Der Schuldenerlaß des G-8-Gipfels in Schottland:
Können 280 Millionen Afrikaner nun ruhiger schlafen?

Es ist mal wieder Zeit für einen Schuldenerlaß für die sogenannten »hochverschuldeten armen Länder« (HIPC = Heavily Indebted Poor Countries). Das hatte Großbritannien, federführend für das zurückliegende Gipfeltreffen der G 8, auf die Agenda gesetzt. Wie es hieß, ging es nur noch um die Modalitäten. Diese Initiative wird grundsätzlich begrüßt und soll für die guten Absichten der »führenden Wirtschaftsnationen« sprechen. Der bekannte Bob Geldof, der zu diesem Anlaß wieder große Wohltätigkeitskonzerte organisierte, sieht darin als erstes einen Sieg für die NGOs, die sich dafür schon immer engagieren: »Das ist ein Sieg für die Millionen Leute, die an den Schuldenerlaßkampagnen rund um die Welt teilnehmen ...« Und erst recht ist es eine großartige Tat für die Armen in diesen Ländern: »Morgen werden 280 Millionen Afrikaner zum ersten Mal in ihrem Leben aufwachen, ohne dir oder mir einen Penny aus der auf ihnen lastenden Schuld zu schulden, die sie und ihre Länder so lange verkrüppelt hat.« (The Guardian, 13.6.05)

Dieser gute Mensch befaßt sich nicht weiter mit der Tatsache, daß die Zahl der in Frage kommenden hochverschuldeten armen Länder kontinuierlich zugenommen hat, obwohl es Schuldenerlasse schon seit einigen Jahren gibt und auch früher schon routinemäßig Schulden bei einzelnen Ländern durchgestrichen wurden, vielmehr will er nur »nach vorne schauen« und ganz fest daran glauben, daß es für die »Ärmsten der Armen« jetzt nur besser werden kann. Ist es nicht eine Wohltat für sie, wenn sie nun mit einem kleineren Schuldenberg zurechtkommen müssen? Nein, ist es nicht.

Die afrikanischen Nationen, um die es bei der G-8-Initiative hauptsächlich geht, haben über Jahrzehnte bei den »entwickelten Nationen« um Kredite nachgesucht, um ihrerseits eine »nationale Entwicklung« zu finanzieren. Diese Nationen, die damals noch »Entwicklungsländer« hießen, wollten sich mit diesen Krediten tauglich machen für die Teilhabe am Weltmarkt. Sie nahmen sich ein Vorbild an den »führenden Industrienationen«, zu denen sie – so der damalige Idealismus in bezug auf »Entwicklung« – aufschließen würden. Dafür haben diese »Industrienationen« durchaus bedeutende Kreditsummen bereitgestellt: Die kamen im wesentlichen den dortigen Staatsmächten zugute, denn die sollten erstens für eine gewisse Ordnung sorgen und zweitens ein Wachstum überhaupt erst einmal in die Wege leiten. Es hieß, dafür hätten sie eine gute Vorbedingung, nämlich ihre sogenannten natürlichen Reichtümer. Allerdings hatten sie für diese gar keine Verwendung; als soeben freigelassene Kolonien verfügten sie über keine Industrien, die diese Naturschätze hätten produktiv nutzen können. Also mußten sie sie an die Geschäftsleute der Länder verkaufen, die die Standorte solcher Industrien waren. Der Verkauf der Rohstoffe sollte dazu dienen, daß die Entwicklungsländer an den »künstlichen« Reichtum herankommen, der in der kapitalistischen Welt wirklich zählt, nämlich das Geld der anderen Nationen. Und das sollte das Mittel sein, um die Exkolonien zu entwickeln, nämlich zu Industrieländern. – So wurde es auf den Entwicklungshilfe-Konferenzen in den Jahrzehnten nach der Entkolonisierung immer beschworen.


Einflußnahme durch Kredite

Das Resultat ist an den hochverschuldeten armen Ländern, aber auch an einer langen Reihe von Staaten, denen es nur unwesentlich besser geht, zu besichtigen. Sie haben sich mit den »Entwicklungshilfe«-Krediten dafür hergerichtet, ihre »natürlichen Reichtümer« weltmarktfähig zu machen, sie im Export verkaufen zu können – reicher geworden sind dabei immer nur die »Industriestaaten«, die diese »Güter« zu einem offensichtlich nur für sie vorteilhaften Preis gekauft haben. Die »Entwicklungsländer« sind ihrem Ziel der »Entwicklung«, womit sie den Aufbau einer kapitalistischen Ökonomie meinten, keinen Schritt näher gekommen, vielmehr hat dieser Export sie immer nur ärmer gemacht. Der Erlös aus diesen »natürlichen Gütern« ist nämlich vollständig abhängig von den Kalkulationen der Geschäftsleute, die in Nationen sitzen, die schon kapitalistisch entwickelt sind. Sie zahlen für diese »Güter« nur Preise, die sicherstellen, daß deren Verwendung in ihrem Produktionsprozeß ihren Reichtum vermehrt, und die Abnahme dieser »Güter« ist zudem noch abhängig von den Konjunkturen, die sich aus ihrem Geschäftsleben ergeben. Umgekehrt waren und sind die »Entwicklungsländer« auf den Absatz ihrer Rohstoffe auf Gedeih und Verderb angewiesen. Sie können deren Verkauf nicht davon abhängig machen, daß deren Preise ihre von auswärts kreditierten »Vorschüsse« für Erschließung und Infrastruktur sowie ihre Herrschaftskosten wieder einspielen, weil sie wegen des Zwangs zur Bedienung der Kredite verkaufen müssen. Kein Wunder, daß sich bei den »Entwicklungsländern« nur eines entwickelte: Schuldenberge und damit die Notwendigkeit, immer wieder Umschuldungen, also neue Kredite zur Bedienung der alten, beantragen zu müssen. Vollständige und bedingungslose Schuldenerlasse kommen bei den Kreditgebern nämlich selbst dann nicht in Frage, wenn für alle Beteiligten klar ist, daß die Schuldnerländer nie in der Lage sein werden, ihre Kredite termingerecht zu verzinsen und zu tilgen. Denn auch »notleidende« Kredite leisten den Gläubigerstaaten noch gute politische Dienste. Sie verstärkten die Einflußnahme auf die zahlungsunfähigen Länder; bei diesem Gipfel unter dem in den Heimatländern des Imperialismus hoch angesehenen Titel der »Bekämpfung der Korruption« (siehe Seite 11 unten).

Daher ist ein Schuldenerlaß nie einfach ein Schlußstrich unter die aufgelaufenen Schulden, um einen schuldenfreien Neuanfang zu ermöglichen. In der Formelsprache des letzten großen Schuldenerlasses aus dem Jahr 2000, beschlossen von den G 7 in Köln, wurde das so ausgedrückt: Die »Schulden-Export-Relation« sollte für diese Länder auf etwa 200 Prozent gesenkt werden. Das heißt: Ihre Schulden waren auch nach dem Erlaß noch doppelt so hoch wie ihre Einnahmen aus dem Export ihrer »natürlichen Reichtümer«. Der Export dieser »Reichtümer« vermehrte also weiterhin ihre Schulden, die Teilstreichung veränderte nur eines: Sie verringerte – meist nur vorübergehend – die Steigerungsrate der Verschuldung. Der Kredit, den man ihnen gab, wirkte also immer nur in eine Richtung: Er sorgte für eine gewisse Stabilität der politischen Herrschaft, die wiederum Produktion und Abtransport der »Güter« garantierte, die im kapitalistischen Produktionsprozeß gebraucht werden. Die damit gestiftete Abhängigkeit und der ökonomische Nutzen, den sie aus diesen Ländern zogen, war den imperialistischen Herrschaften dann auch eine beständige Verlängerung der Kredite wert. Wenn die Einnahmen dieser Länder aus dem Export nicht ausreichten, um die Zinsen für die ihnen gewährten Kredite zu bezahlen, erklärten die imperialistischen Staaten nicht den Konkurs ihrer Zöglinge, sondern kümmerten sich – vermittelt über ihre Kreditagentur Internationaler Währungsfonds (IWF) – immer mehr selbst um die Schuldenbedienung, zahlten sich, zumeist in sehr komplizierten Abkommen, ihre Zinsen selbst.


Konkursverfahren eröffnet

Der neue Schuldenerlaß beendet diese Technik der Kreditprolongation. US-Staatssekretär John Snow begründet das mit einer »Ungeduld« der »reichen Länder«: Die sind nach seinen Worten »den endlosen Zirkel des ›borrow and forgive‹« – also des Verleihens und Erlassens – »leid und akzeptieren statt dessen lieber, daß Schulden, die niemals bezahlt werden, ein für allemal abzuschreiben sind.« Was wie eine resignierte Einsicht klingt, ist ein vernichtendes Urteil. Die Kreditierung dieser Staaten hat sie nicht existenzfähig gemacht, sie bei aller Untauglichkeit aber auch nicht aus der kapitalistischen Weltwirtschaft ausgeschlossen; sie haben an ihr teilgenommen – und alles kapitalistisch noch Verwertbare ist aus ihnen herausgepreßt worden. Diese Staaten, deren jetzt konstatierte Überschuldung nichts anderes ist als das Resultat ihrer als unerläßlich und für vernünftig erachteten Verschuldung, bekommen nun – nachdem der IWF ihre Anstrengungen jahrelang mit seinen berüchtigten »Auflagen« schärfstens kontrolliert hat – einen Schuldenerlaß. Damit wird das alte Kredit- bzw. Schuldenregime außer Kraft gesetzt, das Minus, das diese Staaten angehäuft haben, wird als endgültig uneinbringlich qualifiziert und ein Teil davon weggestrichen. Das bedeutet aber keinesfalls, daß sie nun wieder kreditfähig sind. Auch wenn manchmal, insbesondere von den NGOs, so getan wird, als würden durch die Streichung den Staaten »neue Mittel« zufließen – auch das verringerte Minus drückt nichts weiter aus als ihren ökonomischen Ruin. Daran ändert auch eine verringerte Zinszahlung nichts – sofern diese Staaten überhaupt noch Zinsen zahlten. Dieser Ruin wird nun in Form des neuen Minus als eine Art Offenbarungseid, als Dokument der endgültig verriegelten Sackgasse, welt- und finanzweltöffentlich niedergeschrieben. Über diese Staaten und damit auch über die »280 Millionen Afrikaner«, die nach der verrückten Vorstellung des Bob Geldof »morgen ohne die auf ihnen lastende Schuld aufwachen werden«, ist ein internationales Konkursverfahren eröffnet worden. In diesem Verfahren geht es darum, welche Staatlichkeit, d. h. welche Art von Staatsgewalt und was für ein Umfang an Staatsaufgaben für diese Armenhäuser des Imperialismus noch für nötig erachtet, ihnen also aufgeherrscht wird. Der menschenfreundlich daherkommende und doch zugleich verräterische Obertitel, unter dem das läuft, lautet »Armutsbekämpfung«. Für nichts anderes mehr sollen die Staaten zuständig sein als für die Eindämmung und Kontrolle des bei ihnen herrschenden ungeheuren Elends. An erster Stelle steht AIDS, denn die Krankheit soll schließlich in Afrika bleiben. Dann sollen die verelendeten Massen das Minimum an Subsistenz bekommen, das früher in Afrika eine Selbstverständlichkeit war. Dann noch ein bißchen Bildung ... Dabei bekommen sie – vielleicht – auch »Hilfe« in Form von »donations« oder »grants«; das sind vom Kredit scharf zu unterscheidende Geldzuwendungen, über die der Beschenkte keine freie Verfügung hat, über deren Verwendung vielmehr der Schenker entscheidet. Dieses Geld ist ein Teil der Kontrolle, die von außen ausgeübt wird: Diese dringt darauf, daß die Staaten sich eigene Ambitionen, insbesondere solche, die an den alten Idealismus der »Entwicklung« erinnern, abschminken – und wenn sie sich dabei nichts zuschulden kommen lassen, also totale Unterwerfung praktizieren, spendiert man ihnen das Etikett »good governance« und vielleicht eine Handvoll Dollar mehr.


Ordnungsmacht USA

Bei diesem Konkursverfahren fließen, neben den »donations« und »grants«, dann doch wieder Gelder: 1,3 Milliarden US-Dollar während der nächsten drei Jahre, bereitzustellen von den G 8. Diese vergleichsweise lächerliche Summe – über deren Aufbringung bzw. Aufteilung heftig gestritten wird – ist natürlich nicht für die hochverschuldeten armen Länder da, sondern dient einem imperialistischen Gemeinschaftszweck. Leidtragende des Konkursverfahrens sind nämlich nicht diese Länder – denen ist ja gerade eine »Wohltat« erwiesen worden –, sondern die »internationalen Finanzinstitutionen« IWF, Weltbank und Afrikanische Entwicklungsbank. Denen fehlen jetzt Zinsen aus den früheren Prolongations- bzw. Umschuldungsabkommen, was die Frage aufwirft, ob sie die weiterhin bekommen sollen und, wenn ja, von wem. Der Streit um dieses Geld hat eine besondere Schärfe, weil die USA erst mal gar nichts bezahlen wollen: Die legen seit Beginn ihres »Antiterrorkrieges« nur noch sehr mäßigen Wert auf imperialistische Gemeinschaftsinstitutionen, da in diesen ja immer eine gewisse Mitsprache ihrer »Partner«, sprich: Konkurrenten, institutionalisiert ist, was sich mit ihrem Anspruch aufs Weltordnungsmonopol nicht gut verträgt, weswegen sie diese Institutionen lieber zurückdrängen wollen. An diesen Streit schließt sich der nächste an: Wer von den Aufsichtsmächten hat wieviel bei der neuen Kontrolle der soeben dekretierten Armenhäuser mitzureden – auch das schlägt sich in dem verbissenen Feilschen um Anteile an der Zinszahlung, neue »Fazilitäten« etc. nieder. Die USA haben sich erweichen lassen und stehen für einen Teil der ausfallenden Zinsen ein. Dafür haben sie einen halbseidenen und einen guten Grund. Der halbseidene ist, daß George W. Bushs Freund Anthony Blair, Vorsitzender des Gipfeltreffens, auch mal ein Erfolgserlebnis braucht, daß nämlich zur Abwechslung der große Partner auf der anderen Seite des Atlantiks auf ihn hört – das poliert das Image Großbritanniens innerhalb der G 8 und in Europa auf, was letztlich auch wieder den USA nützt. Der gute Grund ist: Afrika gilt als ausgemachter »Sumpf des Terrorismus«, und die USA können sich vorstellen, die Schuldenerlaß-Initiative mit ihrem ganzen Drumherum in ihren »Antiterrorkrieg« mit einzubauen, heißt: sie dafür zu funktionalisieren und die konkurrierenden Aufsichtsmächte mit einzuspannen. Damit kommt den hochverschuldeten armen Ländern die letzte Ehre zu: Sie dienen als Material für eine innerimperialistische Konkurrenzaffäre. Am schönen Schein, daß es bei all dem nur um »Hilfe für Afrika« ginge, wird selbstverständlich festgehalten. Ob deswegen »280 Millionen Afrikaner« besser schlafen können?

Korruption als Rechtstitel für moderne Imperialisten*

Beim G-8-Gipfel in Gleneagles drängten insbesondere Bush und Schröder darauf, daß ein Schuldenerlaß nur für afrikanische Regierungen in Frage komme, die sich zur Bekämpfung der Korruption verpflichten. Unter den Herren der kapitalistischen Weltwirtschaft und ihren Sachverständigen in den internationalen Finanzinstitutionen ist nämlich der Vorwurf in Mode gekommen, die Korruption sei der eigentliche Grund für »Unterentwicklung« und Elend in sogenannten Dritt-Welt-Staaten.

Den Sündenregistern »korrupter Regimes« in Afrika ist allerdings zu entnehmen, daß es sich dort bei Korruption um etwas ganz anderes handeln muß als um das, was man aus den Heimatländern des Kapitalismus kennt. In Afrika nehmen keineswegs private Interessenten Einfluß auf staatliche Entscheidungsträger oder erweisen sich Geldbesitzer und Machthaber wechselseitig Gefälligkeiten.

Der Vorwurf der verbotenen Vorteilsannahme würde ja voraussetzen, daß die obersten Machthaber ihre politischen Entscheidungen an potente Interessenten im Land verkaufen würden. Oder daß sie sich durch Bestechungsgelder von privaten Geschäftsleuten zu Verstößen gegen das Gebot der Überparteilichkeit verleiten ließen. Gerügt wird genau umgekehrt, daß die Staatsspitze Staatsgelder für sich behält bzw. nur an eigene Leute zur privaten Bereicherung weiterleitet. Warum das so ist, will diese Rüge jedoch nicht zur Kenntnis nehmen:

Es gibt kein nationales Geschäftsleben von konkurrierenden Privateigentümern in das der Staat sein Geld hineinschleusen könnte, um damit private Geschäfte anzustoßen, die nach der »Anschubphase« »selbsttragend« und dadurch zu Steuerquellen werden. Vielmehr ist es so: Wenn überhaupt etwas Geschäftsmäßiges passiert, dann, weil es der Staat von vorne bis hinten selber finanziert.

Fragt sich, woher das Geld kommt, über das diese »Potentaten« verfügen: Eben von genau jenen Staaten, die sich über die »korrupten Regimes« in der »dritten Welt« beschweren. Da muß man den Spieß einmal umdrehen und die Frage stellen: Wer korrumpiert hier eigentlich wen? Warum und wofür kriegen diese »Regimes« denn das Geld? Um Geschenke aus Menschlichkeit und Mitleid handelt es sich offenbar nicht.

Der Zweck dieser Geldzuwendungen liegt auf der Hand: Die dortigen Machthaber sollen ihre Macht im Sinne des Geldgebers gebrauchen – sie sollen mit diesem Geld korrumpiert werden. Es sind also die finanzstarken Korruptionsbekämpfer hierzulande, von denen die »Bestechung« ausgeht. Die halten sich für eine Handvoll Devisen ihre Günstlinge als Hilfsorgane ihres politischen Zugriffs auf deren Länder. Wenn sie dann gegen ihre eigenen Kreaturen den Korruptionsvorwurf erheben, dann erheben sie genaugenommen den Vorwurf der Unterschlagung von Bestechungsgeldern. Nicht einmal damit haben sie recht: Was soll denn die dortige Herrschaft unter ihren Verhältnissen anderes tun, als eben das Geld für sich und ihre Günstlinge zu verbrauchen und sich so als Herrschaft erhalten? Will einmal ausnahmsweise einer das Geld zur Speisung der Armen und für kostenlose Schulen verwenden, kriegt er spätestens bei der nächsten Umschuldungsverhandlung von der Weltbank die Auflage, diese »marktverzerrenden Subventionen« einzustellen und gefälligst Schulgeld zu verlangen!

Was dem Vorwurf der »Korruption« zugrunde liegt, ist eben dies: Aus den bestochenen »Regimes« wird nichts – sie sind geldbedürftig und sie brauchen immer wieder Geld. Der Nutzen der Bestechung erschöpft sich darin, daß man seine Kreaturen hat. Aber das, was früher einmal idealistisch mit »Entwicklung« bezeichnet wurde, will sich einfach nicht einstellen. Um diesen Idealismus ging es den imperialistischen Staaten indes noch nie. Aber gewollt haben sie funktionierende Staaten, die man sich politisch unterordnet und die in den Weltmarkt so integriert sind, daß man an ihnen verdienen kann. Für immer mehr Staaten kann davon nicht mehr die Rede sein. Dieser Mißerfolg führt bei den »Geberstaaten« zur Unzufriedenheit, die sich gegen die »Nehmerstaaten« richtet. Die verwenden die Gelder, die man ihnen gewährt, glatt nach ihren eigenen herrschaftlichen Bedürfnissen – und dabei kommt nicht heraus, was sich der Finanzier von seiner Zuwendung verspricht. Wo der geforderte Erfolg ausbleibt, da muß Mißbrauch vorliegen! Genau dafür steht der Vorwurf »Korruption«. Aus dieser – falschen, aber praktisch gültigen – Diagnose folgt dann: Die Saubermänner aus den bessergestellten Nationen müssen gebieterisch auf einem Kontrollrecht über das Finanzgebaren dieser Länder bestehen. Das ist nichts anderes als der Auftakt für die Anwendung erpresserischer Gewalt, die sich gar nicht erst mit der Frage befaßt, ob denn daraus anschließend etwas Gedeihliches entsteht. Vielmehr geht es bloß noch darum, den eigenen Kreaturen jede Eigenmächtigkeit auszutreiben. Weil die Finanziers unzufrieden sind mit den Resultaten ihrer Finanzierung, definieren sie die Empfängerländer als mutwillige Versager und Störer – und auf die geht man nun los mit lauter Aburteilungen und Auflagen. Auch die Absage an »Entwicklung« wird in Euphemismen verpackt: »Trade, not aid!« heißt die neue Devise auf amerikanisch, »Hilfe zur Selbsthilfe«, sagt Frau Wieczorek-Zeul zu den Ländern, die abgeschrieben werden.

* Aktualisierte Kurzfassung des 3. Teils von »Korruption in der Politik« in: GegenStandpunkt 1/2000

© Theo Wentzke

veröffentlicht in der Berliner Zeitung "junge welt" vom 09.07.2005