Was sucht Bundekanzlerin Merkel in China?

Gerne fliegt die Bundeskanzlerin nach China. Es ist ihr ein nationales Anliegen, dem in ihrem Schlepptau befindlichen, personifiziert mitgeführten Kapital zu Geschäftsabschlüssen zu verhelfen. Nie wird sie dort in Beijing enttäuscht. Die dortige Führung dort hat nämlich eines gefressen, und zwar gern: Sie hat kapiert, was das »Empire« (Negri) des Kapitalismus jenseits aller nationalen »Differenzen« (als bloß solche erscheinen die nationalen Interessensgegensätze) erheischt: Die Anerkennung seiner unschlagbaren Produktivität, seiner Effizienz, seiner Produktivkraft schlechthin, an der auch sie nicht vorbeikommen zu können glaubt. Daß China dies als die Konsequenz aus seiner eigenen Ideologie des ML schließt, juckt die BRD angesichts der profitträchtigen Resultate der »Zusammenarbeit« mitnichten. Was sie allerdings juckt, ist, daß China die politischen Konsequenzen, welche die BRD (ebenso wie die USA) daraus ableiten (Demokratie, Meinungsfreiheit, Wahlen und den ganzen Zirkus), nicht kopiert. Und das obwohl sie zum einen einräumen muß, daß China ohne straffe politische Führung, den Einsatz von ganz viel staatlicher Gewalt, es nie zu einer – duchaus nicht unerwünschten – (ursprünglichen) Akkumulation von Kapital geschafft hätte, und zum anderen, daß es – gerade angesichts der Euro-Krise – immer offensichtlicher wird, wie lästig jener ganze demokratische Zirkus der BRD und ihrem EU-Europa selber geworden ist.
Es ist also nicht allein mit Blick auf die heimische Medienlandschaft – von ARD bis ZDF, von Blöd bis Zeit, von Augsburger bis Frankfurter Allgemeiner, von Stuttgarter bis Nürnberger Nachrichten, von Westdeutscher Allgemeiner bis Süddeutscher Zeitung – mehr als lächerlich, in Beijing (mehr) Meinungsfreiheit, wie Frau Merkel das zu tun nicht entblödet hat, einzufordern.
[Das Meinungsspektrum in China übrigens – jeder Kenner wird das bestätigen können – steht keineswegs hinter dem bundesdeutschen zurück. Selbst in der Unterscheidung von wichtigen und unwichtigen Nachrichten ist man in China im großen und ganzen längst auf westlich-antikommunistisches Niveau herabgesunken.]

Was sieht man an der Entwicklung im ganzen: China möchte den einstigen Systemgegensatz in stinknormale zwischenstaatliche Konkurrenz überführen. Doch an eben jenem an sich qua eingeschlagener Richtung geradewegs gegenstandslos gewordenen Systemgegensatz hält die BRD fest, wenngleich sie ahnt, daß die polit-ökonomische Konkurrenz diesen erschlägt, ja selbst nicht von schlechten Eltern ist: Weshalb sonst würde man in Beijing um Unterstützung bei dem gefährdeten antiamerikanischen Euro-Projekt nachsuchen? Ein Projekt, an dem auch Beijing ein zumindest bedingtes Interesse hat, zielt es doch auf eine Relativierung des Rivalen um das »Empire«, die USA: China möchte – eine glatte Illusion – Ordnung in den kapitalistischen Sauhaufen bringen. Es möchte nach und nach die staatlichen Interessengegensätze auflösen, weil sie der globalen Entwicklung von Produktivkräften entgegenstehen. Es möchte die Gegensätze nicht austragen, sondern überflüssig machen. Deshalb hält es China auch nicht für schwachsinnig, sich überall einzumischen, sich als Anker anzubieten, als Anker für das Euro-Projekt beispielsweise. Und das versteht Beijing übrigens überhaupt nicht so, wie die europäischen Euro-Protagonisten, nämlich antiamerikanisch. Schließlich stützt Beijing den US-Dollar nicht weniger, eilen die us-chinesischen Handelsvolumina von Rekord zu Rekord, auch wenn die USA sich in einigen Punkten nicht fair behandelt fühlen, den von ihnen selber propagierten Freihandel gar nicht so automatisch wie bisher als ihr nationales Erfolgsrezept betrachten können, obschon gleichwohl wollen. Kurzum, China ist mittlerweile ein Protagonist des »Empire« schlechthin.

So ungewöhnlich das Auftreten des Newcomers China auf der kapitalistischen Weltbühne ist, so gewöhnlich wird es genommen: Als Faktor, den es für das eigene nationale Interesse auszunutzen gilt. So gelingt es China, die ewige Menschenrechts- und Demokratie-Heuchelei bloßzustellen: Um solcherlei Defizite einzuklagen, reist wirklich kein deutscher Politiker nach Beijing.
Daß China an jenes Vorhaben der ökonomischen Be- und Ausnutzung seine eigenen nationalen Interessen knüpft und mächtig genug ist, das tun zu können, ist das bleibende Ärgernis etwa für die bundesdeutsche Kanzlerin. Eben deshalb wird hierzulande an den diesbezüglichen Lügen (fehlende Demokratie, Menschenrechte etc.) berechnend festgehalten. Ebenso wie es geschätzt wird, daß China seine Arbeiterklasse für seine Staatsräson, die (makroökonomisch idealistisch) kalkulierte Integration in den Weltmarkt, bezahlen läßt, nur allzu teuer bezahlen läßt.

Wenn sich seit gut 30 Jahren etwas bewegt hat, dann China sich selber, nicht jedoch den »freien Westen« samt seiner Arbeiterklasse in eine andere Richtung. Daß das China offenbar nicht begriffen hat, macht den ganzen Stolz des »freien Westens« aus, seine Siegesgewißheit über China, sofern es eben als kommunistischer Staat wahrgenommen wird. Was an ihm »kommunistisch« ist, braucht man nicht zu wissen in einer Welt, auf der allein der in Geld und nationaler Gewalt gemessene Erfolg über Richtig und Falsch entscheidet.

Im Empire, wie es derzeit existiert, begreifen sich alle maßgebenden Seiten als Sieger. Noch können sie das. Bis zum nächsten Crash auf alle Fälle. Dabei steht eines völlig fest: China wird neue Resultate schlicht & einfach anders, in seinem Sinne zu interpretieren wissen. Das kann man sich erlauben (ohne sich lächerlich zu machen), wenn man die dafür adäquate Macht besitzt. 


(05.09.12)