Ohne Gewerkschaft auch keine Krisenbewältigung!
Der
ökonomischen Krise des Kapitalismus, eingeleitet durch die seines
Kredits, dieser Krise also eine politische Dimension hinzuzufügen,
ist natürlich mitnichten Anliegen einer vom Klassenstaat
anerkannten und auf sich verpflichteten Gewerkschaft wie der IG Metall,
die sich darauf auch noch wunders was einbildet, wie unentbehrlich sie
für Staat und Kapital wäre.
Für ihren Vorsitzenden, Berthold Huber, besteht die Aufgabe seiner
Gewerkschaft gleich in einem Rettungsprogramm. Dem vom
Verhandlungspartner aufgemachten Schein, bei den geforderten 8% mehr
Lohn ginge es gar nicht um ein konstruktives Mitwirken an den Sorgen
des Kapitals, tritt Huber deshalb, vom gewerkschaftlichen Standpunkt
aus konsequent, entgegen. Er empfiehlt dem Kapitalismus seiner Rettung
wegen eine Radikalkur:
"Der Kapitalismus, der heute auf dem
Kopf steht, ist einer, der auf kurzfristige Gewinne gesetzt hat.
Folglich waren nur noch Manager gefragt, die kurzfristig den Aktienwert
gesteigert haben, ohne auf Nachhaltigkeit zu setzen. Der von solch
elenden Analysten erzeugte Druck auf die Unternehmen ist eine der
Ursachen für die Krise." (AZ, 25.10.08, daraus auch, so nicht anders angegeben, alle folgenden Zitate)
Es scheint so, als wüßte der Vorsitzende, woher denn die
langfristigen, nachhaltigen Gewinne des Kapitals resultierten: Aus der
produktiven Anwendung der Arbeitskraft, aus der Bezahlung der Ware
Arbeitskraft unter Wert. Tatsächlich jedoch nimmt er mit einem
rein ideologischen Gegensatz, dem von Faschisten erfundenen zwischen
raffenden und schaffendem Kapital, eine Verschiebung des Gegenstands
der Kritik vor, um hieraus seinen Auftrag abzuleiten, der konstruktiven
Arbeit an einem nationalen Aufbruchprogramm. Er möchte das
Verhältnis von Ausbeutungs- und Spekulationsgewinn wieder auf die
Füße gestellt wissen, ohne auch nur eine Sekunde über
den materiellen Grund für dieses angebliche
Mißverhältnis nachzudenken. Diesen ortet er allein im
bösen Willen, bei "elenden Analysten", die das System für
nichts achten, wohingegen die Gewerkschaft das ganze im Blick hat, wenn
sie für ihre Klasse auftritt. So ehrlich ist die Gewerkschaft,
wenn sie den Übergang von der Ökonomie zum Anstand und der
damit verbundenen nationalen Verantwortung macht.
"Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann
forderte ja 25 Prozent Rendite. Das ist Wahnsinn! Der ungeregelte
Kapitalismus ist eine Bedrohung für Wirtschaft und Demokratie."
"Diese Auseinandersetzung hat auch eine
gesellschaftliche Dimension. Es geht um nicht weniger als den inneren
Zusammenhalt der Gesellschaft. Nicht nur Finanzinvestoren, sondern auch
viele Unternehmer haben sich in den letzten Jahren von der
gesellschaftlichen Verantwortung und der Idee der sozialen
Marktwirtschaft verabschiedet. Wir müssen zunehmend um
Mitbestimmungsrechte kämpfen. VW ist nur ein Beispiel." (taz, 03.11.08)
In der Tat scheint es so zu sein, daß die Gewerkschaft etwas
zugelassen hat, was sie nach eigener Betrachtung nicht länger
zulassen darf: Die Verkehrung von Finanz- und produktivem Kapital in
seiner Gewichtung, weil dadurch unmittelbar zwar kein materieller
Schaden für die Arbeitnehmer entsteht - jedenfalls deutet Huber
nichts Diesbezügliches an ["Der Rückgang des privaten Konsums" (taz,
03.11.08), den er nennt, macht er so ausdrücklich ja nicht als
Schaden für die vorstellig] -, weil vielmehr dadurch - neben dem
fürs Kapital - ein politischer Schaden für das System als
ganzes entstehen könnte. So und mit einem Konjunktiv obendrein zu
begründen, warum man 8% mehr Lohn fordert, läßt
erkennen, was und wofür die arbeitende Klasse in der Gesellschaft,
auch und offensiv von der Gewerkschaft propagiert, vorgesehen ist: In
aller Armut anständig sein und bleiben, für Ideale, die es
als solche gar nicht gibt, für das
demokratisch-marktwirtschaftliche System als deren oberstes Ideal
einzustehen und so einen Sparringspartner für die abzugeben, die
die Ideale realiter mit ihren Interessen zu füllen verstehen.
"Es wird endlich Zeit, daß alle
Banken und Versicherungen ihre Bücher offenlegen. Darauf haben die
Menschen einen Anspruch, schließlich stammt die Summe von bis zu
500 Milliarden Euro, mit der die Bundesregierung für die
Finanzwirtschaft zu bürgen bereit ist, aus Steuergeldern. Weil der
freie Markt versagt hat, müssen wir das kurzfristige Profitdenken
bremsen."
Daß Steuerzahlen mit einem Anspruch einhergehen könnte,
einem Anspruch seitens der Arbeitnehmer und ihrer Vertretung, ist schon
ein kleiner Scherz, den auch der Interviewer merkt, der Huber daraufhin
fragt, ob denn nun Verstaatlichungen angesagt wären. Doch der
läßt sich so leicht nicht von Ideologen des Privateigentums aufs Glatteis führen:
"Ich wende mich gegen den
populistischen Vorschlag, die Finanzwirtschaft zu verstaatlichen. Was
kann man da momentan außer Schulden übernehmen? (lacht) Für mich heißt eine der großen Lehren aus der Krise, daß wir mehr Mitsprache in den Betrieben brauchen.
Volkswagen ist hierfür ein gutes
Beispiel. VW-Standorte können nur verlagert werden, wenn zwei
Drittel der Aufsichtsratsmitglieder dem zustimmen. Die
Arbeitnehmerseite verfügt über 10 von 20 Sitzen in diesem
Gremium. Das auch wirtschaftlich erfolgreiche Volkswagen-Modell ist
für mich ein Anti-Gierkapitalismus-Modell."
Lässig schaffte er den Übergang zu seinem Lieblingsgedanken,
der Mitbestimmung; Mitbestimmung bei den Verwertungsbedingungen der
arbeitenden Manövriermasse, das möchte er nicht
hinzufügen. Von dieser Masse zu sprechen ist gesellschaftlich
nicht en vogue, wenn es um die ganz großen Probleme geht. Klar
ist ihm überdies, daß im Falle von Verstaatlichungen die
Gewerkschaft ja so gut wie gar nicht mehr gefragt wäre, was
für ihn natürlich hieße, der durch die Gewerkschaft
garantierte Erfolg des Kapitals stünde in Frage. Der
ist ihm ein gewaltiges Anliegen. Einen in welcher Weise auch immer zum
Zuge kommenden Klassengegensatz bekämpft er am besten dadurch,
daß er ihn einfach als nicht existent ignoriert. Huber schafft
es, den Interviewer seiner Fährte folgen zu lassen:
"Die Streikkasse ist gut
gefüllt. Wir verzeichnen nach wie vor Zuwächse bei unserem
Vermögen. Die Anlagen wurden breit gestreut, überwiegend in
Rentenpapiere. Wir haben nie spekuliert. Unsere Streikkasse ist nicht
von der Finanzmarktkrise betroffen. Hier brauchen sich die Arbeitgeber
keine Hoffnungen zu machen."
"Wir wissen natürlich auch,
daß die Wirtschaftsentwicklung nicht leicht einzuschätzen
ist und das Wirtschaftsklima im Augenblick schwierig ist. ... Gerade
jetzt muß die Tarifrunde einen Beitrag zur gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung leisten. Wir müssen die Konjunktur stabilisieren.
Deutschland hat in den letzten Jahren völlig einseitig auf den
Export gesetzt. ... "(taz, 03.11.08)
Im Gegensatz zu den Arbeitgebern erweist sich die Gewerkschaft nicht
nur als konstruktiv denkend, sondern auch als praktisch
erfolgreich(er)! Natürlich gibt Huber jedem recht, der auf die
Berücksichtigung der konjunkturelle Lage des Kapitals drängt,
auf wessen Kosten auch immer ist selbstverständlich nie Thema. Er
deutet die Krise um, einerseits weil er die Gewinne der letzten Jahre
für die gewerkschaftliche (Verzichts)politik gelten lassen will,
andrerseits weil die andere Seite in dieser Zeit Fehler gemacht habe,
um, und zwar in eine Sache unzureichender Mitbestimmung. So ergibt sich
ein dickes moralisches Plus für einen - hier kokettiert er mit der
proletarischen Tugend der Bescheidenheit - (in der Hauptsache)
Kleinwagenhersteller und ein Minus für ungenannte Hersteller
dicker Schlitten. So billig, meint er, könne er auf den Beifall
seiner Schäfchen hoffen!
"Die Maschinenbauer sagen mir, 2008
werde für sie ein gutes bis sehr gutes Jahr. Und bei den
Auto-Unternehmen ist es - mit wenigen Ausnahmen - auch ein gutes Jahr.
Die Probleme hängen zum Teil
auch mit einer verfehlten Modellpolitik zusammen. VW steht mit seiner
vergleichsweise sparsamen Flotte noch gut da. Wir bleiben bei unserer
Forderung, weil die Metall- und Elektroindustrie 2007 die höchste
Umsatzrendite seit 40 Jahren erzielt hat. 2008 wird die Umsatzrendite -
wenn überhaupt - nur geringfügig niedriger ausfallen." -
Über eines neben der Wirtschaft und der Gesellschaft als ganzer
macht sich Huber freilich dann auch noch Sorgen, so vergleichsweise
geringfügig er deren Stellenwert auch veranschlagt: Die
Gewerkschaft als Glaubensverein:
"Wir sind nicht die katholische
Kirche. Tarifverhandlungen haben nicht die Aufgabe, in einem Konklave
einen Papst zu wählen. Tarifverhandlungen müssen für
Millionen von Menschen klären, wie ihr Entgelt aussieht. Unsere
2,3 Millionen Mitglieder wollen beteiligt werden. Aufgeklärte
Menschen - und das sind unsere Mitglieder - geben sich nicht mit Rauch
über der Tarif-Kapelle zufrieden."
Er sieht die Gewerkschaft als Glaubensverein der Aufgeklärten! Zu
dieser Demonstration sind Warnstreiks genau der richtige Zinnober, die
unter Beweis stellen, daß Tarifverhandlungen mit wirklichen
Streiks nicht zu verwechseln sind. Ein solch aufgeklärt sich
aufstellendes gesellschaftliches Element soll im Gegensatz zu den
Kirchen nicht berücksichtigt werden? Völlig ausgeschlossen im
demokratischen Klassenstaat, echt! Jeder Gedanke an wirkliche Streiks,
die ja selbst im Rahmen ihrer Urabstimmungslegalität den Anschein
der Unaufgeklärtheit nicht verheimlichen können, ist somit
fehl am Platze! Die Höhe der Lohnforderung ist denn auch auf -
nach dem obligatorischen Techtelmechtel - eine Einigung zugeschnitten.
Das müßten sogar die Ideologen des Privateigentums zugeben,
wenn sie einen Augenblick ihre ideologischen Vorbehalte gegen die
Gewerkschaften außer Acht ließen:
"Wir können jetzt gegensteuern,
für Wachstum und Gerechtigkeit. Auch deswegen sind die 8%
Lohnforderung das richtige Signal."
(taz, 03.11.08)
(10.11.08)
