"Ich arbeite gegenwärtig an einem Projekt, das die Welt erschüttern wird,
auch wenn sie blind ist und taub obendrein."

(Louis Flamel, in "Die wollüstigen Schwämme", 1987)


ἀλλὰ τί ἤ μοι ταῦτα φίλος διελέξατο θυμός;

(aber was erwägt meine liebe Stimmung dies?)
Interessanterweise gebraucht Homer [1] den zum Begriff gewordenen, heutzutage altertümlich anmutenden Begriff »Dialektik« -
der heutzutage modernisiert durchaus mit
»Kommunikation« gleichgesetzt werden könnte, ist doch sein Ausgangspunkt das gedankliche Abwägen
im menschlichen Gehirn, gleichzeitig die Auswahl der Gedanken, ihre Sortierung und Folgerichtigkeit mit einschließend
- was also den Übergang vom Gefühl zum Argument kennzeichnet -, womit die Äußerung, das Sprechen als solches, vorbereitet wird. -
Kommunikation auf die herrschende Öffentlichkeit zu begrenzen, hieße freilich, sie ihrer Grundlage zu berauben,
und es mag sein, daß das sogar eine Absicht von Gewalt ist, ihr Ideal ist es allenthalben und die herrschende hat es
- gemessen an der geistigen Verwahrlosung der Hirnträger - dahingehend ja weit gebracht.





»Wie Computer das Hirn verändern«, so lautete ein im letzten Jahr im Handelsblatt [2] erschienener Artikel: Die Masse der via Internet zur Verfügung stehenden Informationen wie ihrer visualisierten Darstellung verführe und führe definitiv zu einer immer oberflächlicheren Betrachtung der einzelnen Gegenstände. Diese empirische Feststellung mal unberührt gelassen [3], läßt sich genauso gut feststellen, daß jene Dinge immer kritikloser wahrgenommen werden. Ist es nicht eine naheliegende Frage, was ein Internetportal in diesem Rahmen und unter diesen Voraussetzungen überhaupt will? Kann man sich einem solchen Trend überhaupt widersetzen? Und dieses Angebot unter dem Titel »Kommunikation & Kaffee« zu präsentieren, erscheint jedenfalls erst recht fragwürdig, scheint es doch jener vorherrschenden Oberflächlichkeit zu ent- und nicht zu widersprechen.

Es gibt wirklich schlaue Leute, die sogleich wußten, der Titel der Website - Kommunikation & Kaffee - wäre Tarnung. Doch wovor sollte sich KoKa tarnen, wenn die Tarnung sogleich und so leicht zu durchschauen ist? Vor den Dummköpfen, die die Tarnung nicht erkennen? Doch warum sich vor solchen Dummköpfen tarnen, wollen die überhaupt etwas kennen lernen?

Es gibt auch welche, wenn auch geringer Zahl, die, weil sie einen bei Linken üblichen Martialismus vermissen, der ihrer Meinung nach unanbedingbares Merkmal nicht-opportunistischer Haltung sei, perfidesten Opportunismus vermuten. Ein solche Haltung kann natürlich nur einer inhaltlichen Ignoranz geschuldet sein, die sich gewaschen hat: Es sind die, die mit Hammer und Sichel im Emblem die »Diktatur des Proletariats« [4] auf ihre Fahnen geschrieben haben, nicht wissen wollend, was sie damit für Widersprüchliches propagieren: Was soll das Proletariat denn wem diktieren, wenn es mit der kapitalistischen Gesellschaft sich selber als solches einmal abgeschafft hat? Dieser Spruch macht deutlich, daß seine Vertreter auf eine Staatsalternative hinaus wollen, in der die Klassen gar nicht abgeschafft sind, sondern nur deren Rangordnung geändert ist, wobei der Staat gegenüber dem Proletariat die Rolle des dann - nicht nur ideellen! - Gesamtkapitalisten - in einer wie auch immer modifizierten Form [5] - mit übernimmt; kurz: in dem der kapitalistische Staat zu einer Karikatur seiner selbst wird.
"Dieselbe [wie im Krieg] Gefühlsbetonung erklärt die mannigfachen und interessanten Wandlungen des von Marx gar nicht als Schlagwort beabsichtigten Ausdrucks 
»Diktatur des Proletariats«. Was ursprünglich eine beiläufig skizzierte, theoretische Hypothese der Politik war, wurde zum Glaubensgebot von Millionen, weil es die Möglichkeit einer Entladung für aufgespeicherte Revancheleidenschaft versprach." [6]

Was ist also der tragende Gedanke des Titels - Kommunikation & Kaffee - nun in der Tat?
Der Publizist Harry Pross hat ihn einmal treffend augedrückt:
"Kommunikation enthält per definitionem ein Element der Gegenseitigkeit, denn sie ist Mit-Teilung. Sie widerspricht dem autoritären Wollen, welches zum Mittel der Gewalt greift. Gegenseitigkeit bedeutet Offenheit für den anderen. Die Offenheit von Mitteilung konkretisiert das erkennende, das urteilende Denken. Gewalt verstellt es, denn sie fragt nicht nach falsch und richtig." [7]
Es sei einmal die Frage aufgeworfen, ob die erwähnte Internetlandschaft dem Titel »Kommunikation« gerecht wird - und dieselbe Frage gilt für Zeitungen und Rundfunk: Das oben erwähnte Ergebnis weitestgehender Oberflächlichkeit widerspricht jedenfalls dem Prinzip der Mitteilung und Gegenseitigkeit. Es ist eine nachgerade revolutionäre Aufgabe, Kommunikation zu etablieren, eine, derer die etablierten Medien entbehren, ja entbehren müssen, sind sie doch befangen in den herrschenden Verhältnissen, denen sie sich verpflichtet haben und welche sie sich nach Gutdünken ausmalen als die besten aller möglichen, zumal die Gewalt, auf denen sie beruhen, in Vorgehensweisen - man denke an ihre Legitimation durch freie Wahlen und Verfassung - institutionalisiert ist, die die ihnen zugrundeliegende Gewalt scheinbar in den Hintergrund drängen. Die Medien, die sich diesen Verhältnissen unterwerfen, berauben sich selber schon der Freiheit, die nötig wäre, Gewalt zu kritisieren. Es ist daher kein Wunder, daß sie so gut wie  jedes von ihnen aufgeworfene Thema auf eine Frage einer zu bestätigenden Gewalt reduzieren, spätestens oder gleich dann, wenn sie auf eine etwaige »politische Durchsetzbarkeit« zu sprechen kommen; alles eine Frage der staatlichen Gewalt, der monopolisierten Gewalt, die selbstredend andere Gewalt ausschließt. 

Es fällt den etablierten Medien daher auch nicht schwer, Gewaltalternativen zu verurteilen, weil man ja für Gewalt in ihrer Reinkultur - eben als (nationales) Monopol eintritt [8]. Woraus sich im übrigen auch deren nationale imperialistische Konsequenz ergibt, die auf Durchsetzung dieser Gewalt gegen andere Staaten dringt - wie auch immer das im einzelnen auch aussieht; das richtet sich nach den jeweiligen Potenzen, die in die Waagschale geworfen werden können. Noch leichter fällt es der Staatsgewalt, - bisweilen auftretende - ohnmächtige Gewalt ihrer Untertanen zu verurteilen, respektive auch die ihrer auswärtigen Statthalter in der sogenannten »Dritten Welt«.

Eine Opposition, die den Weg der Gewalt einschlägt, ist entweder Opportunismus einfältiger Art - nämlich in oder gegenüber einer sich unmittelbar bietenden Herrschaftsalternative und einer Ideologie (ver)mittelbaren Gedankens, der Arbeiterklasse bzw. dem »Volk« müsse lediglich vor Augen geführt werden, daß ein bewaffneter Kampf zu seiner Befreiung möglich sei, damit sie bzw. es sich anschließe; - oder eine Farce einer Opposition, weil sie offenbar keine anderen Argumente kennt bzw. kennen will als solche reichlich ideologischer Art. In jedem Fall achtet solche Opposition den menschlichen Verstand gering.
Ein bemerkenswerter Sonderfall erster Sorte war vor noch nicht allzu langer Zeit in der Sowjetunion zu verfolgen, als einer politischen Führung selbst es im Jahre 1986 urplötzlich angebracht erschien, unter dem Schlagwort гласность [Glasnost = »Anhören«] für eine offene Kommunikation zu sorgen, gewissermaßen eine Usurpation der Opposition zu betreiben. Der Gedanke war der, daß eine offene Diskussion - die alten Thesen über die sozialistische Öffentlichkeit, wie sie noch Breschnew auf dem XXVI. Parteitag der KPdSU 1981 [9] aufgetischt hatte, wurden kurzerhand sozusagen als Vortäuschung falscher Tatsachen aus dem Verkehr gezogen - daß eine solch offene Diskussion selbstverständlich dem »sozialistischen« Staat zugute käme, weil nur so dessen »Probleme« zur Sprache kommen und einer bestmöglichen Lösung zugeführt werden könnten. Diese Initiative war in ihrer Anlage so konsequent, sich nicht nur auf den Bereich der Sowjetunion zu beschränken; auf einmal gab es auch an den Hauptbahnhöfen der BRD die Parteizeitung Prawda zu kaufen, in deutscher Sprache. Die Fehler bei dieser Überlegung, die ihren opportunistischen Charakter offenkundig werden ließ, waren, daß erstens das angesprochene »Volk« nicht gebildeter war und wohl auch nicht sein konnte als die politische Herrschaft, daß zweitens eben diese Herrschaft gar nicht in der Lage war - wer hatte beispielsweise bei Gorbatschow den Eindruck, er habe Marx' Kapital kapiert? (Hat er es überhaupt mal aufgeschlagen?) -, die zahlreich eingehenden Kritiken und Verbesserungsvorschläge einer objektiven, wissenschaftlichen Prüfung zu unterziehen - eine solche hätte zudem - diese These sei an dieser Stelle gewagt - weitaus mehr Kritikables an der Kritik selber vorgefunden als irgendwie dem »Sozialismus« vorwärts Weisendes. Kurzum, die opportunistische Berechnung der Initiative mußte so umgekehrt zum Mittel der wirklichen, einer prokapitalistischen Opposition werden. Die Usurpation der Staatsgewalt konnte so ausnahmsweise ohne großes Blutvergießen erreicht werden. Ausdrücklich ist darauf zu verweisen, daß der endgültige Bruch ohne den militärischen Einsatz der NATO-Staaten zustandekam, was ja das Vorstellungsvermögen ihrer Köpfe schon auf eine einigermaßen harte Probe gestellt hat. In anderen Fällen (Irak, Iran, Afghanistan) können sie sich eine ähnliche Entwicklung ebensowenig vorstellen. Im Falle Serbiens hat sich ihre Öffentlichkeit erst kürzlich völlig überrascht gezeigt, wie widerstandslos - jetzt auf einmal! - es die EU-Beitrittsdiktate geschluckt hat. Wie sehr Imperialisten doch der Gewalt verhaftet sind!

Der zweite Fall, eine Farce war in Polen zu Zeiten der Besetzung der Lenin-Werft in Gdańsk und der damit verbundenen Entstehung der Gewerkschaft Solidarność zu beobachten. Mit Gebeten - eine etwas sonderbare Form von Kommunikation, fingierter nämlich - zur Jungfrau und Gottesmutter Maria sollte anno 1980 dem »wahren« Arbeiterinteresse zum Durchbruch verholfen werden. Das zunächst wahrgenommene ökonomische Arbeiter-Interesse wurde im Ansatz schon in ein viel wichtiger erscheinendes und wahrzunehmendes politisches Interesse überführt, das so beschaffen war - und das war nun der entscheidende Fehler -, daß es in sich das ökonomische aufgehoben hat; mit den bekannten Folgen, daß, sofern Ausbeutung abgeschafft wurde auch gleich jede Einkommensmöglichkeit der Arbeiterschaft abgeschafft wurde, wo nicht, die Ausbeutung nunmehr zu kapitalistischen Bedingungen stattfindet, die denen in der seinerzeitigen Volksrepublik Polen nicht nachstehen, eher im Gegenteil noch ein ganzes Stück barbarischer sind und viele Arbeiter ein Ausrücken in westeuropäische Staaten als das nunmehr zu erstrebende wahre Glück erscheinen läßt, wo sie auch nichts anderes sind als absolute Billiglohnarbeiter. -

Und überhaupt: Wie sollte Ideologiekritik mit Gewalt überhaupt möglich sein? Gewalt ist allein Mittel in einer ideologischen Konkurrenz, welche immer durch gegenseitige Unverträglichkeit gekennzeichnet ist, nie - das widerspräche ihrem Begriff - durch das Klären objektiver Sachverhalte, also auf der Suche nach Wahrheit. "Wahrheit drückt ein Verhältnis zwischen dem Urteil und der Realität aus." (G. H. Mead) [10] Fernerhin hat Herbert Marcuse darauf hingewiesen, daß "Gewalt weder zu den objektiven noch zu den subjektiven Bedingungen der Revolution gehört": "Gerade weil der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus die historische Aufgabe des Proletariats als einer revolutionären Klasse war, erschienen Marx und Engels die spezifischen Formen dieses Übergangs als Variablen, die von der Theorie nicht fixiert und aufgestellt werden konnten. Hatte das Proletariat sich einmal als revolutionäre Klasse konstituiert, seiner Mission bewußt und bereit, sie auszuführen, so mußten die Mittel und Wege zur Vollbringung seiner Aufgabe aus der dann herrschenden politischen und ökonomischen Lage abgeleitet werden." [11]


Der herrschende Verstand hat genaugenommen gar kein anderes Argument als Gewalt zur Verteidigung seiner Ordnung. Gerade deshalb versucht er auch jeden Einwand auf eine mögliche alternative Gewalt abzuklopfen. Kapitalismuskritiker hat er generell unter Gewaltverdacht. Anders kann er sie auch gar nicht »kritisieren«. Das, was der Staat unter Kommunikationsfreiheit (Meinungs-, Pressefreiheit) versteht, ist nichts anderes als ein implizites Kritikverbot an ihm und dem von ihm obwalteten Verhältnissen. Insofern ist der Vorwurf, daß es keine wirkliche Kommunikationsfreiheit gibt, völlig zutreffend, auch und gerade wenn jede existente Veröffentlichung, die sich den Mund nicht verbieten läßt, das Gegenteil zu beweisen scheint. Worauf übrigens Gabriel García Márquez im Zusammenhang mit der Zeitschrift Alternativa verwiesen hat:
"Sie
[unsere politischen und persönlichen Freunde im Ausland] fragen sich, wie wir uns den Widerspruch erklären, daß in der Zeitschrift steht in Kolumbien gebe es keine Pressefreiheit, wenn die gedruckte Behauptung als solche beweist, daß es sie doch gibt. Sie fragen sich schließlich, was das überhaupt für ein Land ist, in dem so etwas noch geschehen kann, da doch der übrige Kontinent ein von Gorillas beherrschter Dschungel ist.

Man mag es kaum glauben, aber die Antwort auf diese Fragen gab Präsident López Michelsen selbst, als ihn der Verteidigungsminister General Abraham Varón Valencia vor etwas mehr als einem Jahr in einer Sitzung des Ministerrates aufforderte, Alternativa wegen ihrer Kritik an den Streitkräften dichtzumachen. Die Weigerung des Präsidenten kam prompt: 'Diesen Gefallen werde ich der Zeitschrift nicht tun.'" [12]
In Europa und den USA sind die NATO-Tauben in ihren gepflegten Politikervillen natürlich weitaus weniger herausgefordert, sich zu einer diesbezüglichen Äußerung herabzulassen, so allgewaltig, wie sie sich die Macht und den Reichtum ihres Landes - durchaus nicht wirklichkeitsfremd - vorstellen.


Kommunikation steht gegen Gewalt. Kommunikation statt Kapitalismus, um es mal plastisch auszudrücken [13]; der derzeit herrschende Charakter der Gewalt ist ja kapitalistischer Spezifik. An dieser Stelle gilt es, einem Mißverständnis von Kommunikation entgegenzutreten: Einem Verständnis, das im Laufe der Geschichte ihre Nützlichkeit nicht nur für - also keineswegs gegen! - größere Gewalt-»Ausbrüche«, Kriege nämlich, auch den Herrschenden und ihren brain trusts zweckdienlich erschienen ist, freilich meist erst im nachhhinein, wenn sie sich die Frage gestellt haben, ob denn nicht die politische Kommunikation in Form der Diplomatie versagt habe, oder gleich die, ob die Effizienz der Kriegspropaganda nicht auch anderweitig von Nutzen sein könne. Diese historische Reminiszenz soll schon allein deshalb nicht unter den Tisch fallen, weil sie deutlich macht, wann die monopolisierten Gewalten selber mal Kommunikation für sich als Forschungsgegenstand entdecken und entdeckt haben:
"Begann die Kommunikationswissenschaft tatsächlich, als man sich nach dem Ersten Weltkrieg fragte, wie es möglich war, daß die politische und ideologische Propaganda der Kriegsjahre mit ihren Greuelgeschichten und der Verketzerung des Feindes ein solches Ausmaß annahm, eine solche Wirkung erzielte; als man andererseits die dabei gesammelten Erfahrungen zu erklären, die Erklärungen dann zu operationalisieren und auf politische Propaganda im allgemeinen wie auf kommerzielle Werbung anzuwenden versuchte: Kommunikationswissenschaft als Erforschung der Wirkungsmöglichkeiten der Massenmedien, von Presse und Film zunächst, bald schon des Radios, später dann auch des Fernsehens?
Oder begann die Kommunikationswissenschaft nicht bereits mit der pragmatischen Semiotik von Charles Sanders Peirce, ausgehend von der Frage, wie die Überzeugungen der Menschen zustande kommen, wie diese Überzeugungen sich festigen, unter welchen Voraussetzungen man einen Gedanken als »klaren Gedanken« bezeichnen darf (K. Oehler 1981)? – Charles Cooley (1909), Soziologe an der Universität von Chicago, entwickelte seine auch heute noch respektable Definition von Kommunikation ja unter dem unmittelbaren Einfluß von Peirces pragmatischer Semiotik: »Unter Kommunikation wird hier der Mechanismus verstanden, durch den menschliche Beziehungen bestehen und sich entwickeln – alle Zeichen des Geistes zusammen mit den Mitteln, sie durch den Raum zu übermitteln und in der Zeit zu bewahren: Sie umfaßt den Gesichtsausdruck, Körperhaltung und Geste, die Töne der Stimme, Wörter, Schrift, Druck, Eisenbahn, Telegraf, Telefon und was sonst immer die jüngste Überwindung von Raum und Zeit sein mag. All das, zusammen mit der Verschlungenheit seiner gegenwärtigen Kombination, ergibt ein organisches Ganzes, das dem organischen Ganzen des menschlichen Geistes entspricht; und alles, was sich auf das geistige Wachstum bezieht, hat hierin seine äußere Existenz.« – Von der Peirceschen Semiotik führt aber auch eine direkte Linie zur Sozialpsychologie der Kommunikation von George Herbert Mead ([1934] 1968) und weiter zu deren arg verstümmelter Tradition im »symbolischen Interaktionismus«.
Man kann die Kommunikationswissenschaft aber auch beginnen lassen mit dem immer noch imposanten Werk von Robert Prutz über die Geschichte des deutschen Journalismus aus dem Jahre 1846 – (...) .
Dann kann man allerdings mit vollem Recht auch die Frage stellen, ob die Kommunikationswissenschaft nicht schon im 18. Jahrhundert begonnen habe, als die sogenannten »Zeitungskollegien« zum festen Bestandteil des Lehrbetriebs der »Statistik« wurden, jener »galanten« Wissenschaft von den »öffentlichen Dingen«, der Staatswissenschaft also, die im Jahre 1660 erstmals an der Universität Helmstedt eingeführt, bald schon von anderen Universitäten und den Ritterakademien übernommen und zum Lehrfach an höheren Schulen aller Art wurde.
Und warum soll die Kommunikationswissenschaft dann nicht im Jahrhundert des Dreißigjährigen Kriegs begonnen haben, als man sich in deutschen Landen um Nutz und Frommen der »Neuen Zeitung« stritt, als die einen die Lektüre der Neuen Zeitungen zum Privileg der Obrigkeit erklärten, gegen die Zeitungssucht des gemeinen Volkes wetterten, Zensur und drastische Strafen für die Verbreitung falscher und politisch schädlicher Nachrichten verlangten, als die anderen den Nutzen der Zeitung für jedermann verteidigten, daher eine Verbesserung der Zeitungen forderten und die Erziehung zur sinnvollen, intelligenten Zeitungslektüre – »Medienpädagogik« also?" [14]
Wie gegen ihre machtpolitische Instrumentalisierung steht Kommunikation gegen alle Pseudoalternativen, insbesondere die, die einen machtpolitischen und insofern fiktiven Gegensatz zwischen Staat und Kapital aufzumachen bestrebt sind, auch die - und es sind meistens die gleichen - die in Staatsalternativen denken. Zur Alternative Kommunikation statt Gewalt gibt es keine Alternative. Wer Gewalt gegen Gewalt stellt, ist - objektiv betrachtet - reaktionär.
Was kann man z.B. an den »Autonomen« - der Begriff heißt ja nichts anderes, als daß sie sich ihr eigenes Gesetz, ihre eigene Gewalt sind - und »Anarchos« - der Begriff steht für dasselbe, negativ ausgedrückt - bemerken? Bei denen ist gar nicht die Frage angebracht, ob die Mittel mehr oder weniger adäquat zum Zweck passen. Der Zweck, den sie sich setzen, ist apolitischer Art: Sie wollen die Gesellschaft gar nicht ändern, suchen sie doch in ihr ihren Platz und finden ihn auch regelmäßig, wenn sie sich in Demonstrationen einmischen, die ihnen der Sache nach egal sind. Die Räuberbanden Bakunins damals wie die Straßenschlachten mit sogenannten »Bullen« heute sind gesellschaftsbezogen ergebnislos (daß der Staat die Strafgesetze verschärft, das macht er ja sowieso und aus ganz anderen, viel grundsätzlicheren Erwägungen), gleichzeitig aber kennzeichnend für deren Zwecke. Sich als Individuum im Kampf zu bewähren, das ist genuine bürgerliche Ideologie und an der knüpfen sie an. Zugrunde liegt der stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse, der das Individuum zum Einzelkämpfer seines Fortkommens macht und dem dafür entsprechende Ratschläge erteilt werden, derzufolge der einzelne selber Grund für Erfolg und Mißerfolg seiner Stellung in der Gesellschaft ist, es also »nur«" darauf ankäme, sich selber richtig einzustellen, damit es klappt mit dem Erfolg. So wird die Gesellschaft »psychisiert«. Autonome und Anarchos reagieren darauf als Psychos, wenn sie der Parole ausgeben wie "Schlagt kaputt, was Euch kaputt macht!": So sind sie der negative Abklatsch eines »normalen« Individuums, das der Psycho-Parole »Positiv denken!« glaubt und tagtäglich andere damit belästigt. Kurz sie sind eine Abteilung der Psycho-Produkte des Kapitalismus (von wegen links oder systemkritisch!). Ihr Daseinszweck ist, sich eine Nische der Anerkennung mit und in ihrer Negativ-Stellung zumindest immer wieder punktuell zu schaffen - der Staat tut ihnen den Gefallen in der Tat; wie ihre Artverwandten, die Depressiven, obliegen sie seiner Obhut: jene seiner Medizin und der medizinischen Wissenschaft, sie seiner Polizei und der Justiz; Amokläufer liegen irgendwo dazwischen.
Daß ausgerechnet ML-Ideologen ein positives Moment an jenen Anarcho-Typen finden, liegt an einer Gemeinsamkeit, die in jenem Negativum besteht und die sie als das interpretieren, was es nicht ist: Eine Gegnerschaft zum kapitalistischen Staat. Eine Ähnlichkeit besteht des weiteren darin: Die Anarchos sind bewußt bestrebt gegen jeden klaren Gedanken gerichtete Positionen auszudrücken und drängen deshalb immerzu auf »Aktion«: Kommunikation halten sie - zumindest implizit - für ziemlich überflüssige Hirnfickerei und bei den Herrschenden beheimatet [15]: ML-Ideologen messen in ähnlicher Weise der Aktion eine weit höhere Bedeutung bei als jeder Theorie - wenn sie eine solche anzubringen gedenken, dann schneiden sie die immer auf ihre Praxis zu, sieht also dementsprechend genau so gegen einen klaren Gedanken gerichtet aus: Für sie muß Theorie praxisrelevant, methodisch sein. So versuchen sie den Anarcho-Demonstranten immerzu einen guten Zweck hinzuzudichten und wissen sich insofern ihnen überlegen. Gleichzeitig rechtfertigen sie - ja auch mit solchen Typen ihre moralisch gute Meinung von der Arbeiterklasse, die, wie man sehe, ja durchaus schon irgendwie unterwegs sei, nur noch nicht begriffen habe, daß eine Partei mit einem »K« oder mit einem »ML« im Namen ihrer harrt; nur mit einer solchen Partei könne das ganze vorgebliche gemeinsame Anliegen ein Erfolg werden, wofür nicht zuletzt übrigens das ebenfalls im Namen generell enthaltene - opportunistische - nationale »D« garantieren soll. Die Stellung einer solchen - von Marx' Standpunkt aus betrachtetet - revisionistischen Partei zur Gewalt ist übrigens nicht ihre Beurteilung danach, ob sie dem Zweck adäquat ist und inwiefern bzw. ihm widerspricht, sie richtet sich vielmehr nach dem - von außen an sie herangetragenen - Stand der »Bewegung«, ist also keineswegs eine sachliche, vielmehr eine opportunistische. Ihr höchstes Prinzip lautet nämlich - und es ist ein rein filosofisches: Die Bedingungen der Möglichkeit richtig einschätzen!
Kurzum, sowohl Anarchisten wie ML-Kommunisten sind  genial passende Gegenstücke zur etablierten Dummheit, die die Herrschaft sich bei so einer »Kritik« erst recht lässig leisten kann. Es liegt allerdings der Verdacht nahe, daß sie sich diese Dummheit - so unbegriffen sie für sich ist - nicht leisten will und zwar aus eigenem Rechtfertigungsbedarf - es geht hier also nicht pur um die Verletzung von (Grund-)Rechten als solchen, sondern um ideologische Maxime! - und allein deshalb ihrerseits ihre Gewalt ins Spiel bringt. Ihre Protagonisten betonen es ja immer wieder ausdrücklich, wie dumm es wäre, würden sie nicht das und das tun bzw. unterlassen. Mit ihrer - verhinderten - Dummheit Taten der Gewalt zu rechtfertigen, ist übrigens ein schönes Bonmot der Demokratie!

Ja, es gibt so etwas wie oppositionell-politische Gewalt, weniger hierzulande als anderswo, ziemlich ohnmächtig in aller Regel, wenngleich nicht ohne Leichen auskommend. Wobei der Begriff »Gewalt«schon einigermaßen merkwürdig ist angesichts seiner Ohnmacht. Doch in der demokratischen Welt steht einiges auf dem Kopf, wenn sie durch ihre Medien gespiegelt wird. Nichtsdestotrotz ist gerade diese ohnmächtige Gewalt der herrschenden Gewalt allein insofern sogar willkommen, dient sie doch ihrer Rechtfertigung, ihrer Aufrüstung sowohl in praktischer wie vor allem ideologischer Hinsicht. Der demokratische Staat à la BRD leistet sich einen Gewaltapparat - von Polizei und Justiz angefangen bis hin zu den üblichen Agitationsanstalten namens Schulen, also nicht nur den Knüppel umfassend (in der Schule ist er bekanntermaßen abgeschafft)-, einen gewaltigen Apparat also, der rein sachlich betrachtet, eine abnormes Verhältnis scheinbar zu dem darstellt, was an nicht nur politischem (die spielen ja eine vergleichsweise geringe Rolle), auch und vor allem wirtschaftlichem und privatem Verbrechen überhaupt unterwegs ist - zu dem wäre er allenfalls ein Mißverhältnis; nein, in Wirklichkeit zu dem, was an wirklich positiven »Leistungen« seine - d. i. die des Gewaltapparats - Gesellschaft überhaupt hervorbringt. Es fragt sich also nach dem Grund für ein dermaßen irrsinniges, ja unökonomisch erscheinendes Vorgehen. Der politische Grund liegt in seinem gesellschaftlichen Zweck. Dafür, für die Vermehrung von abstrakten Reichtum, von Geld, weiß er nämlich nichts Wesentliches vorzubringen, als daß die Durchsetzung und Aufrechterhaltung dieses Zwecks der Gewalt bedarf, die Freiheit schafft - Freiheit schlechthin, welcher Gewalt bedarf. "Ein Filosof produziert Ideen, ein Poet Gedichte, ein Pastor Predigten, ein Professor Kompendien usw. Ein Verbrecher produziert Verbrechen...." (Karl Marx)[16] Während die eine Seite als produktiv geschätzt wird, wird die andere ungerechterweise sehr kontraproduktiv eingestuft.
Von allen ideologischen Gründen - etwa daß mit der Vermehrung von Geld früher oder später oder ohnehin fortwährend die Armut bekämpft wird, die eben derselbe Zweck erst einmal schafft - einmal abgesehen: Doch mit derlei höheren Blödheiten soll sich an dieser Stelle nicht befaßt werden, wiewohl nichts anderes als die Gewalt selber ihnen Wahrheitscharakter verleiht. "So besteht eher Widerspruch als Entsprechung zwischen dialektischen Denken und der gegebenen Wirklichkeit; das wahre Urteil beurteilt diese Wirklichkeit nicht nach ihren eigenen Begriffen, sondern nach Begriffen, die auf die Vernichtung jener Wirklichkeit abzielen. Und in dieser Vernichtung gelangt die Wirklichkeit zu ihrer eigenen Wahrheit." (H. Marcuse)[17] Als herrschende Wirklichkeit ist der Glauben an die - selig machenden - ideologischen Weisheiten des Kapitalismus ungebrochen.

Kommunikation steht also gegen Gewalt. Steht damit für einen gänzlich anders gearteten Gesellschaftszweck, einem der nicht auf Gewalt beruht, weil er Gewalt nicht nötig hat und verabscheut.
Wenn George Herbert Mead schreibt, ihm "scheint das Grundprinzip der gesellschaftlichen Organisation des Menschen die Kommunikation zu sein, die Anteilnahme an den anderen voraussetzt" [18], kann er damit zwar eine allgemein menschliche, aber unmöglich die real existierende, auf Gewalt beruhende meinen. Auf seinen Fehler, die staatlichen, zumal demokratische Verhältnisse aus der Kommunikation (Vertragstheorien etc.) abzuleiten, hat schon Karl Held
[19] aufmerksam gemacht. Angelegt ist dieser bemerkenswerte Fehler schon bei Aristoteles. Doch während ihm die gesellschaftliche Entwicklung des Menschen als an den Staat gebundene erscheinen mußte, sticht heute selbst einem, der keinerlei Begriff von der Sache hat, ins Auge, daß der Staat, dieser Gewaltmonopolist mit seinen Tausenden von Gesetzen und Verordnungen, selber nichts als ein einziges großes Hindernis für eine gesellschaftliche Entwicklung der Menschheit darstellt. Aristoteles hält fest:
"Daß aber der Mensch mehr noch als jede Biene und jedes schwarm- oder herdenweise lebende Tier ein ζῷον πολιτικόν ist, liegt zutage. Die Natur macht, wie wir sagen, nichts vergeblich. Nun ist aber einzig der Mensch unter allen animalischen Wesen mit der Sprache begabt. Die Stimme ist das Zeichen für Schmerz und Lust und darum auch den anderen Sinneswesen verliehen, indem ihre Natur so weit gelangt ist, daß sie Schmerz und Lust empfinden und beides einander zu erkennen geben. Das Wort aber oder die Sprache ist dafür da, das Nützliche und das Schädliche und so denn auch das Gerechte und das Ungerechte anzuzeigen. Denn das ist den Menschen vor den anderen Lebewesen eigen, daß sie Sinn haben für das Gut und Böse, für Gerecht und Ungerecht und was dem ähnlich ist. Die Gemeinschaftlichkeit dieser Ideen aber begründet die Familie und den Staat."
[20] Wir sehen hier den exemplarischen Übergang der richtigen Feststellung des Menschen als begriffsbildenden und gesellschaftsbildenden - zu der falschen Behauptung, hieraus würde sich der Staat - welcher Form auch immer und quasi naturnotwendig - ableiten lassen. Der Begriff des ζον πολιτικόν (zóon politikón) beinhaltet bezeichnenderweise diesen Gegensatz auch noch exemplarisch: Von seinem Ursprung her muß man das »politikón
« mit »kulturell«, »gesellschaftlich« [21] übersetzen, es erfährt an dieser Stelle jedoch den neuen Gehalt einer staatlichen (- expliziten - Vernunft- wie - impliziten - Zwangs-)Gemeinschaft. An anderer Stelle macht Aristoteles übrigens den richtigen Übergang zu Wissen und Wissenschaft [22].

Nun könnte man noch einwenden, eine solche kommunikative Haltung - wie von Aristoteles und Mead beschrieben und analysiert (abgesehen von den Weiterungen falscher Staatsableitungen) - wenn schon nicht geradewegs idealistisch, so doch gar nicht ernsthaft. Platon fand den Gedanken lächerlich: Im »Gorgias
« läßt er den Kallikles dem Sokrates antworten: "Mit der Filosofie nämlich, soweit es zum Unterricht dient, sich einzulassen, ist schön, und keineswegs gereicht es einem Jüngling zur Unehre zu filosofieren. Wenn aber ein schon Älterer noch filosofiert, Sokrates, so wird das ein lächerliches Ding, und es gemahnt mich mit dem Filosofieren gerade wie mit dem Stammeln und Tändeln. Wenn ich nämlich sehe, daß ein Kind, dem es noch ziemt, so zu sprechen, stammelt und tändelt, so macht mir das Vergnügen, und ich finde es lieblich und natürlich und dem Alter des Kindes angemessen. Höre ich dagegen ein kleines Kind ganz bestimmt und richtig sprechen, so ist mir das zuwider, es peinigt meine Ohren und dünkt mich etwas Erzwungenes zu sein. Hört man dagegen von einem Manne unvollkommene Aussprache und sieht ihn tändeln, das ist offenbar lächerlich und unmännlich und verdient Schläge." [23]
Aristoteles setzt anstelle von Schlägen einen erklärenden, klaren Trennungsstrich: "Man muß, wenn man fragen will, erstens den Ort ausfindig machen, aus dem der
»dialektische« Schluß erfolgen soll, zweitens die einzelnen Fragen bei sich selbst stellen und in eine bestimmte Ordnung bringen und sie endlich drittens dem anderen entsprechend vorlegen.
Solange es sich nun um die Auffindung des Ortes handelt, gehört die Untersuchung dem Filosofen und dem Dialektiker gemeinsam an, dagegen bildet die nachfolgende Anordnung und Fragestellung die eigentümliche Aufgabe des Dialektikers. Denn alles hier Einschlägige hat seine Bedeutung lediglich dem anderen gegenüber - während es den Filosofen, der ja für sich selbst forscht, nicht kümmert, daß die Prämissen des Schlusses wahr und bekannt sind -, der Antwortende jedoch sie nicht aufstellt, weil sie der anfänglichen Frage nahestehen und er die Folgerung voraussieht, vielmehr wird er sich wohl noch bemühen, möglichst bekannte und mit dem Problem verschwisterte Axiome zum Ausgangspunkt zu nehmen, weil das die Sätze sind, aus denen die wissenschaftlichen Schlüsse entspringen."
[24]
Sie - eine solche kommunikative Haltung - ist idealistisch fernerhin nur und kann es nur sein, sofern - wie bereits umrissen - sie neben
der, d.h. ziemlich bezugslos zur staatlichen Gewalt ihre Genugtuung findet, so wie sich nicht wenige Intellektuelle ihr Stübchen der mehr oder weniger belanglosen Räsonnemonts und Ressentiments eingerichtet haben [25]. Die Stellung, neben die Gewalt zu treten und gleichzeitig in bewußte Distanz zur historischen Militanz der Arbeiterklasse, haben übrigens Antonio Negri und Michael Hardt in einer neuen Ideologie - ausgerechnet! - des »Widerstands« manifestiert: "Heute kann der Militante nicht mehr für sich in Anspruch nehmen, repräsentativ zu handeln, nicht einmal mehr für die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse der Ausgebeuteten. Revolutionäre politische Militanz muß heute im Gegenteil das wiederentdecken, was schon seit jeher die ihr eigene Form war: nicht repräsentative, sondern konstituierende Tätigkeit." Nicht nur, daß dies stark an die integrativ vereinnahmende, »offene Gesellschaft« eines reaktionären Ideologen wie Karl Popper - oder eines Crawford B. Macpherson, der diese in seinem »Nachruf auf die liberale Demokratie« (1983) ambivalent problematisiert - erinnert, nein, sie räumen eigenhändig die Barrikaden:
"Sie [die heutige Militanz] greift die Tugenden aufrührerischen Handelns aus zwei Jahrhunderten subversiver Erfahrung auf, ist aber gleichzeitig an eine neue Welt geknüpft, eine Welt, die kein Außen mehr kennt. Sie kennt nur noch ein Innen, eine lebendige und unvermeidliche Beteiligung an den gesellschaftlichen Strukturen [die somit ihren kapitalistisch-gewaltsamen Charakter verlieren, oder was?], die sich nicht mehr transzendieren lassen. Dieses Innen ist die produktive Kooperation der Massenintelligenz und affektiver Netzwerke, die Produktivität postmoderner Biopolitik. Diese Militanz verwandelt Widerstand in Gegenmacht und Rebellion in ein Projekt der Liebe. .... Diese Revolution wird keine Macht kontrolllieren können - weil Biomacht und Kommunismus, Kooperation in Liebe, Einfachheit und auch in Unschuld vereint bleiben. Darin zeigen sich die nicht zu unterdrückende Leichtigkeit und das Glück, Kommunist zu sein." 
[26] Bei dieser (Ehren-)Rettung der Ideologie des historischen Materialismus zieht Spinoza-Schätzer und Hegel-Kritiker Negri eine letzte Konsequenz aus der von de Man geschilderten Niederlage:  "Die Frage [Ist der Staat lediglich ein Verwaltungsausschuß der besitzenden Klassen?], die von der Theorie verneint worden war, solange sie nur die Theoretiker anging, wurde von der Praxis bejaht, sobald sie eine praktische Frage wurde. Auch hier war es die Denkweise der Theorie, die ihre Niederlage herbeiführte. Sie hatte die organische Natur des Staates verkannt, indem sie ihn dem Begriff eines mechanischen Gegensatzes zweier Wirtschaftsfaktoren unterordnete."[27] Die Unterordnung widerlegt Negri nicht mit einer richtigen Erklärung des Klassenstaats, er erachtet das wechselseitige Verhältnis der Klassen zu ihm für schlechthin gegenstandslos, weil es sich eh auflöse, wie man in den vielfältigen Basisbewegungen - "affektiver Netzwerke" - ja sehe; also, was den Staat anbelangt, so verflüchtigt der sich mitsamt dem Proletariat, das er einst unterdrückt hat. Das Christentum des Franz von Assisi feiert seine Auferstehung: "Man denke an sein Wirken!" (ebenda)

Kommunikation im eigentlichen Sinne spielt sich also jenseits der - der und von der Gesellschaft verpflichteten - (Kommunikations-)»Foren« ab - nicht ohne freilich auf sie Bezug zu nehmen! - weil sie sich getrennt von ihnen abspielen muß, will sie ihrer Offenheit gerecht werden, die sie begrifflich hat. Sie widersetzt sich der ambivalenten (Rechtfertigungs-)Logik von Staatsapologeten, die Marx folgendermaßen aufgespießt hat: "Hegel geht vom Staat aus und macht den Menschen zum versubjektivierten Staat; die Demokratie geht vom Menschen aus und macht den Staat zum verobjektivierten Menschen."[28] In diesem Sinne ist auch eine ganz andere Art von Pluralismus erwünscht, als ihn ein politisches System vortäuscht: Er ist demzufolge mit dem Begriff Pluralismus auch nicht adäquat beschrieben: Es ist die Freiheit der Gedanken, das Wägen derselben in ein oder mehreren Köpfen, es ist die ursprüngliche Bedeutung des griechischen Begriffs der Dialektik. "Der letzte Schritt in der Entwicklung der Kommunikation ist dann erreicht, wenn das Individuum, welches dazu angeregt wurde, die Rollen anderer einzunehmen, sich in den Rollen der anderen an sich selbst wendet und so den Mechanismus des Denkens, den Mechanismus der inneren Konversation erwirbt." (G. H. Mead) [29] 
Deng Xiaoping hat es einst für nötig erachtet, darauf hinzuweisen, daß jeder der denkt und seine Gedanken veröffentlicht, zwar Fehler machen kann, diese Fehler jedoch offen zu Tage liegen und korrigiert werden können und will man die Ideologien, die sich mehr oder weniger festgefahren haben, ausräumen, auch müssen [30]. In diesem Sinne mögen viele Blumen erblühen, mögen der herrschenden auf Gewalt fußenden Publizistik ein bunter Strauß offener Kommunikation gegenübergestellt werden. Allein mit Leuten, die mit diskriminierenden und diffamierenden Äußerungen, Blumen zu zertreten versuchen, will KoKa nichts zu tun haben. Mit allen anderen jederzeit. In diesem Sinne möge die »Kommunikation
« erst richtig losgehen.

KoKa, Mai/Juni 2010
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[1] Dieser Vers kommt an fünf Stellen der Ilias vor (Λ 407, Ρ 97, Φ 562, Χ 122, Χ 385). Das macht Homers Be-Denken deutlich, welches er selber hatte, bezüglich der Niederschrift - die Ilias ist bekanntlich die frühest erhaltene im Abendland.
[2] "Ein negativer Einfluß des Internets scheint zu sein, daß es zum oberflächlichen Lesen verleitet. Forscher des University College London untersuchten das Leseverhalten von Besuchern der Webseiten der British Library und eines britischen Bildungskonsortiums. Es glich eher einem schnellen Überfliegen als der gründlichen Lektüre. Rund 60 Prozent der Nutzer elektronischer Zeitungen schauten sich nur drei Seiten an, und etwa 65 Prozent kehrten nicht zu der ursprünglichen Quelle zurück.
Es entstehen neue Formen des Lesens, folgern die Forscher: 'Die Nutzer »powerbrowsen
« durch die Titel, Inhaltsverzeichnisse und Kurzzusammenfassungen, immer auf der Suche nach dem schnellen Gewinn. Es scheint fast, als ob sie online gingen, um das Lesen im herkömmlichen Sinne zu vermeiden.'
Vor den negativen Einflüssen der neuen Medien warnt auch die Entwicklungspsychologin Patricia Greenfield von der UCLA in einer Überblicksstudie. 'Obwohl die visuellen Möglichkeiten des Internets und von Videospielen eine beeindruckende visuelle Intelligenz fördern mögen, scheint dies auf Kosten einer tieferen Verarbeitung zu gehen.'
Analysefähigkeiten, kritisches Denken, Vorstellungsfähigkeit und Reflexion blieben auf der Strecke." (HB, 19.11.2009)
[3] Das festgestellte Verhalten wäre ja durchaus noch auf die beabsichtigten Zwecke zu überprüfen und deren gesellschaftlich erwünschte Grundlage - worauf der genannte Artikel ja auch hinweist: "Ein aufschlußreiches Beispiel ist die bei vielen Arbeitgebern gerne gesehene oder sogar vorausgesetzte Fähigkeit zum »Multitasking
«. Ganz wie ihre Rechner sollen auch die sie bedienenden Menschen verschiedene Prozesse mehr oder weniger gleichzeitig ausführen."
[4] Sollte der Begriff »Diktatur« lediglich den Anspruch des Proletariats ausdrücken, sich selber mit den Verhältnissen, denen es unterworfen ist, abzuschaffen, ist der Begriff auf dieser Seite so (un)verständlich wie auf der anderen Seite die Demokratie viel zutreffender als Diktatur zu bezeichnen wäre, was sie ja wie jede monopolisierte Gewalt auch ist, unabhängig davon, worauf sie sich beruft und wie sie sich rechtfertigt. In diesem Sinne des puren Anspruchs hat den Begriff auch Marx gebraucht, wenn er in seiner gegen die sozialdemokratische Staatsaffirmation gerichteten polemischen Kritik des Gothaer Programms schreibt:
"Zwischen
[?] der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andre. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren [?] Staat nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats." [MEW 19, S.28] Um dann eine kaum minder mißverständliche Formulierung nachzureichen: "Das Programm nun hat es weder mit letzterer zu tun, noch mit dem zukünftigen Staatswesen [! - gemeint ist wohl so etwas wie Organisationszusammenhang]  der kommunistischen Gesellschaft." An diesen wohl eher unabsichtlich unsauber formulierten Passagen geilt sich später ein Lenin auf. Marx noch einmal an anderer Stelle: "Über die Kommune habe es viele Mißverständnisse gegeben. Sie könne zu keiner neuen Form der Klassenherrschaft führen. Wenn die bestehenden Verhältnisse der Unterdrückung durch die Übergabe der Produktionsmittel an die produzierenden Arbeiter beseitigt würden, wodurch jeder arbeitsfähige Mensch gezwungen wäre
, für seinen Lebensunterhalt zu arbeiten [dann eine Notwendigkeit, die nicht der Staat als Zwang aufherrscht, sondern der Natur geschuldet!], werde auch die einzige Basis der Klassenherrschaft und der Unterdrückung beseitigt. Aber bevor [!!!] eine solche Veränderung vollzogen werden könne, sei eine Diktatur des Proletariats notwendig..." [MEW 17, S.432f.] Bei Lenin ist es genau andersherum, da kommt die Diktatur nach der Abschaffung der kapitalistischen Klassenstaats mitsamt seinen Klassen und man fragt sich schon verwundert, gegen wen die Diktatur dann gerichtet sein kann. An anderer Stelle wird die "kühne Parole" von der "Diktatur der Arbeiterklasse!" gleich an sein wirkliches Ergebnis von rein historischer Bedeutung geknüpft: "Von der Bourgeoisie wurde das Pariser Proletariat zur Juniinsurrektion gezwungen. Schon darin lag sein Verdammungsurteil. Weder sein unmittelbares eingestandenes Bedürfnis trieb es dahin, den Sturz der Bourgeoisie gewaltsam erkämpfen zu wollen, noch war es dieser Aufgabe gewachsen. Der 'Moniteur' mußte ihm offiziell eröffnen, daß die Zeit vorüber, wo die Republik vor seinen Illusionen die Honneurs zu machen sich veranlaßt sah, und erst seine Niederlage überzeugte es von der Wahrheit, daß die geringste Verbesserung seiner Lage eine Utopie bleibt innerhalb der bürgerlichen Republik, eine Utopie, die zum Verbrechen wird, sobald sie sich verwirklichen will. An die Stelle seiner, der Form nach überschwenglichen, dem Inhalte nach kleinlichen und selbst noch bürgerlichen Forderungen, deren Konzession es der Februarrepublik abdingen wollte, trat die kühne revolutionäre Kampfparole: Sturz der Bourgeoisie! Diktatur der Arbeiterklasse!
Indem das Proletariat seine Leichenstätte zur Geburtsstätte der bürgerlichen Republik machte, zwang es sie sogleich, in ihrer reinen Gestalt herauszutreten als der Staat, dessen eingestandener Zweck ist, die Herrschaft des Kapitals, die Sklaverei der Arbeit zu verewigen. Im steten Hinblicke auf den narbenvollen, unversöhnbaren, unbesiegbaren Feind - unbesiegbar, weil seine Existenz die Bedingung ihres eigenen Lebens ist - mußte die von allen Fesseln befreite Bourgeoisherrschaft sofort in den Bourgeoisterrorismus umschlagen." 
[MEW 7, S.33] Wie könnte eine in ihren Einzelheiten noch unbegriffene Einsicht in eine Niederlage schon automatisch ein brauchbares neues Konzept hervorbringen?
Lenin sucht an diesen Schriften anknüpfend,
völlig krampfhaft, nämlich ohne ein Argument, einen Unterschied zwischen (wirklichen) "Marxisten" und (nicht nur) "Kleinbürgertum" herzustellen: Er würde in der "Anerkennung" "nicht nur" des Klassenkampfs [so als wäre es egal, auf welcher seiner Seiten man stünde!], sondern in der "Diktatur des Proletariats" bestehen [und auch genau deshalb in der Duma hocken wollen!]! [W. I. Lenin, Marx' Fragestellung im Jahre 1852 in: Staat und Revolution, LAW (sechsbändige Ausgabe), Bd. 3, S.496]
Während bei Lenin der Begriff übrigens geradezu inflationär und in einem überhaupt nicht mißverständlichen Sinne als Staatsalternative gebraucht wird, kommt er bei Marx, außer in den genannten Zusammenhängen weder vor [sollte etwas übersehen worden sein, kann das gerne eingereicht werden] noch gar in Lenins Sinn. Im Grunde war und ist der Begriff ja seiner Herkunft nach wohl auch nichts anderes als ein verlogener bürgerlicher Vorwurf, der dem politischen Gegner Gewalt vorwirft, auf die man selber (angeblich bzw. noch) großzügig verzichtet. Dem könnte man schon mal entgegenhalten - wolle man ihm Schrecken einflößen -, daß ihm eine Diktatur des Proletariats guttäte; doch selbst das würde ja überhaupt nichts an Sache und Lage ändern: "Der deutsche Filister ist neuerdings wieder in heilsamen Schrecken geraten bei dem Wort: Diktatur des Proletariats. Nun gut, ihr Herren, wollt ihr wissen, wie diese Diktatur aussieht? Seht euch die Pariser Kommune an. Das war die Diktatur des Proletariats." [Friedrich Engels, MEW 22, S.199]
Daß sich Lenin auf diesen Begriff positiv bezogen hat, ist auch nicht mit praktisch-revolutionärer Notwendigkeit zu entschuldigen, sondern einer politischen Ignoranz geschuldet gewesen, die die Revolution infrage gestellt hat; und zwar nicht von außen - die westliche antisozialistische Hetze entbehrt ja ohnehin weitgehend eines wissenschaftlich ernstzunehmenden Standpunkts -, sondern von ihm persönlich: Er selber löste den widersprüchlichen Begriff zuungunsten des Proletariats und zugunsten der neuen Staatsgewalt auf. Dafür hätte es dann wohl keine sozialistische Revolution gebraucht! (Der unmittelbar praktischen, militärischen Bedrohung der Revolution erwiesen sich die Bolschewiki ja gewachsen, wobei der Preis - die ungeheuren Opfer des Proletariats - freilich fast ebenso fraglich erscheinen muß.)
[5] Man denke etwa an die Neue Ökonomische Politik Lenins oder an den kapitalistischen Weg der Volksrepublik China; man denke an die dadurch ausgelösten Gegenbewegungen: Als was hat denn Stalin den Gosplan wiederentdeckt, wenn nicht aus dem Grund, eben diese Rangordnung ernsthaft infrage gestellt zu sehen?, was ihn zu Maßnahmen allererster Brutalität, zur Liquidierung auch nur zweifelhafter »Elemente
« veranlaßt hat. Umgekehrt wurden im chinesischen Fall proletarische Proteste, die sich, wie sie meinten, zurecht auf den Sozialismus beriefen, 1989 im Keim erstickt. [Daß an die wiederum das westliche Interesse anzuknüpfen versucht hat und sie als »Demokratiebewegung« verherrlicht, zeigt einmal mehr, wie verlogen dieses sich geltend zu machen versteht.]
[6] Hendrik de Man, Zur Psychologie des Sozialismus, 1926, S.159
[7] Harry Pross, Die meisten Nachrichten sind falsch. Für eine neue Kommunikationspolitik, 1971, S.8
[8] "Einige Leitmedien - dazu zählt er [Filosof R. D. Precht] die großen Tageszeitungen in Deutschland - seien dagegen für die Gesellschaft mindest 'so systemrelevant wie Banken'." (Augsburger Allgemeine, 29.10.2009)
[9] Leonid Iljitsch Breschnew auf dem XXVI. Parteitag (23.02. bis 03.03.1981): "Unsere Partei hat großes Vertrauen zu den vielen Tausend sowjetischen Journalisten und weiß ihre beileibe nicht leichte Arbeit zu schätzen. Jeder Beitrag in einer Zeitung, jede Sendung im Fernsehen oder Rundfunk sind ein ernster Dialog mit einem Auditorium, das nicht nur wahrheitsgetreue und operative Darlegung von Tatsachen, sondern auch ihre tiefschürfende Analyse und fundierte Verallgemeinerungen erwartet."
[10] George Herbert Mead, Philosophie der Sozialität, 1969, S.60; Auszüge aus
den Originaltiteln: Philosophy of the Act (1938) und Philosophy of the Present (1932)
[11] Herbert Marcuse, Der Marxsche Begriff des Übergangs zum Sozialismus in Die Gesellschaftslehre des sowjetischen Marxismus, dt. in der Marcuse-Gesamtausgabe Band 6, 2004, S.43 f., Originaltitel: Soviet Marxism - A Critical Analysis, 1957
[12] Gabriel García Márquez, 1977, dt. in: Dornröschens Flugzeug, Journalistische Arbeiten 5, 1961-1984, S.19
[13] Es sei darauf hingewiesen, daß die BRD nicht aus der »Kommunikation
« einiger Herren auf Herrenchiemsee im Jahre 1948 entstanden ist, auch wenn sie das selber von sich glauben machen will und der DDR vorgeworfen hat, sie allein fuße auf - sowjetischer - Gewalt: Die BRD basierte auf der Gewalt der drei großen West-Alliierten und hat ihre eigene erst später nach und nach von ihnen konzediert bekommen.
[14] Otto A. Baumhauer, Die sophistische Rhetorik - eine Theorie sprachlicher Kommunikation, 1986, S.10f
[Baumhauer hat sich übrigens, wissenschaftlich korrekt, nicht auf eines dieser Angebote eingelassen und bei seiner Untersuchung bei den alten Griechen, bei Gorgias, begonnen. Der Antagonismus zwischen Dialektik und Rhetorik soll uns an dieser Stelle jedoch - allein, um die Untersuchung zu begrenzen - nicht beschäftigen.]

[15] In manchen ihrer Forderungen beziehen sie sich gar uneingeschränkt positiv auf die herrschende Gewalt, z.B. möge die die NPD verbieten. Den Zusammenhang zwischen Demokratie und Faschismus wollen sie nicht begreifen, Bücher, die dieses Thema untersuchen rühren sie schon gar nicht an: Sie könnten an ihrem Dogma rühren - etwa dem nachgewiesen falschen Faschismus-Begriff von G. Dimitroff "... Der Faschismus - das ist die Macht des Finanzkapitals selbst. ..." [siehe K. Hecker, Die verkehrte Faschismus-Theorie der Kommunistischen Internationale in Der Faschismus und seine demokratische Bewältigung, 1996, S.305ff.]
[16] Karl Marx, Abschweifung (über produktive Arbeit), MEW 26.1, S.363f.:
"...Betrachtet man näher den Zusammenhang dieses letztren Produktionszweiges mit dem Ganzen der Gesellschaft, so wird man von vielen Vorurteilen zurückkommen. Der Verbrecher produziert nicht nur Verbrechen, sondern auch das Kriminalrecht und damit auch den Professor, der Vorlesungen über das Kriminalrecht hält, und zudem das unvermeidliche Kompendium, worin dieser selbe Professor seine Vorträge als »Ware« auf den allgemeinen Markt wirft. Damit tritt Vermehrung des Nationalreichtums ein. Ganz abgesehn von dem Privatgenuß, den, wie uns ein kompetenter Zeuge, Prof. Roscher, [sagt,] das Manuskript des Kompendiums seinem Urheber selbst gewährt.
Der Verbrecher produziert ferner die ganze Polizei und Kriminaljustiz, Schergen, Richter, Henker, Geschworene usw.; und alle diese verschiednen Gewerbszweige, die ebenso viele Kategorien der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit bilden, entwickeln verschiedne Fähigkeiten des menschlichen Geistes, schaffen neue Bedürfnisse und neue Weisen ihrer Befriedigung. Die Tortur allein hat zu den sinnreichsten mechanischen Erfindungen Anlaß gegeben und in der Produktion ihrer Werkzeuge eine Masse ehrsamer Handwerksleute beschäftigt.
Der Verbrecher produziert einen Eindruck, teils moralisch, teils tragisch, je nachdem, und leistet so der Bewegung der moralischen und ästhetischen Gefühle des Publikums einen »Dienst«. Er produziert nicht nur Kompendien über das Kriminalrecht, nicht nur Strafgesetzbücher und damit Strafgesetzgeber, sondern auch Kunst, schöne Literatur, Romane und sogar Tragödien, wie nicht nur Müllners »Schuld« und Schillers »Räuber«, sondern selbst »Ödipus« und »Richard der Dritte« beweisen. Der Verbrecher unterbricht die Monotonie und Alltagssicherheit des bürgerlichen Lebens. Er bewahrt es damit vor Stagnation und ruft jene unruhige Spannung und Beweglichkeit hervor, ohne die selbst der Stachel der Konkurrenz abstumpfen würde. Er gibt so den produktiven Kräften einen Sporn. Während das Verbrechen einen Teil der überzähligen Bevölkerung dem Arbeitsmarkt entzieht und damit die Konkurrenz unter den Arbeitern vermindert, zu einem gewissen Punkt den Fall des Arbeitslohns unter das Minimum verhindert, absorbiert der Kampf gegen das Verbrechen einen andern Teil derselben Bevölkerung. Der Verbrecher tritt so als eine jener natürlichen »Ausgleichungen« ein, die ein richtiges Niveau herstellen und eine ganze Perspektive »nützlicher« Beschäftigungszweige auftun.
Bis ins Detail können die Einwirkungen des Verbrechens auf die Entwicklung der Produktivkraft nachgewiesen werden. Wären Schlösser je zu ihrer jetzigen Vollkommenheit gediehn, wenn es keine Diebe gäbe? Wäre die Fabrikation von Banknoten zu ihrer gegenwärtigen Vollendung gediehn, gäbe es keine Falschmünzer? Hätte das Mikroskop seinen Weg in die gewöhnliche kommerzielle Sfäre gefunden (siehe Babbage) ohne Betrug im Handel? Verdankt die praktische Chemie nicht ebensoviel der Warenfälschung und dem Bestreben, sie aufzudecken, als dem ehrlichen Produktionseifer? Das Verbrechen, durch die stets neuen Mittel des Angriffs auf das Eigentum, ruft stets neue Verteidigungsmittel ins Leben und wirkt damit ganz so produktiv wie strikes auf Erfindung von Maschinen. Und verläßt man die Sfäre des Privatverbrechens: Ohne nationale Verbrechen, wäre je der Weltmarkt entstanden? Ja, auch nur Nationen? Und ist der Baum der Sünde nicht zugleich der Baum der Erkenntnis seit Adams Zeiten her? Mandeville in seiner »Fable of the Bees« (1705) hatte schon die Produktivität aller möglichen Berufsweisen usw. bewiesen und überhaupt die Tendenz dieses ganzen Arguments: »Das, was wir in dieser Welt das Böse nennen, das moralische so gut wie das natürliche, ist das große Prinzip, das uns zu sozialen Geschöpfen macht, die feste Basis, das Leben und die Stütze aller Gewerbe und Beschäftigungen ohne Ausnahme; hier haben wir den wahren Ursprung aller Künste und Wissenschaften zu suchen; und in dem Moment, da das Böse aufhörte, müßte die Gesellschaft verderben, wenn nicht gar gänzlich untergehen.«
Nur war Mandeville natürlich unendlich kühner und ehrlicher als die filisterhaften Apologeten der bürgerlichen Gesellschaft."
[17] Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch, dt. 1967, S.147; Original: The One-Dimensional Man - Studies in the Ideology of Advanced Industrial Society, 1964
[18] George Herbert Mead: Geist, Identität und Gesellschaft, 1973, S.299; Original: Mind, Self & Society, 1934
[19] Karl Held, Kommunikationsforschung - Wissenschaft oder Ideologie? Materialien zur Kritik einer neuen Wissenschaft, 1973, S.8
[20] Aristoteles, Politik, 1. Buch, 1253a
[21] Die »Polis« (»Stadt«) als eine aus der »Agrikultur« herausragende und sie somit überragend, also im Gegensatz zu ihr wirkliche »Kultur« - oder, wie heute oft gesagt wird, »Zivilisation« verkörpernde! - Die Abfälligkeiten gegenüber der Landbevölkerung als weniger gebildet und zivilisiert sind bis heute in den verschiedensten Kulturkreisen erhalten geblieben, weil auch der politisch-ökonomische Gegensatz zwischen Stadt und Land erhalten geblieben ist. 
[22] Aristoteles, Metaphysik, 1. Buch, 980a - 982b, bemerkenswert in dem erwähntem IT-Zusammenhang: ausgehend von den »Wahrnehmungen mittels der Augen
«:
"Alle Menschen streben von Natur nach Wissen. Dies beweist die Liebe zu den Sinneswahrnehmungen; denn auch ohne den Nutzen werden sie an sich geliebt und vor allen anderen die Wahrnehmungen mittels der Augen. Nicht nämlich nur zum Zweck des Handelns, sondern auch, wenn wir nicht zu handeln beabsichtigen, ziehen wir das Sehen so gut wie allen andern vor. Ursache davon ist, daß dieser Sinn uns am meisten Erkenntnis gibt und viele Unterschiede aufdeckt. Von Natur nun entstehen die Lebewesen mit sinnlicher Wahrnehmung, aus dieser entsteht bei einigen von ihnen keine Erinnerung, bei anderen wohl, und darum sind diese verständiger und gelehriger als jene, welche sich nicht erinnern können. Verständig ohne zu lernen sind alle diejenigen, welche keine Geräusche hören können, z.B. die Biene und was etwa sonst für Lebewesen der Art sind; dagegen lernen alle diejenigen, welche außer der Erinnerung auch diesen Sinn besitzen. Die anderen Lebewesen leben nun mit Vorstellungen und Erinnerungen und haben nur geringen Anteil an Erfahrung, das Geschlecht der Menschen dagegen lebt auch mit Kunst und Überlegungen. Aus der Erinnerung entsteht nämlich für die Menschen Erfahrung; denn viele Erinnerungen an denselben Gegenstand bewirken das Vermögen einer Erfahrung, und es scheint die Erfahrung der Wissenschaft und Kunst fast ähnlich zu sein. Wissenschaft aber und Kunst gehen für die Menschen aus der Erfahrung hervor; denn »Erfahrung brachte Kunst hervor
«, sagt Polos mit Recht, »Unerfahrenheit aber Zufall«. Die Kunst entsteht dann, wenn sich aus vielen durch die Erfahrung gegebenen Gedanken eine allgemeine Annahme über das Ähnliche bildet. Denn die Annahme, daß (z.B.) dem Kallias, der an dieser bestimmten Krankheit litt, dieses bestimmte Heilmittel half, und ebenso dem Sokrates und vielen Einzelnen, ist eine Sache der Erfahrung; daß es dagegen allen von solcher Beschaffenheit, die, nach einem Artbegriff begrenzt, an dieser Krankheit litten, zuträglich war, z.B. denen mit flegmatischer, cholerischer oder fieberartiger Beschaffenheit, diese Annahme gehört der Kunst an. Zum Zweck des Handelns steht die Erfahrung der Kunst nicht nach, vielmehr sehen wir, daß die Erfahrenen mehr Erfolg haben als diejenigen, die ohne Erfahrung nur den (allgemeinen) Begriff besitzen. Die Ursache davon ist, daß die Erfahrung Erkenntnis vom Einzelnen ist, die Kunst hingegen vom Allgemeinen, die Handlungen und Entstehungen aber auf das Einzelne gehen. Denn nicht einen Menschen überhaupt heilt der Arzt, außer in akzidentellem Sinne, sondern Kallias oder Sokrates oder irgendeinen anderen von den so Benannten (Kranken), dem es zukommt, ein Mensch zu sein. Wenn nun jemand den Begriff besitzt ohne Erfahrung und das Allgemeine kennt, das darin enthaltene Einzelne aber nicht kennt, so wird er das rechte Heilverfahren oft verfehlen; denn Gegenstand des Heilens ist vielmehr das Einzelne. Dennoch aber glauben wir, daß Wissen und Verstehen mehr der Kunst zukommen als der Erfahrung und halten die Künstler für weiser als die Erfahrenen, da Weisheit einen jeden mehr nach dem Maßstabe des Wissens begleite. Und dies deshalb, weil die einen die Ursache kennen, die anderen nicht. Denn die Erfahrenen kennen nur das Daß, aber nicht das Warum; jene aber kennen das Warum und die Ursache. Deshalb stehen auch die leitenden Künstler in jedem einzelnen Gebiete in höherer Achtung, wie wir meinen, und wissen mehr und sind weiser als die Handwerker, weil sie die Ursachen dessen, was hervorgebracht wird, wissen, während die Handwerker so wirken, wie einiges von dem Unbeseelten, das zwar etwas hervorbringt, wie z.B. das Feuer Wärme, aber ohne das zu wissen, was es hervorbringt. Wie das Unbeseelte durch ein natürliches Vermögen jedes hervorbringt, so die Handwerker durch Gewöhnung. Denn jene halten wir nicht nach der größeren Geschicklichkeit zum Handeln für weiser, sondern darum, weil sie im Besitz des Begriffes sind und die Ursachen kennen. Überhaupt ist dies ein Zeichen des Wissenden und des Unwissenden, (den Gegenstand) lehren (bzw. nicht lehren) zu können, und darum sehen wir die Kunst mehr für Wissenschaft an als die Erfahrung; denn die Künstler können lehren, die Erfahrenen aber nicht. Ferner meinen wir, daß von den Sinneswahrnehmungen keine Weisheit gewähre, und doch geben sie die bestimmteste Kenntnis vom Einzelnen; aber das Warum geben sie von keinem Dinge an, z.B. von dem Feuer geben sie nicht an, warum es brennt, sondern nur, daß es brennt. (...) Nach allem eben Gesagten fällt also die gesuchte Bennennung derselben Wissenschaft zu: Sie muß nämlich eine auf die ersten Prinzipien und Ursachen gehende, theoretische sein;..."
[23] Platon, Gorgias, 485a-485c
[24] Aristoteles, Topik, 8. Buch, 155b
[25] Heutige Kapital-Exegeten wir Robert Kurz und Michael Heinrich seien hier tadelnd erwähnt. An dieser Stelle wird deutlich, daß ihre Fehler in ihrer Marx-Lesung ursächlich daher rühren, daß sie gar nicht der Notwendigkeit des zu begreifen vorgelegten Gegenstandes - des Geheimnisses wie aus Geld mehr Geld wird - den für eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung
nötigen und nützlichen Ernst zubilligen. Die relative Willkür ihrer Interpretationen als die einer tieferen Einsicht bestimmte anzupreisen, ist mithin die Kunst, der sie sich verschrieben haben. Sie tändeln, hätte Platon gesagt.
[26] Antonio Negri, Michael Hardt, Empire - die neue Weltordnung, 2002, S.419f.
[27] 
Hendrik de Man, Zur Psychologie des Sozialismus, 1926, S.25
[28] Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Kritik des Hegelschen Staatsrecht, MEW 1, S.231
[29] George Herbert Mead, Philosophie der Sozialität, 1969, S.316f
[30]
Deng Xiaoping, Das Denken befreien, die Wahrheit in den Tatsachen suchen und mit dem Blick in die Zukunft einig zusammenstehen (13.12.1978), dt. in: Ausgewählte Schriften 1975 - 1982, 1983, S.171:
"Menschen, deren Denken sich verfestigt hat, neigen allgemein dazu, ihr Mäntelchen in den Wind zu hängen. Sie lassen sich nicht durch den Geist und die Prinzipien der Partei führen, sondern halten sich stets nur an das, was von »oben« abgesegnet wird, und passen ihre Worte und Taten der »Windrichtung« an. Sie glauben fest, auf diese Weise Fehler vermeiden zu können. In Wirklichkeit ist diese Haltung an sich schon ein großer Fehler, denn sie verletzt den Parteigeist, den alle Kommunisten pflegen sollten. Es ist zwar wahr, daß jeder, der selbständig denkt und zu denken, zu sprechen und zu handeln wagt, nicht vermeiden kann, Fehler zu machen, aber diese Fehler liegen offen zutage und lassen sich demnach auch leichter korrigieren.
Haben sich die Ideen der Menschen erst einmal festgefahren, so greift auch bald das Übel einer von aller Realität entfernten Buchgläubigkeit um sich. Man wagt nichts anderes zu sprechen oder zu tun als was in Büchern, Dokumenten oder Reden der Leiter steht: Alles muß abgeschrieben, kopiert oder zitiert werden."

Daß eine auf ML-Prinzipien beruhende Organisation offenkundig solchen Hinweises bedarf, spricht für die Notwendigkeit der Überprüfung von deren »sozialistischen
Prinzipien«.