"Ich arbeite gegenwärtig an einem Projekt, das die Welt erschüttern wird,
auch wenn sie blind ist und taub obendrein."
(Louis Flamel, in "Die wollüstigen Schwämme", 1987)
ἀλλὰ τί ἤ μοι
ταῦτα φίλος
διελέξατο
θυμός;
(aber was erwägt meine liebe Stimmung dies?)
Interessanterweise gebraucht Homer [1] den zum Begriff
gewordenen, heutzutage altertümlich anmutenden
Begriff »Dialektik« -
der heutzutage modernisiert durchaus mit »Kommunikation« gleichgesetzt werden könnte, ist doch sein Ausgangspunkt das gedankliche Abwägen
im menschlichen Gehirn, gleichzeitig die Auswahl der Gedanken, ihre Sortierung und Folgerichtigkeit mit einschließend
- was also den Übergang vom Gefühl zum Argument kennzeichnet
-, womit die Äußerung, das Sprechen als solches, vorbereitet
wird. -
Kommunikation auf
die herrschende Öffentlichkeit zu begrenzen, hieße freilich, sie ihrer Grundlage zu
berauben,
und es mag sein, daß das sogar eine Absicht von Gewalt ist, ihr Ideal ist es allenthalben und die herrschende hat es
- gemessen an der geistigen Verwahrlosung der Hirnträger - dahingehend ja weit gebracht.
»Wie Computer das Hirn verändern«, so lautete ein im letzten Jahr im Handelsblatt
[2] erschienener Artikel: Die Masse der via Internet zur Verfügung
stehenden Informationen wie ihrer visualisierten Darstellung
verführe und führe definitiv zu einer immer
oberflächlicheren Betrachtung der einzelnen Gegenstände.
Diese empirische Feststellung mal unberührt gelassen [3], läßt
sich genauso gut feststellen, daß jene Dinge immer
kritikloser wahrgenommen werden. Ist es nicht eine naheliegende Frage, was
ein Internetportal in diesem Rahmen und unter diesen Voraussetzungen
überhaupt will? Kann man sich einem solchen Trend überhaupt widersetzen? Und dieses Angebot unter dem Titel »Kommunikation
& Kaffee« zu präsentieren, erscheint jedenfalls erst recht
fragwürdig, scheint es doch jener vorherrschenden
Oberflächlichkeit zu ent- und nicht zu widersprechen.
Es gibt
wirklich schlaue Leute, die sogleich wußten, der Titel der
Website - Kommunikation & Kaffee - wäre Tarnung. Doch wovor
sollte sich KoKa tarnen, wenn die Tarnung sogleich und so leicht zu
durchschauen ist? Vor den Dummköpfen, die die Tarnung nicht
erkennen? Doch warum sich vor solchen Dummköpfen tarnen, wollen
die überhaupt etwas kennen lernen?
Es gibt auch welche, wenn auch geringer Zahl, die, weil sie einen bei Linken üblichen
Martialismus vermissen, der ihrer Meinung nach unanbedingbares Merkmal
nicht-opportunistischer Haltung sei, perfidesten Opportunismus
vermuten. Ein solche Haltung kann natürlich nur einer inhaltlichen
Ignoranz geschuldet sein, die sich gewaschen hat: Es sind die, die mit Hammer und Sichel im Emblem die »Diktatur des Proletariats«
[4] auf ihre Fahnen geschrieben haben, nicht wissen wollend, was sie damit
für Widersprüchliches propagieren: Was soll das Proletariat denn wem
diktieren, wenn es mit der kapitalistischen Gesellschaft sich selber
als solches einmal abgeschafft hat? Dieser Spruch macht deutlich,
daß seine Vertreter auf eine Staatsalternative
hinaus wollen, in der die Klassen gar nicht abgeschafft sind, sondern
nur deren Rangordnung geändert ist, wobei der Staat gegenüber
dem Proletariat die Rolle des dann - nicht nur ideellen! -
Gesamtkapitalisten - in einer wie auch immer modifizierten Form [5] - mit übernimmt; kurz: in dem der kapitalistische
Staat zu einer Karikatur seiner selbst wird.
"Dieselbe [wie im Krieg] Gefühlsbetonung
erklärt die mannigfachen und interessanten Wandlungen des von Marx
gar nicht als Schlagwort beabsichtigten Ausdrucks »Diktatur des Proletariats«.
Was ursprünglich eine beiläufig skizzierte, theoretische
Hypothese der Politik war, wurde zum Glaubensgebot von Millionen, weil
es die Möglichkeit einer Entladung für aufgespeicherte
Revancheleidenschaft versprach." [6]
Was ist also der tragende Gedanke des Titels - Kommunikation & Kaffee - nun in der Tat?
Der Publizist Harry Pross hat ihn einmal treffend augedrückt:
"Kommunikation enthält per definitionem ein Element der
Gegenseitigkeit, denn sie ist Mit-Teilung. Sie widerspricht dem
autoritären Wollen, welches zum Mittel der Gewalt greift.
Gegenseitigkeit bedeutet Offenheit für den anderen. Die Offenheit
von Mitteilung konkretisiert das erkennende, das urteilende Denken.
Gewalt verstellt es, denn sie fragt nicht nach falsch und richtig." [7]
Es sei einmal die Frage aufgeworfen, ob die erwähnte
Internetlandschaft dem Titel »Kommunikation« gerecht wird - und dieselbe Frage gilt für Zeitungen und Rundfunk: Das oben
erwähnte Ergebnis weitestgehender Oberflächlichkeit
widerspricht jedenfalls dem Prinzip der Mitteilung und Gegenseitigkeit.
Es ist eine nachgerade revolutionäre Aufgabe, Kommunikation zu
etablieren, eine,
derer die etablierten Medien entbehren, ja entbehren müssen, sind
sie doch befangen in den herrschenden Verhältnissen, denen sie
sich verpflichtet haben und welche sie
sich nach Gutdünken ausmalen als die besten aller möglichen,
zumal die Gewalt, auf denen sie beruhen, in Vorgehensweisen - man denke
an ihre Legitimation durch freie Wahlen und Verfassung -
institutionalisiert ist, die die ihnen zugrundeliegende Gewalt scheinbar in den Hintergrund
drängen. Die Medien, die sich diesen Verhältnissen unterwerfen, berauben
sich selber schon der
Freiheit, die nötig wäre, Gewalt zu kritisieren. Es ist daher
kein
Wunder, daß sie so gut wie jedes von ihnen aufgeworfene Thema auf eine
Frage einer zu bestätigenden Gewalt reduzieren, spätestens oder gleich dann, wenn sie auf eine etwaige »politische Durchsetzbarkeit« zu sprechen kommen; alles eine Frage der
staatlichen Gewalt, der
monopolisierten Gewalt, die selbstredend andere Gewalt
ausschließt.
Es fällt den etablierten Medien daher auch
nicht schwer, Gewaltalternativen zu verurteilen, weil man ja für Gewalt in
ihrer Reinkultur - eben als (nationales) Monopol eintritt [8]. Woraus sich im
übrigen auch deren nationale imperialistische Konsequenz ergibt,
die auf Durchsetzung dieser Gewalt gegen andere Staaten dringt - wie
auch immer das im einzelnen auch aussieht; das richtet sich nach den
jeweiligen Potenzen, die in die Waagschale geworfen werden können.
Noch
leichter fällt es der Staatsgewalt, - bisweilen auftretende -
ohnmächtige Gewalt ihrer Untertanen zu verurteilen,
respektive auch die ihrer auswärtigen Statthalter in der
sogenannten »Dritten Welt«.
Eine
Opposition, die den Weg
der Gewalt einschlägt, ist entweder Opportunismus einfältiger
Art - nämlich in oder gegenüber einer sich unmittelbar
bietenden
Herrschaftsalternative und einer Ideologie (ver)mittelbaren Gedankens,
der Arbeiterklasse
bzw. dem »Volk« müsse lediglich vor Augen geführt
werden, daß ein bewaffneter Kampf zu seiner Befreiung
möglich
sei, damit sie bzw. es sich anschließe; - oder eine Farce einer
Opposition,
weil sie offenbar keine anderen
Argumente kennt bzw. kennen will als solche reichlich ideologischer
Art. In jedem Fall achtet solche Opposition den menschlichen Verstand
gering.
Ein bemerkenswerter Sonderfall erster Sorte war vor noch nicht allzu langer Zeit in der Sowjetunion
zu verfolgen, als einer politischen Führung selbst es
im Jahre 1986 urplötzlich angebracht erschien, unter dem Schlagwort гласность [Glasnost = »Anhören«]
für
eine offene Kommunikation zu sorgen, gewissermaßen eine
Usurpation der Opposition zu betreiben. Der Gedanke war der, daß
eine offene Diskussion - die alten Thesen über die sozialistische
Öffentlichkeit, wie sie noch Breschnew auf dem XXVI. Parteitag der
KPdSU 1981 [9] aufgetischt hatte, wurden kurzerhand sozusagen als
Vortäuschung falscher Tatsachen aus dem Verkehr gezogen -
daß eine solch offene Diskussion selbstverständlich dem »sozialistischen«
Staat zugute käme, weil nur so dessen »Probleme« zur Sprache
kommen und einer bestmöglichen Lösung zugeführt
werden könnten. Diese Initiative war in ihrer Anlage so konsequent, sich nicht nur auf
den Bereich der Sowjetunion zu beschränken; auf einmal gab es auch an
den Hauptbahnhöfen der BRD die Parteizeitung Prawda
zu kaufen, in
deutscher Sprache. Die Fehler bei dieser Überlegung, die ihren
opportunistischen Charakter offenkundig werden ließ, waren,
daß erstens das angesprochene »Volk«
nicht gebildeter war und wohl auch nicht sein konnte als die politische
Herrschaft, daß zweitens eben diese Herrschaft gar nicht in der
Lage war - wer hatte beispielsweise bei Gorbatschow den Eindruck, er
habe Marx' Kapital kapiert? (Hat er es überhaupt mal aufgeschlagen?) -, die zahlreich
eingehenden Kritiken und Verbesserungsvorschläge einer objektiven,
wissenschaftlichen Prüfung zu unterziehen - eine solche hätte
zudem - diese These sei an dieser Stelle gewagt - weitaus mehr
Kritikables an der Kritik selber vorgefunden als irgendwie dem »Sozialismus«
vorwärts Weisendes. Kurzum, die opportunistische Berechnung der
Initiative mußte so umgekehrt zum Mittel der wirklichen, einer
prokapitalistischen Opposition
werden. Die Usurpation der
Staatsgewalt konnte so ausnahmsweise ohne großes
Blutvergießen erreicht werden. Ausdrücklich ist darauf zu
verweisen, daß der endgültige Bruch ohne den
militärischen Einsatz der NATO-Staaten zustandekam, was ja das
Vorstellungsvermögen ihrer Köpfe schon auf eine
einigermaßen harte Probe
gestellt hat. In anderen Fällen (Irak, Iran, Afghanistan)
können sie sich
eine ähnliche Entwicklung ebensowenig vorstellen. Im Falle
Serbiens hat sich ihre Öffentlichkeit erst kürzlich
völlig überrascht gezeigt, wie widerstandslos - jetzt auf
einmal! - es die EU-Beitrittsdiktate geschluckt hat. Wie sehr
Imperialisten
doch der Gewalt verhaftet sind!
Der zweite Fall, eine Farce war in Polen zu Zeiten der Besetzung der
Lenin-Werft in
Gdańsk und der damit verbundenen Entstehung der Gewerkschaft
Solidarność zu beobachten. Mit Gebeten - eine etwas sonderbare Form von
Kommunikation, fingierter nämlich - zur Jungfrau und Gottesmutter
Maria sollte anno 1980 dem »wahren« Arbeiterinteresse
zum Durchbruch verholfen
werden. Das zunächst wahrgenommene ökonomische
Arbeiter-Interesse wurde im Ansatz schon in ein viel wichtiger
erscheinendes und wahrzunehmendes politisches
Interesse überführt, das so beschaffen war - und das war nun
der entscheidende Fehler -, daß es in sich das ökonomische
aufgehoben hat; mit den bekannten Folgen, daß, sofern
Ausbeutung abgeschafft wurde auch gleich jede
Einkommensmöglichkeit der Arbeiterschaft abgeschafft wurde, wo
nicht, die Ausbeutung nunmehr zu kapitalistischen Bedingungen
stattfindet, die denen in der seinerzeitigen Volksrepublik Polen nicht
nachstehen, eher im Gegenteil noch ein ganzes Stück barbarischer
sind und viele Arbeiter ein Ausrücken in westeuropäische
Staaten als das nunmehr zu
erstrebende wahre Glück erscheinen läßt, wo sie auch
nichts anderes sind als absolute Billiglohnarbeiter. -
Und überhaupt: Wie sollte Ideologiekritik mit Gewalt
überhaupt möglich sein? Gewalt ist allein Mittel in einer
ideologischen Konkurrenz, welche immer durch gegenseitige
Unverträglichkeit gekennzeichnet ist, nie - das widerspräche
ihrem Begriff - durch das Klären objektiver Sachverhalte, also auf der Suche nach Wahrheit. "Wahrheit drückt ein Verhältnis zwischen dem Urteil und der Realität aus." (G. H. Mead) [10] Fernerhin hat Herbert Marcuse darauf hingewiesen, daß "Gewalt weder zu den objektiven noch zu den subjektiven Bedingungen der Revolution gehört": "Gerade
weil der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus die historische
Aufgabe des Proletariats als einer revolutionären Klasse war,
erschienen Marx und Engels die spezifischen Formen dieses
Übergangs als Variablen, die von der Theorie nicht fixiert und
aufgestellt werden konnten. Hatte das Proletariat sich einmal als
revolutionäre Klasse konstituiert, seiner Mission bewußt und
bereit, sie auszuführen, so mußten die Mittel und Wege zur
Vollbringung seiner Aufgabe aus der dann herrschenden politischen und
ökonomischen Lage abgeleitet werden." [11]
Der herrschende Verstand hat genaugenommen gar kein anderes Argument
als Gewalt zur
Verteidigung seiner Ordnung. Gerade deshalb versucht er auch jeden
Einwand auf eine mögliche alternative Gewalt abzuklopfen.
Kapitalismuskritiker hat er generell unter Gewaltverdacht. Anders kann
er sie auch gar nicht »kritisieren«. Das, was der Staat unter
Kommunikationsfreiheit (Meinungs-, Pressefreiheit) versteht, ist nichts
anderes als ein implizites Kritikverbot an ihm und dem von ihm obwalteten
Verhältnissen. Insofern ist der Vorwurf, daß es keine
wirkliche Kommunikationsfreiheit gibt, völlig zutreffend, auch
und gerade wenn jede existente Veröffentlichung, die sich den Mund nicht
verbieten läßt, das Gegenteil zu beweisen scheint. Worauf
übrigens Gabriel García Márquez im Zusammenhang
mit der Zeitschrift Alternativa verwiesen hat:
"Sie [unsere politischen und persönlichen Freunde im Ausland] fragen
sich, wie wir uns den Widerspruch erklären, daß in der
Zeitschrift steht in Kolumbien gebe es keine Pressefreiheit, wenn die
gedruckte Behauptung als solche beweist, daß es sie doch gibt.
Sie fragen sich schließlich, was das überhaupt für ein
Land ist, in dem so etwas noch geschehen kann, da doch der übrige
Kontinent ein von Gorillas beherrschter Dschungel ist.
Man mag es kaum glauben, aber die Antwort auf diese Fragen gab
Präsident López Michelsen selbst, als ihn der
Verteidigungsminister General Abraham Varón Valencia vor etwas
mehr als einem Jahr in einer Sitzung des Ministerrates aufforderte, Alternativa
wegen ihrer Kritik an den Streitkräften dichtzumachen. Die
Weigerung des Präsidenten kam prompt: 'Diesen Gefallen werde ich
der Zeitschrift nicht tun.'" [12]
In Europa und den USA sind die NATO-Tauben in ihren
gepflegten Politikervillen natürlich weitaus weniger
herausgefordert, sich zu einer diesbezüglichen Äußerung herabzulassen, so allgewaltig, wie sie sich die
Macht und den Reichtum ihres Landes - durchaus nicht wirklichkeitsfremd - vorstellen.
Kommunikation steht gegen Gewalt.
Kommunikation statt Kapitalismus, um
es mal plastisch auszudrücken [13]; der derzeit herrschende
Charakter
der Gewalt ist ja kapitalistischer Spezifik. An dieser Stelle gilt
es, einem Mißverständnis von Kommunikation entgegenzutreten:
Einem Verständnis, das im Laufe der Geschichte ihre
Nützlichkeit nicht nur für - also keineswegs gegen! -
größere Gewalt-»Ausbrüche«, Kriege nämlich, auch den Herrschenden und ihren brain trusts
zweckdienlich erschienen ist, freilich meist erst im nachhhinein, wenn
sie sich die Frage gestellt haben, ob denn nicht die politische
Kommunikation in Form der Diplomatie versagt habe, oder gleich die, ob
die Effizienz der Kriegspropaganda nicht auch anderweitig von Nutzen
sein könne. Diese historische Reminiszenz soll schon allein
deshalb nicht unter den Tisch fallen, weil sie deutlich macht, wann die
monopolisierten Gewalten selber mal Kommunikation für sich als
Forschungsgegenstand entdecken und entdeckt haben:
"Begann die Kommunikationswissenschaft
tatsächlich, als man sich nach dem Ersten Weltkrieg fragte, wie es
möglich war, daß die politische und ideologische Propaganda
der Kriegsjahre mit ihren Greuelgeschichten und der Verketzerung des
Feindes ein solches Ausmaß annahm, eine solche Wirkung erzielte;
als man andererseits die dabei gesammelten Erfahrungen zu
erklären, die Erklärungen dann zu operationalisieren und auf
politische Propaganda im allgemeinen wie auf kommerzielle Werbung
anzuwenden versuchte: Kommunikationswissenschaft als Erforschung der
Wirkungsmöglichkeiten der Massenmedien, von Presse und Film
zunächst, bald schon des Radios, später dann auch des
Fernsehens?
Oder begann die Kommunikationswissenschaft nicht bereits mit der
pragmatischen Semiotik von Charles Sanders Peirce, ausgehend von der
Frage, wie die Überzeugungen der Menschen zustande kommen, wie diese
Überzeugungen sich festigen, unter welchen Voraussetzungen man einen
Gedanken als »klaren Gedanken«
bezeichnen darf (K. Oehler 1981)? – Charles Cooley (1909), Soziologe an
der Universität von Chicago, entwickelte seine auch heute noch
respektable Definition von Kommunikation ja unter dem unmittelbaren
Einfluß von Peirces pragmatischer Semiotik: »Unter
Kommunikation wird hier der Mechanismus verstanden, durch den
menschliche Beziehungen bestehen und sich entwickeln – alle Zeichen des
Geistes zusammen mit den Mitteln, sie durch den Raum zu übermitteln und
in der Zeit zu bewahren: Sie umfaßt den Gesichtsausdruck, Körperhaltung
und Geste, die Töne der Stimme, Wörter, Schrift, Druck, Eisenbahn,
Telegraf, Telefon und was sonst immer die jüngste Überwindung von Raum
und Zeit sein mag. All das, zusammen mit der Verschlungenheit seiner
gegenwärtigen Kombination, ergibt ein organisches Ganzes, das dem
organischen Ganzen des menschlichen Geistes entspricht; und alles, was
sich auf das geistige Wachstum bezieht, hat hierin seine äußere
Existenz.« – Von der Peirceschen Semiotik
führt aber auch eine direkte Linie zur Sozialpsychologie der
Kommunikation von George Herbert Mead ([1934] 1968) und weiter zu deren
arg verstümmelter Tradition im »symbolischen Interaktionismus«.
Man kann die Kommunikationswissenschaft aber auch
beginnen lassen mit dem immer noch imposanten Werk von Robert Prutz
über die Geschichte des deutschen Journalismus aus dem Jahre 1846
– (...) .
Dann kann man allerdings mit vollem Recht auch die
Frage stellen, ob die Kommunikationswissenschaft nicht schon im 18.
Jahrhundert begonnen habe, als die
sogenannten »Zeitungskollegien« zum festen Bestandteil des Lehrbetriebs der »Statistik« wurden, jener »galanten« Wissenschaft von den »öffentlichen Dingen«,
der Staatswissenschaft also, die im Jahre 1660 erstmals an der
Universität Helmstedt eingeführt, bald schon von anderen
Universitäten und den Ritterakademien übernommen und zum
Lehrfach an höheren Schulen aller Art wurde.
Und warum soll die Kommunikationswissenschaft dann
nicht im Jahrhundert des Dreißigjährigen Kriegs begonnen
haben, als man sich in deutschen Landen um Nutz und Frommen der »Neuen Zeitung«
stritt, als die einen die Lektüre der Neuen Zeitungen zum Privileg
der Obrigkeit erklärten, gegen die Zeitungssucht des gemeinen
Volkes wetterten, Zensur und drastische Strafen für die
Verbreitung falscher und politisch schädlicher Nachrichten
verlangten, als die anderen den Nutzen der Zeitung für jedermann
verteidigten, daher eine Verbesserung der Zeitungen forderten und die
Erziehung zur sinnvollen, intelligenten Zeitungslektüre
– »Medienpädagogik« also?" [14]
Wie gegen ihre machtpolitische Instrumentalisierung steht Kommunikation
gegen alle
Pseudoalternativen, insbesondere die, die einen machtpolitischen und
insofern fiktiven Gegensatz zwischen Staat und Kapital aufzumachen
bestrebt sind, auch die - und es sind meistens die gleichen - die in
Staatsalternativen denken. Zur Alternative Kommunikation statt Gewalt
gibt es keine
Alternative. Wer Gewalt gegen Gewalt stellt, ist - objektiv betrachtet
- reaktionär.
Was kann man z.B. an den »Autonomen« - der Begriff
heißt ja nichts anderes, als daß sie sich ihr eigenes
Gesetz, ihre eigene Gewalt sind - und »Anarchos« -
der Begriff steht für dasselbe, negativ ausgedrückt -
bemerken?
Bei denen ist gar nicht die Frage angebracht, ob die Mittel mehr oder
weniger adäquat zum Zweck passen. Der Zweck, den sie sich setzen,
ist apolitischer Art: Sie wollen die Gesellschaft gar nicht
ändern, suchen sie doch in ihr ihren Platz und finden ihn auch
regelmäßig, wenn sie sich in Demonstrationen einmischen, die
ihnen der Sache nach egal sind. Die Räuberbanden Bakunins
damals wie die Straßenschlachten mit sogenannten »Bullen«
heute sind gesellschaftsbezogen ergebnislos (daß der Staat die
Strafgesetze verschärft, das macht er ja sowieso und aus ganz
anderen, viel grundsätzlicheren Erwägungen), gleichzeitig aber
kennzeichnend für deren Zwecke. Sich als Individuum im Kampf zu
bewähren, das ist genuine bürgerliche Ideologie und an der
knüpfen sie an. Zugrunde liegt der stumme Zwang der
ökonomischen Verhältnisse, der das Individuum zum
Einzelkämpfer seines Fortkommens macht und dem dafür
entsprechende Ratschläge erteilt werden, derzufolge der einzelne
selber Grund für Erfolg und Mißerfolg seiner Stellung in
der Gesellschaft ist, es also »nur«" darauf ankäme, sich selber richtig einzustellen, damit es klappt mit dem Erfolg. So wird die Gesellschaft »psychisiert«. Autonome und Anarchos reagieren darauf als Psychos, wenn sie
der Parole ausgeben wie "Schlagt kaputt, was Euch kaputt macht!":
So sind sie der negative Abklatsch eines »normalen« Individuums, das der Psycho-Parole »Positiv denken!« glaubt und tagtäglich
andere damit belästigt. Kurz sie sind eine
Abteilung
der Psycho-Produkte des Kapitalismus (von wegen links oder
systemkritisch!). Ihr Daseinszweck ist, sich eine Nische der
Anerkennung
mit und in ihrer Negativ-Stellung zumindest immer wieder punktuell zu
schaffen - der Staat tut ihnen den Gefallen in der Tat; wie ihre
Artverwandten, die Depressiven, obliegen sie seiner Obhut: jene seiner
Medizin und der medizinischen Wissenschaft, sie seiner Polizei und der
Justiz; Amokläufer liegen irgendwo dazwischen.
Daß ausgerechnet ML-Ideologen ein positives
Moment an jenen Anarcho-Typen finden, liegt an einer Gemeinsamkeit, die in
jenem Negativum besteht und die sie als das interpretieren, was es
nicht ist: Eine Gegnerschaft zum kapitalistischen Staat. Eine
Ähnlichkeit besteht des weiteren darin: Die Anarchos sind
bewußt bestrebt gegen jeden klaren Gedanken gerichtete Positionen
auszudrücken und drängen deshalb immerzu auf »Aktion«:
Kommunikation halten sie - zumindest implizit - für ziemlich
überflüssige Hirnfickerei und bei den Herrschenden
beheimatet [15]:
ML-Ideologen messen in ähnlicher Weise der Aktion eine weit
höhere Bedeutung
bei als jeder Theorie - wenn sie eine solche anzubringen gedenken, dann
schneiden sie die immer auf ihre Praxis zu, sieht also dementsprechend
genau so gegen einen klaren Gedanken gerichtet aus: Für sie
muß Theorie praxisrelevant, methodisch sein. So versuchen sie den
Anarcho-Demonstranten immerzu einen guten Zweck hinzuzudichten und
wissen
sich insofern ihnen überlegen. Gleichzeitig rechtfertigen sie -
ja auch mit solchen Typen ihre moralisch gute Meinung von der
Arbeiterklasse,
die, wie man sehe, ja durchaus schon irgendwie unterwegs sei, nur noch
nicht begriffen habe, daß eine Partei mit einem »K« oder mit einem »ML«
im Namen
ihrer harrt; nur mit einer solchen Partei könne das ganze
vorgebliche gemeinsame
Anliegen ein Erfolg werden, wofür nicht zuletzt übrigens das
ebenfalls im Namen generell enthaltene - opportunistische - nationale »D« garantieren soll. Die Stellung einer
solchen - von Marx' Standpunkt aus betrachtetet - revisionistischen Partei zur Gewalt ist übrigens nicht ihre Beurteilung
danach, ob sie dem Zweck adäquat ist und inwiefern bzw.
ihm widerspricht, sie richtet sich vielmehr nach dem - von außen an
sie herangetragenen - Stand der »Bewegung«, ist also keineswegs eine
sachliche, vielmehr eine opportunistische. Ihr höchstes Prinzip
lautet nämlich - und es ist ein rein filosofisches: Die Bedingungen der
Möglichkeit richtig einschätzen!
Kurzum, sowohl Anarchisten wie ML-Kommunisten sind genial passende Gegenstücke zur
etablierten Dummheit, die die Herrschaft sich bei so einer »Kritik« erst
recht lässig leisten kann. Es liegt allerdings der Verdacht
nahe,
daß sie sich diese Dummheit - so unbegriffen sie für sich
ist - nicht leisten will und zwar aus eigenem Rechtfertigungsbedarf -
es geht hier also nicht pur um die Verletzung von (Grund-)Rechten als
solchen, sondern um ideologische Maxime! - und
allein deshalb ihrerseits ihre Gewalt ins Spiel bringt. Ihre
Protagonisten betonen es ja immer wieder ausdrücklich, wie dumm es
wäre, würden sie nicht das und das tun bzw.
unterlassen. Mit ihrer - verhinderten - Dummheit Taten der
Gewalt zu rechtfertigen, ist
übrigens ein schönes Bonmot der Demokratie!
Ja, es gibt so etwas wie oppositionell-politische Gewalt, weniger hierzulande als
anderswo, ziemlich ohnmächtig in aller Regel, wenngleich nicht ohne Leichen auskommend. Wobei der Begriff »Gewalt«schon
einigermaßen merkwürdig ist angesichts seiner Ohnmacht. Doch
in der demokratischen Welt steht einiges auf dem Kopf, wenn sie durch
ihre Medien gespiegelt wird. Nichtsdestotrotz ist gerade diese
ohnmächtige Gewalt der herrschenden Gewalt allein insofern sogar
willkommen, dient sie
doch ihrer Rechtfertigung, ihrer Aufrüstung sowohl in praktischer
wie vor allem ideologischer Hinsicht. Der demokratische Staat à
la BRD
leistet sich einen
Gewaltapparat - von Polizei und Justiz angefangen bis hin zu den
üblichen Agitationsanstalten namens Schulen, also nicht nur den
Knüppel umfassend (in der Schule ist er bekanntermaßen
abgeschafft)-, einen gewaltigen Apparat also, der rein sachlich
betrachtet, eine abnormes Verhältnis scheinbar zu dem
darstellt, was an nicht nur politischem
(die spielen ja eine vergleichsweise geringe Rolle), auch und vor allem wirtschaftlichem und privatem Verbrechen
überhaupt unterwegs ist - zu dem wäre er allenfalls ein
Mißverhältnis; nein, in Wirklichkeit zu dem, was an wirklich
positiven »Leistungen«
seine - d. i. die des Gewaltapparats - Gesellschaft überhaupt
hervorbringt. Es fragt sich also
nach dem Grund für ein dermaßen irrsinniges, ja
unökonomisch erscheinendes Vorgehen. Der
politische Grund liegt in seinem gesellschaftlichen Zweck.
Dafür, für die Vermehrung von abstrakten Reichtum, von Geld,
weiß er nämlich nichts Wesentliches vorzubringen, als
daß
die Durchsetzung und Aufrechterhaltung dieses Zwecks der Gewalt bedarf,
die Freiheit schafft - Freiheit schlechthin, welcher Gewalt bedarf. "Ein Filosof produziert Ideen, ein Poet Gedichte, ein Pastor Predigten,
ein Professor Kompendien usw. Ein Verbrecher produziert Verbrechen...."
(Karl Marx)[16] Während die eine Seite als produktiv
geschätzt wird, wird die andere ungerechterweise sehr
kontraproduktiv eingestuft.
Von allen
ideologischen Gründen - etwa daß mit der Vermehrung von Geld
früher oder später oder ohnehin fortwährend die Armut
bekämpft wird, die eben
derselbe Zweck erst einmal schafft - einmal abgesehen: Doch mit derlei
höheren Blödheiten soll sich an dieser Stelle nicht
befaßt werden, wiewohl nichts anderes als die Gewalt selber ihnen
Wahrheitscharakter verleiht. "So besteht eher Widerspruch als
Entsprechung zwischen dialektischen Denken und der gegebenen
Wirklichkeit; das wahre Urteil beurteilt diese Wirklichkeit nicht nach
ihren eigenen Begriffen, sondern nach Begriffen, die auf die
Vernichtung jener Wirklichkeit abzielen. Und in dieser Vernichtung
gelangt die Wirklichkeit zu ihrer eigenen Wahrheit." (H. Marcuse)[17] Als herrschende Wirklichkeit ist der Glauben an die - selig machenden -
ideologischen Weisheiten des Kapitalismus ungebrochen.
Kommunikation steht also gegen Gewalt. Steht damit für einen
gänzlich anders gearteten Gesellschaftszweck, einem der nicht auf
Gewalt beruht, weil er Gewalt nicht nötig hat und verabscheut.
Wenn George Herbert Mead schreibt, ihm "scheint das Grundprinzip der
gesellschaftlichen Organisation des Menschen die Kommunikation zu sein,
die Anteilnahme an den anderen voraussetzt"
[18], kann er damit
zwar eine allgemein menschliche, aber unmöglich die real
existierende, auf Gewalt beruhende meinen. Auf seinen Fehler, die
staatlichen, zumal demokratische Verhältnisse aus der
Kommunikation (Vertragstheorien etc.) abzuleiten, hat schon Karl Held [19] aufmerksam
gemacht. Angelegt ist dieser bemerkenswerte Fehler schon bei
Aristoteles. Doch während ihm die gesellschaftliche Entwicklung
des Menschen als an den Staat gebundene erscheinen mußte, sticht
heute selbst einem, der keinerlei Begriff von der Sache hat, ins Auge,
daß der Staat, dieser Gewaltmonopolist mit seinen Tausenden von
Gesetzen und Verordnungen, selber nichts als ein einziges großes
Hindernis für eine gesellschaftliche Entwicklung der Menschheit
darstellt. Aristoteles hält fest:
"Daß aber der Mensch
mehr noch als jede Biene und jedes schwarm- oder herdenweise lebende
Tier ein ζῷον
πολιτικόν ist, liegt zutage.
Die Natur macht, wie wir sagen, nichts vergeblich. Nun ist aber einzig
der Mensch unter allen animalischen Wesen mit der Sprache begabt. Die
Stimme ist das Zeichen für Schmerz und Lust und darum auch den
anderen Sinneswesen verliehen, indem ihre Natur so weit gelangt ist,
daß sie Schmerz und Lust empfinden und beides einander zu
erkennen geben. Das Wort aber oder die Sprache ist dafür da,
das Nützliche und das Schädliche und so denn auch das
Gerechte und das Ungerechte anzuzeigen. Denn das ist den Menschen vor
den anderen Lebewesen eigen, daß sie Sinn haben für das Gut
und Böse, für Gerecht und Ungerecht und was dem ähnlich
ist. Die Gemeinschaftlichkeit dieser Ideen aber begründet die
Familie und den Staat." [20] Wir sehen hier den exemplarischen
Übergang der richtigen Feststellung des Menschen als
begriffsbildenden und gesellschaftsbildenden - zu der falschen
Behauptung, hieraus würde sich der Staat - welcher Form auch immer
und quasi naturnotwendig - ableiten lassen. Der Begriff des ζῷον
πολιτικόν (zóon
politikón) beinhaltet bezeichnenderweise diesen Gegensatz auch
noch exemplarisch: Von seinem Ursprung her muß man
das »politikón«
mit »kulturell«, »gesellschaftlich« [21] übersetzen, es erfährt an
dieser Stelle jedoch den neuen Gehalt einer staatlichen (- expliziten -
Vernunft- wie - impliziten - Zwangs-)Gemeinschaft. An anderer Stelle
macht Aristoteles übrigens den richtigen Übergang zu Wissen
und Wissenschaft [22].
Nun könnte man
noch einwenden, eine solche kommunikative Haltung - wie von Aristoteles
und Mead
beschrieben und analysiert (abgesehen von den Weiterungen falscher
Staatsableitungen) - wenn schon nicht geradewegs idealistisch, so doch
gar nicht ernsthaft. Platon fand den Gedanken lächerlich: Im
»Gorgias« läßt er den Kallikles dem Sokrates antworten: "Mit
der Filosofie nämlich, soweit es zum Unterricht dient, sich
einzulassen, ist schön, und keineswegs gereicht es einem
Jüngling zur Unehre zu filosofieren. Wenn aber ein schon
Älterer noch filosofiert, Sokrates, so wird das ein
lächerliches Ding, und es gemahnt mich mit dem Filosofieren gerade
wie mit dem Stammeln und Tändeln. Wenn ich nämlich sehe,
daß ein Kind, dem es noch ziemt, so zu sprechen, stammelt und
tändelt, so macht mir das Vergnügen, und ich finde es
lieblich und natürlich und dem Alter des Kindes angemessen.
Höre ich dagegen ein kleines Kind ganz bestimmt und richtig
sprechen, so ist mir das zuwider, es peinigt meine Ohren und dünkt
mich etwas Erzwungenes zu sein. Hört man dagegen von einem Manne
unvollkommene Aussprache und sieht ihn tändeln, das ist offenbar
lächerlich und unmännlich und verdient Schläge."
[23]
Aristoteles setzt anstelle von Schlägen einen erklärenden, klaren Trennungsstrich:
"Man muß, wenn man fragen will, erstens den Ort ausfindig machen,
aus dem der »dialektische«
Schluß erfolgen soll, zweitens die einzelnen Fragen bei sich
selbst stellen und in eine bestimmte Ordnung bringen und sie endlich
drittens dem anderen entsprechend vorlegen.
Solange es sich nun um die Auffindung des Ortes handelt, gehört
die Untersuchung dem Filosofen und dem Dialektiker gemeinsam an,
dagegen bildet die nachfolgende Anordnung und Fragestellung die
eigentümliche Aufgabe des Dialektikers. Denn alles hier
Einschlägige hat seine Bedeutung lediglich dem anderen
gegenüber - während es den Filosofen, der ja für sich
selbst forscht, nicht kümmert, daß die Prämissen des
Schlusses wahr und bekannt sind -, der Antwortende jedoch sie nicht
aufstellt, weil sie der anfänglichen Frage nahestehen und er die
Folgerung voraussieht, vielmehr wird er sich wohl noch bemühen,
möglichst bekannte und mit dem Problem verschwisterte Axiome zum
Ausgangspunkt zu nehmen, weil das die Sätze sind, aus denen die
wissenschaftlichen Schlüsse entspringen." [24]
Sie - eine solche kommunikative Haltung - ist idealistisch fernerhin
nur und kann es nur sein, sofern - wie bereits umrissen - sie neben der, d.h. ziemlich bezugslos zur staatlichen Gewalt ihre Genugtuung findet,
so wie sich nicht wenige Intellektuelle ihr Stübchen der
mehr oder weniger belanglosen Räsonnemonts und Ressentiments
eingerichtet haben [25]. Die Stellung, neben die Gewalt zu treten und
gleichzeitig in bewußte Distanz zur historischen Militanz der
Arbeiterklasse, haben übrigens Antonio Negri und Michael Hardt in
einer neuen Ideologie - ausgerechnet! - des »Widerstands« manifestiert: "Heute
kann der Militante nicht mehr für sich in Anspruch nehmen,
repräsentativ zu handeln, nicht einmal mehr für die
grundlegenden menschlichen Bedürfnisse der Ausgebeuteten.
Revolutionäre politische Militanz muß heute im Gegenteil das
wiederentdecken, was schon seit jeher die ihr eigene Form war: nicht
repräsentative, sondern konstituierende Tätigkeit." Nicht nur, daß dies stark an die integrativ vereinnahmende, »offene
Gesellschaft« eines reaktionären Ideologen wie Karl Popper - oder eines Crawford B. Macpherson, der diese in seinem »Nachruf auf die liberale Demokratie« (1983) ambivalent problematisiert - erinnert, nein, sie räumen eigenhändig die Barrikaden:
"Sie [die heutige Militanz] greift die Tugenden
aufrührerischen Handelns aus zwei Jahrhunderten subversiver
Erfahrung auf, ist aber gleichzeitig an eine neue Welt geknüpft,
eine Welt, die kein Außen mehr kennt. Sie kennt nur noch ein
Innen, eine lebendige und unvermeidliche Beteiligung an den
gesellschaftlichen Strukturen [die somit ihren kapitalistisch-gewaltsamen Charakter verlieren, oder was?],
die sich nicht mehr transzendieren lassen. Dieses Innen ist die
produktive Kooperation der Massenintelligenz und affektiver Netzwerke,
die Produktivität postmoderner Biopolitik. Diese Militanz
verwandelt Widerstand in Gegenmacht und Rebellion in ein Projekt der
Liebe. .... Diese Revolution wird keine Macht kontrolllieren
können - weil Biomacht und Kommunismus, Kooperation in Liebe,
Einfachheit und auch in Unschuld vereint bleiben. Darin zeigen sich die
nicht zu unterdrückende Leichtigkeit und das Glück, Kommunist
zu sein." [26] Bei dieser
(Ehren-)Rettung der Ideologie des historischen Materialismus
zieht Spinoza-Schätzer und Hegel-Kritiker Negri eine letzte
Konsequenz aus der von de Man geschilderten Niederlage: "Die Frage [Ist der Staat lediglich ein Verwaltungsausschuß der besitzenden Klassen?], die
von der Theorie verneint worden war, solange sie nur die Theoretiker
anging, wurde von der Praxis bejaht, sobald sie eine praktische Frage
wurde. Auch hier war es die Denkweise der Theorie, die ihre Niederlage
herbeiführte. Sie hatte die organische Natur des Staates verkannt,
indem sie ihn dem Begriff eines mechanischen Gegensatzes zweier
Wirtschaftsfaktoren unterordnete."[27]
Die Unterordnung widerlegt
Negri nicht mit einer richtigen Erklärung des Klassenstaats, er
erachtet das wechselseitige Verhältnis der Klassen zu ihm für
schlechthin gegenstandslos, weil es sich eh auflöse, wie man in
den vielfältigen Basisbewegungen - "affektiver Netzwerke" - ja
sehe; also, was den Staat anbelangt, so verflüchtigt der sich
mitsamt dem Proletariat, das er einst unterdrückt hat. Das
Christentum des Franz von Assisi feiert seine Auferstehung: "Man denke an sein Wirken!" (ebenda)
Kommunikation im eigentlichen Sinne spielt sich also
jenseits der - der und von der Gesellschaft
verpflichteten - (Kommunikations-)»Foren« ab - nicht ohne freilich auf sie Bezug zu nehmen! - weil sie sich getrennt von ihnen abspielen
muß, will sie ihrer Offenheit gerecht werden, die sie begrifflich
hat. Sie widersetzt sich der ambivalenten (Rechtfertigungs-)Logik von
Staatsapologeten, die Marx folgendermaßen aufgespießt hat: "Hegel
geht vom Staat aus und macht den Menschen zum versubjektivierten Staat;
die Demokratie geht vom Menschen aus und macht den Staat zum
verobjektivierten Menschen."[28] In diesem Sinne ist auch eine ganz andere Art von
Pluralismus erwünscht, als ihn ein politisches System
vortäuscht: Er ist demzufolge mit dem Begriff Pluralismus auch
nicht adäquat beschrieben: Es ist die Freiheit der Gedanken, das
Wägen derselben in ein oder mehreren Köpfen, es ist die
ursprüngliche Bedeutung des griechischen Begriffs der Dialektik. "Der
letzte Schritt in der Entwicklung der Kommunikation ist dann erreicht,
wenn das Individuum, welches dazu angeregt wurde, die Rollen anderer
einzunehmen, sich in den Rollen der anderen an sich selbst wendet und
so den Mechanismus des Denkens, den Mechanismus der inneren
Konversation erwirbt." (G. H. Mead) [29]
Deng Xiaoping hat es einst für nötig
erachtet, darauf hinzuweisen, daß jeder der
denkt und seine Gedanken veröffentlicht, zwar Fehler machen kann,
diese Fehler jedoch offen zu Tage liegen und korrigiert werden
können und will man die Ideologien, die sich mehr oder weniger
festgefahren haben, ausräumen, auch müssen [30]. In diesem
Sinne
mögen viele Blumen erblühen, mögen der herrschenden auf
Gewalt fußenden Publizistik ein bunter Strauß offener
Kommunikation gegenübergestellt werden. Allein mit Leuten, die mit
diskriminierenden und diffamierenden Äußerungen, Blumen zu zertreten
versuchen, will KoKa nichts zu tun haben. Mit allen anderen jederzeit. In diesem Sinne möge die »Kommunikation« erst richtig
losgehen.
KoKa, Mai/Juni 2010
___________________________________________________________
[1] Dieser Vers kommt an fünf Stellen der Ilias vor (Λ 407,
Ρ 97, Φ 562, Χ 122, Χ 385). Das macht Homers Be-Denken
deutlich, welches er selber hatte, bezüglich der Niederschrift -
die Ilias ist bekanntlich die frühest erhaltene im Abendland.
[2] "Ein negativer Einfluß des Internets scheint zu sein,
daß es zum oberflächlichen Lesen verleitet. Forscher des
University College London untersuchten das Leseverhalten von Besuchern
der Webseiten der British Library und eines britischen
Bildungskonsortiums. Es glich eher einem schnellen Überfliegen als
der gründlichen Lektüre. Rund 60 Prozent der Nutzer
elektronischer Zeitungen schauten sich nur drei Seiten an, und etwa 65
Prozent kehrten nicht zu der ursprünglichen Quelle zurück.
Es entstehen neue Formen des Lesens, folgern die Forscher: 'Die Nutzer »powerbrowsen«
durch die Titel, Inhaltsverzeichnisse und Kurzzusammenfassungen, immer
auf der Suche nach dem schnellen Gewinn. Es scheint fast, als ob sie
online gingen, um das Lesen im herkömmlichen Sinne zu vermeiden.'
Vor den negativen Einflüssen der neuen Medien warnt auch die
Entwicklungspsychologin Patricia Greenfield von der UCLA in einer
Überblicksstudie. 'Obwohl die visuellen Möglichkeiten des
Internets und von Videospielen eine beeindruckende visuelle Intelligenz
fördern mögen, scheint dies auf Kosten einer tieferen
Verarbeitung zu gehen.' Analysefähigkeiten, kritisches Denken, Vorstellungsfähigkeit und Reflexion blieben auf der Strecke." (HB, 19.11.2009)
[3] Das festgestellte Verhalten wäre ja durchaus noch auf die
beabsichtigten Zwecke zu überprüfen und deren
gesellschaftlich erwünschte Grundlage - worauf der genannte
Artikel ja auch hinweist: "Ein aufschlußreiches Beispiel ist
die bei vielen Arbeitgebern gerne gesehene oder sogar vorausgesetzte
Fähigkeit zum »Multitasking«.
Ganz wie ihre Rechner sollen auch die sie bedienenden Menschen
verschiedene Prozesse mehr oder weniger gleichzeitig ausführen."
[4] Sollte der Begriff »Diktatur« lediglich den Anspruch
des Proletariats ausdrücken, sich selber mit den
Verhältnissen, denen es unterworfen ist, abzuschaffen, ist der
Begriff auf dieser Seite so (un)verständlich wie auf der anderen
Seite die Demokratie viel zutreffender als Diktatur zu bezeichnen wäre, was sie ja
wie jede monopolisierte Gewalt auch ist, unabhängig davon, worauf
sie sich beruft und wie sie sich rechtfertigt. In diesem Sinne des puren Anspruchs
hat den Begriff auch Marx gebraucht, wenn er in seiner gegen die
sozialdemokratische Staatsaffirmation gerichteten polemischen Kritik
des Gothaer Programms schreibt:
"Zwischen [?] der
kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode
der revolutionären Umwandlung der einen in die andre. Der
entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren [?] Staat nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats." [MEW 19, S.28] Um dann eine kaum minder mißverständliche Formulierung nachzureichen: "Das Programm nun hat es weder mit letzterer zu tun, noch mit dem zukünftigen Staatswesen [! - gemeint ist wohl so etwas wie Organisationszusammenhang] der kommunistischen Gesellschaft."
An diesen wohl eher unabsichtlich unsauber formulierten Passagen geilt
sich später ein Lenin auf. Marx noch einmal an anderer Stelle: "Über
die Kommune habe es viele Mißverständnisse gegeben. Sie
könne zu keiner neuen Form der Klassenherrschaft führen. Wenn
die bestehenden Verhältnisse der Unterdrückung durch die
Übergabe der Produktionsmittel an die produzierenden Arbeiter
beseitigt würden, wodurch jeder arbeitsfähige Mensch
gezwungen wäre, für seinen Lebensunterhalt zu arbeiten [dann eine Notwendigkeit, die nicht der Staat als Zwang aufherrscht, sondern der Natur geschuldet!], werde
auch die einzige Basis der Klassenherrschaft und der Unterdrückung
beseitigt. Aber bevor [!!!] eine solche Veränderung vollzogen werden könne, sei eine Diktatur des Proletariats notwendig..." [MEW 17, S.432f.] Bei Lenin ist es genau andersherum, da kommt die Diktatur nach
der Abschaffung der kapitalistischen Klassenstaats mitsamt seinen
Klassen und man fragt sich schon verwundert, gegen wen die Diktatur
dann gerichtet sein kann. An anderer Stelle wird die "kühne Parole" von der "Diktatur der Arbeiterklasse!" gleich an sein wirkliches Ergebnis von rein historischer Bedeutung geknüpft: "Von
der Bourgeoisie wurde das Pariser Proletariat zur Juniinsurrektion
gezwungen. Schon darin lag sein Verdammungsurteil. Weder sein
unmittelbares eingestandenes Bedürfnis trieb es dahin, den Sturz
der Bourgeoisie gewaltsam erkämpfen zu wollen, noch war es dieser
Aufgabe gewachsen. Der 'Moniteur' mußte ihm offiziell
eröffnen, daß die Zeit vorüber, wo die Republik vor
seinen Illusionen die Honneurs zu machen sich veranlaßt sah, und
erst seine Niederlage überzeugte es von der Wahrheit, daß
die geringste Verbesserung seiner Lage eine Utopie bleibt innerhalb der
bürgerlichen Republik, eine Utopie, die zum Verbrechen wird,
sobald sie sich verwirklichen will. An die Stelle seiner, der Form nach
überschwenglichen, dem Inhalte nach kleinlichen und selbst noch
bürgerlichen Forderungen, deren Konzession es der Februarrepublik
abdingen wollte, trat die kühne revolutionäre Kampfparole: Sturz der Bourgeoisie! Diktatur der Arbeiterklasse!
Indem das Proletariat seine Leichenstätte zur Geburtsstätte
der bürgerlichen Republik machte, zwang es sie sogleich, in ihrer
reinen Gestalt herauszutreten als der Staat, dessen eingestandener
Zweck ist, die Herrschaft des Kapitals, die Sklaverei der Arbeit zu
verewigen. Im steten Hinblicke auf den narbenvollen,
unversöhnbaren, unbesiegbaren Feind - unbesiegbar, weil seine
Existenz die Bedingung ihres eigenen Lebens ist - mußte die von
allen Fesseln befreite Bourgeoisherrschaft sofort in den
Bourgeoisterrorismus umschlagen." [MEW 7,
S.33] Wie könnte eine in ihren Einzelheiten noch unbegriffene
Einsicht in eine Niederlage schon automatisch ein brauchbares neues
Konzept hervorbringen?
Lenin sucht an diesen Schriften anknüpfend, völlig krampfhaft, nämlich ohne ein Argument, einen
Unterschied zwischen (wirklichen) "Marxisten" und (nicht nur)
"Kleinbürgertum" herzustellen: Er würde in der "Anerkennung" "nicht nur" des Klassenkampfs [so als wäre es egal, auf welcher seiner Seiten man stünde!], sondern in der "Diktatur des Proletariats" bestehen [und auch genau deshalb in der Duma hocken wollen!]! [W. I. Lenin, Marx' Fragestellung im Jahre 1852 in: Staat und Revolution, LAW (sechsbändige Ausgabe), Bd. 3, S.496]
Während bei Lenin der Begriff übrigens geradezu
inflationär und in einem überhaupt nicht
mißverständlichen Sinne als Staatsalternative gebraucht
wird, kommt er bei Marx, außer in den
genannten Zusammenhängen weder vor [sollte etwas übersehen
worden sein, kann das gerne eingereicht werden] noch gar in Lenins Sinn. Im Grunde war und ist
der Begriff ja seiner Herkunft nach wohl auch nichts anderes als ein
verlogener bürgerlicher
Vorwurf, der dem politischen Gegner Gewalt vorwirft, auf die man selber
(angeblich bzw. noch) großzügig verzichtet. Dem könnte
man schon mal
entgegenhalten - wolle man ihm Schrecken einflößen -,
daß ihm eine Diktatur des Proletariats guttäte; doch selbst
das würde ja überhaupt nichts an Sache und Lage ändern: "Der
deutsche Filister ist neuerdings wieder in heilsamen Schrecken geraten
bei dem Wort: Diktatur des Proletariats. Nun gut, ihr Herren, wollt ihr
wissen, wie diese Diktatur aussieht? Seht euch die Pariser Kommune an.
Das war die Diktatur des Proletariats." [Friedrich Engels, MEW 22, S.199]
Daß sich Lenin auf diesen Begriff positiv bezogen hat, ist
auch nicht mit praktisch-revolutionärer Notwendigkeit zu
entschuldigen, sondern einer politischen Ignoranz geschuldet gewesen,
die die Revolution infrage gestellt hat; und zwar nicht von außen
- die westliche antisozialistische Hetze entbehrt ja ohnehin weitgehend
eines
wissenschaftlich ernstzunehmenden Standpunkts -, sondern von ihm
persönlich: Er selber löste den widersprüchlichen
Begriff
zuungunsten des Proletariats und zugunsten der neuen Staatsgewalt auf. Dafür hätte es dann wohl
keine sozialistische Revolution gebraucht! (Der unmittelbar
praktischen, militärischen Bedrohung der Revolution erwiesen sich die Bolschewiki ja gewachsen, wobei der Preis
- die ungeheuren Opfer des Proletariats - freilich fast ebenso fraglich
erscheinen muß.)
[5] Man denke etwa an die Neue Ökonomische Politik Lenins oder an
den kapitalistischen Weg der Volksrepublik China; man denke an die
dadurch ausgelösten Gegenbewegungen: Als was hat denn Stalin den
Gosplan wiederentdeckt, wenn nicht aus dem Grund, eben diese
Rangordnung ernsthaft infrage gestellt zu sehen?, was ihn zu
Maßnahmen allererster Brutalität, zur Liquidierung auch nur
zweifelhafter »Elemente«
veranlaßt hat. Umgekehrt wurden im chinesischen Fall
proletarische Proteste, die sich, wie sie meinten, zurecht auf den
Sozialismus beriefen, 1989 im Keim erstickt. [Daß an die wiederum
das westliche Interesse anzuknüpfen versucht hat und sie als
»Demokratiebewegung« verherrlicht, zeigt einmal mehr, wie verlogen dieses sich geltend zu machen versteht.]
[6] Hendrik de Man, Zur Psychologie des Sozialismus, 1926, S.159
[7] Harry Pross, Die meisten Nachrichten sind falsch. Für eine neue Kommunikationspolitik, 1971, S.8
[8] "Einige Leitmedien - dazu zählt er [Filosof R. D. Precht] die
großen Tageszeitungen in Deutschland - seien dagegen für die
Gesellschaft mindest 'so systemrelevant wie Banken'." (Augsburger Allgemeine, 29.10.2009)
[9] Leonid Iljitsch Breschnew auf dem XXVI. Parteitag (23.02. bis 03.03.1981): "Unsere
Partei hat großes Vertrauen zu den vielen Tausend sowjetischen
Journalisten und weiß ihre beileibe nicht leichte Arbeit zu
schätzen. Jeder Beitrag in einer Zeitung, jede Sendung im
Fernsehen oder Rundfunk sind ein ernster Dialog mit einem Auditorium,
das nicht nur wahrheitsgetreue und operative Darlegung von Tatsachen,
sondern auch ihre tiefschürfende Analyse und fundierte
Verallgemeinerungen erwartet."
[10] George Herbert Mead, Philosophie der Sozialität, 1969, S.60; Auszüge aus den Originaltiteln: Philosophy of the Act (1938) und Philosophy of the Present (1932)
[11] Herbert Marcuse, Der Marxsche Begriff des Übergangs zum Sozialismus in Die Gesellschaftslehre des sowjetischen Marxismus, dt. in der Marcuse-Gesamtausgabe Band 6, 2004, S.43 f., Originaltitel: Soviet Marxism - A Critical Analysis, 1957
[12] Gabriel García Márquez, 1977, dt. in: Dornröschens Flugzeug, Journalistische Arbeiten 5, 1961-1984, S.19
[13] Es sei darauf hingewiesen, daß die BRD nicht aus der »Kommunikation« einiger Herren auf Herrenchiemsee im Jahre 1948 entstanden ist, auch
wenn sie das selber von sich glauben machen will und der DDR
vorgeworfen hat, sie allein fuße auf - sowjetischer - Gewalt:
Die BRD basierte auf der Gewalt der drei großen West-Alliierten
und hat ihre eigene erst später nach und nach von ihnen
konzediert bekommen.
[14] Otto A. Baumhauer, Die sophistische Rhetorik - eine Theorie sprachlicher Kommunikation, 1986, S.10f
[Baumhauer hat sich übrigens, wissenschaftlich korrekt, nicht auf
eines dieser Angebote eingelassen und bei seiner Untersuchung bei den
alten Griechen, bei Gorgias, begonnen. Der Antagonismus zwischen
Dialektik und Rhetorik soll uns an dieser Stelle jedoch - allein, um
die Untersuchung zu begrenzen - nicht beschäftigen.]
[15] In manchen ihrer Forderungen beziehen sie sich
gar uneingeschränkt positiv auf die herrschende Gewalt, z.B. möge die die NPD
verbieten. Den Zusammenhang zwischen Demokratie und Faschismus wollen
sie nicht begreifen, Bücher, die dieses Thema untersuchen
rühren sie schon gar nicht an: Sie könnten an ihrem Dogma
rühren - etwa dem nachgewiesen falschen Faschismus-Begriff von G.
Dimitroff "... Der Faschismus - das ist die Macht des Finanzkapitals selbst. ..." [siehe K. Hecker, Die verkehrte Faschismus-Theorie der Kommunistischen Internationale in Der Faschismus und seine demokratische Bewältigung, 1996, S.305ff.]
[16] Karl Marx, Abschweifung (über produktive Arbeit), MEW 26.1, S.363f.:
"...Betrachtet man näher den Zusammenhang dieses
letztren Produktionszweiges mit dem Ganzen der Gesellschaft, so wird
man von vielen Vorurteilen zurückkommen. Der Verbrecher produziert
nicht nur Verbrechen, sondern auch das Kriminalrecht und damit auch den
Professor, der Vorlesungen über das Kriminalrecht hält, und
zudem das unvermeidliche Kompendium, worin dieser selbe Professor seine
Vorträge als »Ware« auf den allgemeinen Markt wirft.
Damit tritt Vermehrung des Nationalreichtums ein. Ganz abgesehn von dem
Privatgenuß, den, wie uns ein kompetenter Zeuge, Prof. Roscher,
[sagt,] das Manuskript des Kompendiums seinem Urheber selbst
gewährt.
Der Verbrecher produziert ferner die ganze Polizei und Kriminaljustiz,
Schergen, Richter, Henker, Geschworene usw.; und alle diese
verschiednen Gewerbszweige, die ebenso viele Kategorien der
gesellschaftlichen Teilung der Arbeit bilden, entwickeln verschiedne
Fähigkeiten des menschlichen Geistes, schaffen neue
Bedürfnisse und neue Weisen ihrer Befriedigung. Die Tortur allein
hat zu den sinnreichsten mechanischen Erfindungen Anlaß gegeben
und in der Produktion ihrer Werkzeuge eine Masse ehrsamer
Handwerksleute beschäftigt.
Der Verbrecher produziert einen Eindruck, teils moralisch, teils
tragisch, je nachdem, und leistet so der Bewegung der moralischen und
ästhetischen Gefühle des Publikums einen
»Dienst«. Er produziert nicht nur Kompendien über das
Kriminalrecht, nicht nur Strafgesetzbücher und damit
Strafgesetzgeber, sondern auch Kunst, schöne Literatur, Romane und
sogar Tragödien, wie nicht nur Müllners »Schuld«
und Schillers »Räuber«, sondern selbst
»Ödipus« und »Richard der Dritte«
beweisen. Der Verbrecher unterbricht die Monotonie und
Alltagssicherheit des bürgerlichen Lebens. Er bewahrt es damit vor
Stagnation und ruft jene unruhige Spannung und Beweglichkeit hervor,
ohne die selbst der Stachel der Konkurrenz abstumpfen würde. Er
gibt so den produktiven Kräften einen Sporn. Während das
Verbrechen einen Teil der überzähligen Bevölkerung dem
Arbeitsmarkt entzieht und damit die Konkurrenz unter den Arbeitern
vermindert, zu einem gewissen Punkt den Fall des Arbeitslohns unter das
Minimum verhindert, absorbiert der Kampf gegen das Verbrechen einen
andern Teil derselben Bevölkerung. Der Verbrecher tritt so als
eine jener natürlichen »Ausgleichungen« ein, die ein
richtiges Niveau herstellen und eine ganze Perspektive
»nützlicher« Beschäftigungszweige auftun.
Bis ins Detail können die Einwirkungen des Verbrechens auf die
Entwicklung der Produktivkraft nachgewiesen werden. Wären
Schlösser je zu ihrer jetzigen Vollkommenheit gediehn, wenn es
keine Diebe gäbe? Wäre die Fabrikation von Banknoten zu ihrer
gegenwärtigen Vollendung gediehn, gäbe es keine
Falschmünzer? Hätte das Mikroskop seinen Weg in die
gewöhnliche kommerzielle Sfäre gefunden (siehe Babbage) ohne
Betrug im Handel? Verdankt die praktische Chemie nicht ebensoviel der
Warenfälschung und dem Bestreben, sie aufzudecken, als dem
ehrlichen Produktionseifer? Das Verbrechen, durch die stets neuen
Mittel des Angriffs auf das Eigentum, ruft stets neue
Verteidigungsmittel ins Leben und wirkt damit ganz so produktiv wie
strikes auf Erfindung von Maschinen. Und verläßt man die
Sfäre des Privatverbrechens: Ohne nationale Verbrechen, wäre
je der Weltmarkt entstanden? Ja, auch nur Nationen? Und ist der Baum
der Sünde nicht zugleich der Baum der Erkenntnis seit Adams Zeiten
her? Mandeville in seiner »Fable of the Bees« (1705) hatte
schon die Produktivität aller möglichen Berufsweisen usw.
bewiesen und überhaupt die Tendenz dieses ganzen Arguments:
»Das, was wir in dieser Welt das Böse nennen, das moralische
so gut wie das natürliche, ist das große Prinzip, das uns zu
sozialen Geschöpfen macht, die feste Basis, das Leben und die
Stütze aller Gewerbe und Beschäftigungen ohne Ausnahme; hier
haben wir den wahren Ursprung aller Künste und Wissenschaften zu
suchen; und in dem Moment, da das Böse aufhörte,
müßte die Gesellschaft verderben, wenn nicht gar
gänzlich untergehen.«
Nur war Mandeville natürlich unendlich kühner und ehrlicher
als die filisterhaften Apologeten der bürgerlichen Gesellschaft."
[17] Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch, dt. 1967, S.147; Original: The One-Dimensional Man - Studies in the Ideology of Advanced Industrial Society, 1964
[18] George Herbert Mead: Geist, Identität und Gesellschaft, 1973, S.299; Original: Mind, Self &
Society, 1934
[19] Karl Held, Kommunikationsforschung - Wissenschaft oder Ideologie? Materialien zur Kritik einer neuen Wissenschaft, 1973, S.8
[20] Aristoteles, Politik, 1. Buch, 1253a
[21] Die »Polis«
(»Stadt«) als eine aus der »Agrikultur« herausragende und sie somit
überragend, also im Gegensatz zu ihr wirkliche »Kultur« - oder, wie
heute oft gesagt wird, »Zivilisation« verkörpernde! - Die
Abfälligkeiten gegenüber der Landbevölkerung als weniger
gebildet und zivilisiert sind bis heute in den verschiedensten
Kulturkreisen erhalten geblieben, weil auch der
politisch-ökonomische Gegensatz zwischen Stadt und Land erhalten
geblieben ist.
[22] Aristoteles, Metaphysik, 1. Buch, 980a - 982b, bemerkenswert in dem erwähntem IT-Zusammenhang: ausgehend von den »Wahrnehmungen mittels der Augen«:
"Alle Menschen streben von Natur nach Wissen. Dies beweist die Liebe zu
den Sinneswahrnehmungen; denn auch ohne den Nutzen werden sie an sich
geliebt und vor allen anderen die Wahrnehmungen mittels der Augen.
Nicht nämlich nur zum Zweck des Handelns, sondern auch, wenn wir
nicht zu handeln beabsichtigen, ziehen wir das Sehen so gut wie allen
andern vor. Ursache davon ist, daß dieser Sinn uns am meisten
Erkenntnis gibt und viele Unterschiede aufdeckt. Von Natur nun
entstehen die Lebewesen mit sinnlicher Wahrnehmung, aus dieser entsteht
bei einigen von ihnen keine Erinnerung, bei anderen wohl, und darum
sind diese verständiger und gelehriger als jene, welche sich nicht
erinnern können. Verständig ohne zu lernen sind alle
diejenigen, welche keine Geräusche hören können, z.B.
die Biene und was etwa sonst für Lebewesen der Art sind; dagegen
lernen alle diejenigen, welche außer der Erinnerung auch diesen
Sinn besitzen. Die anderen Lebewesen leben nun mit Vorstellungen und
Erinnerungen und haben nur geringen Anteil an Erfahrung, das Geschlecht
der Menschen dagegen lebt auch mit Kunst und Überlegungen. Aus der
Erinnerung entsteht nämlich für die Menschen Erfahrung; denn
viele Erinnerungen an denselben Gegenstand bewirken das Vermögen
einer Erfahrung, und es scheint die Erfahrung der Wissenschaft und
Kunst fast ähnlich zu sein. Wissenschaft aber und Kunst gehen
für die Menschen aus der Erfahrung hervor;
denn »Erfahrung brachte Kunst hervor«, sagt Polos mit Recht, »Unerfahrenheit aber Zufall«.
Die Kunst entsteht dann, wenn sich aus vielen durch die Erfahrung
gegebenen Gedanken eine allgemeine Annahme über das Ähnliche
bildet. Denn die Annahme, daß (z.B.) dem Kallias, der an dieser
bestimmten Krankheit litt, dieses bestimmte Heilmittel half, und ebenso
dem Sokrates und vielen Einzelnen, ist eine Sache der Erfahrung;
daß es dagegen allen von solcher Beschaffenheit, die, nach einem
Artbegriff begrenzt, an dieser Krankheit litten, zuträglich war,
z.B. denen mit flegmatischer, cholerischer oder fieberartiger
Beschaffenheit, diese Annahme gehört der Kunst an. Zum Zweck des
Handelns steht die Erfahrung der Kunst nicht nach, vielmehr sehen wir,
daß die Erfahrenen mehr Erfolg haben als diejenigen, die ohne
Erfahrung nur den (allgemeinen) Begriff besitzen. Die Ursache davon
ist, daß die Erfahrung Erkenntnis vom Einzelnen ist, die Kunst
hingegen vom Allgemeinen, die Handlungen und Entstehungen aber auf das
Einzelne gehen. Denn nicht einen Menschen überhaupt heilt der
Arzt, außer in akzidentellem Sinne, sondern Kallias oder Sokrates
oder irgendeinen anderen von den so Benannten (Kranken), dem es
zukommt, ein Mensch zu sein. Wenn nun jemand den Begriff besitzt ohne
Erfahrung und das Allgemeine kennt, das darin enthaltene Einzelne aber
nicht kennt, so wird er das rechte Heilverfahren oft verfehlen; denn
Gegenstand des Heilens ist vielmehr das Einzelne. Dennoch aber glauben
wir, daß Wissen und Verstehen mehr der Kunst zukommen als der
Erfahrung und halten die Künstler für weiser als die
Erfahrenen, da Weisheit einen jeden mehr nach dem Maßstabe des
Wissens begleite. Und dies deshalb, weil die einen die Ursache kennen,
die anderen nicht. Denn die Erfahrenen kennen nur das Daß, aber
nicht das Warum; jene aber kennen das Warum und die Ursache. Deshalb
stehen auch die leitenden Künstler in jedem einzelnen Gebiete in
höherer Achtung, wie wir meinen, und wissen mehr und sind weiser
als die Handwerker, weil sie die Ursachen dessen, was hervorgebracht
wird, wissen, während die Handwerker so wirken, wie einiges von
dem Unbeseelten, das zwar etwas hervorbringt, wie z.B. das Feuer
Wärme, aber ohne das zu wissen, was es hervorbringt. Wie das
Unbeseelte durch ein natürliches Vermögen jedes hervorbringt,
so die Handwerker durch Gewöhnung. Denn jene halten wir nicht nach
der größeren Geschicklichkeit zum Handeln für weiser,
sondern darum, weil sie im Besitz des Begriffes sind und die Ursachen
kennen. Überhaupt ist dies ein Zeichen des Wissenden und des
Unwissenden, (den Gegenstand) lehren (bzw. nicht lehren) zu
können, und darum sehen wir die Kunst mehr für Wissenschaft
an als die Erfahrung; denn die Künstler können lehren, die
Erfahrenen aber nicht. Ferner meinen wir, daß von den
Sinneswahrnehmungen keine Weisheit gewähre, und doch geben sie die
bestimmteste Kenntnis vom Einzelnen; aber das Warum geben sie von
keinem Dinge an, z.B. von dem Feuer geben sie nicht an, warum es
brennt, sondern nur, daß es brennt. (...) Nach allem eben
Gesagten fällt also die gesuchte Bennennung derselben Wissenschaft
zu: Sie muß nämlich eine auf die ersten Prinzipien und
Ursachen gehende, theoretische sein;..."
[23] Platon, Gorgias, 485a-485c
[24] Aristoteles, Topik, 8. Buch, 155b
[25] Heutige Kapital-Exegeten wir Robert Kurz und
Michael Heinrich seien hier tadelnd erwähnt. An dieser Stelle wird
deutlich, daß ihre Fehler in ihrer Marx-Lesung ursächlich
daher rühren, daß sie gar nicht der Notwendigkeit des zu
begreifen vorgelegten Gegenstandes - des Geheimnisses wie aus Geld mehr
Geld wird - den für eine grundlegende gesellschaftliche
Veränderung nötigen und nützlichen Ernst zubilligen. Die relative Willkür ihrer Interpretationen als die einer tieferen Einsicht bestimmte anzupreisen, ist mithin die Kunst, der sie sich verschrieben haben. Sie tändeln, hätte Platon gesagt.
[26] Antonio Negri, Michael Hardt, Empire - die neue Weltordnung, 2002, S.419f.
[27] Hendrik de Man, Zur Psychologie des Sozialismus, 1926, S.25
[28] Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Kritik des Hegelschen Staatsrecht, MEW 1, S.231
[29] George Herbert Mead, Philosophie der Sozialität, 1969, S.316f
[30]
Deng Xiaoping, Das Denken befreien, die Wahrheit in den Tatsachen suchen und mit dem Blick in die Zukunft einig zusammenstehen (13.12.1978), dt. in: Ausgewählte Schriften 1975 - 1982, 1983, S.171:
"Menschen, deren Denken sich verfestigt hat, neigen allgemein
dazu, ihr Mäntelchen in den Wind zu hängen. Sie lassen sich
nicht durch den Geist und die Prinzipien der Partei führen,
sondern halten sich stets nur an das, was von »oben« abgesegnet wird,
und passen ihre Worte und Taten der »Windrichtung« an. Sie glauben
fest, auf diese Weise Fehler vermeiden zu können. In Wirklichkeit
ist diese Haltung an sich schon ein großer Fehler, denn sie
verletzt den Parteigeist, den alle Kommunisten pflegen sollten. Es ist
zwar wahr, daß jeder, der selbständig denkt und zu denken,
zu sprechen und zu handeln wagt, nicht vermeiden kann, Fehler zu
machen, aber diese Fehler liegen offen zutage und lassen sich demnach
auch leichter korrigieren.
Haben sich die Ideen der Menschen erst einmal festgefahren, so greift
auch bald das Übel einer von aller Realität entfernten
Buchgläubigkeit um sich. Man wagt nichts anderes zu sprechen oder
zu tun als was in Büchern, Dokumenten oder Reden der Leiter steht:
Alles muß abgeschrieben, kopiert oder zitiert werden."
Daß eine auf ML-Prinzipien beruhende Organisation offenkundig solchen Hinweises
bedarf, spricht für die Notwendigkeit der Überprüfung
von deren »sozialistischen Prinzipien«.