Worum geht’s bei der Reform der Bundeswehr?
Mehr militärische Schlagkraft – für entschiedeneres deutsches Mitmischen in der Gewaltkonkurrenz der Staaten
Vor kurzem hat die Bundesregierung
beschlossen, daß die deutsche Armee einer Generalüberholung
bedarf. In einer Grundsatzrede im Bundestag gab der zuständige
Minister zu Protokoll, welche großen Aufgaben da aufs deutsche
Militär zukommen:
"Eigentlich sollte es
inzwischen eine Selbstverständlichkeit sein, daß wir uns
über unsere nationalen Interessen im Klaren sind und sie offen
vertreten… Unsere nationalen
Sicherheitsinteressen ergeben sich aus unserer Geschichte, unserer
geografischen Lage, den internationalen Verflechtungen unseres Landes
und unserer Ressourcenabhängigkeit als
Hochtechnologieland und rohstoffarme Exportnation. Auch
Bündnisinteressen sind meist zugleich unsere nationalen
Sicherheitsinteressen… Deutschland ist bereit, als Ausdruck
nationalen
Selbstbehauptungswillens und staatlicher Souveränität zur
Wahrung seiner Sicherheit das gesamte Spektrum nationaler
Handlungsinstrumente im Rahmen des Völkerrechts einzusetzen. Das
beinhaltet auch den Einsatz von Streitkräften." (de Maizière im Bundestag, 27.05.2011)
Ob deutsche Politiker sich
vorwerfen lassen müssen, mit »unseren nationalen
Interessen« bislang hinterm Berg gehalten zu haben, mal dahin
gestellt: Offenbar befindet der deutsche Minister fürs
Militärische es für nötig, Klartext zu reden in der
Frage, wofür die Nation modernste Kampfflieger, Panzer,
intelligente Munition und gut trainiertes Bedienungspersonal
benötigt. Die bisherige Masche der deutschen Politik, Soldaten und
Kriegsgerät vorzugsweise im Namen unterdrückter Frauen und
geschundener Völker auf den Weg zu bringen, befindet de
Maizière als kontraproduktives
Gewäsch; »offen« soll mal gesagt werden, welchen
wahren Gehalt der »nationale Selbstbehauptungswille«
Deutschlands hat: Nämlich den, sein Recht als maßgebliche
Weltmacht geltend zu machen, die von allen Händeln der Staatenwelt
in ihren elementaren Interessen betroffen ist. Von denen auf dem
eigenen Kontinent sowieso – da erteilt schon die Geografie der
Nation das unabweisbare Gebot, für alle Konflikte gewappnet zu
sein, die sich mit mehr oder weniger freundlichen Nachbarn so ergeben.
Im Prinzip aber soll das Militär dazu dienen, deutschen Interessen
weltweit Geltung zu verschaffen. Das ergibt sich, so der Minister,
zwangsläufig daraus, daß Deutschland mit allen anderen
Staaten »verflochten« ist – auch mal eine
interessante Auskunft über den Charakter der zwischenstaatlichen
Beziehungen, über die man sonst unter dem Titel
»Globalisierung« eher zu hören bekommt, daß sie
die Welt friedlicher machen. Diese harmlose Sicht der Dinge will der
Minister an dieser Stelle hier einmal ausdrücklich dementieren
– eher im Gegenteil: Wo es um nationale Sicherheitsinteressen
geht, soll man die Sache genau umgekehrt sehen. Da »folgt«
aus »Rohstoffarmut« und »Hochtechnologie«
durchaus auch mal auch der »Einsatz von
Streitkräften«, sprich: Krieg, wenn störende Konflikte
sich in entsprechenden Regionen breit machen. Deshalb – quod erat
demonstrandum – braucht Deutschland ganz unabweisbar das
ganze Spektrum der Einmischungs-, Erpressungs- und Gewaltmittel,
mit denen souveräne Staaten »nun einmal« untereinander
verkehren, wenn ihre Interessen kollidieren.
Mit der Argumentationsfigur:
»Wenn die deutsche Nation sich behaupten will, dann muß sie
auch bereit sein, in den Krieg zu ziehen«, erhebt de
Maizière besagten »nationalen
Selbstbehauptungswillen« in den Status eines unhintergehbaren
politmoralischen Titels, hinter den zurückzufallen kein guter
Deutscher sich mehr leisten können soll, wenn er über die
höchsten Fragen von Krieg und Frieden rechtet. Bewiesen ist damit
zwar nichts; klargestellt aber schon einiges:
Erstens, was die Sprachregelungen
betrifft, die noch bis vor Kurzem üblich waren, um deutsche
Militäreinsätze in fernen Ländern zu begründen.
Noch im Falle des Bundeswehreinsatzes in
Afghanistan sollte man sich anfangs noch einleuchten lassen, daß
»wir« wegen Brunnen und Mädchenschulen am Hindukusch
unterwegs sind, im Unterschied und Gegensatz zum
Bündnispartner USA, der es mehr mit Bomben und Drohnen hat. Auch
da hätte einem natürlich schon auffallen können,
daß der Unterschied so groß nicht sein kann, wenn Brunnen
und Bomben den gleichen Effekt erzielen sollen… Noch die
Kundusaffäre gewann ihren Aufmerksamkeitswert nicht zuletzt aus
der Enthüllung, daß das deutsche Militär in Afghanistan
auch nicht groß anders unterwegs ist als die Amis – man
denke! Mit solchen Debatten, so de Maizière, muß ab sofort
Schluß sein. Ab sofort handelt es sich bei Brunnen wie Bomben um
alternative sicherheitspolitische »Handlungsinstrumente«
aus einem »Spektrum«; der Gegensatz von
»friedlich« und »militärisch« ist
höchstoffiziell für unerheblich erklärt, also
abgeschafft. Übrig bleiben »Optionen«, unter denen die
Politik in Zukunft frei wählen können will, ohne sich in
propagandistische Scheingefechte einlassen zu müssen.
Dem ist – zweitens –
so viel zu entnehmen: Offenbar passen die alten Sprachregelungen nicht
mehr zu dem, was sich Deutschland in Fragen von Krieg und Frieden
für die Zukunft vornimmt. Wenn der Minister auf dem Felde der
Kriegspropaganda Handlungsfreiheit einklagt, dann wirbt er um
öffentliche Gefolgschaft in der Sache. Die betrifft die Frage, wie
Deutschland militärisch aufgestellt sein muß, um jenem
»nationalen Selbstbehauptungswillen« Genüge zu tun,
den de Maizière in aller Offenheit als den letzten Grund
für staatliche Gewaltmittel ausspricht. Denn: Die europäische
Großmacht Deutschland mag ja jede Menge Gründe dafür
kennen, daß gegenüber irgendwelchen auswärtigen
Machthabern immer mal wieder der Übergang von friedlichem Handel
und Wandel zur Erpressung und Drohung mit dem Einsatz
militärischer Zerstörungsgewalt fällig wird. Was diese
Gründe dann praktisch gelten – inwieweit sich die deutsche
Staatsmacht also, um in der Redeweise de Maizières zu bleiben,
mit ihrem Ansinnen behauptet: Das hängt allerdings praktisch davon
ab, was Deutschland militärisch zu bieten hat – nämlich
vergleichsweise zu den anderen maßgeblichen
Militärmächten, die dasselbe für sich beanspruchen. Wenn
Deutschland sich mit mehr Erfolg als
bislang in dieser Gewaltkonkurrenz als Macht Gehör verschaffen
will, dann braucht die Nation größere militärische
Schlagkraft: Das wollen die regierenden Nationalisten aller Couleurs
aus den deutschen Militäreinsätzen der letzten Jahre gelernt
haben. Diese Schlagkraft legt sich die Nation derzeit zu. Weil sie das
tut, soll sich auch der Geist entsprechend ändern, in dem
hierzulande deutsche Kriegseinsätze zur Kenntnis genommen werden.
So anspruchsvoll sind demokratische Herrscher!
An den Interessen, die eine
moderne imperialistische Nation wie Deutschland weltweit zu verteidigen
hat, ist allerdings gar nichts neu. In der Frage, ob Deutschland
dafür Militär braucht,
sollte man deshalb mit den Regierenden keinen Streit anfangen. Es wird
schon stimmen, wenn sie sagen, daß die Durchsetzung von
Demokratie und Marktwirtschaft weltweit nur mit überlegener Gewalt
zu haben ist. Statt angesichts der offenen Worte des Ministers einer
friedlichen deutschen Außenpolitik hinterher zu trauern, die es
nie gegeben hat, sollte man deshalb lieber einen Schluß auf den
wenig bekömmlichen Inhalt dieser Produktions- und Herrschaftsweise
ziehen, für deren Durchsetzung de Maizière ein
schlagkräftigeres Militär einfordert. 20 Jahre nach dem Fall
der Mauer hält es die deutsche Politik für endlich an der
Zeit, offensiver als bisher einzusteigen in die Konkurrenz ums
Weltordnen, die seit dem Ende des Kalten Krieges die Tagesordnung der
Weltpolitik bestimmt. Da entscheidet sich nämlich, was aus den
nationalen Interessen wird.
(GegenStandpunkt Stuttgart)