Nikolai Gogol wurde in Sorotschinzy, einem Ort
nahe von Poltava in der Ukraine, geboren. Obwohl er die ukrainische
Sprache liebte, zog er es vor, seine Werke in der russischen zu
verfassen. Er setzte auf Rußland, er setzte auf einen nationalen
Aufbruch für einen gesamtslawischen Aufbruch - dafür erschien
ihm die Ukraine viel zu eng und rückständig. Schon damals
machten sich die Einflüsse aus dem Westen Europas, die
kapitalistischen Einflüsse, in Rußland unangenehm bemerkbar,
zumal in den Großstädten - Gogol war, Höheres im Sinn,
nach Petersburg gewechselt. Diese Einflüsse stießen auf
Ablehnung, nicht nur bei denen, die sich die Zusammehänge halbwegs zurechtbiegen
konnten, also bei den Gebildeteren; auch bei den Ungebildeten
stießen sie auf breite Ablehnung, was an der politischen
Konstellation der Zeit lag. Während der russische Staat mit seinem
Oberhaupt, dem Zaren, kapitalistischen Neuerungen aus dem Westen
keineswegs ablehnend gegenüberstand - er versprach sich eine
Sicherung seiner Macht -, stießen diese bei der
russisch-orthodoxen Kirche auf vehemente moralische Ablehnung und
Verurteilung. Sie bot sich allen Kritikern als Heimstatt an. Eine
Rechnung, die solange aufging, wie keine sozialistische Alternative
sichtbar wurde.
Gogol nun waren als einem scharfen Beobachter seiner Zeit die
gesellschaftlichen Veränderungen natürlich nicht entgangen,
am allerwenigsten auch die Art & Weise, wie sie sich in den
Gemütern und Verhaltensweisen seiner Zeitgenossen niederschlugen.
Dies bewies er in vielen seiner Werke, in denen sich oft
althergebrachte Romantik und neue Berechnungen der handelnden Personen
einen Zwist liefern, die den Lesern in seinen Bann schlagen und Gogol
literarischen Erfolg brachten. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang
auf die Petersburger Novellen, insbesondere auf "Nevskij Prospekt"
(eine Straße in Petersburg) und "Der Mantel".
Freilich, die Hoffnungen, die Gogol hegte, wurden von der Wirklichkeit
scharf konterkariert, was ihn zunehmend melancholisch und resignierend
stimmte. Das kommt ihn seiner Rückbesinnung auf seine ukrainische
Heimat zum Ausdruck - z.B. In der Sammlung "Mirgorod" und in den
"Abenden". In "Taras Bulba" versuchte er eine Synthese eines nationalen
Aufbruchs mit der als niederschmetternd empfundenen Lage: Der
Verteidigungskampf der ukrainischen Kosaken gegen die imperialen
Bestrebungen Polens. Das Werk förderte allerdings allein den
nationalen Gedanken und keineswegs soziale Veränderungen. Man mag
meinen, auf letzteres sei es Gogol nicht mehr angekommen, doch zu jener
Zeit entstanden durchaus auch offenkundig sozialkriitische Werke wie
"Der Revisor". ["Taras Bulba" ist dem Leser übrigens nur in der
später umgebauten Form bekannt.] Gogol wagte sich gar an ein
zeitkritisches Gesamtwerk über Rußland, deren 1. Band "Die
toten Seelen" 1842 fertiggestellt wurde und deren 2. Band nur in einem
Entwurf überliefert ist. Zu dieser Zeit vollzog er einen Bruch in
seinem Leben. Auf der Suche nach einem Ausweg erschienen ihm seine
Werke als Abweichung von einer geraden, alles Irdische
verneinenden Haltung. Es ist eine letzte fatale Konsequenz, die er in
seinem Leben zog. So übergab er als Pilger in Rom - auch nach
Palästina pilgerte er - den zweiten Band den Flammen.
Im übrigen gab es auch in der russischen Kirche dann zunehmend
"Westler", während der Zar es nicht soweit treiben mochte, sich
mit der Kirche zu überwerfen. Kurzum, aus den Wirren des
Kuddelmuddels zwischen Staat, Kirche, zwischen eigener Tradition und
Westlertum, auszubrechen, war nicht einfach. Gogol jedoch war der
erste, der mir seinen sozialkritischen Schriften dazu einen Anfang
gemacht hat, wenngleich ihm Weitergehendes nicht glücken wollte.
Er schuf eine Grundlage der Gesellschaftskritik, die, wenn man sie
überhöht, den Nachteil hat, daß sie immer mit der Moral
ihrer Herkunft behaftet ist. Diese national-moralische Attitüde
kann man Gogol weniger zum Vorwurf machen als denen, die sich - ob auf
ihn berufend oder nicht - als Sozialisten an eine Umgesteltung der
russischen und ukrainischen Gesellschaft machten, an die Befreiung vom
Kapitalismus, ohne ihm die Zöpfe abzuschneiden, die mit ihm mehr
ver- als gewachsen waren. Da waren Revolutionäre aller
Schattierungen nicht gerade radikal. Das ist auch schon der ganze Grund
dafür, daß die Sozialisten, schließlich an die Macht
gelangt, auch wieder der Macht zugunsten des Kapitalismus entsagten...
taz v. 21/22.03.09