Jenseits von Soll und Haben: Die politische Ökonomie imperialistischer Kriege und Stellvertreterkriege
Der Auftrag der konkret-Redaktion, ich
möge etwas zum »ökonomischen Hintergrund« oder
zur »Ökonomie des Krieges« beisteuern, den die Nato
gegen Jugoslawien geführt hat, kommt einer Aufforderung zur
Falschaussage nahe. Denn wer in Kriegsdingen von Aufwand und Ertrag,
Kosten und wirtschaftlichem Nutzen redet, verstößt nicht nur
gegen den nationalen Anstand — das ginge noch —, sondern
gegen die Wahrheit.
Wenn kritische Leute einen wirtschaftlichen Vorteil als Grund und Ziel
des Waffengangs anführen, verweigern sie der Kriegsmoral die
Gefolgschaft und bestreiten dem Krieg die höhere Motivation.
Daß für Geld und die wirtschaftlichen Interessen derer, die
es haben, getötet und gestorben wird, ist ihr Vorwurf: »Kein
Blut für Öl!« Zur Kritik eines Krieges nennen sie
öffentlich private Nutznießer. Die Rüstungsindustrie,
die an den Aufträgen der Regierung verdient, gerät ihnen zum
Auftraggeber ihrer Auftraggeber. Wo immer westliche Waffen zuschlagen,
entdecken sie unentdeckte Ölquellen, seltene Rohstoffe,
unverzichtbare Handelswege oder ideale Pipeline-Trassen. Je schwerer
derartige Entlarvungen fallen — und im Fall des Armenhauses
Balkan fallen sie sehr schwer —, desto verwegener die
Konstruktion. Aber das schadet nichts: Ihre Überzeugungskraft
bezieht diese Kritik ohnehin nicht aus ihrer Schlüssigkeit,
sondern aus der Schönheit ihrer moralischen Botschaft. Sie spricht
dem Krieg seine Würde ab: Während die Regierung vorgibt, sie
lasse für allerhöchste menschliche Prinzipien und die Werte
der Gemeinschaft kämpfen, schickt sie die Jugend doch nur für
den Reichtum der Reichen ins Feuer. Diese Kritik legt sich mit dem
Maßstab des national verantwortbaren Krieges nicht an, sondern
benutzt ihn in kritischer Absicht gegen diesen Krieg. Sie sagt ihm
wirtschaftliche Vorteile nach und kann ihn damit nur deshalb blamieren,
weil Krieg eine prinzipielle Mission und Selbstbehauptung der Nation
ist, bei der sich kleinliche Vor- und Nachteilsrechnungen nicht
gehören.
Wenn die Kritiker selbst schon kritisch darauf anspielen, daß es
sich bei Krieg eigentlich um eine höhere Sorte Konkurrenz der
Staaten handelt, bei der die Geldfrage keine Rolle spielt, dann sollten
sie sich bei der Erklärung der Kriegsziele auch daran halten. Wenn
sie die Lüge vom uneigennützigen humanitären Waffengang
zurückweisen und ein Interesse ihres Staates an der Unterwerfung
eines anderen Staates anprangern wollen, dann geht das eben nicht mit
dem Deuten auf eine (gar nicht vorhandene) Bereicherung durch den
Krieg. Worin der Materialismus des kriegführenden Staates besteht,
wäre zu klären. Dazu drei Thesen.
1. Kapitalismus und Imperialismus
Die Frage nach einem speziellen ökonomischen Grund und Ziel dieses
Krieges ist verkehrt; einen solchen Grund gibt es nicht — wohl
aber einen ökonomischen Grund des Imperialismus kapitalistischer
Staaten überhaupt. Sie haben sich eine Ökonomie eingerichtet,
die stetig expandiert und expandieren muß. Dafür
erschließt die politische Macht ihren Kapitalisten den Gebrauch
von Märkten, Rohstoffen und Arbeitskraft auch jenseits der eigenen
Landesgrenzen. Selbstverständlich achtet die Regierung darauf,
daß ihr Dienst am Wachstumsbedürfnis exportierender oder
importierender Kapitalisten ihr selbst und dem nationalen Reichtum als
ganzem zugute kommt: Das grenzüberschreitende Geschäft
muß das inländische Wachstum fördern, und seine
Bilanzen dürfen die nationale Zahlungsfähigkeit
gegenüber dem Ausland nicht untergraben. Beides ist nicht
selbstverständlich. Denn die positive Handels-, Zahlungs- und
Kapitalverkehrsbilanz kann immer nur einer von zwei beteiligten Staaten
haben. Wenn Kapitalisten über Grenzen hinweg ihrem Profit
nachjagen, kaufen, verkaufen und investieren, fällen sie zugleich
Entscheidungen über die einseitige Bereicherung oder Verarmung von
Staaten. Diese wiederum beugen sich nicht brav dem Urteil der
Märkte; sie fordern vom grenzüberschreitenden Verkehr ihre
Bereicherung auf Kosten anderer Nationen und lassen sich ihre
ökonomische Entmachtung durch die Resultate der internationalen
Konkurrenz der Kapitalisten nicht bieten.
Daher setzt ein Staat die Erlaubnisse und Verbote, Zölle und
Investitionsbedingungen für das Außengeschäft so fest,
daß sein einseitiger nationaler Erfolg daraus gesichert ist. Mit
seinen politischen Vorgaben trifft ein Staat auf die auswärtige
— heute ebenfalls überall kapitalistische —
Staatsmacht, die haarscharf genauso kalkuliert und ihrerseits alles
ökonomische Treiben in ihrem Machtbereich genehmigt oder
verbietet, je nachdem, ob sie die ökonomischen Potenzen ihrer
Macht dadurch gefördert oder beschädigt sieht. In den
zwischenstaatlichen Vereinbarungen darüber, was die Partner ihren
Geschäftsleuten wechselseitig genehmigen, wird ein Gegensatz
verhandelt — und das zwischen höchsten Subjekten. Die
politische Hoheit muß sich nicht wie die ihr unterworfenen
Privatleute an übergeordnete Gesetze halten, wenn sie ihren
Vorteil sucht, sie selbst macht ihre Gesetze und ordnet sich dabei
nichts Höherem unter als ihrem eigenen Egoismus. Die Entscheidung
zwischen gegensätzlichen nationalen Rechtsansprüchen ist eine
Frage der Gewalt — und zwar keineswegs erst, wenn Staaten zu den
Waffen greifen. Der friedliche diplomatische Verkehr ist eine einzige
gegenseitige Erpressung: Jeder Partner macht dem anderen klar,
daß er es sich gar nicht leisten kann, seine Anträge
zurückzuweisen; jeder droht
für den Fall einer solchen Zurückweisung Konsequenzen
für die gesamten beiderseitigen Beziehungen an und erinnert zur
Not offen daran, mit was für einer Militärmacht der liebe
Partner es zu tun, welche Rechte und Vorrechte er also zu respektieren
hat. Frieden zwischen kapitalistischen Nationen herrscht dann, wenn und
solange sie einander als die Gewalten anerkennen, die sie sind. Die
Verschlechterung der Beziehungen bis hin zum Krieg steht an, wenn einer
der Partner zu dem Schluß kommt, daß der andere nicht
bereit ist, die Erpressungsmacht und die Rechtsansprüche
anzuerkennen, die der eine sich aus seiner Stellung in der Rangordnung
der Gewalten zurechnet — wenn also die Gewalt, die ein Staat ist,
von neuem bewiesen werden muß.
Die ökonomischen Nationalinteressen sind der Stoff des
zwischenstaatlichen Streits. sein Argument und Entscheidungsmittel ist
die Gewalt. Weil von ihr alle Durchsetzung in allen Fragen
abhängt, wird der Kampf um die Rangordnung unter den höchsten
Gewalten zu einer selbständigen, ja zur eigentlichen Konkurrenz
der Nationen. Stets arbeiten sie an der Veränderung des
Kräfteverhältnisses auf dem Globus und ringen sehr
prinzipiell um Respekt vor ihrem Status: Welcher Staat darf was?
Welcher kann anderen Vorschriften machen? Welcher muß sich
Diktate gefallen lassen? Feindschaften entzünden sich an
verweigerten Respektsbeweisen, Rüstungsanstrengungen der
Gegenseite oder einem angemaßten Statusfortschritt der eigenen.
Eine Rückübersetzung der Machtkonkurrenz der Staaten in einen
ökonomischen Streitgegenstand ist unmöglich — aber auch
nicht nötig, denn der Materialismus des nationalen Vorteils ist in
der Prinzipienreiterei der Souveränität perfekt aufgehoben:
Alle Benutzungsverhältnisse lassen sich regeln, wenn die
Über- und Unterordnung zwischen Staaten geklärt ist. Das gilt
sogar für Konflikte und Kriege, die ihren Ausgangspunkt in einem
ökonomischen Streit haben. Wenn Staaten dazu übergehen, den
entgegenstehenden Staatswillen zu brechen und dafür die Basis und
die Mittel seiner Macht zu zerstören, dann ist der Gegensatz viel
prinzipieller als der entgangene oder zu erzielende Vorteil aus einer
Handelsregelung. Am ökonomischen Stoff haben die feindlichen
Mächte lediglich entdeckt, woran ihr Verhältnis
überhaupt krankt: Der Nachbar verletzt ihre Rechte und
mißachtet ihre Erpressungsfähigkeit; deshalb werden sie
grundsätzlich. Der Friedensvertrag, den ein Krieg früher oder
später herbeiführt, formuliert die neue Grundlage, auf der
die Staatsgewalten sich wieder zu respektieren bereit sind, fixiert die
Unterordnung bzw. die Vorrechte, deren Recht die Waffen bewiesen haben.
Leistungen, die dem Kriegsverlierer abverlangt werden —
Abrüstung, Räumung von Territorium, Reparationen oder
industrielle Demontage —, sind Pfand und Hebel seiner bleibenden
Unterordnung unter den Sieger, aber nicht selbst Zweck des Krieges.
2. Der Balkankrieg - ein Kampf um Vormacht und Hinterhof
Die bald zehn Jahre dauernde Zerstörung Jugoslawiens bis zum
direkten Krieg der Nato gegen den Rest dieses einst bedeutendsten
Staats in Südosteuropa bietet von allem Anfang an keinen
Anlaß für Irrtümer hinsichtlich eines
»ökonomischen Hintergrunds« der westlichen
Intervention. Das einstige Jugoslawien war längst ökonomisch
auf die EU orientiert und bereit, sich zu deren Bedingungen zum
Hinterland des westeuropäischen Kapitals zu machen; längst
hatte es eine Funktion als Transitland des EU-Verkehrs zum griechischen
Partner, als billiges Urlaubsland für lohnarbeitende EU-
Bürger, als Zulieferer für die Auto- und Elektroindustrie und
anderes mehr. Jugoslawien hat keine kapitalistische Benutzung durch
westliche Wirtschaftsmächte je abgelehnt; eher schon hatte es
nicht erhörte Anträge auf Investitionen und eine
stärkere Einbeziehung in die westeuropäische Integration
gestellt. Die Feindschaft, die sich erst die jugoslawische
Zentralmacht, später das übriggebliebene Serbien zuzog, hat
ihren Ausgangspunkt gleich auf der höchsten Etage der
Souveränitätsfrage genommen, ohne daß Streit über
begrenzte Interessengegensätze jemals laut geworden wäre.
Es war das Pech von Titos Staat, daß seine weltpolitische
Eigenständigkeit nach dem Ende des Ostblocks und sein innerer
Aufbau — Vielvölkerstaat — zu einem Zeitpunkt in die
Krise gerieten, als Deutschland und Europa entschlossen waren, die
Früchte ihres Sieges im Kalten Krieg zu ernten und eine Aufwertung
des eigenen Status durchzusetzen. Zuerst benutzte das wiedervereinigte
Deutschland den unzufriedenen Nationalismus in einigen Teilrepubliken,
um sich eine Rolle anzumaßen, wie sie die USA in ihrem mittel-
und südamerikanischen Hinterhof ausüben: die Rolle der
Vormacht, gegenüber deren Willen die Souveränität
anderer Staaten in ihrem Machtbereich nichts zählt. Dieses Recht
hat sich Deutschland durch rücksichtslose Inanspruchnahme erobert:
Ungefragt hat Bonn entschieden, daß Slowenen und Kroaten keine
jugoslawischen Separatisten, sondern eigene Völker sind, denen das
Recht auf einen eigenen Staat zusteht. Es hat die vom jugoslawischen
Standpunkt aus illegalen Staatsgründungen durch die diplomatische
Anerkennung gefördert und damit seinen Anspruch proklamiert,
innere Streitfragen Jugoslawiens zu entscheiden. Die Frage, was der
damalige Bonner Außenminister Genscher damit beabsichtigt hat,
verbietet sich: nichts anderes, als diese Rolle einzunehmen und
Deutschland, was den imperialistischen Status betrifft, gleichrangig
neben die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs zu postieren.
Die EU-Partner registrierten den Angriff auf ihre überkommenen
Vorrechte gegenüber dem »ökonomischen Riesen« und
wiesen eine deutsche Einmischung in Jugoslawien zurück. Freilich
nicht überhaupt, sondern so, daß sie sie zur gemeinsamen
Sache aller europäischen Imperialisten machten. Nicht Deutschland,
die EU als ganze beansprucht das Recht, über Sein und
Nichtsein anderer Staaten in Europa zu befinden. Dabei
mußten sie Deutschland nicht bei einem beabsichtigten Alleingang
stoppen, denn auch ihm ging es um nichts anderes als um deutsche
Führung bei der Fortentwicklung des europäischen
Wirtschaftsbündnisses zu einem imperialistischen Machtzentrum. Die
Jugoslawienkriege markieren die Anfänge der »gemeinsamen
europäischen Außen- und Sicherheitspolitik« (GASP).
Gesteigertes Pech des jugoslawischen Staats war es, daß die
europäischen Vormächte sich auf die Wahrnehmung ihrer
gemeinsamen Aufsicht und deren Ziele erst noch einigen mußten.
Sie haben sich nicht auf dem Balkan eingemischt, weil sie dort etwas
Bestimmtes erreichen wollten, sondern sie mußten
Ordnungsvorstellungen entwickeln, weil sie sich unbedingt einmischen
und zuständig machen wollten. Die Aufsichtsmächte hatten
nicht nur keine wirtschaftlichen, sondern auch keine bestimmten
strategisch-politischen Absichten. Und wenn eine Partei irgendwie ihren
nationalen Einfluß im Auge gehabt hätte, so garantierte der
Einigungszwang unter den EU-Partnern, daß derlei nicht
herauskommen würde: Die Unterwerfung des Hinterhofs unter die EU
mußte eine Unterwerfung unter sehr abstrakte, übernationale
Prinzipien werden — und wie diese Prinzipien auf die dortigen
Verhältnisse passen würden, hatten eben diejenigen zu sehen,
denen sie auferlegt wurden. Deutschland wollte die Abspaltung von
Slowenien und Kroatien; England und Frankreich wollten anfangs
Jugoslawien erhalten. Einig wurde man sich über Auflagen, denen
die jugoslawischen Streitparteien zu gehorchen hatten. Einerseits
sollte das Selbstbestimmungsrecht der Völker gelten;
in den Rang von Völkern wurden die konstitutiven
Nationalitäten Jugoslawiens eingesetzt — damit wurde dem
Prinzip der völkischen Umsortierung Recht gegeben. Andererseits
durften neue Staaten nur innerhalb der alten innerjugoslawischen
Republiksgrenzen entstehen — damit war das Umsortieren von
Staaten und Bevölkerungen nach dem ethnischen Prinzip gerade
verboten.
Serbien war keineswegs von Anfang an der gemeinsame Feind Europas. Es
wuchs aber mit Notwendigkeit in diese Rolle, weil es die Zentrale war,
auf deren Kosten die europäisch beaufsichtigte Zerlegung des
jugoslawischen Staates ging, und weil es Haupterbe der
überkommenen Machtmittel war, mit denen es sich der immer weiteren
Auflösung der föderativen Republik widersetzte. Wenn sich die
jugoslawische Armee auch aus immer weiteren Teilen Jugoslawiens
zurückzog, so doch stets, um dadurch einen Rest eigenständig
serbischer, und das heißt infolge der europäischen
Einmischung anti-westlicher, Staatsräson zu retten. Der einzige
Staat auf dem Balkan, der nicht Von Gnaden der EU entsteht und der
immer noch aus eigenem Recht mit den Diktaten der imperialistischen
Übermacht kalkuliert, wird zum Hindernis der EU-Zuständigkeit
für die Region. Deshalb war es irgendwann mit dem Rückzug der
jugoslawischen Armee aus anderen Teilrepubliken nicht mehr getan. Im
Kosovokrieg ging es darum, die serbische Macht und ihre
ökonomische Basis selbst zu zerstören, um die serbische
Kriegsfähigkeit zu vernichten.
3. Die Ökonomie des Kosovokrieges
besteht zunächst darin, daß Geld keine Rolle spielt und auch
nicht spielen darf. Krieg ist kein Geschäft, er bringt kein Geld,
sondern vernichtet jede Menge kapitalistischen Reichtum. Da hört
sich nämlich, wie Faschisten es sagen würden, das
»Krämertum« des Kapitalismus auf. Die Gegner wollen
nicht mehr verdienen, suchen nicht mehr relativen Vorteil im Geben und
Nehmen, sondern werden prinzipiell: Entweder der eigene Wille gilt oder
der andere. Um den fremden Staatswillen zu brechen, werden seine
Machtmittel — Mensch und Material — möglichst effektiv
zerstört.
Schon der Übergang zur Feindschaft zwischen Staaten zerstört
das Geschäft und ruiniert die Profitgelegenheiten von
Kapitalisten, die im beiderseitigen Handel engagiert sind oder in dem
zum Feind erklärten Land investiert haben — die
jugoslawische Telekom z. B., die in Grund und Boden gebombt wurde,
gehört längst der Telecom Italia. Öl- und
Technologieexporteure müssen feststellen, daß ihre gestern
legalen Geschäfte mit Jugoslawien wegen der Embargobeschlüsse
der Alliierten heute zu Verbrechen geworden sind.
Im Bombenkrieg kommen dann alle militärtechnischen
Errungenschaften zum Einsatz. Der Aufwand bemißt sich erstens
daran, wieviel Kriegsmittel ein Nato-Land aufbringen und beisteuern
kann, um beim Feind so viel Waffen, Infrastruktur, Fabriken, Menschen
wie möglich zu zerstören: er bemißt sich zweitens
daran, wie intensiv und wie lange bombardiert werden muß, bis der
Feind das Handtuch wirft. Hinterher werden die vielen Milliarden
zusammengezählt: Die Stationierung der Soldaten, der Betrieb der
Bomberflotten, der Ersatz von verlorenem Gerät und verschossener
Munition kosten Geld — auch wenn Kosten keine Rolle spielen
dürfen, aufgebracht und bezahlt werden müssen sie schon.
Nach dem Sieg ist der serbische Industriestaat um Jahrzehnte
zurückgeworfen. Eine Benutzung des Landes als Handelspartner und
Anlageplatz für ausländisches Kapital liegt in weiter Ferne;
auch als Billiglohnland und »verlängerte Werkbank«
taugt es nicht mehr. Im Kosovo ist die Hälfte aller Gebäude
zerstört, an Wirtschaft gab es auch vor dem Krieg schon nicht
viel. Die Anrainerstaaten, die ohne viel Federlesens als
Aufmarschgebiete hergenommen wurden, sind vor dem Kollaps, und der
weitere Umkreis südosteuropäischer Staaten (Bulgarien.
Rumänien) hat einen katastrofalen Einbruch des ohnehin
dürftigen regionalen Geschäftsverkehrs zu verzeichnen.
In der ganzen Gegend ist für den europäischen Kapitalismus
nichts zu holen — im Gegenteil. Die Sieger müssen mit
eigenen Leuten und eigenen Mitteln eine staatsähnliche Ordnung und
ihre Existenzbedingungen selbst wieder herstellen, damit der
zerstörte Balkan, für den sie sich die Zuständigkeit
erobert haben, halbwegs »stabil« wird. Geschätzte 20
Jahre lang wird ein Besatzungsregime den verfeindeten Volksgruppen im
Kosovo einen multiethnischen Frieden aufzwingen müssen, den diese
nicht wollen. Das kostet. Gleiches gilt für den Wiederaufbau der
zerstörten Häuser und einer minimalen Infrastruktur. Die Rede
ist schon von einem »Marshall-Plan« für die
zerstörte Region. Wenn an der historischen Parallele auch nichts
stimmt und vor allem die Opfer des Krieges keine Wohltaten zu erwarten
haben, so bleibt doch eines: Ihre Aufsicht über den Balkan kostet
die EU-Staaten eine Menge Geld, ohne daß ihre eigenen
Wortführer sich davon »blühende kapitalistische
Landschaften« und einen Zuwachs an europäischem Wachstum
versprechen würden. Der imperialistische Aufbruch der EU kostet
Steuergelder und beschädigt gleichzeitig die Steuerquellen,
Geschäft und Wachstum in Europa. Finanzminister Eichel weiß
schon, warum er dementiert, daß wegen des Kosovokrieges Steuern
erhöht und Renten gesenkt werden müssen.
Es verhält sich also etwa umgekehrt, wie diejenigen meinen, die
einen »wirtschaftlichen Hintergrund« des Kosovokrieges
suchen: Die Rücksichtslosigkeit, mit der Staaten, die sich dem
Wachstum des Kapitals verschrieben haben, das Geschäft in den
Dienst des Krieges stellen und dafür beschädigen, ist der
schönste Beweis dafür, auf wieviel Gewalt der Frieden der
Profitmacherei beruht.
Nachtrag
Eine wirkliche Bilanz des Krieges steht aus. Auch sie betrifft nicht
die Ökonomie, sondern die Nützlichkeit des militärischen
Sieges für den politischen Zweck. Der ist maßlos, deshalb
stellt sich schon nach wenigen Tagen Unzufriedenheit mit dem Erreichten
ein: Die NATO hat an Restjugoslawien das Exempel statuiert, daß
es sich kein Staat leisten kann, einem Diktat des vereinten Westens zu
widersprechen. Jetzt hat es kapituliert — aber ist damit Serbien
der botmäßige EU-Vasall geworden, der verlangt war? Schon
reicht der Abzug aus dem Kosovo nicht mehr, jetzt will man
Milošević stürzen und vor ein internationales Gericht
stellen; auch muß Montenegro noch aus serbischem Zugriff befreit
werden. Der Krieg hat ferner der Ex-Weltmacht Rußland die Rolle
des unberücksichtigten Zuschauers in der Weltpolitik zugewiesen
— halten sich die Russen daran, oder wehren sie sich dagegen
durch eigene kleinere Kriegsakte wie die Besetzung des Flughafens von
Priština?
Und was dann? Der Anspruch der Nato auf ein Gewaltmonopol über die
Staatenwelt ist ernst gemeint, das hat dieser Krieg demonstriert. Aber
eben nur an einer Stelle: An diesem Maßstab gemessen ist die Welt
voller Herausforderungen für das Bündnis der Imperialisten;
verlangt sind immer neue Beweise seiner Entschlossenheit, keine
Ausnahmen zuzulassen. Dieser Krieg mündet für die Sieger
nicht in einem befriedigenden Frieden, sondern in neuen Kriegen.
Peter Decker
(dieser Artikel erschien erstmalig in der Zeitschrift konkret, Ausgabe 8/1999, anläßlich der imperialistischen Neuordnung Jugoslawiens)
(14.03.13)