Antikritik als linkes Programm

 

Jetzt gibt es also ein neues Linksbündnis, das es zweifellos gebraucht hat, damit die “Mafia” aus SPD/CDU/FDP/Grünen auf etwas einschlagen, ihren unverwüstlichen Antikommunismus in Anschlag bringen kann; und nicht nur die, auch die bürgerliche Öffentlichkeit von Springer bis Spiegel hat wieder ein klares Feindbild. Gegen diese überhaupt nicht sachgerechte Hetze wehrt sich die neue Partei zurecht, wenngleich mit wenig tauglichen Mitteln. Worum handelt es sich aber nun bei der WASG-PDS wirklich?

 

 Die WASG hat, das ist ihren Stellungnahmen allenthalben zu entnehmen (z. B.: www.wahlalternative-asg.de/490.0.html), offenbar nicht begriffen, daß ein Sozialstaat wie früher heute, angesichts der Herausforderungen und Ambitionen des deutschen Staates – er mißt sich beispielsweise mit seinem Projekt Europa ökonomisch, politisch, militärisch an der Supermacht USA! – nicht mehr möglich ist und daß die Kosten des Fortschritts des Standorts Deutschland notwendigerweise die “kleinen Leute” zu tragen haben; und sie will es nicht begreifen. Würde sie das nämlich, hieße das nämlich keineswegs, daß sie dies auch billigen müßte; nur: dann stünden eben andere Konsequenzen an als ausgerechnet die Gründung einer Wahl-Alternative. Offenbar schreckt man aber vor einer Kritik der herrschenden Zustände zurück, die die gesellschaftlichen Zwecke – die Macht des Staates und den weltweiten Erfolg seiner Kapitalisten – in Frage stellt; solcherart Kritik röche ja (nicht ganz zu unrecht) nach Kommunismus. Da bezieht man sich lieber auf die trostlose Figur eines Wählers, mit der alles zu machen ist und die allenthalben glaubt, daß sie mit der Abgabe ihrer Stimme auch gehörig berücksichtigt ist.

 Freilich, das alles ist natürlich nicht genug; für einen Wahlerfolg braucht man die PDS als Partei, die in der Ostzone einen Großteil der Stimmen einfährt, die im Westen traditionell auf Sozialdemokraten und andere entfallen.

 

  “Die PDS im Westen hat es indessen noch nicht geschafft, die Erfahrungen ihrer Ost-Landesverbände mit gesellschaftlichen Umwälzungsprozessen, mit der völligen Restrukturierung einer ganzen Gesellschaft für die Auseinandersetzung in der westdeutschen Teilgesellschaft nutzbar zu machen, deutlich zu machen, daß der Westen eine demokratisch-sozialistische Partei braucht. Und zwar eine Partei, die nicht dabei stehen bleibt, die bestehenden Verhältnisse zu kritisieren, sondern eine Partei, die über schlüssige und nachvollziehbare Konzepte für alternative Entwicklungspfade hin zu mehr Gerechtigkeit, Demokratie und friedlicher Konfliktlösung verfügt und das immer mit der Perspektive gesellschaftlicher Veränderung, die das kapitalistische System überwindet. 

 Das oft gezeichnete Bild von Wahlalternative und PDS als siamesische Zwillinge, die einen im Osten, die anderen im Westen, ist falsch und apolitisch. ... Die WASG versteht sich nicht als sozialistische Partei ...” (Elke Breitenbach und Katina Schubert, Mitglieder des PDS-Parteivorstands, in: analyse + kritik vom 17.06.05)

 

 Offenbar scheint es der PDS bitter nötig, das Bild vom siamesischen Zwilling zu dementieren. Zwar bleibt sie wie die WASG dabei nicht stehen, die “bestehenden Verhältnisse zu kritisieren”, weil sie das ja nicht nur gar nicht vorhat, sondern wie jene dies für abwegig hält – schließlich will auch sie eine Wahlalternative sein und als solche Erfolg haben! Aber auf den Kunstgriff, so zu tun, als würde sie als etablierter Wahlverein die gesellschaftlichen Verhältnisse per se kritisieren, auf den will sie im Gegensatz zur WASG nicht verzichten. Dafür taugt die Phrase vom Sozialismus als Perspektive. So sehr sich also beide Parteien in der Absage an eine Kapitalismuskritik, die diesen Namen verdient hat, einig sind, so sehr streiten sie sich in den Bereichen ihrer ideologischen Rechtfertigungen.

Einig sind sich also beide Fraktionen in der Verdammung jeglichen Wissens über den Kapitalismus als “bloße Theorie”. Dieser Standpunkt ist nichts anderes als ein zutiefst bürgerlicher Standpunkt gegenüber der gesellschaftlichen Realität. Wer aus den kapitalistischen Ausbeutungsverhältnissen und ihrer wissenschaftlichen Analyse einen Gegensatz verfertigt, indem er meint, die gesellschaftliche Realität und nicht deren Analyse begründet die Praxis, wer also meint, auf die Analyse getrost verzichten zu können, der hat sich entschlossen, seine Praxis an der unbegriffenen Realität auszurichten. Der meint also, eine Betrachtung der Oberfläche der gesellschaftlichen Wirklichkeit sei völlig ausreichend, Kritik dagegen hinderlich für das Anliegen, (endlich) Politik zu machen. Dementsprechend fällt auch die implizite Begründung seiner Praxis aus:

 

“Von der Auseinandersetzung über Konzepte, die die bestehende Arbeit – sowohl die Reproduktions- als auch Erwerbsarbeit – neu verteilen und die sozialen Sicherungssysteme auf eine neue Basis stellen, wollen wir nicht abrücken. Dazu müssen wir über einen neuen Gesellschaftsvertrag diskutieren, in dem wir uns darüber verständigen, welche gesellschaftlichen Aufgaben es gibt, wie sie finanziert werden und wer sich daran wie beteiligen muß – jede und jeder nach seiner und ihrer Leistungsfähigkeit. ... Das heißt aber auch, mit althergebrachten linken Gewißheiten zu brechen wie der, daß die sozialen Sicherungssysteme alleine über den Faktor Arbeit zu finanzieren seien.” (Elke Breitenbach und Katina Schubert, ebenda)

 

 So stellt man sich also den Kapitalismus in all seiner Unbegriffenheit vor: Ein Verteilungssystem, ein freilich inadäquates, das seine Korrektur in einem schiedlich-friedlich erstellten neuen Gesellschaftsvertrag sucht. Ein System, das Sicherungssysteme kennt, die auf Kosten des Faktors Arbeit gehen. Also höchst ungerecht, weil nicht auf Kosten eines anderen Faktors (Kapital?) ebenso. Man fragt sich unwillkürlich, wieso eigentlich Sicherungssysteme und man bekommt zur Antwort: Nicht bei Kritik stehenbleiben! Man fragt sich, warum die Sicherungssysteme auf Kosten des Faktors Arbeit gehen und ob es dafür nicht vielleicht eine systemimmanente Notwendigkeit gibt. Und wieder hallt es zurück: Das ist nicht die Frage, die zur Lösung der gesellschaftlichen Aufgaben, die wir, die PDS – vorbildlich für alle Linken –, uns gestellt haben, beiträgt! Dafür wartet die PDS dann überraschend mit einer feinsinnigen Unterscheidung zwischen Reproduktions- und Erwerbsarbeit auf, als sei Erwerbsarbeit etwas anderes als Reproduktionsarbeit – über die Frage allerdings, warum Hausfrauen nicht über ein eigenes Einkommen verfügen, will sie nicht weiter nachdenken, denn vorstellbar ist ihr ein solches in der ihrer Meinung nach allenthalben verbesserungswürdigen wie -fähigen Welt des Kapitalismus lässig!

 Ja, solch in ihrer Ignoranz revolutionäre Gedanken haben ihre Ursache!:

 

“Die westdeutsche Linke ist bislang weitgehend nicht bereit, sich mit der Geschichte der Linken im Osten auseinanderzusetzen; zur Kenntnis zu nehmen, welche zum Teil auch sehr schmerzlichen Auseinandersetzungen viele GenossInnen in der PDS um ihre eigene Geschichte geführt haben.” (Elke Breitenbach und Katina Schubert, ebenda)

 

 Ein Vorwurf, der sitzt: Wir haben Erfahrungen gemacht und Konsequenzen gezogen! Deshalb sollten auch West-Linke nicht bei Kritik stehenbleiben, die Überprüfung, ob die Schlüsse der PDS aus der Abdankung der SED zugunsten des westlichen, kapitalistischen Systems richtig sind, also gefälligst unterlassen! Schließlich kann man die Ideologie des historischen Materialismus auch so verlängern, daß alles, was sich durchsetzt, dem alten überlegen sein muß, also von Geschichts wegen keinen Widerspruch erlaubt. Daß mancher West-Linke ganz andere Schlüsse aus dem Abgang des realen Sozialismus gezogen hat, weil er die Marxsche Kritik am Kapitalismus ganz unideologisch genommen hat, er also auch den realen Sozialismus nicht in ein Korsett staatlich erlaubter wie mißbilligter moralischer Kritik geschnürt hat, sondern die Zwecke dieses alternativen Gewaltmonopols wie die seines Aufgebens untersucht hat, wollen PDS-Leute in ihrem Morast eines zum Moralismus verkommenen Sozialismus natürlich nicht zur Kenntnis nehmen.*  Schließlich haben sie sich entschieden, dem ihnen entgegenschlagenden Antikommunismus durch prinzipielle Konzessionen den Wind aus den Segeln zu nehmen und sich dadurch in die verbesserungswürdige Republik einmischen zu dürfen. Mit der WASG zusammen haben sie nun diesen Erfolg unmittelbar vor Augen. Blindheit läßt sich dann denen vorwerfen, die als Linke an einem solchen Erfolg nicht interessiert sind, vorausgesetzt die große Aufgabe gelingt:

 

“Entscheidend wird sein, ob es einem erneuerten Linksbündnis gelingt, die weit verdrossene Politikverdrossenheit aufzubrechen und eine glaubwürdige, wählbare Alternative anzubieten.” (Berno Schukardt vom WASG-Landesvorstand Hamburg, in: analyse + kritik vom 17.06.05) “Was wir in Deutschland und Europa jedoch brauchen, sind Alternativen zum neoliberalen Zeitgeist. Einen Zeitgeist kann man nur überwinden, wenn man glaubwürdige Alternativen hat.” (Gregor Gysi, taz vom 08.06.05)

 

© KoKa 01.07.2005

 

* festgehalten ist diese Kritik in: Peter Decker/Karl Held, Abweichende Meinungen zur “deutschen Frage” – DDR kaputt, Deutschland ganz – Eine Abrechnung mit dem “Realen Sozialismus” und dem Imperialismus deutscher Nation; sowie in: DDR kaputt, Deutschland ganz 2 – Der Anschluß – eine Abrechnung mit der neuen Nation und ihrem Nationalismus; beide erschienen im Resultate-Verlag und erhältlich unter www.gegenstandpunkt.com