeslage zu befinden haben.
Diese Bedingung ist in einem wesentlichen Punkt
nicht ganz einfach herzustellen. Jenseits aller explizit so genannten
– und ihrerseits unparteiisch nach festen Regeln dingfest zu
machenden – "persönlichen Befangenheit" ist bei
Hoheitsträgern – wie bei jedem Mitglied der
bürgerlichen Gesellschaft – mit Sicherheit ein Interesse
anzutreffen, über das sich ihre überparteiliche
Unbefangenheit beim Entscheiden, ganz gleich in welcher Causa,
angreifen lässt: Geld brauchen und wollen natürlich auch
solche Figuren, die in ihrer gesamten Herrschaftstätigkeit –
von der Beschlussfassung über ein Rentengesetz bis zum kommunalen
Bauauftrag und vom Panzerkauf bis zum Zivilprozess – immerzu,
zumindest immer auch, darüber befinden, wer wie viel Geld bekommt,
hergeben muss, verdienen kann, fordern darf usw. Eben weil ihre
Machtausübung im Dienst an der bürgerlichen Zivilgesellschaft
stets deren empfindlichsten Nerv, nämlich irgendwelche
Geldinteressen betrifft, besteht umgekehrt genauso natürlich bei
denjenigen Betroffenen, die nicht bloß Geldinteressen, sondern
auch Geld übrig haben, das dringliche Bedürfnis, sich zum
eigenen Vorteil die Dienste der jeweils entscheidenden Mitglieder des
staatlichen Herrschaftsapparats zu kaufen. Der bürgerliche Staat
jedenfalls geht nüchtern und unbefangen davon aus, dass seine
Bürger, die er schließlich selber aufs Geld als universelles
gesellschaftliches Lebens- und Kommandomittel festlegt, dann auch die
ganze Welt unter die Preisform subsumieren und seine eigenen
machthabenden Diener für käuflich halten – und dass
diese Kreaturen, bürgerliche Individuen wie alle anderen, auch
käuflich sind und ihren Preis haben, der selbstverständlich
mit der Reichweite ihrer Entscheidungsbefugnis steigt.
Im Interesse einer ungetrübt
überparteilichen Herrschaft des Rechts kauft sich der
bürgerliche Staat daher seine Entscheidungsträger selber und
achtet bei ihrer Bezahlung darauf, ihr privates Geldbedürfnis so
gut zu befriedigen, dass sie gegen Beeinflussungsversuche
zahlungswilliger und -fähiger Parteien einigermaßen immun
werden. In den höheren Abteilungen der Hierarchie alimentiert er
sein Personal daher nicht nur, sondern lässt es sich einiges
kosten, seine Diener im Maße ihrer Machtbefugnisse finanziell zu
saturieren. Das ist nun allerdings nicht bloß teuer, sondern
streng genommen unmöglich. Von allen zivilisierten
Bedürfnissen ist das bürgerliche nach Geld ja dasjenige, das
nicht erst aufgrund psychischer Entgleisungen, sondern seiner Natur
nach unersättlich ist, weil es gar nicht auf einen bestimmten
Nutzen oder Genuss geht, sondern auf die unendliche Möglichkeit
allen Genusses und aller privaten Kommandogewalt über
Produktivkraft und Produkte der Gesellschaft. Mit alle Mal endlichen
Gehältern und Vergütungen ist diesem ganz systemeigenen und
systemtragenden Bedürfnis nie wirklich Genüge getan, schon
gar nicht bei Machthabern, deren Anspruchsberechtigung mit ihrer
Verantwortung wächst. Zur angemessenen Bezahlung muss daher
– auch dies im Maße der jeweiligen Entscheidungsmacht
– die Tugend der Verzichtsbereitschaft hinzutreten, wenn gegen
alle finanziellen Verlockungen unparteilich regiert werden soll. Der
nötigen Charakterstärke verschafft der bürgerliche Staat
in seiner realistischen Art die unerlässliche handfeste Grundlage:
Er erlässt das mit Strafandrohung bewehrte Verbot, hoheitliche
Entscheidungen zur Handelsware zu machen. Wo es um die Herrschaft des
Rechts geht, wird das ehrenwerteste aller bürgerlichen
Geschäfte, das Kaufen und Verkaufen von Dienstleistungen,
kriminalisiert, geächtet, mit Kontrollmaßnahmen
bekämpft und bestraft, wenn es auffliegt.
3. Mit diesen Vorkehrungen wird freilich
zugleich eingestanden – das Strafrecht ist auch in diesem Punkt
das unbestechlichste Spiegelbild der gesellschaftlichen Sitten:
Dergleichen passiert immerzu. Und das kommt nicht von ungefähr.
Die Scheidung zwischen Privatinteresse und Amtshandlung, sach-gerechter
politischer Entscheidungsfindung und persönlicher Befangenheit,
Materialismus des Kommerz und Idealismus des Rechts geht auf keiner der
beiden Seiten, die beim Bestechen zusammenwirken, so recht auf –
und kann das auch gar nicht.
– Je gewichtiger ein ökonomisches
Interesse, umso mehr kann dessen Inhaber oder Vertreter staatlichen
Instanzen gegenüber Anspruch darauf machen, dass er nicht
bloß in privatem, sondern auch im öffentlichen Interesse
handelt, nicht bloß Konkurrenzpartei ist, sondern durchaus ein
Stück Gemeinwohl repräsentiert und deswegen die Freiheit
haben muss, auf politische Entscheidungen, die sein Geschäft
berühren, Einfluss zu nehmen. Wer "Arbeitsplätze schafft"
– das ist bekanntlich die Währung, in der der gemeine Nutzen
privater Bereicherung durch anderer Leute Lohnarbeit beziffert zu
werden pflegt –, der lässt sich mit seinen Forderungen an
die Politik, ob die nun Kreditgarantien, Staatsaufträge,
Handelsverträge oder die Kosten der Arbeitslosenversicherung
betreffen, nicht wie ein normalsterblicher Bürger auf die Macht
seiner Wahlstimme und seine demokratische Chance verweisen, bei
Unzufriedenheit eine eigene Partei zu gründen und sich Mehrheiten
zu beschaffen. Solchen Geldbesitzern wird auch von Staats wegen
durchaus zugestanden, dass sie Lobbyisten bezahlen und überhaupt
jeden Aufwand betreiben, der ihnen lohnend erscheint, um
Entscheidungsträger auf ihre Seite zu ziehen. Wie soll man aber
Überzeugungsarbeit leisten, ohne den Politiker oder
Amtsträger als Privatperson zu überzeugen? Und wieso sollte
dabei auf die Argumente verzichtet werden, die die bürgerliche
Vernunft noch alle Mal am wirksamsten überzeugen – schon
gleich, wenn es um die Kompetenz in Geschäftsangelegenheiten geht?
– Je weiter auf der anderen Seite die
Herrschaftsbefugnis eines Staatsdieners reicht, umso weniger privat ist
sein Privatleben. Ein hauptberuflicher Machthaber der höheren
Ränge ist im Prinzip immerzu fürs Gemeinwohl unterwegs,
repräsentiert mit seiner ganzen Persönlichkeit die
überparteiliche Autorität, die ihm von Amts wegen zukommt;
und deswegen steht ihm, unbeschadet seiner privaten
Steuererklärung, eine gemeinwohlorientierte Buchhaltung eigener
Art zu: Der viele Aufwand, der um seine hohe Person betrieben wird,
kann als Respektserweis gegenüber dem Amt verbucht werden; und was
so verbucht wird, das kann die Unbestechlichkeit des Amtsinhabers nicht
in Zweifel ziehen, auch wenn es ganz nebenher dem Lebensstandard und,
für Polit-Profis ungleich wichtiger, der Karriere nützt. Dass
überparteiliche Entscheidungen in solchem Umfeld heranreifen: Wem
wollte man das als Vergehen zur Last legen?
Ein 'do ut des' zwischen Geschäftsleuten
und Amtspersonen ist also in weiten Grenzen nicht nur üblich,
sondern auch genehmigt. Und die neutrale Herrschaft des Rechts
hält so etwas auch gut aus, ohne – früher gab es das
einmal als linken Verdacht – zugunsten einer parteiischen
Herrschaft des großen Geldes abzudanken. Die Förmlichkeiten
einer geregelten überparteilichen Regierungstätigkeit
besitzen nämlich nur einerseits absolute Gültigkeit,
losgelöst von allen materiellen Interessen der regierten
"Erwerbsgesellschaft" und der Staatsmacht selber. Auf der anderen Seite
dienen sie eben diesen Interessen und sollen das durchaus auch; als
überparteilicher Selbstzweck kommt der Rechtsstaat daher, weil das
zweckmäßig ist. Es ist eben wirklich so, dass die Herrschaft
des Rechts in ihrer Erhabenheit gegenüber schnödem Mammon
nicht irgendeine gesellschaftliche Ordnung in Kraft setzt, sondern den
gesellschaftlichen Lebensprozess insgesamt der Privatmacht des Geldes,
die gesellschaftliche Arbeit dem Kommando des Kapitals unterwirft;
darin hat sie ihren wirklichen materiellen Grund, im gesamtnationalen
Geschäftserfolg ihr materielles Ziel. Und weil das so ist,
deswegen kann und soll sich das Herrschaftspersonal bei aller gebotenen
Überparteilichkeit nicht blind stellen gegen das Kriterium des
materiellen Erfolgs des Ganzen, deswegen auch nicht gegen die
unterschiedliche materielle Wucht und ökonomische Bedeutung der
gegeneinander konkurrierenden Geldinteressen, denen es zu ihrem
jeweiligen Recht verhelfen, also Schranken setzen bzw.
Durchschlagskraft verschaffen soll. Umgekehrt soll die ökonomisch
herrschende Klasse sich mit den politisch Verantwortlichen ins Benehmen
setzen und das Ihre dazu beitragen, dass bei aller Unparteilichkeit
doch auch fachlich kompetent, erfolgsorientiert und im Endeffekt
erfolgreich regiert wird.
4. Durch dieses weite Feld der
systemgemäßen Kooperation – die
Zusammengehörigkeit von Rechtsstaat und Kapitalismus spielt sich
eben notwendigerweise als Zusammenwirken von Amtspersonen und
Geschäftsleuten ab – zieht das Korruptionsverbot eine
Scheidelinie zwischen Verbotenem und Erlaubtem. Das muss sein, eben
weil auch der Kehrsatz gilt: Die unbestrittene Kommandogewalt des
Kapitals über den Reichtum und die Arbeit der Gesellschaft beruht
auf der formellen Gleichbehandlung aller gesellschaftlichen Interessen
durch eine unparteiisch über diesen stehende Staatsgewalt, die
ihre machtausübenden Figuren zur Souveränität
gegenüber der regierten Gesellschaft materiell befähigt und
rechtlich verpflichtet. So wird mit viel juristischem Scharfsinn und
gesetzgeberischem Aufwand geschieden: zwischen persönlichem
Vorteilsstreben und unbefangener Entscheidungsfindung im Sinne der
Allgemeinheit bzw., die andere Seite betreffend, zwischen ehrlichem und
fairem Wettbewerb und Erschleichung von Vorteilen. Denn was die
regierende Gewalt entscheidet, das soll dem System der Konkurrenz
nützen und eben deswegen nicht voreingenommen bloß jeweils
einem Konkurrenten.
Natürlich kommt es, wie es kommen muss:
Was durch diesen Imperativ tatsächlich geschaffen wird, das ist
eine ausgedehnte "Grauzone". Denn so klar das Prinzip der
Unterscheidung sich ausnimmt, so wenig trennscharf ist es in der
Praxis: Was in der Welt des kapitalistischen Privateigentums dem Ganzen
frommt, davon profitiert immer eine konkurrierende Partei mit ihrer
systemgemäßen und -förderlichen Geldgier; ohne
Parteinahme für ein besonderes Interesse lässt sich das
allgemeine gar nicht fördern. Die Frage, wo beides
zusammenfällt oder wie das eine mit dem anderen am besten zur
Deckung zu bringen ist, lässt sich prinzipiell nur per
Entscheidung beantworten: welcher Eigennutz als der wichtigste Dienst
am Gemeinnutzen gelten soll. In letzter Instanz bleibt das Regieren
also eine Domäne herrschaftlicher Willkür. Dieser Tatbestand
stachelt wiederum das rechtsstaatliche Bemühen um die Eliminierung
aller Willkürherrschaft durch Verrechtlichung der Macht zu einer
letzten Glanzleistung an: Der Entscheidungsprozess wird rechtlich
reglementiert; dem Entscheidungsträger werden Verfahrensweisen
vorgegeben, an die er sich zu halten hat. Das ändert an dem
Tatbestand zwar nichts, gibt aber Zweifeln und Einwänden Raum und
bedient sie mit der Inszenierung einer regulären
Überprüfung des "Vorgangs" anhand objektiver Merkmale seines
Ablaufs. Im Ernstfall entscheidet dann am Ende ein unbestechliches
Gericht in einem seinerseits geregelten Verfahren, wo die Willkür
eine war und wo alles ordentlich.
Für verantwortliche
Entscheidungsträger, die sich daran halten sollen, handelt es sich
bei solchen Formvorschriften allenfalls im Prinzip um freiheitliche
Errungenschaften, in der Praxis jedenfalls eher um hinderlichen
Formelkram, der ihnen den Dienst am Gemeinwohl unnötig schwer
macht und dessen pünktliche Beachtung mehr fachliche Inkompetenz
beim Regieren als die Tugend der Rechtstreue verrät;
Unrechtsbewusstsein will sich bei ihnen auch nach aufgedeckten
Verstößen nicht recht einstellen. Das liegt weniger an der
menschlichen als in der Natur ihrer Funktion: Als Funktionäre des
rechtsstaatlichen Herrschaftsapparats kennen sie das Recht eigentlich
kaum noch aus der Froschperspektive des gehorsamspflichtigen
Bürgers als ein übergeordnetes Sollen, dessen Geltung unter
Polizeischutz steht, stattdessen als ihr Machwerk und Instrument ihrer
Herrschaft, das sie nach Bedarf und Ermessen aus- und umgestalten
dürfen, ja sogar müssen. Als Herren der Rechtslage begegnen
sie in den Festlegungen des Rechtsstaats ihren selbst gemachten
Gesetzen, die sie jederzeit – freilich unter Beachtung etlicher
Verfahrensregeln... – ihrem Willen anpassen könnten.
Unrecht, speziell in all den kleinlichen Prozedurfragen, bei dem man
sie erwischt, ist für sie subjektiv wie objektiv eine
Gesetzeslage, deren rechtzeitige Anpassung sie versäumt haben,
also wirklich eher dumm als böse. Das Recht kommt den politisch
Verantwortlichen der höheren Ränge in diesem Punkt denn auch
entgegen: Um die notwendige Freiheit ihrer Ermessensentscheidungen
nicht über Gebühr durch gesetzliches Regelwerk zu
beeinträchtigen, gehört die Immunität gewählter
Volksvertreter zu den bürgerlichen Errungenschaften, die sich mit
dem Ende monarchischer Herrschaft keineswegs erledigt haben. Und am
Ende bleibt schließlich noch, als letzte Zuflucht hoheitlichen
Gerechtigkeitsgefühls vor den Kleinlichkeiten des Rechtsstaats,
die Möglichkeit einer Amnestie.
5. Dass diese Möglichkeit letztmals aus
Anlass und zwecks Bewältigung eines bedeutenden
Parteispendenskandals ernsthaft ausgelotet worden ist, ist kein Zufall.
Die Paragrafen des Parteiengesetzes nämlich, die –
hierzulande – die Finanzierung der berufenen Organe für
"politische Willensbildung" im Volke regeln, fordern geradezu, was die
Gesetze zum Thema Bestechung und Bestechlichkeit inkriminieren: Als
Parteifunktionäre sollen Politiker und solche, die es werden
wollen, sich mit ihren politischen Angeboten nicht bloß beliebt
machen, sondern Gelder sammeln; von Privatleuten natürlich, von
wem denn sonst, die meinen, sie hätten davon Vorteile. Die
eingebrachten Summen werden geradeheraus als Maß dafür
bewertet, wie gut eine Partei ihren gesetzlichen Auftrag erfüllt,
"für eine ständige lebendige Verbindung zwischen dem Volk und
den Staatsorganen (zu) sorgen" (§1 Abs. 2 PartG): Wie auf jede
Wählerstimme, so legt der Staat auch auf jede Spendenmark was
drauf. Politische Entscheidungen zu verkaufen oder zu kaufen, ist
verboten; eine ganze politische Partei mit ihrem Machtwillen als
käufliches Produkt anzupreisen und Sponsorengelder zu fordern,
bzw. Geld zu geben und sich dafür gleich eine komplette politische
Linie samt tatkräftigen Vertretern einzuhandeln, das geht in
Ordnung und ist sogar erwünscht, beweist nämlich dem
bürgerlichen Rechtsstaat die gelungene Synthese seiner eigenen
Räson mit den Privatinteressen der Regierten. Nur eine Bedingung
muss erfüllt sein: Die Wähler, für deren Anwerbung die
Partei ihre Finanzmittel ja im Wesentlichen braucht, müssen wissen
können, welche Geldgeber hinter der angebotenen politischen Ware
stecken. Die Grenze, ab der das geltende deutsche Parteiengesetz mit
einer mitteilenswerten Einflussnahme privater Spender rechnet, liegt
derzeit bei 20.000,-- DM: Transparenz legitimiert jede Zahlung an und
den Geldempfang durch einen um die Herrschaft konkurrierenden Verein.
Damit wäre im Grunde alles bestens
geregelt und in Ordnung – wenn es nicht andererseits doch so
wäre, dass die demokratisch gewollte und rechtsstaatlich
anerkannte Doppelnatur der Parteien – als politische Privatclubs
mit Geldsammellizenz auf der einen, als Rekrutierungsfeld fürs
nationale Führungspersonal auf der anderen Seite – die
gesamte säuberliche Trennung zwischen
unbestechlich-überparteilicher Amtsführung und
persönlichen Konkurrenzinteressen grundsätzlich aushebelt. Es
sind schließlich dieselben Figuren, die in ihrer Eigenschaft als
Parteigrößen Zuwendungen – gewiss, nicht an sich
persönlich, aber immerhin an den Verein, in und mit dem sie ihre
private Karriere machen – entgegennehmen, in ihrer Eigenschaft
als von ihrer Partei auserkorene Amtsträger hingegen kein bisschen
käuflich sein dürfen. Erlaubte Spende und untersagte
Vorteilsgewährung bzw. -annahme unterscheiden sich in nicht mehr
und nicht weniger als in der Adresse, unter der ein politischer
Machthaber sich Geld zustecken lässt. Doch selbstverständlich
ist auch damit das rechtsstaatliche Korruptionsverbot keineswegs am
Ende. Es bedarf nur noch einer kleinen Verdeutlichung: Politiker
müssen ihre verschiedenen Briefköpfe sorgfältig
auseinander halten; beim amtlichen Entscheiden müssen sie die
Gefälligkeiten vergessen, an die sie sich bei
Parteiveranstaltungen gar nicht lange genug dankbar erinnern
können. Deswegen müssen sie vor allem jeden Anschein
vermeiden, als gäbe es zwischen einer bestimmten Zuwendung und
einer bestimmten Entscheidung einen direkten "kausalen Zusammenhang",
worauf ein allzu enger zeitlicher Zusammenhang hinweisen würde.
Als hinreichende Vorkehrung dafür, hier die rechtsstaatlich
unerlässliche Nachprüfung zu ermöglichen, und somit
gegen die Gefahr, dass verantwortungsbeladene Amtsträger sich zur
Unzeit an ihre parteilich-private Existenzform erinnern – lassen
–, gilt die schon erwähnte Pflicht, Parteispenden
größeren Umfangs offen zu legen. Das Limit offenbart erst
hier seinen vollen Sinn: Alles unter 20.000,-- DM hält der
fachkundige Gesetzgeber für zu wenig, um politische Entscheidungen
zu kaufen; der Verdacht, den größere Summen offenbar
automatisch erwecken, ist entkräftet und jeder kausale
Zusammenhang mit politischen Entscheidungen glaubwürdig
dementiert, wenn Partei und Spender sich zueinander bekennen. So siegt
am Ende der Rechtsstaat doch: Sogar sein Schizofreniegebot an in
Staatsämter gelangte Parteipolitiker überführt er
ungerührt in gerichtlich nachprüfbare Verfahrensregeln.
II. Korruption als Sorgeobjekt der demokratisch-rechtsstaatlichen Moral
1. Der bürgerliche Rechtsstaat unterwirft
sein eigenes Handeln, also die Regierungstätigkeit seiner
Amtsträger permanenter Kontrolle unter dem Gesichtspunkt der
Rechtmäßigkeit, insbesondere der Überparteilichkeit und
Integrität aller Entscheidungen; dafür unterhält er
sogar eigene Justizorgane. So methodisch stellt er die Prinzipien
seiner Staatsräson sicher: dass sein Gewaltmonopol den
Gewaltbedarf seiner kapitalistischen Gesellschaft sachgerecht bedient,
deren Leistungen in Sachen Geldvermehrung das gemeine Wohl darstellen,
von dem er selber zehrt. Doch dabei belässt er es nicht.
Die rechtsstaatliche Demokratie erklärt
ihren Bürgern, dass sie eigentlich nur dazu da ist, um ihnen,
nämlich ihren wohlverstandenen Eigeninteressen sachgerecht zu
dienen; und sie lädt dazu ein, die Einhaltung ihres Versprechens
zu überprüfen – nach eben den strengen
Maßstäben, nach denen sie sich selbst überprüft.
Nicht bloß, dass sie allen Betroffenen einen Rechtsweg
eröffnet, um obrigkeitliche Entscheidungen geordnet anzufechten:
Grundsätzlich immer und in allen Belangen dürfen, ja sollen
die Mitglieder des Gemeinwesens sich ideell zu Revisoren der
Staatstätigkeit aufschwingen und selber beurteilen, ob die
befugten Verantwortungsträger dem Gemeinwohl wirklich so dienen,
wie Recht und Gesetz es vorschreiben.
Die ideologische Tragweite dieses Angebots ist
enorm. Es fordert alles heraus, was die Bürger an Einwänden
gegen die Politik und deren Macher auf dem Herzen haben, um ihnen
gleich den einzig gültigen Beurteilungsmaßstab an die Hand
zu geben: die Rechtlichkeit und Unbestechlichkeit staatlichen Handelns.
Jede Unzufriedenheit wird formell ins Recht gesetzt und dabei
inhaltlich zur Beteiligung an der Sorte funktionaler Selbstkritik
verleitet, die zur Methodik rechtsstaatlicher Herrschaft gehört.
Die bürgerliche Staatsmacht selber, die materiellen Gründe
und Zwecke ihres Wirkens, die gesellschaftliche Verfassung, der sie
Bestand verleiht: das alles ist der Kritik entzogen – derjenigen
jedenfalls, auf die jeder Bürger ein rechtsstaatlich garantiertes
Recht besitzt und zu der er demokratisch aufgefordert ist. Mehr noch:
Der wunderbar schlagkräftige, weil allerhöchst anerkannte
Gesichtspunkt allen Kritisierens schließt die Anerkennung der
Prinzipien des Kritisierten gleich mit ein. "Tabus" gibt es nicht und
braucht es auch gar nicht zu geben, weil das Kriterium, unter dem der
Staat sich so bereitwillig dem Urteil seiner Untertanen unterwirft,
apriori alle Einsprüche, Vorwürfe und Kritikpunkte in Sorgen
um rechtsförmliches Gelingen der Herrschaft verwandelt.
2. Die Einladung des demokratischen
Rechtsstaats an seine Bürger, ihn gnadenlos an seinen eigenen
Kriterien zu messen, besitzt materielle Gestalt, noch bevor das
mündige Individuum seinen ersten kritischen Gedanken gefasst hat:
Eine organisierte Öffentlichkeit, unverzichtbarer Bestandteil
einer funktionierenden Demokratie und kaum übertrieben als vierte
Gewalt gewürdigt, macht jede Staatstätigkeit bekannt und
begleitet sie mit nimmermüder Gutachtertätigkeit. Zensur
findet nicht statt; ganz von selbst greift der professionelle
Berichterstatter und Kommentator die freundliche Aufforderung zur
ideellen Normenkontrolle staatlichen Handelns genau so auf, wie sie
gemeint ist. Das geht grob gesprochen so:
– Jeglicher öffentliche
Machtgebrauch wird einer unbestechlichen Prüfung unterzogen, ob
und inwieweit er wirklich, rechtlich nachprüfbar, allein im
Dienste des Bürgers und seiner berechtigten, d.h. mit dem
Gemeinwohl kompatiblen Bedürfnisse und Ansprüche stattfindet.
Zu besprechen und abzuwägen gibt es da unendlich viel; schon
allein deswegen, weil die Antworten mindestens so differenziert und
gegensätzlich ausfallen wie die gesellschaftlichen Interessen, die
diese rechtsstaatliche Verheißung auf sich beziehen und von der
Politik ja auch ungerührt in all ihrer Gegensätzlichkeit
– zwar nur bedingt, aber – anerkannt werden. Da von diesen
Interessen nur die wenigsten gut bedient sind und auch oder sogar
gerade die bestens bedienten sich leicht immer noch bessere
Staatsdienste an ihrem Erfolg vorstellen können, ist das erste
Ergebnis ein Hintergrundrauschen allgemeiner, dabei in sich höchst
differenzierter Unzufriedenheit.
– Dieser öffentliche
Meinungspluralismus artet nie aus zu einer Korrektur seines
Ausgangspunktes: der anerkannten Abhängigkeit jeglichen Interesses
von staatlicher Gewalt. In all seiner Freiheit kippt er nie um in eine
freie Besichtigung der wirklichen Symbiose von Interesse und Gewalt im
modernen Klassenstaat, ihrer Gründe und der notwendigen Folgen
für die diversen Betroffenen. So etwas unterläuft
berufsmäßigen Betreuern der öffentlichen Meinung schon
deswegen nicht, weil sie viel zu sehr damit beschäftigt sind, die
von ihnen zur Sprache gebrachte Unzufriedenheit auf ihren berechtigen
politischen Kern zu bringen und in den Zweifel zu überführen,
ob beim Regieren, dessen Segen doch nie so allgemein ausfällt wie
von den vielen verschiedenen Seiten erwartet, auch alles mit rechten
Dingen zugeht. In diesem Sinn, voller Sorge ums Gelingen des Ganzen,
bieten sie – statt dem Versuch zu erklären, was Politiker
tun – interessierte Einschätzungen, wie sie "es" hinkriegen.
Unbarmherzig wird geprüft: Genügen die Machthaber ihrer
Pflicht? Halten sie sich an das, was Recht und Gesetz ihnen gebieten,
die Bürgerschaft also auch mit Fug von ihnen erwarten kann und
fordern darf, und machen sie das gut? Handeln sie a), wie es sich
gehört, also regelkonform und überparteilich, und können
sie dabei b) Erfolge beim Gewaltgebrauch vorweisen, die ihre Kompetenz
in Sachen Machterhalt und Gemeinwohlpflege belegen?
3. Bei der ausgiebigen Behandlung der ersten,
der Anstands-Frage begnügt sich eine pflichtgemäß
hartnäckige Öffentlichkeit nicht mit der Ermittlung
justiziabler Tatbestände. Sie will nicht erst vom Staatsanwalt
erfahren, sondern schon im Voraus und ganz grundsätzlich
herausfinden, woran der Bürger mit seinen Politikern ist: ob sie
als Persönlichkeiten für ihr Amt geeignet sind, also die
charakterliche Gewähr dafür bieten, dass ihr
Regierungshandeln frei bleibt von persönlicher Interessiertheit
und Befangenheit. Es geht um eine solide vergleichende
Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit des um
Regierungsämter konkurrierenden Personals; folglich zielt das
öffentliche Ermittlungsverfahren auf dessen Gesinnung.
Alle bürgerliche Unzufriedenheit, die der
demokratische Rechtsstaat seinen Mitgliedern nicht bloß
gestattet, sondern geradezu herausfordert, ist in dieser permanenten
öffentlichen Gesinnungsprüfung in jedem Sinne
vollständig aufgehoben: Was ihren materiellen Inhalt betrifft, ist
sie zum bloßen Ausgangspunkt eines staatsbürgerlichen
Räsonnements vom Standpunkt ordentlicher Herrschaftsausübung
herabgestuft und damit überwunden und abgetan; so bleibt sie
erhalten; ihr Gegenstand ist freilich ein höherer, nämlich
die – an einem vorgestellten Ideal gemessen alle Mal –
unzureichende Amtsführung der Oberen. Auf diese Weise ist nicht
nur sämtlichen gescheiterten Interessen mit einer falschen
Erklärung moralisch Genüge getan. Politische Unzufriedenheit
im bürgerlichen Gemeinwesen hat in den Charakteren der Machthaber
ihren genuinen Gegenstand. Sittliche Mängel in führenden
Kreisen, namentlich aufgedeckte Korruptionsfälle sind Skandale
erster Ordnung, völlig jenseits der Frage, inwiefern und ob
überhaupt das empörte Publikum ausgerechnet dadurch
persönlich tangiert ist; sie begründen berechtigte politische
Unzufriedenheit und machen sogar das viel beklagte Volkslaster der
"Politikverdrossenheit" "verständlich".
Dass solcher Verdruss alles andere als der
Auftakt zu einer Absage an die Macht und ihre demokratischen und
rechtlichen Umtriebe ist, liegt in der Natur der Sache. Die
öffentliche Empörung zielt auf Säuberung; sie speist
sich aus einer besonders hohen Auffassung von der Würde der Macht,
der man, da man ihr schon gehorchen muss, auch in Würde gehorchen
können will, was nur geht, wenn ihre Inhaber ihr auch bloß
selbstlos gehorchen, also zumindest glaubhaft diesen Eindruck
vermitteln. Bestechungsskandale beenden nicht, sondern beleben ganz
ungemein die Nachfrage nach Politikern, die imstande sind, "verlorenes
Vertrauen wiederzugewinnen" – eine Aufgabenstellung, die die
Sachlage nur in einem Punkt nicht ganz trifft: Das
staatsbürgerliche Vertrauen, dass Herrschaftsgewalt etwas Gutes
und Großes wäre, wenn sie nur in anständigen
Händen liegt, ist überhaupt nicht verloren gegangen; es hat
allenfalls seine gewohnten Adressaten verloren und kann gar nicht
anders, als sich an neue Führer zu heften, die zynisch genug sind,
um aus der schlechten Meinung über ihre Kollegen für sich
Profit zu schlagen, und die ein kongenialer Politjargon gar nicht
unpassend "unverbraucht" nennt.
Wie stark diese Sehnsucht nach "personeller
Erneuerung" wird und wie groß überhaupt die Empörung
über öffentlich aufbereitete Skandale, das hängt im
Übrigen nur einerseits von den "Dimensionen" der aufgedeckten
Fälle ab. Mindestens ebenso wichtig ist für die Bewertung des
Ermittlungsergebnisses, ja schon für den Ermittlungseifer selbst
das Ergebnis, zu dem die kritische Öffentlichkeit hinsichtlich
ihrer zweiten Dauertestfrage ans regierende Personal gelangt: ob es
sein Geschäft auch mit Erfolg versieht. An anerkanntermaßen
bedeutenden Persönlichkeiten, die mindestens ihre Partei
geschlossen hinter sich haben und in der Nation auch unbestritten eine
wichtige Rolle spielen, die sich in ihrem Amt also nicht mit
Misserfolgen blamieren und demzufolge auf ihren Beruf verstehen,
prallen Korruptionsvorwürfe in der Regel folgenlos ab. Dazu bedarf
es seitens der Öffentlichkeit noch nicht einmal viel
vergleichender Abwägung zwischen Verdiensten und
Verdächtigungen. In einer funktionierenden Demokratie stellt sich
das gerechte Verhältnis ganz von selber her: Die
Erfolgstüchtigkeit eines Politikers, diese interessante zweite
Tugend neben seiner Unbestechlichkeit, erweist sich nicht zuletzt
daran, dass er keinen Konkurrenten hochkommen lässt, der ihn mit
dem Nachweis unsauberer Amtsführung wirksam schlecht machen und
selber davon profitieren könnte, und dass er ganz persönlich
viel zu viel Macht verkörpert, als dass ihm glaubhaft Verfehlungen
gegen das gemeine Wohl der nationalen Macht zur Last gelegt werden
könnten. In solchen Fällen fallen sittliche Anklagen als
üble Nachrede oder kleinliche Aufrechnerei auf den zurück,
der sie erhebt und sich damit doch nur als "Saubermann" ins Licht
stellen will. Das ist nämlich kein Kompliment – so sehr
andererseits Vertrauen durch Tugendhaftigkeit im Amt erworben werden
muss und eine demokratische Öffentlichkeit so ziemlich alles
erträgt, nur keine Lügen und Heimlichkeiten ihrer
Staatsmänner... Wer es nicht versteht, sich seine sittliche
Empörung richtig einzuteilen, der hat unter rechtsstaatlich
gesinnten Demokraten nichts verloren und taugt schon gar nicht für
den Beruf des freiheitlichen Meinungsbildners.
4. Über den politischen Gebrauchswert der
unverdrossenen öffentlichen Begutachtung von Moral und
Bestechlichkeit nationaler Führungsmannschaften ist damit schon
das Wichtigste gesagt: Sie liefert einen wesentlichen Beitrag zum
demokratischen Konkurrenzkampf, innerhalb der politischen Parteien wie
zwischen ihnen. Führende wie nachwachsende
Verantwortungsträger benötigen Dossiers über die
Machenschaften ihrer Parteifreunde wie ihrer politischen Gegner als
grundlegendes Handwerkszeug in der politischen Auseinandersetzung. Wenn
die sich zuspitzt und Wahlentscheidungen fällig werden, kommen
Fahndungseifer und Meinungsstreit um das moralische Gewicht des
Ermittelten, das Abstreiten und Nachweisen, Skandalisieren und
Beschönigen des Austauschs von Gefälligkeiten zwischen
Geldbesitzern und Machthabern, inszenierte Vertrauensverluste und
-beweise und dergleichen erst richtig in Fahrt. Die ausgrenzende
Polemik gegen außenseiterische Konkurrenz kommt über weite
Strecken mit der rhetorischen Frage aus: 'Wer bezahlt euch
eigentlich?!'; bisweilen legen gut bezahlte Parteimanager, die mitten
im prallen marktwirtschaftlichen Leben stehen, ihren bösesten
Feinden die bloße Tatsache, dass auch die Geld fürs
Politikmachen brauchen und sogar haben, als Beleg dafür zur Last,
dass sie gekauft sind – von wem auch immer.
Bestechungsvorwürfe und die Kunst einer üblen Nachrede, die
die jeweils ortsübliche Kumpanei von Macht und Geld als "Filz"
oder "Amigo-Sumpf" in ein schlechtes Licht rückt, gehören
jedenfalls zum Alltag demokratischer Meinungspflege, damit bei
nächster Gelegenheit die Wahlkreuze an die richtige Stelle gesetzt
werden.
So richtig "tödlich" wird der Vorwurf der
Bestechlichkeit freilich erst, wenn auf Seiten des Beschuldigten
politische Erfolglosigkeit hinzukommt; wenn es ihm insbesondere nicht
gelingt, um sich herum "die Reihen zu schließen" und
Vorwürfe mit souveräner Nichtachtung zu strafen; das beweist
dann ganz praktisch seine politische Inkompetenz, oder dass sich da
einer "verbraucht" hat. Umgekehrt gilt: Wenn ein Führungsmensch
seiner Partei und eine Regierung ihrer Nation Erfolge schuldig bleibt,
auf die das enttäuschte Publikum sich ein Recht eingebildet hat,
dann finden sich unweigerlich Konkurrenten, die dem politischen
Versagen auf seinen moralischen Grund gehen und die Schuldfrage
aufwerfen – in der findet der aufgeklärte bürgerliche
Verstand noch alle Mal die einzig stichhaltige und abschließend
befriedigende Antwort auf alles, was ihm zu denken gibt, weil es ihn
stört. Dass bei den Verantwortlichen charakterliche Mängel
vorliegen müssen, steht damit schon fest; dass da einer seinen
Eigennutz über den Gemeinnutz gestellt und seine politische
Verantwortung verraten hat, liegt zumindest nahe und wird jedenfalls
mehr durch die Größe der Enttäuschung seiner
Anhänger als durch gerichtsfeste Belege bewiesen – irgendein
"Filz" findet sich alle Mal, wenn man ihn nur sucht. Sind dann die
persönlichen Vorteile entlarvt, auf die der "ins Zwielicht
geratene" Häuptling offenkundig geschielt hat, statt auf den
Erfolg des Ganzen zu blicken, dann ist die Sache klar und die
Konkurrenz mit ihrer Überzeugungsarbeit am Ziel.
Um hier übers demokratische Ziel, den
Erfolg im Kampf um Wählerstimmen, hinauszuschießen, braucht
es nicht mehr viel. Nämlich nurmehr einen politischen Führer,
der den Korruptionsvorwurf, den seine Kollegen reihum gegen einander
erheben, auf alle zusammen anwendet und grundsätzlich mit der
bürgerlich berechnenden Seite der "politischen Klasse" insgesamt
in Zusammenhang bringt; der auf der anderen Seite dem arm, aber ehrlich
gebliebenen Volk und allen anderen staatstragenden Kräften
klarzumachen versteht, dass sie prinzipiell bessere Machthaber verdient
hätten und mit ihrem Ressentiment gegen korrupte Versager im
Staatsdienst völlig richtig liegen. Von allen demokratischen
Argumenten ist jedenfalls der Korruptionsvorwurf für Faschisten
das brauchbarste, und das aus gutem Grund. Er zielt ja immer reichlich
fundamentalistisch gegen das Private am Politiker, das ihn für
Geldzuwendungen empfänglich macht; er nimmt Maß am Ideal
staatlicher Macht, die durch keinerlei persönliche
Rücksichten in ihrem Einsatz fürs einmal festgestellte
Gemeinwohl irritiert werden darf; er reitet auf dem Gegensatz zwischen
bürgerlichem Erfolgsstreben und selbstlosem Dienst an der Hoheit
staatlicher Gewalt herum, den die Faschisten ein für alle Mal und
kompromisslos gegen den Eigennutz und zugunsten der Gewalt entschieden
haben wollen. Umgekehrt gibt es für Demokraten keinen
größeren Triumf, als wenn sie der faschistischen Konkurrenz
nachsagen können, sie nähme ja selber Geld – sogar
Hitlers Nazis hätten ihr Drittes Reich letztlich nur inszeniert,
weil sie gekauft waren und um sich zu bereichern... Man darf diese
Sorte politischer Anklagen also getrost den Demokraten und Faschisten
zum kongenialen Meinungsaustausch überlassen. Dort gehört sie
hin.
Oder doch nicht nur dort: Mittlerweile sind
Korruptionsvorwürfe auch im internationalen Verkehr, von einigen
wenigen befugten Mitgliedern der Völkerfamilie gegen einen
großen Rest erhoben, sehr in Mode gekommen.
III. Korruption als Gesichtspunkt imperialistischer Politik
Die Anklage gegen Regierungen insbesondere der
so genannten 3. Welt, sie seien korrupt, ist nicht neu. Vorbei sind
allerdings die Zeiten, zu denen Korruption, auch größten
Ausmaßes, noch als alle Mal kleineres Übel galt im Vergleich
zur "Anfälligkeit" eines Regimes für kommunistische Umtriebe.
Mit dem Korruptionsvorwurf ist heute schon so ziemlich das letzte
Urteil über Regierungen und ihre Staaten gesprochen. Und diese
profunde Diagnose, auch das ist neu, stellen nicht mehr bloß
kundige Berichterstatter und besorgte Kommentatoren aus der 1. Welt:
Sie hat in den diplomatischen Verkehr zwischen den Nationen Eingang
gefunden und kommt sogar in internationalen Verträgen vor, in Form
eines Junktims zwischen Hilfsgeldern an verarmte Staaten und der
Verpflichtung begünstigter Regierungen zur
Korruptionsbekämpfung – endlich mal ein moralisch
einwandfreier Fall von Globalisierung. Ein paar Zusatzbemerkungen zur
Internationalisierung rechtsstaatlicher Sittenstrenge sind dennoch
nötig.
1. Auch zwischen ehrbaren demokratischen
Rechtsstaaten ist es üblich, an Korruptionsaffären im
Nachbarland öffentlich und gegebenenfalls diplomatisch Anteil zu
nehmen. Die Öffentlichkeit greift auf, was anderswo an
Durchstechereien zutage gefördert wird, fragt nach
Querverbindungen zur eigenen Politszene und deren Skandalen, bildet
sich grenzüberschreitend ihre kritische Meinung – beteiligt
sich also am politischen Kulturleben gleich gearteter
Partnerländer und käme weder auf die Idee, quasi
stellvertretend für deren demokratisch-rechtsstaatliche
Meinungsbildungs- und Kontrollorgane Korruptionsvorwürfe zu
erheben, noch erst recht dahin, dass sie einen solchen Vorwurf gleich
gegen das gesamte Staatswesen geltend machen und die Verantwortlichen
als "Regime" brandmarken würde; sie würde sich damit auch
bloß empörte Zurückweisung einhandeln. Genau so
verfährt sie jedoch, wenn sie Staaten in armseliger Verfassung die
Diagnose stellt, in ihnen herrsche die Korruption. Da wird von
außen ein Urteil gesprochen, das bekanntermaßen im
kritisierten Land selber wenig bis gar kein Gewicht hat. Ganz aus
eigener Verantwortung erstreckt die in prominenten Demokratien
beheimatete "4. Gewalt" ihre ideelle Kontrollfunktion auf Nationen, in
denen ein solches Aufsichtswesen so gut wie nicht existiert und auch
von niemandem so heftig vermisst wird wie von den auswärtigen
Beobachtern.
Ganz ähnlich agiert die Politik. Gegen
ihresgleichen käme den Regierungen der paar über jeden
Zweifel erhabenen Rechtsstaaten auf der Welt ein genereller
Korruptionsvorwurf, geschweige denn ein Auftrag zur
Korruptionsbekämpfung nie in den Sinn. Wenn einmal eine
justiziable Affäre anderswo den eigenen Laden betrifft oder
umgekehrt, dann schalten sie unter Wahrung aller diplomatischen Formen
die eigenen oder, je nach dem, auswärtige Gerichte ein. Wo dagegen
ein ganzes Land unter Korruptionsverdacht oder -anklage gestellt wird,
da verbietet sich von vornherein der Rechtsweg; denn der Vorwurf
schließt ja bereits ein und die anklagende Regierung geht davon
aus, dass ein solcher Weg beim Adressaten unzuverlässig bis nicht
vorhanden ist. Rechtssicherheit muss solchen Partnern von außen
aufgezwungen werden; Verträge mit ihnen sehen entsprechend aus.
Natürlich herrscht dort auch dann immer noch nicht das Recht,
bestenfalls eine Mischung aus ortsüblicher Rechtlosigkeit und
äußerer Zumutung; das bezeugen die Verträge selbst, die
Korruptionsbekämpfung anmahnen. Denn diese kritische Aufforderung
zeigt keinerlei Tendenz, sich allmählich zu erledigen und aus dem
diplomatischen Umgang mit solchen Kandidaten herauszukürzen; sie
wird im Gegenteil immer nachdrücklicher aufgestellt.
Schon daraus geht hervor, dass der
Korruptionsvorwurf in diesen Fällen auf ganz andere
Verhältnisse trifft als in den Nationen, die ihn erheben.
Offenkundig funktioniert Herrschaft dort nicht so, wie der Rechtsstaat
es von sich selber kennt und fordert. Wie sie stattdessen funktioniert,
scheint aber nicht weiter von Interesse zu sein. Am verbindlichen
Maßstab rechtsstaatlicher Selbstkontrolle werden Staaten, denen
diese Herrschaftsmethode fremd ist, die also einer anderen Räson
folgen als dem klassenstaatlichen Widerspruch einer dienstbaren
Herrschaftsgewalt, gleichwohl gemessen und ideell wie praktisch mit dem
Imperativ konfrontiert, sich trotzdem daran zu halten. Das zeugt von
demokratischer Borniertheit, hat aber vor allem einige praktische
Bedeutung; dazu gleich mehr.
2. Dass die Diagnose, ganze "Regimes" seien
korrupt, auf etwas anderes zielt als eine optimierte
Verwaltungsgerichtsbarkeit und mehr kritischen Journalismus im Land,
wird noch deutlicher aus den Tatbeständen ersichtlich, über
die auf diese Art Klage geführt wird. Um so etwas wie private
Bereicherung durch willkürlichen Gebrauch von so etwas wie
öffentlicher Gewalt geht es schon; deswegen fühlen sich ja
die Saubermänner aus der 1. Welt an das erinnert, was sie von zu
Hause an "Filz" und "schwarzen Kassen" kennen. Berichtet wird aber gar
nicht von privater Einflussnahme konkurrierender Interessenten auf
staatliche Entscheidungsträger oder von wechselseitigen
Gefälligkeiten zwischen Geldbesitzern und Machthabern jenseits von
amtlicher Gebührenordnung und pflichtgemäßem Ermessen.
Vorstellig gemacht wird eine Welt, in der Funktionsträger auf
niederer Ebene von dem Geld leben – und das gar nicht gut
–, das sie von all denen zu erpressen vermögen, die auf
irgendein Entgegenkommen von ihrer Seite angewiesen sind. Meist handelt
es sich um einen denkbar trivialen Quasi-Verwaltungsakt, der nichts
weiter bewirkt, als ein Hindernis aus dem Weg zu räumen, das es
ohne den jeweiligen Funktionsträger gar nicht gäbe. Formell
mag der sogar verpflichtet sein, durch unparteiischen Gebrauch seiner
Kompetenzen flächendeckend Rechtssicherheit zu schaffen. Dass das
aber seine wirkliche Aufgabe wäre, vorgegeben durch eine
öffentliche Gewalt, die darauf Wert legen würde, weil sie so
ein brauchbares Geschäftsleben in Schwung bringt und hält,
und die daher ihre Funktionäre sachgerecht ausrüsten und
hinreichend bezahlen würde: Davon kann nicht die Rede sein. Es
gibt kein materielles Staatsinteresse an einer funktionierenden
Herrschaft des Rechts; es gibt eben auch das zivile Erwerbsleben nicht,
das darauf angewiesen wäre und nach Gebühr dafür
aufkäme. Der nur formell staatlich administrierte
gesellschaftliche Überlebensprozess ist für die vorhandene
Herrschaft so dysfunktional wie umgekehrt; eine kapitalistische
Bürgergesellschaft mit Bedarf an unbestechlichen Beamten existiert
so wenig wie ein bürokratischer Apparat, der dafür da und
geeignet wäre, solchen Bedarf zu befriedigen: Von dieser doppelten
Fehlanzeige handeln, sachlich betrachtet, all die Schilderungen, die
dann ausgerechnet mit dem Stichwort "Korruption" die passende
Erklärung gefunden haben wollen.
Noch sachfremder, dafür noch
aufschlussreicher ist dieses Verdikt, wo es über die Spitzen der
inkriminierten "Regimes" ausgesprochen wird. Da wird überhaupt
nicht aufgedeckt – was der Tatbestand verbotener Vorteilsannahme
ja immerhin voraussetzt –, dass die obersten Machthaber ihre
politischen Entscheidungen an potente Interessenten im Land verkaufen
würden, sich durch Bestechungsgelder von privaten
Geschäftsleuten zu Verstößen gegen das Gebot der
Überparteilichkeit verleiten ließen oder Ähnliches.
Genau umgekehrt wird gerügt, dass die Staatsspitze Staatsgelder
für sich behält bzw. nur an eigene Leute zur privaten bzw.
privatgeschäftlichen Bereicherung weiterleitet, anstatt sie
unparteiisch in ein nationales Geschäftsleben mit vielen
konkurrierenden Privateigentümern hineinzuschleusen und so
Märkte zu beleben, Umsätze wachsen zu lassen und das
Bruttosozialprodukt effektiv zu steigern. Dass es eine staatlich zu
fördernde Geschäftswelt in dem Sinn überhaupt nicht
gibt, sondern eben nur dort, wo, und in dem Umfang, wie der Potentat an
der Spitze sie direkt finanziert – wobei es für die
jeweiligen Profiteure sehr, für den Begriff der
politökonomischen Sachlage aber wirklich überhaupt nicht auf
die Verwandtschaftsbeziehungen zum Präsidenten ankommt! –,
geht aus solchen "Korruptions"-Berichten ebenso hervor wie die
Tatsache, dass die Gelder, über die das "Regime" verfügt und
die es so "bestechlich" und eigennützig verteilt, auch gar nicht
von einer nationalen Marktwirtschaft ausgeschwitzt und vom Fiskus
weggesteuert worden sind, sondern anderen Quellen entstammen. Dass
diese Sachlage ihren regierenden Nutznießern als rechtswidrige
Vorteilsannahme zur Last gelegt wird, könnte einerseits
unpassender und unsachlicher gar nicht sein. Es passt andererseits,
buchstäblich wie die Faust aufs Auge, wenn man die Herkunft der
Finanzmittel in Betracht zieht, über deren "korrupte" Verwendung
da Klage geführt wird.
3. Zu ihren Anklagen sehen sich die Vertreter
der 1. Welt nämlich nicht bloß auf Grund ihrer grenzenlosen
sittlichen Verantwortung berechtigt und herausgefordert. Ihr
Interventionsrecht im Namen rechtsstaatlicher Verhältnisse ist
viel handfester, nämlich materiell begründet; und die
Verträge mit "korrupten" Partnern, in denen sich immer
häufiger die schönen Anti-Korruptions-Klauseln finden, geben
denkbar klar darüber Aufschluss, wodurch und inwiefern: Das Geld,
dessen privaten Missbrauch durch drittweltliche Herrscher sie
mittlerweile nur noch kriminell finden können, stammt –
letztlich, irgendwie – von ihnen. Gleichviel, ob über die
Bezahlung exotischer Rohstoffe oder per Kredit oder, was den
mittlerweile erweltwirtschafteten Zustand solcher Länder am
ehesten kennzeichnet, vermittels Umschuldung: Sie, die demokratischen
Herren des Weltgelds, finanzieren letztinstanzlich, was es anderswo an
Herrschaftspersonal und Staatshaushalten gibt. Ihnen steht deswegen
auch die rechtsstaatliche Dienstaufsicht über die
rechtmäßige und zweckdienliche Verwendung der dorthin
geflossenen Finanzen zu. Und sie haben Grund zur Beschwerde.
Nämlich erstens den materiellen – den sprechen sie aus, wenn
sie die 'Fehllenkung von Ressourcen' beklagen und so die Existenz eines
nationalen Geschäftslebens postulieren, das bloß noch
angestachelt werden müsste: dass ihre geldbedürftigen Partner
bedürftig bleiben, stets von neuem von ihnen finanziert werden
müssen, vom Idealfall selbsttätiger Selbstfinanzierung sogar
weiter denn je entfernt sind. Diesen Misserfolg können die
Zuständigen aus den finanzkräftigen Demokratien sich auch
sehr gut erklären, und zwar ohne sich in analytische Unkosten zu
stürzen; nämlich mit dem zweiten Grund, aus dem sie mit ihren
Drittwelt-Partnern zutiefst unzufrieden sind: Die verwenden die Gelder,
die man ihnen gewährt, glatt nach ihren herrschaftlichen
Bedürfnissen statt nach der rechtsstaatlichen Auftragslage; die
Überlassung von Finanzmitteln an sie ist – noch –
nicht automatisch mit einer lückenlosen und durchgreifenden
Verwendungskontrolle nach dem Recht und durch die Kontrollorgane der
Finanziers verbunden. Wo der geforderte Erfolg ausbleibt, und das
mittlerweile in der Mehrzahl der Staaten der Fall, da liegt folglich
Missbrauch gewährter Mittel vor – Korruption eben.
Mit diesem Verdikt bestehen die
Saubermänner aus den besser gestellten Nationen gebieterisch auf
einem Kontrollrecht über das Finanzgebaren anderer Regime, das
ihnen – das macht die besondere Schönheit ihres Standpunkts
aus – ausgerechnet deswegen unabweisbar zukommen soll, weil sie
sich doch mit der Überlassung von Finanzmitteln die dort
regierenden Herrschaften gekauft haben. Wenn es denn schon um
Korruption gehen soll, also um das Geschäft: Machtgebrauch auf
Bestellung und im Sinne des Geldgebers gegen Geldzuwendung an den
zuständigen Machthaber – dann sind es die finanzstarken
Korruptionsbekämpfer selber, von denen die "Bestechung"
überhaupt ausgeht: Die halten sich für eine Hand voll Devisen
ihre Günstlinge als dezentrale Hilfsorgane ihres politischen
Zugriffs auf deren Länder. Wenn sie dann gegen ihre eigenen
Kreaturen den Korruptionsvorwurf erheben, beklagen sie sich über
einen Tatbestand, der rechtsstaatlich ernst und genau genommen auf
Unterschlagung von Bestechungsgeldern lauten müsste – und
hätten nicht einmal damit Recht. Denn die angeblich korrupten
Partner verkaufen nur, was sie haben, nämlich die Herrschaft, die
sie tatsächlich ausüben – und die mit
marktwirtschaftlich funktionaler Ordnungsgewalt und
wirtschaftspolitischen Anstößen zu einem selbsttragenden
Aufschwung nun einmal nichts zu tun hat. Etwas anderes, etwas Besseres
womöglich als eine Herrscherfigur, die den ihr verfügbaren
Reichtum für sich und ihre Herrschaft verbraucht, ist für
marktwirtschaftliche Schmiergelder schlicht nicht zu haben; wer sich
von seinen Zahlungen mehr verspricht, ist selber schuld...
Doch genau das: die Schuldfrage, sehen und
entscheiden die Repräsentanten der rechtsstaatlichen Macht auf dem
Globus genau andersherum. Wenn sie ihren Kaufpreis für korrupte
Regimes in den Sand setzen, weil die "Vorteilsnehmer" nicht
wunschgemäß funktionieren, dann sind die Gekauften schuld.
So will es die imperialistische Sittlichkeit.
4. Damit klärt sich auch, warum das
kompetente Gutachten über den politökonomischen Zustand
größerer Weltgegenden mit dem Fingerzeig auf untaugliche
Machthaber mit Devisenkonto schon fertig ist. Vorstellbar wäre ja
immerhin, dass auswärtige Interessenten, wenn ihnen denn schon an
brauchbaren politischen Verhältnissen überall und an einer
erfolgreichen Verwendung verausgabter Geldmittel liegt, den wirklichen
Ursachen dafür auf den Grund gehen, dass aus dem erhofften Nutzen
immerzu nichts Rechtes wird. An Materialkenntnis fehlt es auch nicht;
die allgemein zirkulierenden Diagnosen geben sogar noch mit ihren
parteiischen Antworten auf die unsachlichste aller Fragen – die
nach den Schuldigen – genügend Hinweise – etwa
über die Funktionsweise einer Ökonomie des Ausverkaufs von
Naturgütern gegen Schulden oder über die Eigenarten einer
politischen Herrschaft, die ihr Volk in seiner desolaten Verfassung
nicht braucht und von ihm nicht gebraucht wird –, um daraus ein
paar richtige Schlüsse zu ziehen. Doch was sollte eine
Weltwirtschaftsmacht mit richtigen Einsichten anfangen?! Ihr Interesse
an gekauften Machthabern auswärts wäre damit ja glatt
kritisiert.
Bedient ist es jedenfalls viel besser mit dem
Erkenntnis, dass an der Spitze untauglicher Staaten privater Missbrauch
öffentlicher Gelder, "unserer" nämlich, vorliegt und
Kontrolle, durch "uns" nämlich, fehlt; dass also Disziplinierung
auswärtiger Regimes Not tut, alternativ die Einstellung ihrer
Bezahlung. Damit kann ein Rechtsstaat etwas anfangen. Denn durch so ein
Urteil findet er sich in dem herausgefordert und ermutigt, was er am
allerbesten kann – sofern er überhaupt noch etwas anderes
kann: erfolgskontrolliert und unparteiisch, also vor allem ohne falsche
Rücksicht auf etwa Betroffene seine Gewalt anwenden, um Respekt
vor seinen nützlichen Vorschriften zu erzwingen. Dabei scheint
demokratische Weltpolitiker heutzutage kaum irgendwo die Sorge zu
plagen, in den der Korruption bezichtigten Staaten könnte sich
eine Mannschaft aufstellen, die sich den rechtsstaatlichen Vorwurf auf
die Art zu Eigen macht, wie es verantwortungsbewusste Politiker in
Staaten der besseren Art in entfernt ähnlichen Fällen schon
längst getan hätten, und mit einem "starken Mann" an der
Spitze einer sauberen "Bewegung" für nationalen Erfolg sorgen. Der
Unfähigkeit "korrupter Regimes" ebenso wie ihrer einheimischen
Völkerschaften zu so viel antiimperialistischer Emanzipation ist
man sich anscheinend sicher; und gegen Widerstand aus Ohnmacht hat man
im Ernstfall die nötigen Zerstörungsmittel parat – der
in vieler Hinsicht ähnliche, allerdings nicht ganz unter "3. Welt"
abzubuchende Ausnahmefall Russland, wo eine demokratisch-faschistische
"Säuberung" der Verhältnisse nicht auszuschließen ist
und für die westlichen Saubermänner die weit schlimmere
Alternative zur derzeitigen "Herrschaft der Korruption" wäre,
bestätigt die Regel.
Die Diagnose, wonach die Menschheit an den
vielen korrupten Regimes auf der Welt leidet, mag also theoretisch
gesehen albern sein; dafür ist sie in praktischer Hinsicht durch
und durch erfolgsorientiert. Sie leistet der Anwendung erpresserischer
Gewalt Vorschub und befasst sich erst gar nicht mit der Frage, ob damit
etwas Gedeihliches auszurichten ist. Das ist sachgerecht, weil dem
Rechtsstaat – nach außen schon gleich – gar kein
anderes Mittel zu Gebote steht, das aber reichlich. Der geht mit
Verdikten und Geboten auf seine auswärtigen Kreaturen los; darauf
versteht er sich. Aus diesem Vorgehen wiederum ergibt sich die
Sicherheit des politischen Urteils, dass Bestechlichkeit vorliegen
muss, wo Machthaber nicht funktionieren.
Von der Gewissheit, die die imperialistische
Praxis stiftet, zehrt dann auch das sittliche Urteilsvermögen der
Bürger, die es gewohnt sind, den Standpunkt
demokratisch-rechtsstaatlicher Erfolgskontrolle ideell
nachzuvollziehen. Dabei ist ein schöner Erfolg, den Konsens der
Demokraten betreffend, zu vermelden: In dem Urteil über
unnütze Weltgegenden, das dort lauter korrupte Lumpen ausmacht und
damit eine ganze Weltlage erklärt haben will, können sich die
reaktionärsten Vertreter des Steuerzahler-Standpunkts und die
wohlmeinendsten Apostel guter Regierung in aller Welt mit dem
kombinierten Sparwillen und Kontrollanspruch ihrer eigenen
Weltpolitiker wunderbar einig werden.
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