Was sagt uns heute (noch) der 8. Mai 1945?

"Natürlich gibt es einfache Antworten, mit denen man es sich bequem machen kann. Dann war die Geschichte halt ein Unfall oder Hitler eine Bestie, die Deutschland quasi allein ins Verderben riß. Dann waren die Nazis Fremde, die irgendwoher gekommen, aber auch zuverlässig verschwunden sind. (Und überhaupt: Haben andere Länder nicht auch dunkle Kapitel in ihrer Geschichte?) Dann ist Deutschland eben »befreit« worden von den Nazis. Dann genießt man selbst die »Gnade der späten Geburt« und ist per se »Antifaschist«, jedenfalls aber »gegen rechts« und damit garantiert auf der sicheren Seite. Doch alle Versuche des Selbstbetruges scheitern früher oder später." (Markus Günther, AZ v. 07.05.11)

Natürlich muß man jetzt nicht gleich herauslesen, daß Markus Günther seinerseits ein Moralapostel römisch-katholischer Prägung ist, dem es nicht nur um eine Distanzierung und Verurteilung, vielmehr um eine höhere Moral schlechthin geht. Eine solche stünde jedem Deutschen gut zu Gesicht. Da dürfen »wir« es »uns« nicht einfach, zu einfach machen. Ja, das nationale Wir kann man gar nicht hoch genug hängen, wenn es darum geht, Verantwortung zu tragen, auch rückwirkend Verantwortung zu tragen. Jeder, der sich einfach zum »Antifaschisten« erklärt, seine »späte Geburt« ins Feld führt, macht sich das zu einfach. So billig ist nationale Verantwortung tatsächlich einfach nicht zu haben. Waren die Ansprüche der Nationalsozialisten in Sachen nationaler Verantwortung schon nicht von schlechten Eltern, so muß man die neuen Ansprüche Deutschlands daran wie an ihrem Mißerfolg messen. Deutschland, das sich längst wieder - die Eingemeindung der Ostzone hin oder her - als Großdeutschland fühlt, auch wenn das nicht so, sondern im Europa der EU ausgedrückt und praktisch durchgesetzt ist. Die demokratische deutsche Bundesrepublik ist zweifellos überlegen dem alten Deutschen Reich, politisch und ökonomisch, militärisch und imperialistisch, doch gerade deswegen ist es so dringend notwendig, den Schein unrechtmäßiger Größe, also genaugenommen den bloßen Schein wirklicher Größe zu vermeiden. Die Konfrontation mit der als unselig empfundenen Vergangenheit des Staates dient diesem Zweck. Dieser Standpunkt hat nichts damit zu tun, das nationale Licht heutiger Zeit unter den Scheffel zu stellen. Er zeugt im Gegenteil von wahrer Größe. Wenn im Ausland behauptet wird, die Deutschen machten es sich nicht leicht mit ihrer Vergangenheit: Dann ist genau das ein Gütesiegel Deutschlands, mit dem es seinerseits ganz praktisch hausieren geht, andere Staaten auf seine Ambitionen und Projekte einschwört als unverbrüchlich ehrlicher, ja nicht: Interessent, als unverbrüchlich ehrlicher Makler!* 

Worauf Markus Günther hinauswill, ist nicht weniger als die Vergangenheitsbewältigung als Produktivkraft der neuen und erneuerten Nation zu sehen, was sie zwar schon längst ist, aber Günther wähnt diese Errungenschaft in Gefahr. Täuschen tut er sich dabei darin, wenn er meint, diese Gefahr gehe von »links« aus. Dabei wird in seiner Darstellung deutlich, wie national ausgerichtet ausgerechnet Linke sich aufstellen, die sich »Antifaschisten« nennen: All die, die ein ihrer Meinung nach  besseres Deutschland verkörpern wollen, sägten, so Günther, an der deutschen Staatsräson, die - in aller Abstraktheit - »es sich nicht leicht machen dürfe«. Das ist auch schon die Kunst des Nationalismus: Ihn so hehr und abstrakt verstehen und vertreten, daß jeder Einwand - egal, ob von außen oder von innen, von links oder von rechts - dagegen keine Chance hat.

Anders gesagt: Was ist denn jetzt der schwerwiegende Inhalt argumentativer Art, den Günther gegen den Faschismus ins Feld führen möchte? Diese Frage stößt in eine gähnende Leere. Allein daß »wir« »uns« mit ihm befassen müssen, weil seine traumatischen Wirkungen nach wie vor nachwirken (würden), ist offenkundig ein ausreichendes Resultat. Ausreichend wofür? Eben. Für die neue, hoch aufgestiegene Nation, ihren innerlichen, um nicht zu sagen: volksgemeinschaftlichen, hochmoralischen Zusammenhalt und ihre Ambitionen über die deutschen Grenzen hinaus, die durchlässig zu gestalten sind, zwar vorzugsweise, aber keineswegs bedingungsglos kriegerische Mittel ausschließend. Wenn gebombt wird, dann im Namen von »Auschwitz«. Die Ableitung eines demokratischen Kriegs aus einem faschistischen Krieg, des demokratischen Rassismus - ökonomisch begründet - aus einem faschistischen Rassismus - genetisch begründet, das – wer möchte das bezweifeln – ist schon sehr gelungen und zeugt von einer Überlegenheit, die dumpfe Nazi-Kameraden noch dümmer dastehen lassen als ohnehin.

In diesem Zusammenhang muß auf einen Unterschied explizit hingewiesen werden, der anläßlich der Ermordung von Osama bin Ladens (wieder einmal) aktuell wurde:
Ein »Fachmann«, einer, der sich selber zur Folterei bekannt hat und der an der Hochschule der Bundeswehr - dieser Trottelverein braucht hierzulande seine eine separate Hochschule zwecks eigener Rechtfertigung! -  lehrt, dieser »Historiker« namens Wolffsohn behauptet folgendes:
"Ja man darf [töten], weil man leider manchmal muß [die Rede scheint hier nicht von Befehl und Gehorsam zu sein, sondern von freier Entscheidung] - um noch mehr Menschen zu retten.  ... Sofern ihr Krieg gerecht ist, ist auch das Töten der Tötenden gerecht. ... Soldaten töten auf Befehl, Terroristen aus eigenem Willen. Das macht sie zu Mördern. ... Sie [die Tötung] richtet sich allein gegen den Urheber des Krieges, um diesen letztlich zu beenden. ..." (taz, 07.08.11)
Einmal abgesehen von dem impliziten Widerspruch, daß der Mann die freie Entscheidung als soldatische Pflicht auffaßt
(während »Terroristen« die Pflicht willkürlich mißbrauchen), abgesehen auch davon, daß ja wohl jeder, auch Osama, den Krieg, den er führt, als gerecht begreift, ist der Hinweis mit dem »Urheber« auf die Ursachen des Krieges so verlogen wie nur was. Nicht daß man die Ursachen einer religiösen Begründung unmittelbar entnehmen könnte, mit der Krieg beweihräuchert wird. Der Mann will ja auch gar nicht auf die Ursachen hinaus, sondern auf die Person, die sie - in welch verklärender Form auch immer - für ihre Taten sich zunutze macht. Der Unterschied zu Günther besteht darin, daß er gar nicht auf die nationale Verantwortung hinauswill, die einer wohl überlegten Berechnung und wirklich höherer Moral zu ihrer Rechtfertigung bedarf. Nein, er will die nationale Verantwortung gleich mit Mord und Folter zum Zuge gebracht haben. Wer recht hat mit dem »gerechten Krieg«, den jede Seite für sich reklamiert, entscheidet sich für einen kriegsgeilen deutschen Michel im Erfolg allein. Da würde Günther einwenden, das Beispiel Hitler lehrt »uns« wahrlich eine andere und allemal erfolgversprechendere »Verantwortung«. Günther hat recht, wenn er die deutsche Staatsräson in Gefahr sieht, allerdings eben nicht von links, sondern von Verdrehern heutigen deutschen Rechtsverständnisses wie Wolffsohn - und Frau Merkel scheint nicht weit davon entfernt, wenn sie sich über einen Mord freut -, dessen genuin faschistische Gesinnung, wie sie hier einmal mehr deutlich wird, seine Läuterung offenkundig dadurch erhält, daß er Jude ist, sie sich also leisten kann und darf und soll.**

Wer sich anläßlich des 8. Mai einmal ernsthaft mit faschistischer Ideologie und ihren Bestandteilen befassen möchte, dem sei das Buch "Der Faschismus und seine demokratische Bewältigung" empfohlen, welches 1996 (im GegenStandpunkt-Verlag) erschienen ist und die ISBN 3-929211-02-5 trägt. Dort findet sich auch Ausführliches zum Thema »Antisemitismus«, für all die, die nicht mit moralischen Schlagwörtern um sich hauen wollen, vielmehr wissen wollen, was es damit auf sich hatte und hat. Dem wird auch klar, warum Demokraten (wie auch mancher -  zumal israelischer - Faschist) heute sich dieses - totschlagenden*** - Vorwurfs bedienen. Ging es ihnen je um eine sachliche Klärung?

(07.05.2011)

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* Erfinder dieser Weise nationalen Selbstbewußtseins ist, Ehre wem Ehre gebührt, Willy Brandt - er ist ein wirklich wahrer Deutscher, ein Interessenwahrer Deutschlands gewesen. Auf die knifflige Vermutung der Journalistin Oriana Fallaci,  "I keep wondering, Chancellor Brandt, if deep in your heart or rather your mind, you're not more European than German", entgegnete der damalige Kanzler: "Well... It would be too much to expect a german chancellor who's almost sixty years old to admit to that. Especially knowing that Europe hasn't moved as far as it should have. No, you can't ask me to feel and behave more like a European than a German. One shouldn't even ask me to give that impression. So let's say I try to be a good European when I assume the responsibilities of a German. To answer your question: no, I'm German." (Das Interview wurde am 28.08. und am 03.09.1973 im Bundeskanzleramt zu Bonn geführt, es ist nachzulesen in dem Band "Oriana Fallaci, Interview with History, herausgegeben von der Houghton Mifflin Company, Boston, 1976, S. 213ff, die zitierte Passage findet sich auf S.217f) Dann verweist Brandt auf den Unterschied von - individueller - Schuld und - nationaler - Verantwortung. Ja, der Mann war wohl der gewieftste nationale Verantwortungsträger, der es jemals zur Kanzlerschaft gebracht hat.
** Es sei erinnert an den 08.05.2005, als Wolffsohn in einem Beitrag für die Rheinische Post Münteferings kapitalistische »Heuschrecken« in Beziehung zum Antisemitismus der Nazis setzte, also für eine völlig unsachliche Kritik gebrauchte, mit der er Stimmung für eine Wende nach rechts machen wollte (er hielt in seiner Einfalt Münteferings Einfall glatt für ebenso antikapitalistisch wie antinational). Seine auch von SPDlern geforderte Disziplinierung als Hochschullehrer scheiterte allerdings an einem weniger wahren Deutschen, am Hindukusch-Kämpfer Struck, SPD, damals Verteidigungsminister.
*** Muß man dem deutschen Ex-Außenminister Joschka Fischer als Verdienst zuschreiben: "1999 unterstützte Fischer maßgeblich die deutsche Beteiligung am völkerrechtlich umstrittenen Kosovokrieg, wodurch erstmalig seit dem Zweiten Weltkrieg wieder deutsche Soldaten an einem Krieg beteiligt waren. Er begründete diesen Krieg unter anderem auch mit dem Verweis auf den Holocaust. Am 7. April 1999 sagt er: 'Ich habe nicht nur gelernt: Nie wieder Krieg. Ich habe auch gelernt: Nie wieder Auschwitz.' Dem Nachrichtenmagazin Newsweek [19.04.1999] sagte Fischer auf die Frage, ob er zwischen den Ereignissen im Kosovo und der Nazi-Ära eine direkte Parallele sehe: 'Ich sehe eine Parallele zu jenem primitiven Faschismus. Offensichtlich sind die 1930er Jahre zurückgekehrt, und das können wir nicht hinnehmen.' " (zitiert nach Wikipedia-Eintrag über J. Fischer) Aber nicht allein ihm. Auch Scharping, damals Verteidigungsminister, hetzte mit freien Erfindungen gegen die Serben und für den Kosovo-Krieg der NATO und zwar so: "Viel wichtiger ist die Frage was geschieht jetzt im Kosovo: Wenn ich höre, daß im Norden von Priština ein Konzentrationslager eingerichtet wird, wenn ich höre, daß man die Eltern und die Lehrer von Kindern zusammentreibt und die Lehrer vor den Augen der Kinder erschießt, wenn ich höre, daß man in Pri
ština die serbische Bevölkerung auffordert, ein großes S auf die Türen zu malen, damit sie bei den Säuberungen nicht betroffen sind, dann ist da etwas im Gange, wo kein zivilisierter Europäer mehr die Augen zumachen darf, außer er wollte in die Fratze der eigenen Geschichte schauen." (28.03.1999, zitiert nach Geschichte in Chronologie) Im nachhinein hat er selber manches auf einen Verdacht zurückgestuft, so seine Behauptung, in einem Fußballstadion werde ein KZ eingerichtet. Das änderte freilich nichts mehr an den NATO-Bomben, die auf die kollektiv schuldig gesprochenen Serben abgeworfen werden sollten.