WTO-Konferenz in Cancún gescheitert:
Wieder einmal nichts mit der "Bekämpfung der Armut durch mehr Welthandel"!

Die Konferenz der Welthandelsorganisation in Cancún, die die vor einem Jahr beschlossene Fortschreibung der internationalen Handelsregeln "in die Tat umsetzen" sollte, ist geplatzt. Eine Koalition aus "Entwicklungs- und Schwellenländern" unter Führung von Indien, Brasilien und China hat sich am Ende verweigert, heißt es. Dabei hatte man sich so große Hoffnungen gemacht: "Die Chancen für eine Globalisierung zugunsten der Armen standen noch nie so gut wie heute." (SZ, 8.9.03) Und dann das! An ‚egoistischem Starrsinn der Reichen' und am ‚überzogenen Anspruchsdenken' der ‚ärmeren' Länder ist wieder einmal eine Veranstaltung gescheitert, von der alle Begutachter regelmäßig nur Gutes erwarten, eine Erwartung, die sie dann aber genauso regelmäßig radikal enttäuscht sehen: den Welthandel und die Verständigung über seine Regeln.
"Eine Niederlage für die Armen!" (FAZ) Davon gehen die Beobachter nämlich aus, daß ein freier Handel erstens das Beste ist, um endlich das Problem loszuwerden, unter dem wir bekanntlich im Zeitalter der Globalisierung alle leiden - "Unterentwicklung und Armut":
"Eine Handelsliberalisierung kann entscheidend dazu beitragen, die weltweite Armut zu bekämpfen - wenn den Entwicklungsländern gerechte Handelschancen eingeräumt werden", so stellvertretend für alle die Entwicklungsministerin. Und daß der globale Geschäftsverkehr sowie seine gemeinsame politische Betreuung zweitens überhaupt für alle Länder und ihre Insassen das Beste ist, dafür bemühen sie sogar eine Theorie:

"David Ricardo entwickelte 1817 eine Theorie, wonach jedes einzelne Land Vorteile bei der Produktion bestimmter Güter habe. Problemlos kann es davon mehr herstellen, als es für den eigenen bedarf braucht. Dieser Überschuß läßt sich tauschen - gegen die Überschüsse anderer Produkte aus anderen Ländern. Ricardo schloß daraus, daß alle beteiligten Länder durch Außenhandel letztlich besser mit den Produkten versorgt sind, und das zu günstigeren Preisen. Vorausgesetzt, die Güter lassen sich günstig transportieren und werden nicht durch Zölle künstlich verteuert.. Beide Hürden haben an Bedeutung verloren.... Wenn sich die Minister (in der WTO) streiten, dann auch, um Ordnung in das System des Welthandels zu bringen. Vor allem Entwicklungsländer könnten profitieren... Dabei setzt die Organisation letztlich nur die Idee Ricardos um." (SZ 9.9.)

Mitten im erbittertsten Streit der beteiligten Nationen kultivieren die Begutachter also die Mär von den Segnungen des Welthandels für das Wohlergehen der Völker.


Ein paar Anmerkungen zu der Legende vom Nutzen des Welthandels für die Völker und zu ihrer praktischen Nutzanwendung

Es braucht allerdings schon ein paar interessierte geistige Verrenkungen, um dem ökonomischen Getriebe zwischen den Nationen und den Auseinandersetzungen darum diesen wohltätigen Gesichtspunkt abzugewinnen. Einmal abgesehen von der Albernheit, die Bemühungen der nationalen Veranstalter und Betreuer eines internationalen Geschäftsverkehrs um eine Verbesserung ihrer jeweiligen Handelsbilanz, ihrer Geldüberschüsse und Devisenbestände, in eins zu setzen mit einem Bestreben, dem eigenen Volk zu Wohlstand oder - wo das erst gar nicht absehbar ist - wenigstens zu einem halbwegs gesicherten Leben oder wenigstens - wo nicht einmal das sicher ist - zu einem Überleben zu verhelfen. Einmal abgesehen von der Gleichsetzung des Interesses der Zuständigen am Wachsen des nationalen Geldreichtums mit einem Interesse an einer Versorgung des lebenden Inventars mit dem Lebensnotwendigen. Und abgesehen auch von der Albernheit, die Armut von Ländern, die in ihren Schulden- und anderen Staatsbilanzen bemessen ist, für dasselbe zu erklären wie die Armut, die Lebens- und Überlebensnöte der Mehrheit der Bevölkerung in diesen Staaten. Wo bietet denn das heutige Weltmarktgetriebe eigentlich noch ernsthaft Raum für die idyllische Vorstellung, die unterschiedlichen Länder wären quasi waldursprünglich mit einem weltmarktstauglichen Inventar gesegnet, das genau das leistet, was andere jeweils gerade nicht ordentlich zustandebringen, und das genau so viel leistet, dass auswärtiges Verkaufen & Kaufen die nationalen Reichtumsbedürfnisse ausreichend bedient, so daß sich eine für alle Nationen segensreiche internationale Arbeitsteilung herstellt. Längst wirtschaftet kein Land mehr für sich und vor sich hin, bevor es seine Waren mit anderen vergleicht und austauscht. Nach Jahrzehnten des Welthandels, in denen sich die globalisierten Unternehmen in allen Ländern engagiert haben, sind alle einbezogen in und hergerichtet für ein globales Geschäftswesen. Die Folgen, die beklagten Unterschiede zwischen den armen und reichen Nationen, sind allenthalben zu besichtigen: Mit der wachsender "weltwirtschaftlichen Verflechtung" sammelt sich der Reichtum vornehmlich in den einen Ländern, in anderen aber hauptsächlich Schulden. Und von Arbeitsteilung und der Organisation wechselseitigen Nutzens ist nichts zu spüren bei einer WTO-Konferenz, auf der sich die beteiligten Staatsvertreter erbittert um Zugangsberechtigungen bei anderen Ländern streiten, alle nur erdenklichen Anstrengungen unternehmen, Korrekturen an den Regeln ihres Geschäftsverkehrs durchzusetzen, Handelsschranken ab- & aufzubauen, sich Geschäftssfären zu reservieren und anderen streitig zu machen; bei der also von Ergänzung oder Ausgleich der Interessen keine Rede sein kann. Offenkundig ist das Ergebnis der "Welthandelsbeziehungen", an denen alle Beteiligten so brennend interessiert sind, so beschaffen, daß es nicht nur die konkurrierenden Privatakteure auf den globalen Märkten, sondern auch die politischen Verwalter dieser Veranstaltung immerzu gegeneinander aufbringt. Sie lassen jedenfalls mit ihrem Streit keinen Zweifel, daß sich die nationalen Interessen nicht decken und ergänzen, sondern allemal um die national ertragreichste Ausnutzung anderer Nationen gerungen wird. Ebenfalls kein Geheimnis ist es, daß sie dabei laufend zu Mitteln greifen, die andere Länder mit ihren Interessen am Welthandel schädigen.
Das ist auch gar kein Wunder. Schließlich geht es ganz und gar nicht um irgendeine gemeinschaftlich zu organisierende globale Versorgungsveranstaltung, sondern darum, einen möglichst großen Teil des weltwirtschaftlichen Getriebes unter eigener Regie zur versammeln, auswärtige Regionen und ihr Inventar der eigenen Geschäftswelt zu öffnen, heimischen Kapitalisten auch außerhalb der Grenzen die Wege zu ebnen, mit der Förderung von Export und Import, mit dem Ausgreifen der nationalen Geschäftswelt die nationalen Geldbilanzen zu verbessern und dem nationalen Geld so die Rolle eines gefragten Geschäftsmittels zu sichern. Der Erfolg der einen Nation deckt sich da ein für alle Mal nicht mit der der anderen, an der sie sich bereichert. Der gepriesene Welthandel ist eben nichts anderes als die erbitterte Konkurrenz der Nationen um den kapitalistischen Reichtum der Welt - es kommt daher mit Regelmäßigkeit dazu, daß die bei dem Bemühen aneinandergeraten, diese Konkurrenz zu ihren Gunsten zu gestalten und andere Nationen für die nationale Bereicherung dienstbar zu machen. Und die Völker, die auf den Welthandel als ihr Lebensmittel verwiesen werden, kommen in dieser Konkurrenz nur als die Manövriermasse vor, die für geschäftliche Erfolge gerade zu stehen und Mißerfolge erst recht auszubaden hat.
Auch den Propagandisten dieser völkerverbindenden Veranstaltung kann nicht verborgen bleiben, daß Nationen im Außenhandel nicht das Interesse verfolgen, sich wechselseitig zu nutzen, oder ihre Völker zu versorgen. Daß dem nicht so ist, davon gehen sie bei all ihren Vorschlägen, wie mit Welthandel Entwicklung und Armutsbekämpfung voranzubringen seien, sogar aus - und haben dafür auch eine Erklärung: Das liegt nicht am Welthandel, sondern an den Fehlern seiner Veranstalter und Organisatoren. Die organisieren ihn nämlich nicht, sondern "verfälschen" ihn beständig. Wenn das globale Geschäftswesen mit Regelmäßigkeit einseitig ausfällt, wenn ganze Länder ruiniert werden und deren Bevölkerung massenhaft verelendet, dann geht es eben im Welthandel nicht mit rechten Dingen, nicht "frei" sondern immer noch "beschränkt", nicht "gerecht", sondern "ungerecht" zu, d.h. nicht so, wie es sich die Anwälte eines ordentlichen Weltmarkts jeweils vorstellen:

"Das geltende Regel- und Zollsystem dient fast ausschließlich den Interessen der Wohlstandsstaaten und erweist sich als größtes Hindernis für die Bekämpfung von Armut und Unterentwicklung... Sie reden vom freien Handel, aber ihre Taten bringen das Gegenteil." (Spiegel 27/2003)

Man mag ja gar nicht fragen, wo sie denn eigentlich herkommt die Armut, die da mit wachsendem Welthandel, mit devisenbringendem Export und Import, Kapitalinvestitionen und bekämpft werden soll, wenn nicht von den Fortschritten der Welthandelskonkurrenz, die schließlich keinen anderen Organisator und Verwalter haben als die Agenten, die da der Verfälschung eines eigentlich ganz anders zu gestaltenden Weltmarkts geziehen werden. Der Sache nach kann es jedenfalls mit den segensreichen Wirkungen des Weltmarkts an und für sich nicht so weit her sein, wenn durch die politischen Subjekte des globalen Geschäftsverkehrs erst noch dafür gesorgt werden muß, daß die Konditionen stimmen, und wenn ausgerechnet die Vorreiter unter ihnen statt dessen laufend für Verhältnisse sorgen, die so gar nicht zur Idylle eines freien Marktes passen, wie er sein sollte. Dann gibt es den schönen Weltmarkt eben gar nicht anders als in dieser politisch gestifteten Gestalt, also auch gemäß den Berechnungen seiner entscheidungsmächtigen Sachwalter, die den nationalen Auftrag an ihre Kapitalisten "Bereichert Euch und damit den Staat" als Anforderung gegenüber dem Rest der Welt in Anschlag bringen, für dieses Interesse zur Verfügung zu stehen.
Die kritischen Anwälte eines gerechteren Welthandels - aufgeklärte Zeitungen, aber auch Attac und die verschiedenen NGOs - sehen das genau andersherum: An sich wäre er eine nützliche Sache, wenn nicht die Herren aus den Metropolen ihrem nationalen Egoismus frönen und alle Gesetze der Fairnis verletzen würden, statt sich zu einer den Vorstellungen der Kritiker gemäßeren Einrichtung bereit zu finden, die endlich die "Benachteiligungen" ausräumt:

"Wo Entwicklung draufsteht, ist keine drin. Denn während Industrieländer notwendige Zugeständnisse an Entwicklungsländer z. B. in der Agrarpolitik oder der Diskussion um lebenswichtige Medikamente zu erschwinglichen Preisen vereiteln, fordern sie auf der anderen Seite, daß in Cancún Verhandlungen eingeleitet werden zu Themen, die allein in ihrem Interesse sind ... Wenn Regeln einen fairen Welthandel herbeiführen sollen, müssen sie die verschiedenen Entwicklungsstufen der WTO-Mitglieder berücksichtigen. Die WTO hat aber gleiche Regeln für ungleiche Partner."

"Das WTO-Agrarabkommen hemmt die Handlungsspielräume von Agrarpolitikern und legalisiert Dumping. Es zementiert das industrielle Landwirtschaftsmodell und stärkt Macht und Einfluß transnationaler Konzerne... BäuerInnen im Süden haben keine Chance mit den subventionierten Produkten aus dem Norden zu konkurrieren." (Attac)


Also machen sie sich alle möglichen Gedanken darüber und lauter konstruktive Vorschläge, wie das zu gehen hätte. Attac und NGOs schlagen sich auf die Seite der Zukurzkommenden - ob Staaten oder Bevölkerung, das gilt ihnen gleich - und fordern heilsame Korrekturen, auf die sich die reichen Länder einlassen sollen, gemäß der Parole: "Eine andere Welt ist möglich. Eine andere Welthandelsordnung nötig!" und im Sinne einer ausgleichenden Gerechtigkeit, die in etwa in der Umkehrung der angeklagten Welthandelsregeln besteht:

"Schutzmechanismen für alle Agrarprodukte. Damit könnten diese Länder auf die Überflutung ihrer Märkte durch Dumpingprodukte oder auf einen Verfall der Weltmarktpreise mit der Erhebung von Zusatzzöllen reagieren, um ihre heimischen Märkte zu schützen... Herausnahme von Grundnahrungsmitteln aus der WTO und Einführung einer speziellen Schutzklausel", "eine umfassende Verpflichtung von Investoren insbesondere im sozialen und ökologischen Bereich" ... kurz und schmerzlos: "Die Welthandelsordnung muß den Interessen der Entwicklungsländer, sozial Benachteiligter und der Umwelt Vorrang einräumen." (Attac)

Was, wenn die vielbeschworene Welthandelsordnung das gar nicht muß, wenn sich Investoren gar nicht auf so etwas verpflichten lassen, wenn die Zuständigen in den Herkunfts- wie in den Empfängerstaaten das auch gar nicht vorhaben?
Von der Auffassung, der Welthandel ließe sich - mit viel gutem Willen und/oder Druck - so gestalten, daß er auch BäuerInnen des Südens eine Chance gibt, also das Gegenteil dessen bewirkt, wozu er jetzt führt, wollen die Kritiker einfach nicht lassen. Ihrer Meinung nach leiden die einschlägigen Volksmassen nicht daran, daß sie den Gesetzen der Weltmarktkonkurrenz unterworfen sind und zum Opfer fallen - die Plantagenwirtschaft für den Weltmarkt entzieht ihnen die Böden und wirft sie auf eine armselige Subsistenzwirtschaft zurück; sie werden bestenfalls in abhängige Plantagenarbeiter oder in Kleinproduzenten von Rohstoffen verwandelt, die anderswo verwertet werden und sie in Konkurrenz zu den Agrarproduzenten der reichen Länder bringt, der sie nie gewachsen sind... Die Armut lateinamerikanischer Indios, das Elend afrikanischer Bauern liegt daran, daß ihnen die Chance verwehrt ist, sich auf ihrem heimischen Markt und dann auch international als Marktkonkurrenten im Weltmarktmaßstab besser zu behaupten. Der Bevölkerung von Ländern, die sich dem Programm verschrieben haben, mit Raubbau an Land & Leuten, mit Hungerlöhnen und ohne störende soziale Umstände der Ausbeutung am Weltmarkt mitzuverdienen, die am eigenen Volk noch sparen, wo es nichts mehr zu sparen gibt, um ihre internationale Kreditwürdigkeit zu erhalten, empfehlen die Kritiker der Verhältnisse, das alles ließe sich für sie anders und besser gestalten, wenn man diese Länder in der Welthandelsordnung anders zum Zuge kommen ließe, ihnen die Schulden erließe, ihnen mehr Möglichkeiten eröffnete, den nationalen Markt selber zu besetzen und auf dem Weltmarkt zu verdienen. Den Devisenschatz eines Landes nehmen sie glatt wie ein Indiz für Lebensstandard und Lebenschancen seiner Bewohner und beklagen, daß er sich nicht einstellt oder für die Schuldenbedienung statt für die von ihnen vorgestellten nationalen Aufbauwerke reserviert ist.
Wenn es denn schon so ist, daß Baumwollanbauer in Mali davon abhängig sind, was amerikanische und europäische Baumwollproduzenten an Markt erobern und verteidigen wollen und welche Förderung sie von ihren Regierungen dabei erhalten; wenn Hochlandindios höchstens im Kokaanbau für den verbotenen Drogenkonsum in der reichen Welt eine für ihre Verhältnisse geradezu luxuriöse Einkommensquelle haben - solange, bis die USA ernsthaft Einspruch erheben und ihre Felder zerstört werden; wenn noch der letzte Schwarze davon abhängig gemacht ist, was er zur Geldwirtschaft im Weltmaßstab beiträgt, und deswegen die große Masse nicht einmal ordentlich überleben kann: Dann, sollte man meinen, spricht doch nichts dafür, ausgerechnet der Welthandel ließe sich zu einem Mittel ausgestalten, um damit aufzuräumen. Daß die Opfer des Weltmarkts weder einen guten Grund noch die Mittel haben, sich um die ‚Ausgestaltung' einer Weltmarktordnung zu bemühen, daß die Bewältigung ihrer Überlebenssorgen nicht dasselbe ist wie der ‚Schutz heimischer Märkte' oder die Aufbesserung der nationalen Bilanz durch den vermehrten Export von Agrargütern, deren Produktion auf Kosten ihrer Lebensmittelversorgung geht - das alles sehen die engagierten Fürsprecher der Drittweltvölker von attac und NGOs aber etwas anders. Sich von Erwartungen an die Konkurrenzstreitigkeiten der Weltmarktveranstalter zu verabschieden, das halten sie für idealistisch, weil es zum Welthandel keine echte Alternative gibt. Für realistisch halten sie dagegen ihre Vorstellungen, daß die Massen in den schlechter gestellten Länder sich besser stellen könnten, wenn ihre Länder in der Konkurrenz der Nationen eine ‚gerechte Chance' bekämen. Daß sie damit den Drittwelt-Massen dann aber auch diesen Konkurrenzkampf als ihr einziges Lebensmittel anempfehlen, stört sie nicht. Eher haben sie - nur notgedrungen, versteht sich! - Verständnis für das Begehren dieser Länder, daß die elenden Ausbeutungsbedingungen im Rahmen der WTO nicht als ‚Sozialdumping' diskreditiert werden. Jedenfalls beruhen alle ihre Vorschläge auf der Unterstellung, diese Länder hätten in ihren - mit der jahrzehntelangen Beteiligung am Weltmarkt gewachsenen! - Armutsverhältnissen durchaus brauchbare Bedingungen, wenn schon nicht auf dem industriellen Sektor, dann wenigstens in den landwirtschaftlichen sowie bei arbeitsintensiven Abteilungen im nationalen Rahmen voranzukommen, auch den Weltmarkt mit billigen Gütern zu beliefern und sich so einen größeren Anteil am Weltgeschäft zu erobern - man müßte es ihnen bloß erlauben. Mit Raubbau, mit Billiglöhnen, mit Kinderarbeit gegen die Weltmarktstandards rentabler Arbeit - ist das die ganze Perspektive zur Herstellung gerechterer Weltmarktverhältnisse?

Die wahre Rolle des Streits um einen "gerechte Welthandelsordnung" in der Konkurrenz der Nationen

Mit der Vorstellung, die nationalen Interessen am Welthandel hätten sich an einem gemeinschaftlichen Rechtszustand, dem Idealbild einer gerechten Welthandelsordnung zu orientieren, so seien sie dann ein Beitrag zu einer echten Gemeinschaftsveranstaltung Welthandel und insofern in Ordnung, machen sich die Kritiker der bestehenden Welthandelszustände ein Ideal zum Maßstab, das in den wirklichen Auseinandersetzungen eher die Rolle einer - wie immer verlogenen und zugleich von jedem durchschauten, eben: diplomatischen - Sprachregelung spielt, mit der dessen Akteure ihre konkurrierenden nationalen Interessen als allgemeingültige anzumelden und auszufechten pflegen.
Soweit haben es die versammelten Nationen mit ihrem Welthandelsverkehr und der ihn begleitenden WTO ja gebracht, daß sie sich über Regeln des kapitalistischen Geschäftsverkehrs streiten, die zwischen ihnen allgemein gelten sollen - wie wenn es sich - so ähnlich wie innerhalb einer Nation - um die Konkurrenz zu den gleichen, vom Staat erlassenen und kontrollierten Geschäftsbedingungen handeln würde. Darum handelt es sich freilich überhaupt nicht. Schließlich regelt da nicht eine über der Konkurrenz der privaten Kapitalisten stehende oberste Gewalt die verbindlichen Standortverhältnisse, unter denen sich die Unternehmen um ihren Konkurrenzerfolg bemühen, sondern Staaten streiten sich in der WTO um die wechselseitige Anerkennung von Bedingungen ihrer Konkurrenz; Staaten, die um die Verbesserung ihrer jeweils nationalen Bilanz im Außenhandel ringen und dabei nur zu gut wissen, daß der Erfolg des einen im internationalen Handel - zufriedenstellende Handelsbilanzen, Mehrung seines Devisenschatzes und im Gefolge davon Gültigkeit und Gefragtheit seines nationalen Geldes - laufend auf Kosten der konkurrierenden Rechnung anderer Staaten geht. Von den Regeln verspricht sich jede Nation, daß die anderen Länder mit ihren politisch kommandierten Verhältnissen für die Geschäftsansprüche der national betreuten Kapitale zugänglich und passend gemacht werden sollen - und das möglichst gleich im Weltmaßstab. Insofern verdankt sich die WTO auch keinem allgemeinen Bedürfnis nach Welthandel, sondern dem Bedürfnis von konkurrierenden Staaten, den Stand ihrer Konkurrenz in Form von Zugriffsrechten und Konzessionen, auf die die Konkurrenten sich festlegen lassen, zu zementieren oder zu korrigieren. Die WTO ergänzt und begleitet den Kampf um die jeweilige nationale Reichtumsbilanz durch die laufende Auseinandersetzung um die zwischen den Beteiligten anerkannten Konkurrenzbedingungen. Sie erledigt also auch keinen Streit, sondern gibt den Agenten einer längst global betriebenen nationalen Geldvermehrung ein Instrument für ihre Konkurrenz an die Hand: Sie können neben ihrer praktisch betriebenen Konkurrenz ihren Anspruch auf Erträge aus dem Weltmarkt in der Form austragen, daß sie ihre Interessen am Weltmarkt in die Form von auswärts anerkannten Rechten auf dem Weltmarkt, d.h. gegenüber den anderen staatlichen Standortverwaltern zu verwandeln versuchen. Und das machen sie dann auch im festen Bewußtsein, daß alle Fährnisse der Konkurrenz, die sie betreffen, nicht dem Gang der Konkurrenz geschuldet sind, sondern daraus resultieren, daß es unter den herrschenden Regeln im Welthandel nicht ordentlich - nämlich zu ihren Gunsten - zugeht. Alle übersetzen ihre Bilanzen, die nie zur Zufriedenheit ausfallen, in eine Kritik an den Konditionen, auf die sie sich im Geschäftsverkehr mit anderen Nationen geeinigt haben - und alle dringen deswegen laufend auf Revision, auf Fortschreibung und Umschreibung, auf Einhaltung und andere Auslegung der Konditionen. In diesem zwischenstaatlichen Geschäft hat dann die Heuchelei ihren angemessenen Platz, man sei gar nicht im eigenen Interesse, sondern im Dienste eines gemeinsamen Interesses an möglichst freiem und gerechten Handel unterwegs. Jeder tritt als Anwalt fairer Weltmarktregeln auf und wirft anderen vor, sie würden dagegen verstoßen; alle führen einen aufrechten Kampf gegen "Verfälschungen" und gegen "Egoismus", den der anderen nämlich. So wird das eigene Interesse, sich andere Länder als Geschäftssfäre verfügbar zu machen, mit dem Anspruch vorgetragen, es hätte als allgemeine Regel gültig zu werden. Nur damit, und nach Möglichkeit auch nur wenn diesem Interessen entsprochen wird, lassen sich die Akteure zur berechnenden Rücksicht auf Forderungen anderer Staaten herbei - zumindest was die entscheidenden Nationen, die mit Geldmacht ausgestatteten Nationen angeht.
Denn was in diesem Streit praktische Gültigkeit bekommt, entscheidet sich selbstverständlich nur an der Überzeugungskraft, die die geschaffenen ökonomischen Abhängigkeiten, die materiellen Wucht des national bilanzierten Weltgeschäfts und die damit gegebene Erpressungsmacht der nationalen Agenten stiftet ("Schließlich sind alle Entwicklungsländer erpreßbar, weil sie auf Kredite, Entwicklungshilfe, Handelskonzessionen von Seiten der Industriestaaten angewiesen sind." (Spiegel 37/2003)). Es sind denn auch die Nationen, die den Weltmarkt beherrschen, die dazu in der Lage sind, Vorbehalte durchzusetzen und Abhängigkeiten auszunutzen, also die Konditionen des Weltmarkts zu bestimmen. Für die sind die erlassenen Regeln nützliche Instrumente, ihre Geldmacht, die sie aus Weltmarktgeschäften beziehen und mit der sie diese Geschäfte voranbringen, zur Geltung zu bringen. Für die geschädigten Nationen leistet das Regelwerk mit seinen Berechtigungen und Verpflichtungen dagegen den Dienst nie so recht, den sie sich davon erhoffen, nämlich ihren Mangel an Geldmacht durch möglichst weitreichende Konzessionen beim Geschäft mit den Weltgeldnationen zu kompensieren. Wie soll denn die Gerechtigkeit des internationalen Bereicherungswesens, auf das Gewinner wie Verlierer aus sind, auch anders funktionieren als eben so, daß die Nationen, deren Kapitalisten die größte Marktmacht besitzen und in aller Welt unterwegs sind, deren Geld die Wucht eines erfolgreichen nationalen Kapitalstandorts repräsentiert, deren Kredit daher überall gefragtes Weltgeld ist, auch die Macht besitzen, die Verkehrsregeln festzulegen, im Interesse ihrer Bilanzen auf freien Geschäftsverkehr zu drängen, wo nationales Kapital zugreifen soll, und zu protektionistischen Maßnahmen zu greifen, wo sie den Bedarf entdecken, Geschäftssfären vor auswärtigen Konkurrenten zu schützen. Nur so, so dann aber schon kommen in den Regeln der Weltmarktkonkurrenz die ökonomischen Maßstäbe des leistungsfähigsten Kapitals zur Geltung - nicht ein für alle Mal und unverrückbar objektiv, sondern gemäß dem unterschiedlich wuchtigen Anspruch, daß auf der Weltmarkt der Konkurrenzerfolg der beherrschenden Weltmarktnationen gewährleistet sein soll und dementsprechend laufend auf Korrekturen gedrungen wird.
Der freie Welthandel kommt also ohne die dauernde Auseinandersetzung der Staatsgewalten über die Ausgestaltung seiner Freiheiten nicht aus. In den Streitgegenständen und Streitverfahren der WTO machen die Nationen gegeneinander geltend, wie sie ihre Interessen gemäß dem Stand der Konkurrenz voranzubringen gedenken, welche sie für verhandelbar ansehen und welche nicht - und so und nur so kommt dann der Welthandel voran.

Warum es mit der WTO nicht mehr so weiter geht

Jedenfalls nicht deshalb, weil dieses Streitforum im Konkurrenzkampf der Nationen nicht seine Dienste getan hätte. Im Gegenteil. Seine Hauptveranstalter haben sich mit ihrem Kapital die Welt erschlossen; und das in einem Maße, daß sie mit den darüber eingerissenen Verhältnissen längst nicht mehr zufrieden sind. Die sind inzwischen nämlich soweit gediehen, daß ganze Nationen, die von Haus aus unter Mangel an Kapital und damit verbundener Erpressungsmacht leiden, durch ihre Beteiligung an dieser Veranstaltung, auf die sie ihr ganzes nationales Streben richten, mehr oder weniger ruiniert sind. Sie verfügen über kein Geld, werden mit ihren wachsenden Schulden des internationalen Kredits nicht mehr ausreichend für würdig befunden, von dem sie längst auf Gedeih und Verderb abhängig geworden sind, und fallen damit als Verdienstquelle der kapitalkräftigen Nationen aus. Deren Kapital findet - über die ohnehin als Märkte nie zufriedenstellenden Rohstoffländer der Dritten Welt hinaus - die Geschäftsgelegenheiten nicht mehr vor, auf die es aus ist und Anspruch erhebt. Auf der anderen Seite drohen gewisse Länder, allen voran China, aber auch andere Schwellenländer, in die Rolle von potentiellen Konkurrenten hineinzuwachsen, die den potenten Nationen manches Geschäft streitig machen.
Diese Verhältnisse fassen die Hauptveranstalter des Weltmarkts als Entzug bzw. Bedrohung ihnen gerechterweise zustehender Geschäftsgelegenheiten ins Auge und machen für die Schranken ihres Wachstums gemäß der WTO-Logik die ungerechten und unvollkommenen Regelungen des Freihandels verantwortlich, wie wenn immer noch nicht weit genug reichenden Verfügungsrechte der Grund für die mangelnden Geschäftserträge wären: Die bankrotten oder mit eigenen Geschäftsnöten und Konkurrenzberechnungen antretenden Nationen entziehen sich - das die gültige Auffassung der Oberzuständigen des Weltmarkts - ihrem Recht auf Verhältnisse, die ihrem Kapital das auswärtige Anlegen garantiert lohnend machen.
Dort, wo es einem Weltmarktteilnehmer wie China gelungen ist, sich als Markt und Produktionsstandort - nicht zuletzt durch den Kapitalexport aus USA und EU und durchaus zugunsten der einschlägigen Multis, die sich dort engagiert haben - voranzubringen und exportfähig zu werden, wo Länder wie Brasilien oder Indien als Konkurrenten um Agrarexporte, billige Farmaprodukte und manch anderes antreten, da ist das schon gleich nicht recht. Da zählt dann nicht die Kapitalanlage, die eigene Unternehmer dort getätigt haben; die Bilanz des anderen Staates und seine Ambition, auf dem Weltmarkt mehr zu verdienen, werden als Indiz dafür genommen, das hier Länder die WTO-Freiheiten dazu mißbrauchen, sich auf anderer, nämlich die eigenen Kosten am Weltmarkt zu bedienen. So geraten die Oberimperialisten in Gegensatz mit sich selbst: Sie sorgen sie sich darum, daß ihnen hier Konkurrenz erwächst und dringen auf Korrekturen.
Auch die Dritt-Welt-Staaten, die Rohstoff-, Schuldner- und Armutsländer, machen sie dafür haftbar, daß an ihnen nichts mehr zu verdienen geht. Auch denen gegenüber suchen sie nach Wegen, ihnen Konditionen aufzunötigen, die nach Möglichkeit selbst mit diesen durch ihre Eingemeindung in das weltumspannende Geschäftswesen mehr oder weniger ruinierten Nationen noch geschäftlich irgendetwas und möglichst mehr als nur der Verkauf agrarischer Überschüsse und von Aids- und anderen Medikamenten auf deren begrenzten Märkten läuft.
Das muß und kann anders werden. Wenn schon der Welthandel über den Austausch von Waren längst hinausgekommen ist, ihre Kapitalisten überall engagiert sind, dann ist die restliche Staatenwelt auch dazu verpflichtet, alles, was sich in diesen Ländern an Geschäftsgelegenheiten eröffnen mag, denen generell zur freien Verfügung zu stellen. In diesem Sinne sind nicht erst jetzt so ziemlich alle Bereiche nationaler Standortpolitik unter dem Blickwinkel internationalen Geschäfts zum Gegenstand der Verhandlungen - das heißt zum Gegenstand des Anspruchs der führenden Konkurrenzmächte geworden. Die in den WTO-Verhandlungen inzwischen ins Auge gefaßten Bereiche betreffen nicht nur die besonderer staatlicher Betreuung bedürftige Agrarproduktion, sondern auch Infrastruktur, das Bankenwesen und den Finanzverkehr, also national entscheidende, deshalb eigener staatlicher Aufsicht und Förderung unterliegende elementare Standortbedingungen. Die Hauptakteure streiten nämlich nicht mehr bloß um den Abbau von Zollschranken oder Einfuhrkonditionen. Sie fordern freien Zugriff für ihre Multis auf alle Standortbedingungen von Staaten, die Privatisierung von Dienstleistungen wie Strom- und Wasserversorgung, Kommunikation, Bildung, Kranken- und Rentenversicherungen, die geschäftliche Ausnutzung der Gesundheitsversorgung durch ihre Farmakonzerne, einseitigen Patentschutz usw. (siehe GegenStandpunkt 3/2000 - WTO-Konferenz in Seattle). Die Zahlungsfähigkeit des Landes, die vom Staat beaufsichtigte Infrastruktur und überhaupt jede Staatstätigkeit, das nationale Geldwesen: Alles das sehen sie als Geschäftsgelegenheit für ihr nationales Kapital, das dazu befähigt und überall unterwegs ist, den Globus als seine Anlagesfäre zu behandeln. Also dringen sie darauf, den Staaten die Entscheidung aus der Hand zu nehmen, wie sie das nationale Bankwesen, die Energie und überhaupt ihren Standort regeln wollen, welches Geschäft sie wie fördern und wie sie die Umstände für internationale Kapitalinvestitionen im Rahmen ihrer Möglichkeiten ausgestalten wollen. Da fehlt es nach dem Geschmack der Weltmarktführer immer noch an institutionell geregelter Sicherheit, damit das Geld verdienen richtig losgeht. In diesem Sinne wird in Cancún vornehmlich die EU vorstellig: Sie fordert seit längerem und diesmal besonders dringlich institutionell abgesicherte Freiheiten: Rechtsicherheit für Investitionen, freien Gewinntransfer, Diskriminierungsverbot bei Staatsaufträgen und Privatisierungen...- kurz: die möglichst weitgehende Erledigung nationaler Umstände und Vorbehalte. Als ob es die Länder, bei denen sich nichts mehr zur Zufriedenheit der internationalen Kapitalanleger zum Geschäft machen läßt, generell an dem Bemühen darum hätten fehlen lassen. Und als ob diejenigen, die es zu eigenen Konkurrenzerfolgen gebracht haben, sich den Geschäftemachern der machtvollen Konkurrenznationen laufend versperrten.
Dabei ist es nicht einmal so, daß die angesprochene Länder sich dem Begehren prinzipiell widersetzen. Sie haben sich ja dem internationalen Handel verschrieben und sind auf anlagewilliges internationales Kapital aus. Worauf sie, sei es aus Not, sei es aus dem Willen, auch ihr nationales Verdienen am Weltmarkt zu retten oder voranzubringen, im Rahmen der WTO dringen, ist ein Entgegenkommen, das auch ihnen die Möglichkeit zu Geschäften mit den und bei den reichen Nationen eröffnet. Dabei ist die Diskrepanz zu den Forderungen der führenden Weltmarktnationen nicht zu übersehen. Angesichts des eigenen, mehr oder weniger fundamentalen Kapitalmangels sind sie vornehmlich an mehr Handelsgelegenheiten auswärts und an einem gewissen Schutz des heimischen Marktes interessiert. Das betrifft für die meisten vor allem die Agrarmärkte, auf denen sich die Mehrheit von ihnen allein nationale Erträge ausrechnen können, das betrifft für manche die Erlaubnis zu billiger Medikamentenproduktion und -import oder die finanzielle Beteiligung an Patenten für Stoffe, die aus Naturstoffen ihrer Länder gewonnen worden sind. Zu anderen Geschäften auf den Märkten der führenden Industrienationen sind nur wenige imstande. Und dort, wo sie mit ihren Bedingungen nicht bloß die Rolle von Zulieferern, sondern auch von Konkurrenten zum EU- und US-Farmern und Bauern spielen könnten, - fördern und sichern die Agrarsubventionen und Marktbestimmungen der führenden Industrienationen die Überlegenheit einer kapitalistischen Landwirtschaft, die diese Nationen längst als (Sonder)Abteilung ihrer Weltmarktgeschäfte schätzen und schützen. Hauptstreitpunkt von Seiten der davon betroffenen Länder ist deshalb der Abbau der Subventionen und anderer Handelshemmnissen im Agrarbereich der führenden Weltmarktnationen. Sie fordern einseitige Zollerleichterungen, wollen eigene Schutzzölle nach Möglichkeit nicht aufgeben, weil das für das heimische Produzieren unmittelbar ruinös ausfällt, wollen nach Möglichkeit auch gewisse staatliche Reglementierung, die für den nationalen Nutzen auswärtiger Kapitalengagements bei ihnen sorgen sollen, in der Hand behalten ("Konsequenterweise machten China, Indien und andere Staaten gemeinsam einen Vorschlag, der Verpflichtung von Investoren zum Thema hat, um deutlich zu machen, daß die Fixierung auf Investorenrechte in den gegenwärtigen Gesprächen ihre Hauptbedürfnisse nicht berücksichtigt. Eine einseitige Konzentration auf die Rechte der Unternehmen führe gerade bei Staaten mit begrenzten institutionellen Kapazitäten zu einer Unterminierung von Bestrebungen für eine dauerhafte wirtschaftliche Entwicklung." (WEED)).In jedem Fall fordern sie von den "Reichen" Kompromisse - und berufen sich dabei auf das Recht auf Gegenseitigkeit, das ihnen nach den WTO-Regeln zusteht. Dieser Streit der schlechter gestellten Staaten in der WTO um institutionelle Zugeständnisse der Reichen beim Weltgeschäft ist es also, den sich die NGOs zu ihrem liebsten Betätigungsfeld erkoren haben; sie dürfen die unzufriedenen Staatsmacher der Dritten Welt beraten - ein voller Erfolg im Kampf gegen Armut und Ungerechtigkeit.
Zu solchen Zugeständnissen finden sich die bestimmenden Veranstalter allerdings nicht bereit. Die USA und EU, Hauptkonkurrenten um das Weltagrargeschäft, die bisher - im Rahmen der WTO vornehmlich gegeneinander - mit Berufung auf die Bedürfnisse der Drittländer - um die Definition unerlaubter Subventionen und Handelshemmnisse gestritten haben, stellen im Vorfeld ihre eigenen Auseinandersetzungen zurück, um gemeinsam den Drittländern eine Angebot zu machen, das keines ist: Die USA anerkennen formell, daß auch ihre staatlichen Milliarden für die Agrarwirtschaft in gewissem Umfang unter den Begriff der Subvention fallen, also irgendwann und irgendwie zum Verhandlungsgegenstand gemacht werden könnten, beharren aber neben allem anderen ausdrücklich auf der umstrittenen Subventionierung ihrer Baumwollfarmer. Die EU erklärt ihre in Direktzahlungen an Bauern umgewandelten Agrarsubventionen für WTO-konform, hat damit ihrer Meinung nach alle berechtigten Forderungen der Drittwelt-Länder erfüllt und muß die unberechtigten entschieden zurückweisen. Diese Länder sollen sich gefälligst wechselseitig ihre Märkte mehr öffnen. Gemeinsam beharren die großen Wirtschaftsmächte so darauf, daß sie und nicht diese Länder zu Forderungen nach mehr Marktzugang und ‚-gerechtigkeit berechtigt sind, daß die WTO ihrer maßgeblichen Auffassung nach also dazu da ist, diese Länder auf Konzessionen gegenüber den unzufriedenen Weltmarktführern zu verpflichten, nicht aber dazu, ihnen materielle Rechte zur Konkurrenz gegen die zu gewähren. Für Kompromisse bleibt da kein Raum.
So dringen die unzufriedenen Hauptveranstalter des Weltmarkts gegen den Widerstand betroffener Länder mit gebotener Einseitigkeit und Rücksichtslosigkeit auf Änderung in den Konditionen des globalen Geschäftsverkehrs - nicht ohne begleitende diplomatische und öffentliche Propaganda, daß ihre Rücksichtslosigkeit gegen Berechnungen und Nöte der betroffenen Staaten deren ökonomischem Vorankommen verpflichtet wäre, die sich also mit ihrer Verweigerungshaltung nur selber schaden: Mehr Zugriff unseres Kapitals das ist das, was auswärtige Länder am ehesten bereichert.

Die imperialistischen Konsequenzen: WTO-Kritik und ökonomische "Koalitionen der Willigen"

Wenn sich ein Gruppe von Staaten unter Führung Chinas, Indiens und Brasiliens im Rahmen der WTO gar als Block aufstellt und im Rahmen der WTO zur Wehr setzt, dann wissen die Kommentatoren deshalb auch gleich, daß es sich da nicht bloß um eine Störung, sondern um eine mehr als problematische Machtdemonstration von WTO-Mitgliedern handelt, die dazu eigentlich überhaupt nicht befugt sind und schleunigst wieder auseinanderdividiert werden müssen. Das verstößt gegen die ehernen Grundsätze dieses Vereins, gehört also in die Schranken gewiesen. Dieser Bescheid ergeht dann auch praktisch von den Teilnehmern, die die eigentliche Regelungskompetenz für sich beanspruchen. Nach dem überraschenden und voreiligen Abbruch durch diese Drittweltländer ist von den Weltmarktführern keineswegs Einlenken angesagt. Im Gegenteil: Sie sehen sich zur Androhung von Korrekturen noch ganz anderer Art herausgefordert und stellen das Konstruktionsprinzip der WTO selber in Frage. Wenn die ihnen zu Gebote stehenden Erpressungsmitteln sich die Welt ökonomisch verfügbar zu machen, in der WTO nicht wie gewünscht zur Geltung kommen, dann geht es dort nicht mehr mit rechten Dingen zu, und zwar strukturell: Jeder Teilnehmer eine gleiche Stimme, das "spiegelt nicht die wahren Verhältnisse wieder". So bringen sie eine Reform des bisherigen, auf ein formell allgemeines Einvernehmen ausgerichteten Verfahrens, die ökonomische Macht der führenden Weltwirtschaftsmächte zur Geltung zu bringen, ins Gespräch. Eine Korrektur des ‚one nation, one vote', wird angedacht. Sollten nicht die Länder gemäß ihrer ökonomischen Potenz unterschiedliche Entscheidungskompetenz erhalten, dann wird das in der WTO anerkannte formell gleiche Mitentscheidungsrecht aller Souveräne in Zweifel gezogen. Was gleichbedeutend ist mit der Androhung einer institutionellen Degradierung aller Weltmarkteilnehmer, die über keine entsprechende ökonomische Macht verfügen.
Die USA werfen darüber hinaus die Frage auf, was denn die WTO überhaupt nützt. Entweder die WTO taugt als Mittel, ihre eigene ökonomische Macht global zur Geltung zu bringen und andere Staaten gefügig zu machen, oder aber sie hat ihre Existenzberechtigung verloren. Sie erwägen öffentlich, die ganze WTO auszuhebeln und sich mehr als bisher schon auf zweiseitige Handelsverträge zu verlegen. So soll ihre Erpressungsmacht unmittelbarer und wirksamer zur Geltung kommen. Die Drohung, sich als führende ökonomische Macht Sfären des Welthandels zu Sonderkonditionen zu sichern, also den Zugriff auf Weltmarktgegebenheiten möglichst weitgehend zu monopolisieren, wird ins Spiel gebracht. Damit stellt die führende Weltwirtschaftsmacht die Perspektive einer grundsätzlichen Revision der Weltmarktsverhältnisse in den Raum, die sie faktisch längst verfolgt. Wo der einheitlich geregelte Weltmarkt in die Krise gerät, also die Ansprüche seiner staatlichen Hauptakteure nicht mehr zufrieden stellt, da gerät auch seine bisherige politisch organisierte Einheitlichkeit in die Krise. Mit seinem Kurs, zweiseitig Sonderkonditionen auszuhandeln und Sonderwirtschaftszonen unter US-Regie anzustreben, stellt sich der Weltmarktführer gegen seine Hauptkonkurrenten neu auf. Weltwirtschaftliche Blockbildung ist angesagt und bestimmt auch die Strategien in den WTO-Verhandlungen. So kommt der Konkurrenzkampf um die Aufteilung des Weltgeschäfts voran.
Und das alles soll irgendetwas mit "Beseitigung der Armut" zu tun haben?

© GegenStandpunkt 2003