Wahlen in Griechenland

Als Herr Keiner mit Freunden über den Ausgang der Wahlen in Griechenland sprach, sagte einer von ihnen: »Die griechische Bevölkerung hätte nicht der Illusion verfallen dürfen, ihr braves Wahlverhalten von den Oberen der EU honoriert zu bekommen. Erst lassen sich dazu erpressen, den konservativen EU-Freunden zur Macht zur verhelfen, dann bekommen sie von den zuständigen europäischen Politikern kurz und bündig mitgeteilt, daß von ihnen keine Nachsicht bei der weiteren Durchführung des verordneten Sparprogramms zu erwarten sei. An den Zielen des 'Hilfsprogramms' für Griechenland«, so war zu lesen, »dürfe nicht gerüttelt werden.«

»Das stimmt«, sagte Herr K, »doch dieses Beispiel zeigt einmal mehr, daß das Abhalten von Wahlen nicht zu dem Zweck erfolgt, den Unteren das Leben zu erleichtern. Bei jeder Wahl geht es um die Belange der Nation, und die Unteren sind in ihrer Eigenschaft als verantwortlich denkende Staatsbürger gefragt und nicht als Angehörige einer Klasse, denen von dem verordneten kapitalistischen Sanierungsprogramm übel mitgespielt wird.«

»Ja, das ist schon auffällig«, sagte ein anderer aus der Runde: »Man verläßt den Standpunkt des eigenen Interesses, wenn man sich im nationalen Interesse all die Probleme einleuchten läßt, die die auswärtigen Kreditgeber mit Griechenland haben. Dann leuchtet einem am Ende noch die Schuldzuschreibung ein, daß die Krise nicht das Ergebnis der Konkurrenz zwischen den europäischen Nationen, sondern 'hausgemacht' sei und daß deshalb alle ihr Scherflein dazu beitragen müssen, diese nationale Notlage zu bewältigen. Da liebäugelt man als Wähler mit einer Linkspartei, die im nationalen Interesse gegen das auferlegte Spardiktat Einspruch erhebt, läßt aber auch wieder die Konservativen zum Zuge kommen, wenn die europäischen Aufsichtmächte damit drohen, das Land mit einer unbotmäßigen Regierung abzuschreiben und ins Chaos zu stürzen.«

Daraufhin sagte Herr K.: »All das zeigt, daß die Mehrheit der griechischen Bevölkerung schlecht beraten war, ihren Widerstand von der Straße weg ins Parlament zu verlagern und auf die politischen Parteien zu setzen, um eine Verbesserung ihrer Lage zu erreichen. Denn so geben sie die Möglichkeit aus der Hand, gegen die Verschlechterung ihrer sozialen Lage wirksam anzukämpfen.«

»Aber Herr K.«, meldete sich eine Gesprächsteilnehmerin zu Wort, »das sehe ich anders. Haben die vielen griechischen Demonstranten nicht deshalb ihre Hoffnung auf die Politik gesetzt, weil sie mit ihrem Kampf auf der Straße so gut wie nichts erreicht haben?«

»Ja«, sagte Herr K., »so scheint es auf den ersten Blick auszusehen. Doch in Wahrheit war der Kampf der griechischen Bevölkerung gegen die verordneten Sparprogramme immer zwiespältig: Zwar waren viele von ihnen radikale Gegner dieser Volksverarmung, aber sie kämpften zugleich auch als griechische Patrioten, die sich neben dem Ärger über die eigene soziale Lage auch immer wieder von der Notlage ihrer nationalen Gemeinschaft beeindrucken ließen. Dann war der Feind nicht mehr das marktwirtschaftliche System, wovon die eigene Regierung ein Teil ist, sondern die Feinde waren in erster Linie die auswärtigen Mächte, die die griechische Nation mit der entsandten 'Troika' zu beherrschen suchten. Diese Zwiespältigkeit tat dem Widerstand der griechischen Bevölkerung nicht gut, und so ist es leider kein Wunder, daß die politischen Parteien im Land dies für sich ausnutzen konnten.

So hat die EU bei ihrem Kampf gegen die Krise – wie den Zeitungen zu entnehmen ist – vorübergehend eine 'Atempause' bekommen, was sich von der gebeutelten Mehrheit der griechischen Bevölkerung nicht sagen läßt. »Im Gegenteil«, sagte Herr K. »Die tut sich in Zukunft noch schwerer als bisher, unter den verordneten Lebensumständen über die Runden zu kommen.«

25.06.12: Herr Keiner
Er betreibt auch eine eigene Website, auf der er seine Plaudereien mit mehr oder weniger zufälligen Bekanntschaften notiert. Außerdem schreibt er eine regelmäßgie Kolumne für das Tageblatt – Zeitung für Lëtzebuerg (Luxemburg).