Die perfekte Vermarktung virtuell inszenierter Persönlichkeiten:
Warum die Internet-Nachrichtentauschbörse Facebook total in ist
Modernen Netzwerken wie Facebook und Twitter wird zur Zeit eine weitaus
höhere Bedeutung attestiert, als privates Netzgeplapper und
kommerzielles Produktplacement zu sein. Aufstände im
»arabischen Frühling« sollen sie ebenso
veranlaßt haben wie die Parteienlandschaft in Teilen Europas
durch angeblich nur durch sie mögliche Parteigründungen
durcheinander gewirbelt haben.
Zu welchem Zweck man die von Facebook im Netz installierte Plattform
verwendet, bleibt im Prinzip ihrem Nutzer überlassen. Man kann sie
bloß für die private Kommunikation benutzen oder als Mittel
dafür, ein gemeinsames Interesse mit Gleichgesinnten zu pflegen.
So ein harmloser Gebrauch der Website grenzt allerdings an deren
Mißbrauch: Von den Facebook-Machern konzipiert und entsprechend
gestaltet, ist sie für eine Veranstaltung anderer Art; und
für die wird sie – von ihren Nutzern genau richtig
verstanden – tagtäglich zigmillionenfach aufgerufen.
Nämlich:
Der User, als Privatmensch, der er ist, erstellt ein Profil. Das ist
für sich schon ein Programm: Er macht sich zur öffentlichen
Person, die sich der Welt präsentieren will. Er teilt mit, was
immer er zur Darstellung seiner selbst für mitteilenswert
hält: Welchen Aktivitäten und Interessen er nachgeht, ob er
ein Fan von bestimmten Sportvereinen oder Schauspielern ist, seine
Lieblingssänger und Leibgerichte, sein
»Beziehungsstatus« – das alles kann und soll in so
ein Profil hinein. Ob er tatsächlich Interessantes mitzuteilen
hat, spielt überhaupt keine Rolle. Es kommt nur darauf an,
daß er etwas mitzuteilen hat. Die aufgezählten Interessen
sollen den, der sie hat, selber interessant machen – weil er sie
hat und weil er es ist, der sie hat. Damit das sorgfältig
entworfene Bild von der eigenen Person dann auch entsprechend
gewürdigt werden kann, wird die große virtuelle
Facebook-Gemeinde zur Betrachtung und Wertschätzung eingeladen.
Eine so öffentlich präparierte Individualität muß
dann natürlich auch dauernd öffentlich aktiv sein. Auf der
eigenen wie auf den Seiten anderer Members werden also laufend
Mitteilungen gepinnt, Meinungen und Standpunkte gepostet, Bildchen
hochgeladen und die Community zu Kommentaren zu all dem aufgefordert.
Auf den Inhalt des Mitgeteilten kommt es dabei nicht weiter an. Das
sieht man daran, daß eines so wichtig ist wie das andere, eben
als: Ich habe das gesagt. Die Nichtigkeiten des eigenen Alltags haben
da genau den gleichen Stellenwert wie weltbewegende Ereignisse. Ob es
da um die Bekanntgabe der eigenen aktuellen Laune, den neuesten
Prominenten-Skandal oder eine AKW-Explosion geht – alles und
jedes ist gleichermaßen dafür gut, beim virtuellen Publikum
Aufmerksamkeit für sich zu erregen. Diese ganz unterschiedlichen
Mitteilungen haben eine Gemeinsamkeit: Sie sind Mittel dafür, sich
als einmalige und ganz besondere Persönlichkeit in Szene zu setzen
und damit – wenn alles gut geht – ein Feedback der
Community, die genauso tickt, zu erzeugen.
Diese Art von Kommunikation besteht also hauptsächlich darin,
einander wechselseitig vorzuführen. Dafür ist die
allereinfachste Art sich mitzuteilen genau passend: Man drückt den
Knopf »gefällt mir« – und wenn man ihn nicht
drückt, will man damit ja auch was gesagt haben. Der User will ja
nur seine Stellung zur Welt, seine höchsteigene Meinung kundtun.
Mit dem Button »like« hat er sein wichtigstes Handwerkszeug
parat, sich die Welt zurechtzulegen: Was entspricht mir und was nicht
– vom Turnschuh bis zur Merkel. Dieser Wahn nimmt die ganze Welt
so, als wäre sie ein einziges Angebot, das einem zu Diensten
steht, und man sucht ganz nach eigenem Geschmack heraus, was man davon
will und was nicht.
Was aber wäre die ganze Selbstverliebtheit, wenn sie nicht ein
Gegenüber hätte? Es kommt auf die Würdigung durch die
Community an und die kann man an einem höchst angemessenen
Gradmesser ablesen. An prominenter Stelle im Profil ist die Anzahl von
Freunden verzeichnet, die ein User für seine Facebook-Seite
gewonnen hat. Das ist die nachzählbare Anerkennung, auf die der
ganze Auftritt bei Facebook zielt. Erst wenn man möglichst viele
»Friends« eingetragen hat, also viele andere den eigenen
Antrag auf Freundschaft akzeptiert haben, hat der eigene Netz-Auftritt
geklappt. Dann würdigt das Publikum, dem man seine vortreffliche
Persönlichkeit präsentiert hat, einen auch als diese
Persönlichkeit. Ein Vermerk wie »Saskia hat noch keine
Freunde« ist der Schleudersitz in die Depression. Freundschaft
begründet sich darin, ein gemeinsames Anliegen zu verfolgen, so
könnte man meinen. Der verrückte Zweck der
Facebook-Anhänger besteht aber ganz inhaltsleer darin, Freunde
sein zu wollen, das ist dann ihre Gemeinsamkeit. Auch deswegen ist es
so wichtig, ganz viele Freunde zu haben. Lauter passionierte
Selbstdarsteller gehen auf ein Publikum aus ebensolchen
Selbstdarstellern los, werben um Freunde als Ausweis ihres Erfolgs und
bekunden Freundschaften, um sich selber interessant zu machen. Anderen
Anerkennung zu bezeugen wird als Hebel eingesetzt, für sich selbst
Anerkennung einzufordern. Ebenso gut taugt dazu auch die offensive
Mißachtung: Dem mehr oder weniger zufälligen Opfer
Anerkennung zu verweigern, um sich selbst in Szene zu setzen. Darum
bestätigen sich auf Facebook nicht nur Friends andauernd
wechselseitig ihre Vortrefflichkeit, sondern es wird auch genauso
regelmäßig diffamiert und gemobbt. Diese Konkurrenz um
Anerkennung – dafür liefert Facebook die perfekt
rationalisierte, weltweite virtuelle Plattform.
Daß der User das alles kann, verdankt sich freilich einem ganz
anderen Interesse als dem, sich bis zum Geht-nicht-mehr zu profilieren.
Schließlich hat der Erfinder von Facebook, Mark Zuckerberg,
dieses »Soziale Netzwerk« nicht gegründet, um Frieden
und Freundschaft auf der Welt zu verbreiten, sondern weil ihm die Idee
zu einer neuartigen Werbeplattform gekommen war. Mit all den
»Daten«, die ein Facebook-Benutzer von sich ins Netz
gestellt hat, ist er nur in einer Hinsicht wirklich interessant, darin
aber sehr – nämlich für alle die, die ihre Waren an den
Mann bringen und so ihren Profit einfahren wollen. Denen macht Facebook
ein verlockendes Angebot. Zig Millionen Mitglieder stehen den
Warenverkäufern rund um den Globus als potentielle Kunden zur
Verfügung. Von den vielfältigen Persönlichkeiten, die
sich bei Facebook darstellen, wollen die Verkäufer immer nur das
eine: ihnen etwas andrehen. Die Warenhändler müssen sich
dabei nicht damit begnügen, Namen, Geburtsdaten und Adressen
einzukaufen. User, die auf ihren Profilen und Pinnwänden
tagtäglich genauestens Auskunft über ihre Bedürfnisse,
Vorlieben und Neigungen geben, liefern damit Datensätze, die sich
zu einem maßgeschneiderten Werbeprofil ausbauen lassen. Das
braucht man dann nur noch zu nutzen, vom personalisierten
Bildschirm-Werbebanner bis zum Verkäufer, der als neuer Friend
beim Facebook-Account anklopft. Darin liegt das milliardenschwere
Bindeglied zwischen privatem Gequatsche und dem großen
Geschäft des Warenhandels. Die Selbstdarstellungsorgien sind die
perfekt ausnutzbaren Gelegenheiten des Profitmachens. Die Mitglieder,
die andauernd ihren Geschmack und Lebensstil öffentlich
ausbreiten, bekommen von den Werbeabteilungen der größeren
und kleineren Marken, die um ihre Zahlungsfähigkeit konkurrieren,
paßgenau die immer neuen Moden und Produkte angeboten, die ihrem
Geschmack und Lebensstil entsprechen. Daß das alles passende
Angebote für seinen speziellen Bedarf sind, bildet sich der User
allerdings nur ein: Er übersieht dabei, daß sein ganz
persönlicher »Lifestyle« auch nur aus dem besteht, was
er sich aus der vorfindlichen Warenwelt aussuchen kann. Der Sache nach
wird er mit seinen kompletten Netzaktivitäten von den
Werbeabteilungen der diversen Marken für deren Absatzinteresse
passend zurechtgemacht, mit den Produkten, die am besten geeignet
scheinen, ihm das Geld aus der Tasche zu ziehen. Mit jeder auf der
Plattform getätigten Regung ist er voll unter diese seine
marktwirtschaftliche Bestimmung subsumiert. So paßt die
selbstbewußte öffentliche Person zur Kategorie des Kunden
wie der Arsch auf den Eimer.
aus: GegenArgumente, Hamburg Mai-2012
Mehr zu diesem Thema im GegenStandpunkt 4-11 :
Das soziale Netzwerk Facebook
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I. Der User als öffentliche Person:
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II. Alles für den User: Neues Recht und Volkserziehung
III. Auch das noch: Die »Facebook-Generation« macht
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(15.05.12)