Curt Frenzel, Schwäbische Landeszeitung, 30. Oktober 1945
Was
wir wollen
[1] Es
ist nun ungefähr sechs Monate her, daß sich die Tragödie des
Krieges vollendet hat. Deutschland erlebt eine Katastrofe
wie noch nie in seiner Geschichte. Ein grauenhaftes Erbe hat uns das
Dritte Reich hinterlassen: Zerstörtes Land, unsägliches Leid,
bitterste Not!
Kein Zweifel: Das deutsche Volk kann sich zu großen
Teilen noch keine rechte Vorstellung davon machen, was der
Zusammenbruch für uns alle in seiner ganzen furchtbaren Tragweite
bedeutet, und wir haben uns darüber völlig im klaren zu sein, daß
der Nazispuk zwar verflogen, die Nazi-Partei zusammenbrach wie ein
Kartenhaus, daß aber der Nazismus noch nicht überwunden ist.
Wenngleich zwölf kurze Jahre genügten, das »Tausendjährige
Reich« Hitlers von der Landkarte auszuradieren, so wird Deutschland
erst dann frei sein, wenn der Nationalsozialismus in all seinen
Verflechtungen ausgerottet ist. Hitler hat einmal in einer Rede vor
dem Reichstag – der in Wirklichkeit mit einem Parlament nichts zu
tun hatte, sondern lediglich als Parteikongreß zu werten war – in
einer Polemik gegen den englischen Ministerpräsidenten Churchill
ausgeführt, daß am Ende des Krieges ein großes Reich zerfallen
sein wird. Er hat ausnahmsweise recht behalten: aber nicht England
zerfiel in Trümmer, sondern Deutschland ist zusammengebrochen. Es
ist heute verfrüht, schon eine Antwort auf die Frage zu geben, ob
das Unglück abzuwenden war. Der bevorstehende Nürnberger Prozeß
wird uns wertvolle Hinweise darüber bringen, wie systematisch das
Verbrechen dieses Krieges vorbereitet wurde. Das endgültige Urteil
über die deutsche Tragödie wird die Geschichtsforschung in ihrer
Unbestechlichkeit fällen, und das deutsche Volk wird rechtzeitig
genug erfahren, in welch frevelhafter Weise das kostbare Juwel des
Friedens vom Nazi-Regime dem Kriegsgott Mars geopfert wurde. War es
schon ein Wahnsinn ohnegleichen, den Krieg überhaupt zu beginnen, so
wurde es zum fluchwürdigen Verbrechen, ihn noch weiterzuführen, als
schon seit Jahren feststand, daß er von Deutschland nicht mehr zu
gewinnen war. Tausende und Abertausende von Männern, Frauen und
Kindern wären heute noch unter uns, hätten noch ihr Heim und ihre
Heimat...
Es
hat sich jenes zynische Wort Hitlers erfüllt, daß es in diesem
Kriege nur Gefallene und Überlebende geben wird. Nirgendwo in der
Welt ist wohl ein Volk skrupelloser in das Verderben gestürzt
worden, als im Dritten Reich, - ein Volk, das jetzt das grausame
Gespenst des Hungers und der Not bannen muß, um nicht endgültig
unterzugehen.
*
[2] Wir
haben heute nicht die Zeit, und es ist auch nicht unsere
vordringlichste Aufgabe, langatmige Untersuchungen darüber
anzustellen, in welchem Maße das deutsche Volk in seiner Gesamtheit
wegen seiner Mitschuld verurteilt werden muß. Es ist indessen eine
bedrückende Tatsache, daß wir nicht vermochten, aus eigener Kraft
die braune Tyrannenherrschaft abzuschütteln. Das deutsche Volk ließ
sich von Jahr zu Jahr auf eine tiefere Kulturstufe herabdrücken und
es fand – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht einmal den Mut
zu einer wahrhaft bescheidenen, stillen Demonstration, indem es bei
den Abstimmungen im Dritten Reich mit »Nein« stimmte oder den
Stimmzettel ungültig machte. Durch seine Unentschlossenheit förderte
es den Größenwahn der Nazi-Bonzen, die mit gefälschten Ergebnissen
die Welt zu täuschen versuchten und immer mehr behaupteten, das
ganze Volk stünde hinter ihnen. Die Größe der Schuld hat jeder
einzelne vor seinem Gewissen zu verantworten. Es ist Aufgabe der
Staatsregierung, beim Reinigungsprozeß den richtigen Maßstab
anzulegen und sich nicht von falschem Mitleid leiten zu lassen, und
es ist ferner mehr als recht und billig, wenn den Anhängern und
Mitgliedern der Nazibewegung die Lasten der Katastrofe, die über uns
hereingebrochen ist, in fühlbarer Weise aufgebürdet werden! Wir
sind hart geworden im Nehmen – um einen Ausdruck aus der
Sportsprache zu gebrauchen – wir sind aber auch hart geworden im
Geben!
*
[3] Es
liegen Aufgaben vor uns, die in ihrer Größe und in ihrer Schwere
schier unlöslich erscheinen. Man könnte meinen, daß sie
Menschenkraft übersteigen. Aber das Leben geht weiter, und wir
wollen, daß aus den Ruinen des Dritten Reiches wieder neues Leben in
den deutschen Landen entsteht.
Wir
haben eine Chance, eine einzige und letzte zugleich. Die Alliierten
haben Deutschland wohl besetzt, aber nicht zerschlagen. Sie haben auf
der Potsdamer Konferenz ausdrücklich anerkannt, daß Deutschland
politisch und wirtschaftlich als einheitliches Gebiet zu betrachten
ist. Wir haben also jetzt die Möglichkeit zu beweisen, daß es auch
noch ein anderes Deutschland gibt, als jenes, das in Schutt und Asche
zerfallen ist.
Die
gegenwärtigen Wochen erinnern in vieler Beziehung an die Zeit nach
dem ersten Weltkrieg. Damals entstand die junge demokratische,
parlamentarische Republik. Sie hat ihre Probe nicht bestanden, weil
die demokratische Verfassung ihren Gegnern gesetzliche Handhaben gab,
die junge Demokratie zu unterhöhlen. Die Kräfte, die damals die
Demokratie erwürgten, sind dieselben, die jetzt Deutschland in seine
große Katastrofe gestürzt haben, und wenn wir einen kurzen Blick
zurückwerfen in die deutsche Geschichte, wenn wir das Buch des
Jahres 1848 aufschlagen, so müssen wir immer wieder feststellen, daß
alle Versuche, in den deutschen Ländern demokratische Gedankengänge
zu verankern, von jenen Schichten sabotiert wurden, die auch heute
die Hauptverantwortung für die trostlose Gegenwart haben: Faschismus
und Reaktion. Denn: Der Nationalsozialismus ist nichts anderes als
ein junger Bruder des Militarismus, und hinter beiden stand und steht
immer jene dunkle Reaktion, die ein erklärter Feind jeden
Fortschrittes ist, die nichts von einer sozialen Neuordnung wissen
will, die aber auf der anderen Seite Militarismus und Faschismus
vorschiebt, um sich selbst zu tarnen, um durch diese Trabanten ihre
imperialistischen Ziele verkünden zu lassen.
*
[4] Wie
nach dem ersten Weltkrieg steht auch jetzt eine junge Generation
einer schweren und unsicheren Zukunft entgegen. Man hatte damals den
jungen Menschen vorgegaukelt, mit einer militärischen Laufbahn eine
sichere Existenz zu gründen. Heute stehen diese jungen Menschen, die
nichts anderes gelernt haben als das Waffenhandwerk und für einen
vollwertigen Einsatz kaum zu gebrauchen sind, wieder wie ehemals vor
dem Nichts. Diese Schichten bedeuten nicht nur eine soziale, sondern
auch eine politische Gefahr. Sie wurden damals die Garde der Reaktion
und eingesetzt zum Dolchstoß gegenüber der Demokratie. Haben wir
das schon vergessen? Denken wir nicht mehr an jene Schüsse, die im
August 1921 im Schwarzwald den Reichsminister Matthias Erzberger
meuchlings niederstreckten oder an jenen feigen Mord in
Berlin-Grunewald im Juli 1922, dem der Reichsaußenminister Walter
Rathenau zum Opfer fiel? In beiden Fällen waren die Täter
entwurzelte Menschen, die nichts anderes kannten als das
Kriegshandwerk und die Angehörige waren jener schwarzen Reichswehr,
aus der sich später SA und SS bildeten. Der damalige Reichskanzler
Josef Wirth prägte zu dieser Zeit das Wort. "Der Feind steht
rechts!", denn die Hintermänner jener Burschen waren eben aus
jenen Kreisen, die als erklärte Todfeinde der Demokratie den Haß
gegen das junge Deutschland systematisch schürten.
*
[5] Wir
wollen ein neues Deutschland bauen und aus den Fehlern der
Vergangenheit lernen. Unser Ideal ist, der Welt zu beweisen, daß
doch eines Tages die Stunde kommen wird, in der die Welt wieder
Vertrauen zu Deutschland haben kann. Unsere Aufgabe muß sein, in
diesem schweren und schwerstem Aufbauwerk mitzuarbeiten. Wir wollen
dafür sorgen, daß die Demokratie nicht zu einem hohlen Schlagwort
wird, wir wollen dem deutschen Volke sagen, daß Demokratie die
stärkste Bindung ist, die ein Mensch eingehen kann, weil er sich mit
ihr freiwillig zu größter Selbstverantwortung und Selbstdisziplin
bekennt. Die verantwortlichen Männer der Staatsregierungen haben
gerade jetzt am Beginn des Wiederaufbaues die Möglichkeit, sicheren
Grund für das neue Staatsgefüge zu legen. Soll der neue Staat gut
fundamentiert sein, so müssen nicht nur jene Elemente von ihm
ferngehalten werden, die im Faschismus und Militarismus ihr
politisches Kampfziel erblickten, sondern auch jene, die von der
freiheitlichen Entwicklung eines Volkes nichts wissen wollen. Es ist
nicht damit gedient, daß heute hier oder dort Parteigenossen
abgesetzt werden, wenn dafür Männer an deren Stellen kommen, die im
Prinzip die gleichen Feinde von wehrhafter Freiheit und Menschenwürde
sind. Wir wollen nicht mehr, daß heute Kinder geboren werden, die in
20 Jahren erneut in den Krieg ziehen sollen: wir wollen Frieden und
ein friedliches Zusammenleben mit allen Ländern. Wir wollen eine
Nation werden, der wieder geglaubt wird und von der die Welt mit
Achtung spricht.
*
[6] Der
Weg, der uns aus dem Chaos führen soll, ist lang und steil. Blicken
wir zurück, dann schauen wir in die Finsternis einer furchtbaren
Vergangenheit, richten wir aber mutig und entschlossen den Blick nach
vorwärts, dann sehen wir die endlose Straße, auf der wir zu pilgern
haben. Sie ist erleuchtet durch ein fernes, schwaches Licht, das uns
den Weg zeigt. Es ist das Licht der Hoffnung und des
Selbstvertrauens. Sorgen wir dafür, daß es nicht verlöscht!
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Anmerkungen:
[1] Es ist schon merkwürdig, daß das erste Sorge heischende Objekt der Nachkriegszeit Deutschland ist. Und das zweite die Geschichte,
die deutsche, in die die »Katastrofe«, die
»Tragödie« des Krieges nicht so recht
hineinpaßt.
Und das dritte Objekt, das Volk, nicht irgendein Volk, nicht die kriegsgezeichnete Menschheit der überfallenen Staaten, nein, das deutsche
Volk und dieses allein, als hätte das nicht über andere
Völker eben dieses Elend gebracht, das es selber nun bejammern
muß! Echt furchtbar!
Deutschland vom Nationalsozialismus zu befreien, wäre erst noch eine Aufgabe: Da spielt eine Ahnung mit, daß der in den Köpfen
verankert ist. Die Unklarheit ist aber keine willkürliche, denn
einer Absicht geschuldet: Wenn Deutschland befreit werden muß,
dann doch nur so, daß ein neuer nicht-nationalsozialistischer
Nationalismus an die Stelle des bisherigen gesetzt werden soll. Die
Aufgabe besteht also darin, nach der Niederlage Deutschlands wieder guten Gewissens an Deutschland denken und glauben zu können.
Vom Kriegsergebnis aus betrachtet mag so manches wahnsinnig erscheinen, wenn man der – geglaubten
– Ideologie des Systems nicht wirklich folgt: Glaubten Hitler und
die Seinen nicht an die Vorsehung? Beruhte die nicht etwa auf der
rassischen Überlegenheit des Deutschtums? War die nicht Garant
genug dafür, daß, welcher Krieg auch immer begonnen wurde,
er auch schon immer den einzig richtigen Ausgang nehmen mußte?
Warum vollzieht Frenzel nun diese simple Logik nicht nach? Offenbar
will er nicht wirklich an der Ideologie kratzen, er spricht das deutsche
Volk frei, indem er den Übergang zu einer moralischen Verurteilung
macht, einer Verurteilung einzelner Unholde. Deshalb räumt er dem
Nürnberger Prozeß auch die hervorragende Rolle ein, die der
sowieso aufgrund der Siegergewalt hat. Auch die Alliierten ziehen eine
Verurteilung einem Urteil über das NS-Regime vor und retten so die
Moral vor der Unmoral: Als ob es in politischen Machtfragen darum
ginge! Moralfragen sind – wie hier anschaulich –
Machtfragen allenthalben nach- und untergeordnet. Anders
ausgedrückt: (Un-)Moral stellt staatliche Gewalt nie zur
Disposition, wie könnte sie das auch! Zu ihrer Rechtfertigung bzw. Verurteilung
taugt sie, aber immer nur für den Sieger. Sehr ärgerlich
für den Frenzel Curt:
Er kennt wirklich nur EIN Volk - nur jetzt ohne Reich und Führer, wie schrecklich!
Nicht zu vergessen: Den Vorwurf der Dummheit erachtet Frenzel als das
adäquate Urteil über die Faschisten und er läßt
auch keinen Zweifel darüber aufkommen, daß er noch auf etwas
anderes warten will. Das mag vermittels einer »unbestechlichen Geschichtsforschung«
zwar kommen, würde aber von seinem Urteil, das – wie gesagt
– sich auf eine Verurteilung reduziert, weder etwas hinwegnehmen
noch Wesentliches hinzufügen. Bei dem disqualifizierenden Vorwurf
übersieht er ebenso glatt wie vorsätzlich, daß der eine
halbe Entschuldigung darstellt. Die Nazis wollten - so Frenzel - als Deutsche der deutschen Nation eigentlich keinen Schaden zufügen, nur hätten sie die »Schadensvermeidung« – als ob diese ideologische Rechtfertigung je ein nationales Programm ausmachen könnte! – allzu dumm angestellt! Als kluge Deutsche
hätten sich jene Obernationalisten disqualifiziert, was man
angesichts der Niederlage auch nicht lange beweisen muß. Und das
wiederum spricht für die vielen kleinen Nationalisten, die,
wiewohl sie einen eigenen Verstand besitzen, einfach so »mit«-gemacht
haben. Ist Frenzel nicht aufgefallen, daß zum einen bloßes
Mitmachen wohl kaum diesen gigantischen nationalen Aufbruch
hervorgebracht hätte, der im Zusammenbruch endete, und zum
anderen, daß dieses bloße »Mitmachen«
auch schon ein gewaltiger Fehler war? Es wollte ihm als wirklich guten
und klugen Deutschen bei beschworener Gefahr des endgültigen
Untergangs schlichtweg nicht auffallen!
*
[2]
So will er sich auch überhaupt keine Zeit nehmen, diesbezüglich Untersuchungen anzustellen. Wo sie doch
nur »langatmig« sein können! Ja, im Konjunktiv
herumjammern, das versteht Frenzel, der nach nationaler Runderneuerung
strebende, dessen Blick an der Landesgrenze sein Ende hat, weil zum
einen weltbewegende, imperialistische Ambitionen erst einmal nicht anstehen können
und zum anderen er sowieso nie anders über die Welt nachdenken
kann, als wie Deutschland in ihr vorkommt.
Ja, der Stimmzettel! Frenzel tut so, als ob der für eine Demonstration
geeignet wäre und nicht jeder nationalen Herrschaft zur
Akklamation gereichen würde: Die Minderheit gibt sich dann eben
als Minderheit geschlagen und unterwirft sich als solche! Und
überhaupt, brauchten die Nazi-»Bonzen« da überhaupt viel fälschen, wenn das Volk nicht einmal still zu protestieren bereit war?
Das Volk wird entschuldigt, es wäre lediglich »unentschlossen«
gewesen, und zur inneren Einkehr geschickt: Ist es mit seinem Gewissen
im Reinen? Sich und seinen Lesern Klarheit über die
Interessenlage von Staat und Untertanen zu verschaffen, das verwirft
Frenzel, so wieder in die nationale Offensive gehend: Es ist für
ihn kein Fehler, als »Volk« herumzulaufen, nur muß
die Herrschaft auch dazu passen, damit das nationale Selbstbewußtsein in Ordnung geht. Wenn die
Herrschaft nicht paßt, muß man daran erinnern, wer das Volk
ist, und daß gerade einem deutschen Volksangehörigen
eine viel bessere Herrschaft zusteht als die gerade abgesetzte. [In der
Ostzone hat das blöde Volk ja dann 1989 ziemlich alles richtig
gemacht. Genützt hat es ihm trotzdem nichts: Wie immer läßt es
sich von einer neuen Herrschaft für dumm verkaufen.]
Sehen »wir«
- das nationale WIR ist dem national denkenden Frenzel keineswegs
abhanden gekommen! Er benutzt es in diesem Artikel 18 mal allein im
Nominativ - es sportlich: Das mit dem Geben und Nehmen hat ein Frenzel ja wohl von den Nazis
gelernt: Hat deren Erziehung selbst in der Niederlage etwas Gutes?
*
[3]
Das ist ja eine superaffengeile Chance, die in der puren
territorialen Größe, aus der die menschliche Schlagkraft erwächst, besteht. So
hartgesotten national wie Frenzel argumentiert, ist das nicht der
Hammer? Er feiert es als (kampflos errungenen) Erfolg, daß das
Reich nicht in x-beliebig viele Teile zerstückelt worden ist, was
die Alliierten ja auch hätten lässig bewerkstelligen können.
Nicht daß ein Staat - welcher Sorte auch immer - seinen Gegner
vorsätzlich Handhaben böte, gegen ihn vorzugehen -
demokratische Wahlen, Parteien und all die demokratischen Institutionen
sollen ja gerade in ihrer Funktion und der Funktionalisierung ihrer Kritiker selbst ihre Gegner auf das System festlegen,
sie von ihm überzeugen, wenn und indem sie sich darauf einlassen -,
so ist doch das Programm
des neuen Staates, der Weimarer Republik, gescheitert: Gestandene
Nationalisten fanden es nämlich gar nicht geil, die deutsche
Staatsräson in Unterordnung unter die siegreichen Alliierten zu
definieren [das kritisierte übrigens auch die KPD, »recht verstandenem« Nationalismus nicht abhold!]. Den Grund für diese »Sabotage« galt also
dem politischen System auch nur insoweit, also insofern es den nationalen Ambitionen nicht adäquat erschien;
auf Wahlen, Parlament
etc. ließen sich die Nazis daher lässig ein; am Eigentum
als einem der zentralem Rechtstitel der demokratischen Gewalt hatten
sie bekanntlich nichts
auszusetzen, sie unterstrichen lediglich dessen nationale
Verpflichtung. Noch heute glaubt mindestens jeder zweite deutsche
Staatsbürger,
daß der Spruch »Gemeinnutz geht vor Eigennutz«
ein zutiefst demokratischer sei, der um Himmels Willen nicht bzw.
allenfalls zu Unrecht in Hitlers
»Mein Kampf« gefunden werden könne - Frenzel ist
übrigens einer davon, wenn er von »Nazi-Bonzen« spricht. Die Nazis
brauchten sich mit ihrer Kritik an der internationalen Unterordnung des
deutschen Staates also keineswegs zu verstecken, sie haben sie laut
ausposaunt und eine weltpolitische Neuordnung im deutschen Sinne
angestrebt. Im übrigen hatte nicht zuletzt der SPD-Fraktionsführer Wels
bei ihnen beantragt, die SPD aufgrund ihrer mehrfach erwiesenen
nationalen Verantwortung in eben diese nationale Verantwortung
mit aufzunehmen! [Die Ablehnung seitens der NSDAP stellte sich dann 1945
als wahrer Glücksfall für die SPD-Nationalisten heraus!]
*
[4]
Ja, das fällt ihm jetzt ein, nachdem die Demokraten damals in
schöner deutscher Tradition die einzig wirkliche Gefahr links
verortet haben und die Sozialdemokratie alldieweil sich auf die
Seite der Reaktion gestellt hat.
War der Ruf Wirths nicht ein Ruf in der Wüste? Oder war er sowieso nur geheuchelt? Denn: Was fielen der
damaligen Demokratie für Argumente gegen »Rechts« ein? Und welche nach dem Zweiten Weltkrieg?
Mit der »Entwurzelung«
gebraucht Frenzel übrigens ein rassistisches Argument, das besagt,
daß der so gescholtene deutsche Mensch eigentlich zu etwas Höherem
auserwählt wäre, nämlich zum Dienst an seinem Staat. Und
es ist eine den Nazis kongeniale Kritik an der Demokratie, daß
sie es nicht vermocht hätte, solcherart Menschen dem Staate zu
verpflichten! Der NS-Staat hatte es geschafft, sogar der Kanzler war ein vormals Entwurzelter.
*
[5] Doch vielleicht hat sich Frenzel noch eine Pointe zum Schluß aufgehoben?
»Fehler«
- das hört sich gut an, doch dann folgt nichts, was die
Fehler benennen würde. Frenzel erachtet es als
zweckmäßig, beim staatlichen Neuaufbau vorausgehende Fehler
in einer Wolke weitestgehender Mutmaßungen zu belassen: Um
damit ungerührt zu solchen Schlußfolgerungen kommen zu
können: Daß die Demokratie die stärkste
Volksgemeinschaft sein muß, die man sich überhaupt
vorstellen kann, weil sie "freiwillig zu größter Selbstverantwortung und Selbstdisziplin" auf- und herausfordert. Soll man ausgerechnet einem ob
seiner unübersehbaren Gewalt kritisierten Staat wieder nichts
anderes entnehmen, als daß die neue Gewalt und seine völkische Grundlage wirklich noch viel
besser sein müsse, damit ja was eigentlich? Damit der nationale
Erfolg diesmal dann wenigstens verbürgt ist!?
Die Demokratie als antimilitaristischen Projekt zu denken, das war
zweifellos der damaligen Lage geschuldet, dem Opportunismus des
Zeitgeistes angesichts eines nationalen Desasters sonder Güte; und
das war wiederum ein Jahrzwölft später
so etwas von obsolet und revisionsbedürftig, daß der
Vergleich zum nicht besiegten Militarismus nach dem 1. Weltkrieg gar
nicht mehr aufkam.
*
[6] Streicheleinheiten
für ein deutsches Gemüt, wie es sie verlangt: Als
Volksgenosse bist Du nicht allein! Kämpfen und siegen! [Das ist
ganz unsportlich gemeint, wenngleich der Sport eben auf nationaler
Ebene diesen Übergang macht: Deshalb sind die Olympiaden und
Weltmeisterschaften auch so wichtig: Doch nicht wegen dem Sport als
solchem!]
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