Staatliche Rechnungen im Zeitalter des fortgeschrittenen Kapitalismus

Die Ansprüche des Kapitals auf Vermehrung sowie der staatliche Anspruch auf die Erträge des Kapitals haben es mit sich gebracht, daß auch ursprünglich dem Staat unterworfene Bereiche entweder privatisiert worden oder aber, sofern dem Staat verblieben, eben einer Bilanzierung unterworfen worden sind, einer Bilanzierung analog der Gewinnrechnung privaten Eigentums. Letzterer Fall findet sich hauptsächlich auf der unteren staatlichen Ebene, also bei den Kommunen, die zwecks Standortpflege sich genötigt sehen, den »Investoren« Leistungen zur Verfügung zu stellen, für die sich privates Investment kaum lohnt. Dazu gehört der öffentliche Personennahverkehr.

Es hat lange gedauert, bis beispielsweise der städtische Betrieb »Stadtwerke Augsburg« aufgeteilt in GmbHs überführt wurde und überführt werden konnte. Was es dazu brauchte, war ein Konzept zur zügigen Kostenbefreiung chronisch defizitärer Geschäftsbereiche.
Und eine diesbezügliche Entdeckung ließ dann nicht lange auf sich warten: Ganz ohne es bei Marx nachzulesen, kamen die Verantwortlichen darauf, daß der Personalbestand »zu aufgebläht«, d.h. zu leistungsschwach, also die Lohnkosten unerträglich hoch waren, so unerträglich, daß ein als vernünftig zu betrachtender Gewinn nicht herausschauen konnte, ja nicht einmal eine ausgeglichene Bilanz. Die Aufgabenstellung lautete also: Wie beim Personal sparen, ohne die Infrastrukturleistungen infrage zu stellen?

Dazu gab es dann einige Ideen, die nur eines bedurften, nämlich einiger Investitionen.
So verfiel man auf die Idee, neue Straßenbahnen zu kaufen, lange Straßenbahnwürmer, deren Fahrer doppelt und dreifach soviel Fahrgäste befördern können sollten als bisher. Dabei sollten nicht etwa weniger Straßenbahnen durch die Stadt rollen, nein, das Verhältnis von zahlenden Fahrgästen zum Kostenfaktor Fahrer sollte verändert, „produktiver“ werden. Dafür daß die nun viel längeren Bahnen problemlos benutzbar werden konnten, mußten freilich die Gleise in so mancher Kurve neu gebaut werden, was sich über einige Jahre hinzog. Letztes großes Problem war der Königsplatz, der bei seinem letzten Umbau vor 40 Jahren natürlich noch auf die damaligen, kürzeren Bahnen zugeschnitten war. Von ihnen paßten locker zwei hintereinander auf die Länge eines Bahnsteigs, von den neuen natürlich nicht. Der Umbau von Kö (und Hauptbahnhof samt Straßenbahnuntertunnelung!) zur »Mobilitätsdrehscheibe« ist also nicht einem Bedürfnis nach Stadtverschönerung geschuldet, vielmehr einer rein ökonomischen Rechnungsweise.

Hinzu kommt der Ausbau des Straßenbahnnetzes insgesamt: Busse, die in ihrer Fahrgastkapazität nie an die einer dieser neuen Trambahnen heranreichen können, werden von ihnen auf Hauptstrecken ersetzt. Wurden in der Nachkriegszeit Schienen abgebaut, so werden sie nun neu verlegt. Alte Straßenbahnlinien — die Linien 3, 5 und 6 — entstanden bzw. entstehen neu, bestehende — 1, 2, 4 — wurden verlängert.
Ob je das Ideal führerloser, ferngesteuerter Straßenbahnen erreicht wird, steht technisch noch in den Sternen. Ein ortsansässiger Roboterfabrikant würde die Herausforderung sicherlich gerne annehmen. In Nürnberg beispielsweise wurde aus den gleichen Gründen ein U-Bahnnetz geschaffen, auf dem bereits führerlose U-Bahnen verkehren.

Daß die Innovationen nicht dem Kunden als solchem geschuldet sind, ist angesichts nach wie vor anhaltender regelmäßiger Fahrpreiserhöhungen offensichtlich. Die Stadtwerke bedienen sich an den Löhnen der Arbeiterklasse, die in die Firma und von dort wieder nach Hause fahren bzw. auch mal sonstwohin, um Besorgungen zu machen, und an den von ihnen finanzierten Kindern, die zur Schule müssen, um später mal das nötige Geld selber zu verdienen, um dann ebenso geschröpft werden zu können.
Der öffentliche Nahverkehr steht somit in Konkurrenz zur Alternative »Auto«, dessen Vor- und Nachteile für den Nutzer an dieser Stelle nicht durchdekliniert werden sollen: Die privaten »Gewinnrechnungen« der Arbeiterklasse entbehren sowieso nicht selbstbetrügerischer Lügen.

Übrigens: Die Stadtväter haben festgestellt, daß Döner- und ähnliche Imbißbuden nicht zur neuen Mobilitätsdrehscheibe passen, dafür also keine Erlaubnis erteilt wird. Wie man sieht, ist in einer modernen Stadt eine Terrorbande wie die NSU schlichtweg überflüssig: Die CSU regelt alles ohne offensichtliche Leichen. Leben, das auch nur den Anschein erweckt, außerhalb der ökonomisch erwünschten gesamtgesellschaftlichen Gewinnrechnung stattzufinden, zählt nicht (mehr). Dies nachdrücklich klarzustellen, ist der Zweck einer breit angelegten Propaganda für die neue Mobilitätsdrehscheibe.

Kurzum: Ein starkes Stück Kapitalismus: Er soll umso mehr geliebt werden, je mehr er einen ankotzt.
(18.10.12)