
Charles Fourier
über die Frauen
Die Erniedrigung der Frau
Kann man auch nur einen Schimmer von Gerechtigkeit in dem Los
erblicken, das den Frauen beschieden ist? Ist das junge Mädchen
nicht eine Ware, jedem feilgeboten, der ihren Erwerb und Alleinbesitz
aushandeln will? Ist ihre Zustimmung zum Ehebund nicht der blanke Hohn,
erzwungen durch die Tyrannei der Vorurteile, die sie von Kindheit an
bedrängen? Man will ihr einreden, sie trüge Ketten aus
Blumen; doch kann sie sich über ihre Erniedrigung täuschen,
selbst in jenen von Philosophie aufgeplusterten Ländern wie
England, wo die Männer das Recht haben, ihre Frau mit dem Strick
um den Hals zu Markte zu führen und sie wie ein Stück Vieh
demjenigen zu verkaufen, der den Preis dafür zahlen will? Ist
unsere öffentliche Meinung in dieser Beziehung etwa
fortgeschrittener als in jenen rohen Jahrhunderten, in denen ein
gewisses Konzil von Burgund, ein wahres Konzil von Vandalen,
darüber beriet, ob die Frauen eine Seele haben? Und dies wurde nur
mit einer Mehrheit von drei Stimmen bejaht. Die von den Moralisten so
hoch gepriesene englische Gesetzgebung gesteht den Männern noch
weitere Rechte zu, die ihr Geschlecht nicht minder entehren, zum
Beispiel das Recht des Ehemanns, sich von dem überführten
Liebhaber seiner Frau eine finanzielle Entschädigung zahlen zu
lassen. In Frankreich sind die äußeren Formen zwar weniger
plump, dq,gh die Sklaverei ist im Grunde auch hier dieselbe. Hier wie
überall sieht man junge Mädchen dahinsiechen, krank werden
und sterben, weil ihnen eine Verbindung fehlt, welche die Natur
gebieterisch verlangt und die ihnen das Vorurteil unter Androhung der
Entehrung versagt, solange sie nicht rechtmäßig verkauft
worden sind. Solche Fälle kommen zwar selten, aber doch
häufig genug vor, um die Sklaverei des schwachen Geschlechts, die
Mißachtung des Willens der Natur und das Fehlen jeder
Gerechtigkeit gegenüber den Frauen zu bezeugen. (I,130-131)
Die erste Maßnahme der Gerechtigkeit gegenüber den Frauen
wäre, ihnen Volljährigkeit in der Liebe zu gewähren, sie
in einem bestimmten Alter von der Schmach zu befreien, zum Verkauf
ausgestellt und gezwungen zu werden, so lange auf Männer zu
verzichten, bis ein Unbekannter auftaucht, der sie erhandelt und
heiratet. Ich meine, man hätte die Frauen, sobald sie achtzehn
Jahre sind, für emanzipiert und frei erklären sollen,
vorbehaltlich einer schicklichen Regelung ihrer Liebschaften.
Mit achtzehn Jahren hat eine Frau bereits vier Jahre körperlicher
Reife durchlebt; dies ist meines Erachtens eine hinreichende
Zeitspanne, in der die Männer der Stadt oder des Bezirks sich
überlegen und darüber schlüssig werden können, ob
sie sie haben wollen oder nicht.
Da die Männer, nach dem Gesetz des Stärkeren, darauf
bestehen, den jungen Mädchen allen Genuß zu untersagen, um
ihre erste Blüte dem nächstbesten Grobian aufzusparen, der
sie erhandelt — müßte man dann nicht für das Wohl
derer sorgen, die keinen Käufer finden? Sollte man sie nicht nach
einigen Versuchsjahren unter die Leute bringen und sie
ermächtigen, nach eigenem Gutdünken zu handeln und sich
rechtens einen Liebhaber zu nehmen, den sie sich ohne diese Erlaubnis
ja ohnehin nehmen? Das junge Mädchen, das nach vier Jahren der
Ausstellung auf Bällen und Spaziergängen, bei Hochämtern
und Predigten keinen Gatten gefunden hat, läuft Gefahr, niemals
einen zu finden; denn die Gründe, welche die Männer
abgeschreckt haben, sind nach den vier Versuchsjahren dieselben wie
zuvor. [. . .]
Es wäre umso vernünftiger, etwas für die
sitzengebliebenen Mädchen.zu unternehmen, als sie gemeinhin die
schönsten sind und die schönsten Kinder gebären
würden. Man sieht viele schöne Frauen ledig bleiben, weil
ihre Schönheit ein Schreckgespenst für die Männer ist,
denn sie fürchten das Hahnreitum und machen die Ehe zu einer
Angelegenheit der Vernunft, Eifersucht und Habgier. Solch
häuslicher Macchiavellismus läßt gerade die
vortrefflichsten Mädchen brach liegen, die am geeignetsten
wären, einen Haushalt zu führen. Es gibt nichts
Empörenderes, als diese unglücklichen Mädchen nur
deshalb verschmäht zu sehen, weil kein Gold zu ihren Gunsten
spricht. [. . .]
Die jungen Mädchen, die mit zwanzig Jahren noch ledig sind, werden
von den Männern verhöhnt. Man macht sich über die
Verschmähten lustig, überhäuft sie mit Spott und
Anzüglichkeiten, und die öffentliche Meinung zwingt sie,
gegen das Gesetz zu verstoßen und sich heimlich einen Liebhaber
zu nehmen. Die Männer sind den Frauen gegenüber so
giftzüngig, so ungerecht, daß sie sie in jedem Falle
verlästern, ob sie nun ihre Jungfräulichkeit bewahrt oder in
einem Alter verloren haben, in dem es immer schwerer wird, diese
Bürde zu tragen. Was riskiert man denn, wenn man den Frauen
über achtzehn Freiheit in der Liebe zubilligt, und welche Vorteile
hat das Unterdrükkungssystem der Philosophen bisher eingebracht?
[. . .]
Die Liebesfreiheit entwickelt kostbare Eigenschaften bei jenen Klassen,
die diese Freiheit am meisten genießen, nämlich bei den
Damen edler Herkunft, den Kurtisanen mit vornehmer Lebensart und den
unverheirateten Kleinbürgerinnen.
Bei diesen drei Klassen von Frauen ist die glücklichste
Entwicklung zu beobachten; ließen sich ihre Eigenschaften
vereinen, so erhielte man die Vollendung. Die Hofdamen, worunter ich
die galanten Damen verstehe, benehmen sich frei und ungezwungen, ihr
gewinnender Ton erweckt Freundschaft. Sie verführen denjenigen,
der sie zum ersten Mal sieht, auf Anhieb; er glaubt, überirdischen
Wesen zu begegnen, so sehr stechen sie von den Bürgerinnen ab,
diesen Lügenmaschinen, diesen engen Seelen, in deren Herzen
ausschließlich die materielle Liebe herrscht, so daß andere
Leidenschaften keinen Platz mehr darin finden; die keiner Freundschaft,
keiner Begeisterung für die Kunst oder ande-
id rer edler Gefühle fähig sind. Ohne Zweifel haben auch die
Hofdamen ihre schwachen Seiten, aber sie verleihen der Intrige
Buntheit, Natürlichkeit und Großmut. Kann man sie darob
tadeln, daß sie es verstehen, das Laster zu verschönen, das
ohnedies in der Zivilisation herrscht?
Die Kurtisanen mit vornehmer Lebensart haben, von gewissen Schlichen
abgesehen, die ihre Lebensweise nötig macht, viele edle
Eigenschaften. Sie sind zuvorkommend, hilfsbereit und herzlich, und ihr
Charakter wäre erhaben, wenn sie ein gutes Auskommen hätten;
ein Beispiel dafür ist Ninon. Ans Vergnügen gewöhnt,
verlieren sie jene Verschlagenheit, jene fleischlichen Hintergedanken,
die man bei den moraltriefenden Bürgerinnen und Hausfrauen
antrifft, die hinter ihren zur Schau gestellten Gefühlen in jedem
Augenblick eine Sinnlichkeit durchblicken lassen, die sie
hartnäckig leugnen, eine Sinnlichkeit, die keine Frau entstellt,
wenn sie mit den Regungen der Seele in Einklang steht, wie es bei den
Damen der Fall ist, die offen ein galantes Leben führen.
Die Kleinbürgerinnen, Ladeninhaberinnen, Arbeiterinnen usw. sind
vor ihrer Heirat eine Klasse vollständig freier Frauen, vor allem
in den großen Städten. Vor den Augen von Vater und Mutter
haben sie einen Liebhaber, wechseln ihn bei jeder Gelegenheit und
genießen im Überfluß, was den Mädchen
höheren Standes versagt wird. [. . .] Gewiß ist ihre Sucht,
sich beständig zu verstellen, tadelnswert; aber diese Sucht ist
dem schlechten Benehmen der Männer aus dem mittleren Stande
anzulasten, die sie umgeben. Im übrigen haben sie glückliche
Anlagen; sie sind vor allem ausgezeichnete Hausfrauen und den
höheren Töchtern aus der Beletage bei weitem vorzuziehen.
Kurz, man würde den weiblichen Charakter zur Vollendung erheben,
wenn man die Eigenschaften der drei genannten Klassen von Frauen
vereinen könnte; und eben dies würde eine
Gesellschaftsordnung leisten, die dem weiblichen Geschlecht den vollen
Genuß der Liebesfreiheit gewährt. Da ihr jedoch nur ein Ziel
zu erreichen trachtet, nämlich das der Hausfrau, mißrät
euch alles, und zwar weil ihr euch zu wenig vorgenommen habt. Eure
jungen Mädchen, aufgebläht mit Vorurteilen und Philosophie,
sind unnatürliche, stets von Begierden zerfressene Geschöpfe;
ihr Geist ist beständig zerstreut, sie arbeiten nur mit
Widerwillen, behandeln die schönen Künste, die man sie lehrt,
nur oberflächlich, vergessen nach der Heirat alles, was man ihnen
beigebracht hat, und werden bald schlechte Hausfrauen, wenn der Gatte
nicht geschickt genug ist, sie an der Leine zu führen. Die Welt
verblendet und umgarnt sie um so rascher, als sie keinerlei Erfahrung
haben, während eine Frau, die schon vor der Ehe Erfahrungen
gesammelt hat, weniger auf Vergnügungen erpicht ist, die Arglist
der Gala-
ne besser kennt und sich um so mehr an den Haushalt und den Gatten
bindet, als sie ihn als Schutz gegen männliche Nachstellungen
betrachtet. Nimmt sie Stellvertreter, so mehr der Abwechslung als der
Leidenschaft wegen; über ihren Liebschaften wird sie die
Interessen des Haushalts nicht aus den Augen verlieren und das
unvermeidliche Mißgeschick des Hahnreitums möglichst
versüßen. Solche Frauen passen vorzüglich zu sorglosen
Männern, zu den gutmütigen Gatten, die eine energische Frau
brauchen, ein Mannweib, das das Steuer des Haushalts zu handhaben
weiß und die Hosen anhat. Eine solche Ehefrau wird einen
schwachen Mann glücklich machen, denn sie schenkt ihm die wahre
Gattenliebe, die doch nichts anderes ist als eine
Interessengemeinschaft zwischen den Ehegatten, ein Bündnis gegen
die Niedertracht der Gesellschaft.
Doch wie viele andere Männer gibt es, die sich mit jenen von
Vorurteilen überpuderten Frauen, jenen philosophischen Automaten
nicht abfinden können, deren Charakter ein unlösbares
Rätsel ist und die mit ihrer gespielten Naivität das
Mißtrauen selbst der Philosophen erregen! Denn sie wissen besser
als irgend jemand, wie wenig man der Unschuldsmiene trauen darf, die
die Erziehung den jungen Mädchen aufsetzt. Jede Frau von lockerem
Lebenswandel erschien vor ihrer Ehe so unschuldig wie eine andere;
dieser Firniß aus Züchtigkeit ist eine Maske, die keinen
Mann täuscht und die Heirat nicht beschleunigt, sondern nur dazu
dient, die Frauen in der Kunst der Verstellung zu üben. Man
weiß, daß ein Liebeshauch genügt, in ihnen
Leidenschaften zu entfachen und einen noch unbekannten Charakter zu
entwickeln, dessen Güte oder Bosheit selbst für erfahrene
Männer ein undurchdringliches Geheimnis bleibt. Kurz, das ganze
Geschwätz über die moralische Erziehung ist nur ein circulus
vitiosus, wie alle zivilisierten Bräuche, und bringt allen
Ehemännern nur die Schande ein, die sie vermeiden wollen. Die
Philosophen verwirrt nur die Erkenntnis, daß man letztlich doch
zu dem Hahnreitum gelangt, vor dem ihnen graut. Daher ändern diese
Gelehrten auch täglich ihr Erziehungssystem, mit dem einzigen
Ergebnis, die Neigungen der jungen Mädchen zu verschleiern, nicht
aber zu verändern. [. ..]
Sie regen sich auf, wenn man die Frauen für die Wissenschaft oder
die Kunst erzieht; sie möchten in den jungen Mädchen nur ein
Interesse wecken, das für den Kochtopf; das sind ihre eigenen
Worte, die sie sogar von der Bühne verkünden. Es ist ihnen
nur daran gelegen, alle Freude am Genuß zu vergällen;
für die Zukunft sehen sie nur Hörner voraus. Sie schimpfen
über den Geschmack der Frauen und sind argwöhnisch wie die
Eunuchen im Harem. (I, 133-137)
Es ist verwunderlich, daß unsere Philosophen den Haß der
antiken Gelehrten auf die Frauen geerbt haben und daß sie
fortfahren, das schwache Geschlecht herabzusetzen, einiger Schliche
wegen, zu denen die Frau durch den Druck gezwungen ist, der auf ihr
lastet; denn man rechnet ihnen jedes Wort und jeden Gedanken, die mit
dem Willen der Natur übereinstimmen, als Verbrechen an.
Von diesem tyrannischen Geist ganz durchdrungen, preisen uns die
Philosophen einige Megären der Antike, die auf höfliche Worte
grobe Antworten gaben. Sie preisen die Bräuche der Germanen, die
ihre Frauen wegen einer Untreue mit dem Tode bestraften, ja sie
erniedrigen das schwache Geschlecht noch dann, wenn sie ihm Weihrauch
streuen. [. .] Die Frauen könnten den Philosophen erwidern: eure
Zivilisation verfolgt uns, sobald wir der Natur gehorchen, man zwingt
uns, einen künstlichen Charakter anzunehmen und nur Antrieben zu
folgen, die unseren Wünschen widersprechen. Um uns diese Doktrin
schmackhaft zu machen, blieb euch nichts anderes übrig, als
Illusionen und eine verlogene Sprache ins Feld zu führen. Genauso
treibt ihr es mit dem Soldaten, dem ihr Lorbeeren und Unsterblichkeit
vorgaukelt, um ihm über sein elendes Los hinwegzutäuschen.
Wäre er wirklich glücklich, dann könnte er eine einfache
und aufrichtige Sprache vertragen, die ihr ihm aber wohlweislich
vorenthaltet. Ebenso steht es mit den Frauen. Wären sie frei und
glücklich, so würde es sie weniger nach Illusionen und
Schmeicheleien gelüsten.
[...]
Wenn es aber nötig ist, das Militär und das weibliche
Geschlecht, ja das ganze Volk ständig zu betrügen, so ist das
eine Anklage gegen die Philosophie, die in dieser Welt nichts anderes
zu organisieren vermochte als Unglück und Knechtschaft. Und wenn
die Philosophie über die Fehler der Frauen spottet, dann
kritisiert sie nur sich selbst; sie ist es, die diese Fehler durch ein
Gesellschaftssystem hervorbringt, das die Fähigkeiten der Frauen
von Kindheit an und während ihres ganzen Lebens unterdrückt
und sie zur Verstellung zwingt, um ihrer Natur gehorchen zu können.
Beurteilt man die Frauen nach dem schlechten Charakter, den sie in der
Zivilisation entfalten, so ist das, als wollte man die Natur des
Menschen nach dem Charakter des russischen Bauern beurteilen, der weder
Ehre noch Freiheit kennt, oder den Biber nach dem Stumpfsinn, den er
als Haustier zeigt, während er doch in Freiheit und bei
gemeinschaftlicher Arbeit der intelligenteste aller
Vierfüßler ist. Außerhalb dieser freien Ordnung aber
wird die Frau, gleich dem domestizierten Biber oder dem russischen
Bauern, zu einer Kreatur, die so weit unter ihrer Bestimmung und ihren
Fähigkeiten lebt, daß man geneigt ist, sie zu verachten,
wenn man sie nur oberflächlich und nach dem äußeren
Schein beurteilt. Darum darf man sich nicht wundern, daß
Mohammed, das Konzil von Burgund und die Philosophen darüber
stritten, ob die Frau eine Seele habe, und nur daran dachten, ihre
Ketten noch härter zu schmieden, statt sie zu brechen.
Die Frauen scheinen eines Herrn und Meisters mehr zu bedürfen als
der Freiheit; daher pflegen sie unter ihren Liebhabern auch den
vorzuziehen, dessen Verhalten es am wenigsten verdient. Wie aber sollen
sie diese gemeinen sklavischen Neigungen ablegen können, wenn ihre
Erziehung sie von Kindheit an dazu abgerichtet hat, ihren Charakter zu
verleugnen und dem ersten besten gefügig zu sein, den Zufall,
Intrige oder Habgier ihnen zum Mann geben? (I, 146-147)
Unsere Zivilisierten, die Frau und Esel vor den gleichen Karren
spannen, kommen gar nicht auf den Gedanken, daß der Schöpfer
die Frau dazu bestimmt haben könnte, in allen sozialen Bereichen
mit dem Mann zu wetteifern und ein Gegengewicht gegen seinen
Einfluß zu bilden, der stets grob und bedrückend ist, da er
einzig auf Gewalt gründet.
Ein Umstand, der viel dazu beigetragen hat, die Geister über die
Bestimmung des weiblichen Geschlechts zu täuschen, ist die
Tatsache, daß die Frauen, wie alle in Knechtschaft lebenden
Klassen, sich untereinander hassen, das unterdrückende Geschlecht
anbeten und jeden Mann verachten, der ihre Partei ergreift und ihr
Sklavendasein beklagt. Dieser Zustand der Knechtschaft zwingt sie zur
Heuchelei, dem einzigen Mittel, das tyrannische Geschlecht zu
hintergehen; und wegen dieses scheinbaren Unrechts kommen unsere
Philosophen zu dem Schluß — einer Doktrin, die der der
Türken alle Ehre macht —, daß die Frau ein
lasterhaftes, untergeordnetes Wesen ist, und verdammen somit die
Hälfte des Menschengeschlechts zu Unwissenheit und
Bedeutungslosigkeit. (X, Bd. II, 173)
Da man nicht einmal ahnt, daß die Frau dazu bestimmt sein
könnte, schon im zarten Alter in der Industrie, in Kunst und
Wissenschaft wie auch in den sozialen Tugenden zu glänzen,
weiß man nichts Besseres zu tun, als sie auf das Ehejoch eines
Unbekannten vorzubereiten, der sie erhandeln wird. Ich räume ein,
daß die zivilisierte Ordnung solch einer niederträchtigen
Politik bedarf; aber ebenso gewiß ist, daß die Philosophen
sich vorsätzlich dazu hergeben und noch heimtückischer als
andere darauf hinarbeiten durch ihre Sophismen, die sie weidlich
gebrauchen, um die Frauen vom Weg des Ruhms abzudrängen oder mit
Gewalt davon fernzuhalten. (V, 189)
Frauen sind nicht unbeständiger als Männer
Die Frauen wissen so wenig über ihre Bestimmung, daß sie es
bisweilen zulassen, daß man über ihre Unbeständigkeit
spottet, gegen welchen Vorwurf sie sich sehr schlecht verteidigen.
Sofern sie nur die These studieren, die ich hier darlege, werden sie
den jungen wie den alten Schwätzern das Maul stopfen können,
die den Frauen unablässig ihre Flatterhaftigkeit vorhalten und
dabei vergessen, daß diese Anklage gänzlich absurd ist, da
sie notgedrungen beide Ge
schlechter zugleich treffen muß, denn keines kann ohne die
Mitwirkung des anderen treulos sein. [. . .] Die Zivilisierten haben
die Begabung, viele Jahrhunderte lang über die absurdesten
Ansichten zu witzeln. [. . .] Wenn die Frauen unbeständig sind, so
ist das ein Beweis dafür, daß die Männer
gleichermaßen unbeständig sind. Da der Vorwurf somit die
gesamte Menschheit trifft, inkriminiert er nur die
Schönschwätzer, die über etwas Beschwerde führen,
das doch in der Natur des Menschen liegt. Das Menschengeschlecht der
Unbeständigkeit zu bezichtigen, ist dasselbe, als wollte man dem
Reh vorwerfen, daß es sich gern in Wäldern aufhält;
muß es sie nicht lieben, da es geschaffen ist, darin zu leben?
Da nun die Männer nur die Unbeständigkeit lieben und den
Frauen mit nichts anderem in den Ohren liegen; und da jede hübsche
Frau neben einem Besitzer, ob Gatten oder Liebhaber, der ihr Treue
anrät, zwanzig Verehrer trifft, die ihr Untreue anraten, wie auch
ihr Gatte zwanzig anderen Frauen vor ihr Untreue angeraten hat, liegt
es auf der Hand, daß neunzehn von zwanzig Liebeskämpen im
besten Mannesalter, zwischen fünfundzwanzig und dreißig
Jahren, der Untreue das Wort reden und daß die Frauen sie begehen
müssen, um sich dem Verhalten der Männer, ihren geheimen
Machenschaften anzupassen, die ihrer öffentlichen
Scheinheiligkeit, ihren moraltriefenden Unterhaltungen so sehr
widersprechen, daß sie selbst insgeheim darüber spotten.
(VII, 40-41)
Die Zivilisation kritisiert ganz offen ihre Eigenarten, zum Beispiel
die Falschheit, die in Liebesbeziehungen herrscht. Im Theater, in
Romanen und Gesellschaften wird dagegen gestichelt, und die Witze
über dieses Thema, obwohl schon schal geworden, werden
täglich wiederholt, als wären sie neu. Sie richten sich vor
allem gegen die Frauen, ganz unberechtigterweise, denn beide
Geschlechter betrügen einander in der Liebe um die Wette. Und wenn
die Männer weniger verlogen erscheinen, so deshalb, weil das
Gesetz ihnen mehr Spielraum läßt und dem starken Geschlecht
als Artigkeit auslegt, was beim schwachen Geschlecht als Verbrechen
gilt. (I, 68)
Unzulänglichkeit der gelehrten Frauen
Die männliche Eifersucht hat sich vor allem gegen die
Schriftstellerinnen gerichtet; die Philosophie hat ihnen die
akademischen Ehren versagt und sie schmählich in die Küche
zurückgeschickt.
Doch haben die gelehrten Frauen diese Schmach nicht verdient? Der
Sklave, der seinen Herrn nachäfft, verdient von ihm nur einen
verächtlichen Blick. Was brauchten sie den abgeschmackten Ruhm,
ein Buch zu schreiben und den Millionen unnützer Bände noch
ein paar mehr hinzuzufügen? Die Frauen sollten keine
Schriftsteller hervorbringen, sondern Befreier, einen politischen
Spartakus, Genies, die auf Mittel sinnen, ihr Geschlecht von der
Erniedrigung zu befreien.
Auf den Frauen lastet die Zivilisation; Sache der Frauen wäre es,
sie anzugreifen. [. . .] Dies ist das einzige Thema, das der
Schriftstellerinnen würdig wäre; ihre Gleichgültigkeit
in diesem Punkt ist eine der Ursachen, welche die Verachtung der
Männer noch gesteigert haben. Der Sklave ist nie
verächtlicher, als wenn er durch blinde Unterwerfung den
Unterdrücker davon überzeugt, daß sein Opfer für
die Sklaverei geboren ist.
Weit davon entfernt, auf Mittel zur Befreiung ihres Geschlechts zu
sinnen, haben die gelehrten Frauen sich dem philosophischen Egoismus
verschrieben; sie haben die Augen vor der Unterjochung ihrer
Genossinnen geschlossen, deren traurigem Los sie zu entrinnen
verstanden hatten. Sie haben kein Mittel zu ihrer Befreiung gesucht;
darum auch haben die Herrscherinnen, die ihrem Geschlecht hätten
dienen können und wie Katharina klug genug waren, Vorurteile zu
verachten, nichts für die Befreiung der Frauen getan. Niemand
hatte eine Vorstellung entwickelt, niemand eine Methode der Freiheit in
der Liebe angegeben. [. . .]
Es wäre Sache der gelehrten Frauen gewesen, die Möglichkeiten
der Befreiung der Frauen zu erforschen; indem sie diese Aufgabe
vernachlässigten, haben sie ihren literarischen Ruhm getrübt
und verdunkelt, und die Nachwelt wird nur ihren Egoismus und ihre
Erniedrigung sehen. (I, 129-130)
Wie läßt sich die Gleichgültigkeit der Frauen
erklären, die zwar gelehrt genug sind, dicke Romane zu schreiben
und sogar politische Unruhen zu stiften, wie das letzte Werk von Madame
de Staël [»über Deutschland«] beweist, aber sich
nie gegen die Verfolgung der Männer auflehnen? (XII, 262)
Darf man sich dann wundern, wenn man sieht, daß die Politik seit
25oo Jahren reine Männersache und ausschließlich mit
Männerangelegenheiten befaßt ist, daß es noch niemals
eine weibliche Politik gegeben hat, noch nie irgendeine
Körperschaft, die sich damit befaßt hätte, die Rechte
des weiblichen Geschlechts zu erweitern? Ich sage dies zur Schande
vieler berühmter Frauen, die ungeachtet ihrer glänzenden
Möglichkeiten, ihrem Geschlecht zu dienen, diese neue Laufbahn
nicht erkannt haben. Sie einzuschlagen, wäre um so leichter
gewesen, als sie sich auf einen einzigen Punkt beschränkte:
für die Frauen die freie Ausübung der Liebe durchzusetzen.
(XII, 633)
Die außergewöhnliche Frau
Es ist erstaunlich, daß die Frauen sich den Männern stets
überlegen gezeigt haben, wenn sie auf dem Thron ihre
natürlichen Fähigkeiten entwickeln konnten, deren freie
Entfaltung die Krone ihnen gestattete. Ist es nicht allgemein bekannt,
daß von acht Herrscherinnnen, die frei und unvermählt waren,
sieben ruhmvoll regierten, während auf acht Könige in der
Regel sieben schwache Herrscher entfallen? Und wenn einige Frauen auf
dem Thron nicht geglänzt haben wie Maria Stuart, dann nur deshalb,
weil sie sich von den Vorurteilen in der Liebe behindern und irreleiten
ließen, statt sich kühn über sie hinwegzusetzen. Wenn
sie sich aber dazu entschlossen, welche Männer wußten dann
besser als sie das Szepter zu führen? Elisabeth und Katharina sind
zwar nicht selbst in den Krieg gezogen, aber sie verstanden es, ihre
Generäle auszuwählen, und sie haben eine gute Wahl getroffen.
Haben die Frauen nicht auch in jedem anderen Gebiet der
Staatsführung den Männern Lektionen erteilt? Welcher
Fürst hat eine Maria Theresia an Standhaftigkeit übertroffen,
die in einem Augenblick, da das Unheil über sie hereinbrach, die
Treue ihrer Untertanen wankte und ihre Minister wie betäubt waren,
es allein unternahm, allen neuen Mut einzuflößen? Durch ihr
Auftreten verstand sie es, den ihr ungünstig gesonnenen
ungarischen Reichstag einzuschüchtern; sie hielt den Magnaten eine
lateinische Ansprache und brachte selbst ihre Feinde dazu, auf ihre
Schwerter zu schwören, für sie in den Tod zu gehen. Das ist
gleichsam ein Vorzeichen der Wunderdinge, die der Wetteifer unter den
Frauen in einer Gesellschaftsordnung zeitigen würde, die den
weiblichen Fähigkeiten freie Entfaltung gewährt.
Und ihr, Vertreter des Geschlechts der Unterdrücker, würdet
ihr die Frauen nicht in den Fehlern übertreffen, die man ihnen
vorwirft, wenn eine knechtische Erziehung euch wie sie dazu
herangebildet hätte, euch für Automaten zu halten, dazu
geschaffen, den Vorurteilen zu gehorchen und vor einem Herrn und
Meister zu kriechen, den euch der Zufall beschert? Hat man nicht
gesehen, wie euer Anspruch auf Überlegenheit durch Katharina
zuschanden wurde, die das männliche Geschlecht mit
Füßen trat? Indem sie die Einrichtung adliger Favoriten
schuf, hat sie den Mann in den Schmutz gezogen und bewiesen, daß
er sich in voller Freiheit noch tiefer erniedrigen kann als die Frau,
deren Erniedrigung erzwungen und somit entschuldbar ist. (I, 118)
Wenn ich die heutige Erziehung und den knechtischen Geist anklage, mit
dem sie die Frauen erfüllt, so tue ich dies im Vergleich mit
anderen Gesellschaften, in denen es unnötig sein wird, ihren
Charakter durch Vorurteile zu entstellen. Ich führe ihnen die
bedeutende Rolle vor Augen, die sie werden spielen können, wenn
sie dem Beispiel derjenigen folgen, die den Einfluß der Erziehung
überwunden und dem Unterdrückungssystem widerstanden haben,
welches das eheliche Band erfordert. Indem ich auf jene Frauen
hinweise, die einen freien Flug gewagt haben, von den Mannweibern wie
Maria Theresia bis zu deren sanfteren Schattierungen wie einer Ninon
oder der Sbign, kann ich mit Recht behaupten, daß die Frau im
Zustand der Freiheit den Mann in allen geistigen und körperlichen
Funktionen überflügeln wird, die nicht allein von physischer
Kraft abhängen. (I, 129)
Für die Befreiung der Frau
Die Zivilisierten beurteilen die Frauen nach ihrer heutigen Lebensart,
nach der Verstellung, zu der unsere Gesellschaft sie zwingt, da sie
ihnen jede Freiheit verweigert. Sie glauben, dieses Doppelspiel sei
eine natürliche und unwandelbare Eigenschaft des weiblichen
Geschlechts. Beobachtet man aber den großen Unterschied zwischen
den Damen unserer Hauptstädte und den Odalisken eines Harems, die
sich für Automaten zum Zeitvertreib der Männer halten, dann
läßt sich ermessen, um wie viel größer der
Unterschied zwischen unseren Damen und denen einer gesitteten Nation
wäre, in der das weibliche Geschlecht zu voller Freiheit erzogen
würde! Und welchen Charakter würde die Freiheit bei diesen
Frauen hervorbringen? Derlei Fragen aufzuwerfen, hüten sich die
Philosophen. Von einem Geist der Unterdrückung, einer geheimen
Abneigung gegen das weibliche Geschlecht durchdrungen, versuchen sie,
die Frauen durch abgeschmackte Schmeicheleien über ihr
Sklavendasein hinwegzutäuschen, und ersticken sogar jeden Gedanken
daran, wie sich die Frauen in einer Gesellschaftsordnung entwickeln
würden, die ihre Ketten erleichterte. (I, 90)
In Europa hat man das weibliche Geschlecht so sehr erniedrigt,
daß es gar nicht mehr auf den Gedanken kommt, zu fordern, was ihm
zusteht. (XII, 339)
Hätte das Gesetz den Frauen die freie Ausübung der Liebe
gewährt, dann wäre jene Verlogenheit in den
Liebesbeziehungen, über die wir so ungerecht spotten, geringer
geworden, und man hätte ohne jeden Nachteil die
uneingeschränkte Scheidung einführen können. (I, 89)
Die Unterjochung der Frau gereicht den Männern keineswegs zum
Vorteil. Wie betrogen ist doch der Mann, der sich verpflichtet hat, ein
Joch zu tragen, das ihm Entsetzen einflößt, und wie ist der
Mann durch die Widrigkeiten dieser Bindung dafür gestraft,
daß er die Frau zur Sklavin gemacht hat! (I, 113)
Allgemein läßt sich die These aufstellen: der soziale
Fortschritt vollzieht sich entsprechend den Fortschritten in der
Befreiung der Frau, und der Verfall der Gesellschaftsordnung vollzieht
sich entsprechend der Abnahme der Freiheit der Frau. [. . .] Die
Erweiterung der Vorrechte der Frau ist das allgemeine Prinzip allen
sozialen Fortschritts. (I, 132-133)
___________
Übersetzung Eva Moldenhauer, zitiert nach Charles Fourier, Aus der
Neuen Liebeswelt, Wagenbachs Taschenbücher Nr. 32, 1977, S. 77-90 (nur
noch antiquarisch erhältlich, nichtsdestotrotz empfehlenswert!)
Literaturverweise:
Ouevres complètes, Paris 1966ff.:
I: Theorie des quatre mouvements (1868)
II, III, IV, V: Theorie de l'unité universelle oder Traité de l'association domestique agricole (1822)
VI: Le Nouveau Monde industriel et sociétaire (1829)
VII: Le Nouveau Monde amoureux (unveröffentlichtes Manuskript,
1967 herausgegeben von Simone Debout; geschrieben um 1817-1819)
VIII, IX: La Fausse Industrie (1835)
X, XI, XII, XIII: Verschiedene, in der Zeitschrift La Phalange erschienene Schriften.
(X und XII sind in je zwei Bände unterteilt: X: Bd. 1, 1851, und Bd. 2, 1852; XI: Bd. 3, 1853-1856, und Bd. 4, 1857-1858.)