Brecht wird Klassiker
Die Heimholung eines kommunistischen Dichters in das nationale Kulturerbe
Am
10. Februar wäre Bertolt Brecht 100 Jahre alt geworden. Das Datum
hätte sich ohne weiteres ignorieren oder zur 1001sten Verhetzung
des Kommunismus nutzen lassen. Es gibt genug, was sich dem
Nationaldichter der DDR nachsagen ließe: Daß er in
Theaterstücken den Verteidigungskrieg seines Blocks gegen den
Westen und die leninistische Parteidisziplin bejahte, daß er dem
falschen Deutschland die Treue auch nach dem 17. Juni 1953 noch hielt
und vieles mehr. Ansätze zu einem persönlichen Schwarzbuch
hat es im Vorfeld des runden Geburtstags ja auch gegeben: Da wurde die
nötige Aufklärung über den linken Macho geboten, der die
schriftstellerische Hauptarbeit seinen Weibern überließ,
deren er stets mehrere hatte. Herausgebracht hat er die Produkte seiner
Auftragsarbeiten natürlich unter eigenem Namen. Aber diese
Wahrheiten werden allesamt weggefegt von dem gewaltigen Lob, die von
höchster Stelle angesagt ist. Es hagelt Superlative: "Das Größte, was Bayern auf dem Feld der Dichtung hervorgebracht hat", "der größte deutsche Dramatiker" nämlich, bildet zusammen um Thomas Mann und Franz Kafka "das Dreigestirn der deutschen Literatur im 20. Jahrhundert".
Das
hohe Lob ist einigermaßen erstaunlich, denn die Festredner,
Bundespräsident Herzog in der neuen Hauptstadt Berlin - der
letzten Wirkungsstätte Brechts - und der bayrische
Ministerpräsident Stoiber in Augsburg - dem Geburtsort des
frischgebackenen Klassikers -, halten nichts von den Ideen, die der
politische Dichter in Reime goß, und nichts von den Konflikten
und Theorien, die er zu Lehrstücken verarbeitete: "Meine politischen Zielvorstellungen haben mit denen Bert Brechts wenig gemein" (Stoiber), zumal er "zur Vernebelung der Wahrheit über ein totalitäres Regime beigetragen hat".
Aber auch seine künstlerischen Formen und Techniken sagen den
Lobrednern nichts. Laudator Stoiber hält sich nicht auf mit
Einlassungen über das epische Drama und den V-Effekt und bekennt rundheraus, "nicht gerade ein großer Brecht-Kenner"
zu sein. Muß der Mann auch nicht. Er ist
(Minister-)Präsident, er muß den Dichter nicht kennen,
über den er redet. Zum deutschen Klassiker bereiten berufenere
Fachleute den Dichter mit dem falschen politischen Bekenntnis auf.
- Es kommt dem Bemühen der Interpreten in Wissenschaft und
Feuilleton sehr entgegen, daß der Dichter Brecht älter ist
als der Kommunist. Sie teilen uns mit, daß wir seine
unpolitischen Sturm- und Drangwerke - voll von expressionistischem Lebenshunger,
humorvollem Pessimismus und deftigen Gesängen im Stil der Vaganten
- heute sehr mögen. Besonders aber seine Liebeslyrik.
- Der lebensgeschichtliche
Werdegang spricht auch dafür, daß seine politische Wende zum
Kommunismus als ein Stück dichterische Provokation aufzufassen
ist: Manche mutmaßen gar, er habe sie aus Ärger vollzogen
über das große Vergnügen, das seine Dreigroschenoper
ausgerechnet den Gutbetuchten bereitete. Natürlich kann auch die
Motivlage den Fehltritt nicht korrigieren: "Mit den politischen Stücken habe nicht nur ich meine Schwierigkeiten", ist da noch eine zurückhaltende Auskunft. "Die Lehrstücke kann man ästhetisch vergessen."
Ja, ausgerechnet ästhetisch! Brecht hat sie vermutlich auf
Geheiß der Partei verfaßt, vielleicht um ihren Spitzeln zu
entgehen und Mißtrauen gegen sich zu beschwichtigen. Das ist
jedenfalls nicht der Dichter, den wir ehren. Oder vielleicht doch? Wenn
schon die furchtbare politische Verirrung, der damals leider viele,
auch verantwortungsbewußte und intellektuelle Zeitgenossen
verfielen, verziehen wird, dann nicht ohne die Entdeckung, daß
der Begnadigte ein Opfer der Zensur, der ideologischen und
künstlerischen Gängelung durch die Bürokraten genau der
Partei war, deren Standpunkt er kritisch besang.
- Sein Spätwerk erkennen wir
jedenfalls eindeutig als einen Akt des Widerstands gegen die SED. In
den anerkannten Dramen - "Mutter Courage", "Galileo Galilei" und im
"Kaukasischen Kreidekreis" - finden wir, wenn wir das Politische
weglassen, ohne Schwierigkeit unseren eigenen Humanismus
verewigt: Daß der kleine Mann mit seinem bedingungslosen
Durchhaltewillen allzuoft der Angeschmierte ist und Besseres verdient
hätte; daß wahre Verantwortung auch Widerstand gegen die
Mächtigen erfordert, leider aber praktisch nicht zu empfehlen ist;
daß Liebe und Verzichtsbereitschaft mehr wiegen sollten als
Besitztitel - wer wollte da widersprechen?
Mit etwas gutem Willen
läßt sich aus dem kommunistischen Literaten und
Anhänger der Ostzone der deutsche Dichter machen, "auf den wir in Deutschland stolz sein können und dem wir viel verdanken".
Weil es nun einmal sein soll, findet Herzog Lebensweg und Werk des
Dichters mitsamt der eingeräumten Irrungen und Wirrungen ziemlich
deutsch und ziemlich repräsentativ für das schlimme
Jahrhundert, das endlich zuendegeht. Brechts Kritik am kapitalistischen
Vaterland und seine Absage an den dazugehörigen Patriotismus
betont der Vorsteher desselben nur ein klein wenig anders: "Er setzte sich sein Leben lang für ein besseres Deutschland ein."
- Für Deutschland hat er sich eingesetzt, der gute Mann! Die
Heimholung ist also möglich - und sie hat mit Brecht und den
Kunstwerken, die er verbrochen hat, gerade so viel zu tun, wie
Literaturinterpretationen mit Literatur eben zu tun haben.
Und sie hat offenbar sein
müssen. Das vereinigte, von seiner Zerrissenbeit, d.h. seiner
weltpolitischen Schwäche geheilte Deutschland zeigt sich
großzügig. Es blickt zurück auf die Spaltung und den
historischen Irrweg, an dessen Verurteilung nichts zurückgenommen
wird. Vom Standpunkt des historischen Siegers aus wird die nationale
Geschichte dieses Jahrhunderts wieder angeeignet. Im Rahmen der
Brecht-Feiern räumt man sogar einige wenig elegante
Überreaktionen gegen die Bedrohung aus dem Osten ein, über
die wir heute nur mehr den Kopf schütteln können: Der neue
deutsche Klassiker war in den wilden Jahren des Kalten Krieges im
freien Westen verboten. Aber jetzt gehört er wieder "uns" - allen
Deutschen!
Das ist ein Angebot an die Ossis, die sich immer wieder beklagen,
daß von ihrer DDR so gar nichts in das neue Deutschland
übernommen und ihnen die Westkultur mit deren Ellenbogenwerten
übergestülpt wurde. Das Gute aus der DDR findet jetzt doch
Eingang ins Gesamt-Deutschland. Die eingesackten Neubürger
dürfen sich in dem auch ein wenig kulturell aufgehoben fühlen
und müssen ihre Biografie doch nicht ganz umschreiben. Wenn -
natürlich nur wenn - sie es halten wie wir mit Brecht: Das
Politische streichen wir und vergessen es schleunigst; das
humanistische Erbe - die Kleine-Leute-Moral - dürfen wir
dafür um so lauter singen. Brecht - der erste und wahrhaft
gesamtdeutsche Dichter. Einen schönen Dienst darf der tote
Verräter dem Vaterland da leisten.
Dieser Artikel erschien im GEGENSTANDPUNKT 1-98 sowie im DREIGROSCHENHEFT 3-1998 zum 100. Geburtstag des Dichters.
