Freerk
Huisken
Anläßlich
des zwanzigjährigen Jubiläums der Verabschiedung der
UN-Kinderrechtskonvention am 20.11.1989
Kritik
der
Kinderrechtsbewegung: "Kinder
brauchen nichts weniger als Rechte"
1. Nimmt man sich einmal die Liste der Kinderrechte
vor – seien es die 41
Artikel der Uno-Kinderrechtskonvention oder die Liste der 10
wichtigsten Kinderrechte, wie sie von Kinderrechtsaktionsgruppen
zusammengestellt worden sind, dann kann man sich einem beklemmenden
Gefühl schwerlich
entziehen.
Nicht wegen der darin zusammengetragenen
Rechtsansprüche, sondern wegen der in den
Rechtsansprüchen
aufgelisteten fysischen und psychischen Mißhandlungen,
Drangsalierungen und Beschädigungen, der in ihnen
aufgezählten Formen
von Unterdrückung und Ausbeutung, der Kinder weltweit
ausgesetzt sind. Man muß dafür die
Kinderrechte eben nur als das lesen, was sie sind, als verbale
Zeugnisse des äußerst rohen und
rücksichtslosen Umgangs mit Kindern: Wenn in Kinderrechten
gefordert wird, daß Kinder
gesund leben und ihre Krankheiten medizinisch versorgt werden sollen,
daß niemand sie schlagen, mißhandeln oder sexuell
mißbrauchen darf, daß sie am Gebrauch von
Suchtstoffen gehindert werden müssen und ihnen Leistungen der
Sozialversicherungen nicht vorenthalten werden dürfen,
daß sie vor Ausbeutung, Prostitution,
Kinderhändlern und vor Verwendung als Kindersoldaten
geschützt werden
müssen usw., dann wird festgehalten, daß genau das
mit ihnen angestellt wird. Warum sollten
Kinderrechtsaktivisten auch
sonst die Unterlassung von all dem fordern?
Diese
noch unvollständige Aufzählung gibt bereits
über
so einiges Auskunft. Zum ersten: Wer solcherart Rechte
einfordert, der geht, so mag man erst einmal festhalten, zwar
von der guten Absicht aus, all dies – wenigstens
– den Kindern vorzuenthalten, der weiß
aber zugleich,
daß er sich solcherart Mißhandlungen nicht
ausdenken
mußte, sondern daß er sie dem realexistierenden
Umgang mit Kindern
weltweit entnehmen kann und zwar nicht nur dem in der sogen. "Dritten
Welt", sondern auch dem Umgang mit Kindern in den kapitalistischen
Metropolen – also auch in Deutschland. Zweitens formulieren
diese Listen mit all ihren guten Absichten bei Lichte besehen
nichts
Außergewöhnliches, stellen keine besonderen
Ansprüche dar, sondern fordern nur
Selbstverständliches.
Eigentlich, so sollte man meinen, sind doch medizinische
Versorgung und Schutz vor Mißbrauch und Ausbeutung von
Kindern so etwas wie die Minimalstufe eines
anständigen
Umgangs – nicht nur – mit Heranwachsenden,
selbstverständlich eben. Weswegen es drittens schon
verwundern kann, daß es zu deren Durchsetzung langer und
aufwendiger Kampagnen, internationaler Konferenzen mit langem
Streit über Formulierungen von Schutzartikeln und der
Intervention durch Staatsgewalten bedarf, damit diese Anliegen
– ja was eigentlich genau: durchgesetzt werden,
Aufmerksamkeit finden, Rechtsform erhalten...? Es
muß deswegen viertens der Schluß gezogen
werden, daß der eingeklagte Umgang mit Kindern alles andere
als
selbstverständlich ist, es vielmehr offenkundig in
vielen Ländern "gute Sitte" und
gewohnheitsmäßige
Praxis ist, wenn es nicht gar als politische, militärische
oder
ökonomische Notwendigkeit gilt, Kindern
solche Behandlungen angedeihen zu lassen; sie zu Kinderarbeitern,
Kindersoldaten, Kinderprostituierten abzurichten, ihnen dabei
nicht etwa nur alles vorzuenthalten, was Kinder für ein
einigermaßen gedeihliches Aufwachsen benötigen,
sondern
sie umstandslos als lebendiges und unverbrauchtes
Material schlimmer gesellschaftlicher Zwecke, nicht selten mit der
Konsequenz seelischer oder körperlicher Verkrüppelung
oder gar mit Todesfolge zu verheizen.
2. Vieles von
dem läßt sich auch an der Art und Weise aufzeigen,
in der hierzulande mit Kindern umgegangen wird. Aber
dabei
bleibt es nicht.
Zwar
rennt man mit der Formulierung einiger Rechte für Kinder,
so wie sie in Kinderrechtschartas stehen, hierzulande offene
Türen ein. Hier sind Gewalt gegen Kinder und
Kindstötung, sexueller Mißbrauch und
Kinderausbeutung,
Kindsverwahrlosung und Drogen-, Tabak- und
Alkoholverkauf an Kinder unter Strafe gestellt; auch darf man Kinder
nicht verkaufen oder
zur Prostitution zwingen, sie nicht zu Dealern oder
Taschendieben abrichten. Was, wie gesagt, darauf verweist,
daß es
auch in der zivilisierten deutschen Demokratie Gründe gibt,
solche
Straftatsbestände zu formulieren. Sie verweisen
erneut auf nichts anderes, als daß auch hier solch ein Umgang
mit
Kindern vorkommt und daß es sich dabei nicht um
singuläre
Tatbestände handelt – sonst müßte
man all das nicht verbieten. Ein Blick in die Zeitungen offenbart
zudem,
daß alle nur vorstellbaren Ekligkeiten und
Gemeinheiten von
Erwachsenen im Umgang mit Kindern auch in deutschen Landen an der
Tagesordnung sind.
Aber
daneben gibt es hierzulande zusätzlich eine ganze Reihe
von der Drangsalierungen und Beschädigungen von
Kindern,
die mitnichten verboten sind: Ganz offen wird – erstens
– der Sachverhalt der Kinderarmut vermeldet. Die ZS
Die
Grundschulzeitschrift widmete 12/2007 dem Thema ein
sogar ganzes
– ziemlich unsägliches – Heft.
Offizielle Statistiken errechnen, daß in Deutschland zwischen
12% und
22% aller Kinder unter die Kategorie der Kinderarmut fallen,
d.h. selbst nach den äußerst problematischen
Maßstäben des Statistischen Bundesamtes bzw. von
Armutsforschern nicht unter Verhältnissen aufwachsen, in denen
so etwas wie
ausreichende, regelmäßige Mahlzeiten,
hinreichende Kleidung und befriedigende Wohnverhältnisse
gegeben sind.
Daß Kinderarmut nicht vom Himmel fällt,
sondern das
"Abfallprodukt" von Erwachsenenarmut ist, zeigen
diese Statistiken gleich mit auf, wenn sie von den Eltern vermelden,
daß sie mehrheitlich zu den
Hartz-IV-Empfängern
gehören oder wenn sie Singles in prekären
Arbeitsverhältnissen
überdurchschnittliche Zahlen
von Kinderarmut zuordnen. Zum beliebten
Unterhaltungsthema im deutschen Fernsehen hat es – zweitens
– eine
Form von Beschädigung gebracht, die sich als das
Produkt "zerrütteter
Familienverhältnisse" präsentiert: die
Kinderverrohung.
Supernanny führt dem deutschen Publikum vor, wie
"überforderte" Eltern aus den berühmten
"bildungsfernen Schichten" vor ihren Kindern kapitulieren, die es in
kurzer Zeit zu
echten Widerlingen gebracht haben, denen Vandalismus,
der Griff ins elterliche Portemonnaie, Gewalt gegen
Eltern und Ignoranz notwendiger Regeln im familialen
Zusammenleben
völlig selbstverständlich ist. Es ist
natürlich kein Zufall, daß sich diese
Beschädigungen
an den Kindern – drittens – in der Schule
fortsetzen.
Diesmal sogar weit entfernt davon, wenigstens als Skandal verbucht zu
werden, schafft es die als Sortierungsanstalt organisierte
Schule hierzulande, die Mehrheit des Nachwuchses im
Kindesalter von weiterführender Bildung
auszuschließen. Diese mit
System betriebene Kinderverblödung, vornehm
"Bildungarmut" genannt – ca. 25% der Kinder gehören
nach PISA I zu
den funktionalen Analfabeten – wird national nur dann
registriert, wenn darüber Deutschland im internationalen
Bildungsranking hintere Plätze einnimmt oder die
Kindersortierung zu offensichtlich alle Ideale von
Chancengleichheit blamiert. Viertens ist in der Schulzeit
obendrein ein gebilligter und medizinisch abgesegneter
spezifischer Drogengebrauch immer häufiger an der
Tagesordnung. Das Verschreiben von Ritalin für
Kinder, bei denen schnell ADHS diagnostiziert wird,
wenn sie es
an der schulisch gebotenen Aufmerksamkeit und
Unterwerfungsbereitschaft fehlen lassen, gilt geradezu als
pädagogisch notwendig.
Kinder werden so ruhig gestellt – in Schule und Elternhaus.
Nebenwirkungen wie Gewichtsabnahme und Apathie werden in Kauf
genommen. Die auf die eine oder andere Restschule
abgeschobenen Schüler, die sich früh die Karriere in
der
kapitalistischen Arbeitswelt abschmin;ken können und
auf Hartz-IV, die Großfamilie oder eine Karriere als
Kleinkriminelle setzen, erfahren – fünftens
– den
schulischen Ausschluß noch im – offiziellen
–
Kindesalter als Einstieg in lebenslange materielle Depravierung
[Persönlichkeitsverfall], d.h. als die Aussicht, der
Sozialkarriere ihrer Eltern folgen zu dürfen. Auch
Kinderarbeit ist – sechstens – hierzulande
erlaubt, soweit sie den Bestimmungen des Jugendarbeitsschutzgesetzes
entspricht. Das erlaubt deswegen das Arbeiten von Menschen ab
dem 15. Lebensjahr, weil die hiesige Definition von Kindheit die
der UNICEF glatt um drei Jahre unterbietet. Schließlich ist
es – siebtens – immer noch gestattet, Kinder
armer Leute, denen nicht die Gnade der deutschen Geburt teilhaftig
geworden ist, in jene "Heimat" abzuschieben, aus der ihre Eltern mit
guten
Gründen geflohen sind. Auf diesem Vorbehalt hatte die deutsche
Regierung 1992 bestanden, als sie die Kinderrechtskonvention
parafierte. Und letztlich
ist – achtens – jene Sorte militärischer
"Kollateralschäden", die in Kindstötung
bestehen, gleichfalls nicht unter Strafe gestellt. Die "unschuldigen
Opfer unter
der Zivilgesellschaft" werden zwar regelmäßig
– wie
jüngst bei der Bombardierung von Tanklastzügen
–
öffentlich betränt, doch ist den für Kriege,
die nicht
so genannt werden dürfen, zuständigen Ministern klar,
daß überall dort wo gehobelt wird nun einmal
Späne
fallen. Und wie sollen "unsere Jungs in Afghanistan" denn auch zwischen
"unschuldigen Kindern" und zivil maskierten Kindersoldaten der Taliban
unterscheiden!
Verboten
sind diese hier aufgezählten Kinderkarrieren mit all
ihren rohen, schädlichen und verblödenden
Begleitumständen bzw. aussichtslosen Perspektiven in dieser
Gesellschaft nicht. Wie auch, gehören sie doch zur
Klassengesellschaft dazu. In der braucht es arm gehaltene Menschen
fürs nationale Wachstum und zugleich den Nachwuchs, der dann
in
entsprechenden Verhältnissen aufwächst. Teile von ihm
werden
dann schon im Jugendalter in unbrauchbare Armut –
Prekariat
genannt - entlassen, andere dürfen sich, zusammen mit den
ausländischen Kollegen an Arbeitsplätzen um
Verdienst
bemühen, an denen ihre "Bildungsarmut" nicht stört.
Von der
Politik durchgesetzte, wachsende Volksverarmung ist folglich der letzte
Grund der hier aufgezählten
Beschädigungen an
Kindern und Heranwachsenden, an denen die Politik zudem nie diese
selbst, sondern immer nur deren Auswirkungen auf die nationale
Ordnung stören – wie gleich noch
näher
ausgeführt wird.
3. Doch damit nicht genug:
Es gibt einen guten Grund, sich zusätzlich einmal die
Frage vorzulegen, welche Stellung die demokratischen
Herrschaft zu dem nationalen Nachwuchs insgesamt
einnimmt. Ihre Sorge um "das Kind" verrät, daß ein
anderes Wohl im Vordergrund steht, wenn vom "Wohl des Kindes"
die Rede ist. Denn wenn in demografisch ambitionierten
Traktaten davor gewarnt wird, daß
"wir Deutsche aussterben", wenn Kampagnen mit dem Motto
"Mache dich unsterblich" Männer zur Kinderproduktion
anregen wollen, wenn es Nachwuchsprämien in Gestalt
von – nein, nicht von Mutterkreuzen, sondern von
– Kindergeld gibt, das die Familienministerin
übrigens kürzlich so umgestaltet hat, daß
von ihm nicht nur die sozial-depravierten Schichten "profitieren", dann
ist damit hinreichend belegt, daß hierzulande Kinder aller
Klassen und Schichten als notwendiges zuschüssiges
Volksmaterial gelten, angefordert werden und
später so oder so gefordert werden. Sie werden gleich
nach ihrer Geburt als Teil des Staatsvolks registriert und als
Material des Staates für diverse Fronten verplant. Denn
Größe und Erfolg des deutschen
Nationalstaats in Konkurrenz zu anderen Staaten sind immer auch eine
demografische Frage. Nachwuchsproduktion ist deswegen
nationaler Dienst und die Familie die Keimzelle des Nation.
Die Rede vom "Wohl des Kindes" bleibt einem schon wieder im Halse
stecken, erst recht, wenn auch seine Verfechter, wie etwa das
"Aktionsbündnis Kinderrechte" die
"Zukunftsfähigkeit der deutschen Gesellschaft
angesichts sinkender Kinderzahlen" als Argument
für Kinderrechte bemüht.
Wenn
die deutsche Politik eine Kinderrechtskonvention der UNO
verabschiedet hat, in der die "Verpflichtung auf das Wohl des Kindes"
einen hohen Stellenwert besitzt, dann paßt das
dennoch, aber
nur so zusammen: Das Wohl der Kinder gilt, aber eben nur und nur soweit
wie diese dadurch in die Lage versetzt werden, ihre
zukünftige Funktion als tragende Teile des Staatsvolks im
eingerichteten demokratischen Kapitalismus qualitativ
und quantitativ erfüllen zu können. Nur deshalb
sollen
sie auch nicht zu früh, d.h. nicht schon als Kinder
verschlissen und
unbrauchbar gemacht werden – wenigstens
nicht in zu großer Zahl. Ihr Wohl buchstabiert sich folglich
so: Sie
haben sich in der Familien- und Schulerziehung als
"mündige Staatsbürger" und für
etliche nachgefragte Jobs zu
qualifizieren, d.h. sie müssen sich geistig, moralisch und
körperlich darauf vorbereiten (lassen), aus freien
Stücken – also ohne Vormund – an den
diversen Plätzen der Gesellschaft, als Lehrer und
Lagerist, als Professorin und Friseurin, als Hausfrau und Soldat, als
Chefarzt und kleine Angestellte ihre Dienste für das
Gelingen des global angelegten Projekts "Deutschland" zu leisten. Und
das
schließt ein, daß später, wenn sie
erwachsen sind, so ziemlich all das mit ihnen angestellt werden darf,
wovor sie
als Kinder hierzulande möglichst noch verschont werden
sollten:
Sie dürfen ausgebeutet werden und "dürfen"
sich dafür selbst lebenslang als Arbeitskräfte
verkaufen – einschließlich aller
ruinösen
Folgen. Diese Variante von Menschenhandel gilt bekanntlich als
Gütezeichen
von Marktwirtschaft. Erwachsene dürfen Drogen nehmen,
damit Armutsfolgen zu kompensieren versuchen und sie
dürfen sich prostituieren. Ihre geistige Verrohung,
kräftig
gefördert von Presse, Funk und TV, ist, gerade wenn sie
Soldaten werden – was sie dann auch dürfen
–
gefragt; eignet sich aber auch fürs Aushalten von 40 Jahren
Fabrikarbeit. Den mündig sozialisierten Erwachsenen
wird zugemutet und es wird von ihnen erwartet, daß sie
all das bewältigen und aushalten; und zwar in jener Menge, die
hier
als nützliches Staatsvolk gebraucht wird. Nichts von dem, was
Kindern erspart werden soll, gilt also dem Kind; es gilt vielmehr
seiner Rolle,
die es später als Erwachsener im Kapitalismus zu
bewältigen hat. Denn wer als Kind kaputt gemacht
wird, taugt als Erwachsener nicht mehr zum Dienst an Staats- und
Geldmacht. Darin
faßt sich der ganze Unterschied zwischen Kindern und
Erwachsenen hierzulande zusammen. Ein Aktionsbündnis
zum Schutz der Erwachsenen vor Ausbeutung und
Mißbrauch,
vor Kriegen und Suchtstoffen usw. braucht es da nicht. So etwas
fällt auch Kinderrechtsaktivisten in ihrer Bornierung auf die
Heranwachsenden nicht ein.
Deshalb
ärgert es die Politik schon, wenn es Teile des
produzierten Nachwuchses an Respekt vor Eltern und
Amtsinhabern fehlen lassen, wenn sie sich "falsche Freunde"
wählen, als
Kleinkriminelle agieren, sich zu
Schlägerbanden
zusammenschließen usw., wenn sie also, gemessen an den
Erwartungen an sie, aus dem Ruder laufen. Und es
wächst sich
für die Politik zum nationalen Notstand aus, wenn sich
Deutsche zu
wenig um die Produktion von Nachwuchs kümmern.
Dabei ist all das, was die Politik da an der Nachwuchsproduktion und am
heranwachsenden Nachwuchs stört, nichts als das Resultat ihrer
eigenen polit-ökonomischen Werke: Kinder kann man
sich nicht leisten, weil es an Geld fehlt; oder umgekehrt: Kinder
werden nur in
die Welt gesetzt, um eine bessere Wohnung zugewiesen zu
bekommen, danach sind die "Blagen" nur noch
Störung. Ein Schicksal, das sie mit vielen anderen Kindern
armer Leute
teilen.
Und so verhalten sich große Teile von ihnen dann
auch – in der Familie, auf der Straße, in der
Schule.
4. Und
gegen all das sollen Kinderrechte helfen? Ist nicht bereits die
Erinnerung daran, daß die UNO ihre Kinderrechtskonvention vor
20 Jahren abgezeichnet hat, Jahre, in denen sich an der Lage
der Kinder weltweit nichts zum Positiven gewendet hat, Beweis genug
dafür, daß an solche Kampagnen ganz falsche
Erwartungen
geknüpft werden? Doch soll der Kinderrechtsbewegung dies gar
nicht als ihre Erfolglosigkeit vorgehalten werden. Denn Mißerfolg,
der bekanntlich viele Väter haben kann, setzt voraus,
daß die Kinderechtsaktivitäten tatsächlich von dem
Bemühen
geprägt sind, eine gesicherte materielle umnd
geistige Besserstellung von Kindern durchzusetzen. Doch genau das leisten Rechte
für Kinder nicht. Kinder brauchen keine Rechte, sondern
ordentliche Ernährung, Kleidung und Wohnung, einen
Freiraum
zum Spielen und eine vernünftige Ausbildung nebst der
Perspektive, daß sie nicht später als Erwachsene ihr
Leben
doch wieder als gebrauchte oder unbrauchbare bzw. nicht mehr
gebrauchte Knechte und Mägde fremden Reichtums einzurichten
haben.
Rechte liefern und sichern all das nicht - weder "protection", noch
"provision" oder "participation", wie das Credo der Freunde
von Kinderrechten lautet.
Die
Kinderrechtsaktivitäten sind nämlich falsch
– und zwar in mehrfacher Hinsicht. Zum einen sind sie selbst
ziemlich kindisch. Sie stellen nicht ernsthaft und konsequent
die Frage nach den Ursachen all der
Kinds-“Mißhandlungen“; weder
nach denen, die
hier auch darunter fallen, und schon gar nicht nach den Ursachen all
jener Beschädigungen, die, erwünscht oder
geduldet, zum
gesellschaftlichen Kinderleben in der Klassengesellschaft dazu
gehören. Statt dessen erfährt die Auflistung der
inkriminierten Drangsalierungen nur ihre Umkehrung vom
Negativen ins Positive: Das was Kinder zerstört, soll nicht sein. Wie
das störrische Kleinkind, das mit dem Fuß auftritt und
sich davon verspricht, daß ihm die Welt dadurch schon zu Diensten
sei, wird das Gute gegen das Böse gewünscht. Und als
Instrument,
mit dem diesen frommen und gegen Ursachen ignoranten
Wünschen Wirksamkeit verliehen werden soll,
fällt den Aktivisten fürs Kinderwohl – darin sind sie
dann nicht
mehr kindisch, sondern gut erzogen – zum zweiten nur das
Einklagen von Rechten und deren Verankerung im Grundgesetz
ein.
Ein Interesse an der Verbesserung der Lage von Kindern zu
äußern, sich Mittel seiner Durchsetzung gegen die
existierenden Widerstände zu überlegen und
zu
verschaffen – all das wäre im übrigen Sache
von
Erwachsenen –, das ist es nicht, was sie umtreibt. Die
Differenz
zwischen dem Bedürfnis bzw. dem Interesse,
das man hat,
und dem Recht, das einem von höchster Stelle erlaubt wird,
haben
sie gefressen. Nur was als Recht gewährt wird, also das was
man darf, das geht in Ordnung. Auf dem eigenen, gut begründeten
Interesse zu bestehen, das fällt hierzulande
unter
verpönten Egoismus; die Relativierung aller
Interessen am
Erlaubten ist denn auch die durchgesetzte Stellung der Menschen zu
ihren ganzen eigenen Wünschen und Lebenszielen. Zum
dritten
ist das Recht nicht zu verwechseln mit der materiellen
Sicherung
und schon nicht mit der Garantie dessen, was da als Recht
gewährt
wird. Wie steht es denn mit dem fundamentalsten aller Rechte, dem Recht
auf freie Entfaltung der Persönlichkeit?
Geschützt ist
das freie Bemühen darum, gesichert sind deswegen noch lange
nicht
die dafür notwendigen sachlichen Bedingungen. Und erst recht
nicht
der Erfolg, der hängt schlicht davon ab, ob das eigene
Bemühen denn auf die Mittel zurückgreifen kann, die
fürs
Wohlergehen notwendig sind. Was man aus gewährten Rechten
machen
kann, daß ist folglich nichts als eine Frage der staatlich
geschützten Reichtumsverteilung in der Klassengesellschaft.
Deswegen ist der Aktivismus der Kinderfreunde
untertänig, weil er ausgerechnet von der
Staatsgewalt,
die die vorgeführten schlimmen Kinderkarrieren
hierzulande
organisiert oder zuläßt, durch die
Gewährung von
Rechten die Wendung zum Guten erwartet. Noch einmal anders:
Haben
denn z.B. die im Grundgesetz parafierten Rechte auf
Unverletzlichkeit der Person und auf Schutz des Privateigentums je
etwas daran geändert, daß weiterhin
Vergewaltigungen,
Mißhandlungen und Mord, Diebstahl und Raub auf der
Agenda
von hiesiger Zeitgenossen stehen? Wie auch! Daß all
das von
Staats wegen nicht erlaubt ist, verweist eben nur - man kann es gar
nicht oft genug betonen - darauf, daß all
dies
tagtäglich passiert, und zu den Umgangsweisen von Menschen
miteinander gehört, die durch tiefe
Gegensätze und durch
ein Hauen und Stechen in der Konkurrenz charakterisiert sind. Die
besondere Güte der Rechte besteht nun darin, daß man
als
Privatmensch gegen Rechtsverletzungen klagen darf, und zwar
dann,
wenn sie passiert sind. Ist es das, was Kinderrechtler wollen? Wollen
sie wirklich dann vor den Schranken des Gerichts mit den
juristischen Vertretern der staatlichen Rechtsgewalt darum
streiten, was eigentlich und hierzulande zum Wohle
des
Kindes ist, wenn es bereits geprügelt und
mißbraucht
worden ist, also das Kind – fast im wahrsten Sinne
des
Wortes – bereits in den Brunnen gefallen ist? Und wenn
schließlich – viertens – gefordert wird,
daß
jedes Kind ein Recht auf Bildung, Gesundheit und Meinungsfreiheit
besitzen soll, dann könnte ein genauerer Blick auf
das
herrschende Bildungs- und Gesundheitswesen ebenso wie auf die Praxis
der Meinungsfreiheit klären, daß diese Rechte nichts
als die
Verpflichtung auf jenes Schulsystem sind, das 60-70% des Nachwuchses zu
Restschülern macht, und auf jenes Gesundheitswesen,
in
welchem viele Krankheiten gar nicht mehr als solche gelten, Zuzahlungen
Pflicht und der Aufenthalt im Krankenbett allein am Wohl des
Krankenhauses Maß nimmt. Und ob es eine Errungenschaft ist,
daß jedermann, der Grund zur Beschwerde hat, sich
damit
zufrieden geben soll, daß er diese immerhin frei sagen darf
und
zwar ohne daß sich an der Beschwerde etwas ändert,
das steht auch sehr in Frage. Der Inhalt der geforderten Rechte obliegt
eben
nicht der freien, fantasievollen und von guten Absichten
getragenen Ausgestaltung durch Kinderrechtsaktivisten. Wo sie
den Staat darum bitten, daß er den Kindern Rechte
einräumen
möge, da tut er das oder auch nicht, und zwar immer nach
seiner Räson, in der Kinder – wie gesagt
– etwas anders vorkommen als in der Wunschwelt der
Kinderrechtler.
5. Was Kindern gut
täte, darum geht
es also beiden Seiten nicht, weder den Kinderrechtsaktivisten
noch
denen, von denen sie Rechte einfordern. Erstere
wollen
allein dem "Kind" als staatlich anerkannten Wert im Grundgesetz
Rechtsgeltung verschaffen, völlig
gleichgültig
gegenüber der Wertschätzung, die Kinder in der
herrschenden Volksrekrutierungspolitik erfahren, und
völlig
gleichgültig gegenüber der Frage, was das Kindern
eigentlich
bringt. Letztere, die Politiker, haben allein das Problem,
inwieweit ihre Politik der letzten Jahrzehnte, mit der sie das
kapitalistische Deutschland in Europa und der Welt
vorangebracht
haben, nicht im Inneren des Landes bei Nachwuchsproduktion und
Nachwuchsaufzucht von "Kollateralschäden" begleitet ist, die
sich
in der demografischen Volksentwicklung und bei der
Domestizierung
der Jugend zu freien und mündigen
Staatsbürgern
störend bemerkbar machen könnten. Aber eines
muß auch
festgehalten werden: Für sehr gravierend achten sie
diese
Probleme nicht. Sie haben im Inland und Ausland dringendere Fragen zu
lösen, Fragen von Krieg und Frieden, von Krise und
Wachstum.
Und sie sind sich recht sicher, daß ihnen dies unter
entsprechender Benutzung von zu guten Erwachsenen
herangezogenen Ex-Kinder aller Klassen und Schichten auch gelingt.
(2009)